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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER WEIBERLIST'

In der Stadt Baghdad lebte einst ein anmutiger Jüngling, von schönem Antlitz und schlankem Wuchse, der zu den vornehmen Leuten gehörte; der besaß einen Laden, in dem er Handel trieb. Als er eines Tages in seinem Laden saß, kam eine Tochter der Fröhlichkeit an ihm vorbei; die hob dort ihr Haupt empor und sah, daß über der Ladentür zwei Zeilen geschrieben stans.



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den; das waren diese Worte: Es gibt keine List als die List der Männer, denn sie übertrifft die List der Frauen. Da ward sie zornig und sprach in ihrem Herzen: ,Bei meinem Haupte, ich will ihn ein Wunder erleben lassen, das die Inschrift über seinem Laden zuschanden macht!' Darauf ging sie nach Hause. Am nächsten Tage aber kam sie zu dem Laden, mit prächtigen Gewändern angetan und mit kostbaren Schmucksachen geziert; auch hatte sie eine Sklavin bei sich, die ein Bündel in der Hand trug. Sie begrüßte den Kaufmann, setzte sich in seinen Laden und verlangte von ihm einige Stoffe. Da holte er ihr mancherlei hervor; sie nahm die Stoffe in die Hand und wandte sie hin und her, indem sie mit ihm plauderte. Schließlich sagte sie zu ihm: ,Sieh doch mal, wie schön ich von Wuchs und Gestalt bin! Kannst du an mir einen Fehl entdecken?' Er gab ihr zur Antwort: ,Nein, meine Herrin!' Dann enthüllte sie vor ihm einen Teil ihres Busens, und als er ihre Brüste sah, ward sein Herz durch sie erregt, und er rief: ,Verhülle sie! Allah schütze dich!' Doch sie erwiderte: ,Ist es recht, daß irgendeiner von meinen Reizen häßlich redet?' ,Nein,' rief er wieder, ,wie könnte jemand deine Reize schmähen, da du doch die Sonne der Schönheit bist?' Nun streifte sie auch die Ärmel von ihren Unterarmen auf und sprach zu dem Jüngling: ,Schau her; kannst du hier einen Fehl entdecken?' Er entgegnete: ,Nein; wie wäre das möglich? Sie sind ja Arme von Kristall!' Und er fuhr fort: ,Was veranlaßt dich, meine Herrin, mir diese schönen Glieder und diese liebliche Gestalt zu zeigen? Tu mir die Wahrheit kund! Ich gebe mein Leben für dich hin!' Und er sprach diese Verse:

Die weiße Wange wird vom Haar umrahmt
Und ist verborgen in der schwarzen Pracht.
Die Wange gleicht dem hellen Tageslicht,
Das Haar ist gleichsam wie die finstre Nacht.



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Nun sagte die Dame zu dem jungen Kaufmann: Wisse, mein Gebieter, ich bin ein Mädchen, dem vom eigenen Vater unrecht geschieht; denn er verleumdet mich und sagt zu mir: Du bist häßlich von Ansehen und Gestalt, und es ist nicht nötig, daß du prächtige Kleider trägst; du und die Sklavinnen, ihr seid vom gleichen Range, zwischen euch ist kein Unterschied! Und dabei ist er reich und sehr wohlhabend.' Da fragte der Jüngling: ,Wer ist dein Vater? Was für einen Beruf hat er?' Sie antwortete: ,Mein Vater ist der Großkadi von dem bekannten obersten Gerichtshof.' Und der Mann glaubte es ihr. Daraufnahm sie Abschied von ihm und ging davon. Aber in seinem Herzen regte sich eine tausendfache Sehnsucht nach ihr, und die Liebe zu ihr erfüllte ihn ganz; doch er wußte nicht, wie er sie gewinnen sollte. Er verschloß die Tür seines Ladens und begab sich zum Gerichtshof; dort trat er zu dem Kadi ein und begrüßte ihn. Der gab ihm den Gruß zurück, erwies ihm hohe Ehre und ließ ihn an seiner Seite sitzen. Darauf hub der Kaufmann an: ,Ich komme zu dir, da ich dein Eidam werden möchte.' ,Herzlich willkommen,' erwiderte der Kadi. ,aber meine Tochter taugt nicht für deinesgleichen, mein Freund!' Der Jüngling entgegnete jedoch: ,Das ist gleich! Ich bin mit ihr zufrieden.' Da nahm der Kadi seine Werbung an und setzte die Eheurkunde für ihn an Ort und Stelle auf mit der Bestimmung, daß er als Brautgeld sogleich fünfundzwanzig Goldstücke und später als zweiten Teil der Brautgabe ebensoviel bezahlen solle. Darauf ging der Kaufmann nach Hause, und nun wurde von beiden Seiten zur Hochzeit gerüstet. Am Abend des dritten Tages ward die Braut im Hochzeitszuge dem Kaufmann zugeführt; er sprach das Abendgebet und trat zu ihr ins Gemach. Als er aber den Schleier von ihrem Antlitz hob und das Kopftuch zurückschlug, da entdeckte er eine ekelhafte,



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häßliche Gestalt und ein mit allen Fehlern behaftetes Wesen. Und nun bereute er, als ihm die Reue nichts mehr nutzte, und er sah ein, daß jene Frau ihn betrogen hatte. Der unglückliche Kaufmann blieb jene Nacht über bis zum Morgen dort, wach und voll trüber Gedanken, und er ruhte bei seiner Gattin wider Willen. Doch sobald der Morgen dämmerte, erhob er sich und ging zum Badehause. Nachdem er dort die Waschung für die Unreinheit vorgenommen hatte, zog er seine Werktagskleider wieder an, begab sich ins Kaffeehaus, trank eine Tasse Kaffee und kehrte dann zu seinem Laden zurück. Er schloß die Tür auf und setzte sich nieder; aber der Kummer verzerrte sein Antlitz. Nach einer Weile kamen seine Freunde und Gefährten zu ihm, um ihm Glück zu wünschen; und lachend sprachen sie zu ihm: ,Zum Segen! Zum Segen! Wo sind die Süßigkeiten? Wo ist der Kaffee? Es scheint, du hast uns vergessen! Die Reize deiner jungen Frau haben dich wohl so vergeßlich gemacht. Nun ja, wohl bekomm's! Wohl bekomm's!' So verspotteten sie ihn, während er ihnen keine Antwort gab und vor Wut nahe daran war, sich die Kleider zu zerreißen und zu weinen. Dann gingen sie wieder fort; und als es Mittag ward, siehe, da kam seine trügerische Freundin einher mit rauschender Schleppe. Sie trat heran, setzte sich in dem Laden nieder und sprach: ,Zum Segen, mein Gebieter! Allah gebe, daß es eine Hochzeit des Glücks und der Freude sei!' Er aber runzelte die Stirn und sprach zu ihr: ,Was hab ich dir zuleide getan, daß du mir so vergelten mußtest?' Sie erwiderte: ,Du hast mir nichts zuleide getan. Doch jene Inschrift dort über der Tür deines Ladens ist an allem schuld. Wenn es dir möglich ist, sie zu ändern, so will ich dich aus diesem Elend erretten.' Da sagte er: ,Was du forderst, ist leicht; es soll herzlich gern geschehen.' Und alsbald erhob er sich, löschte die Inschrift über seiner Tür und schrieb



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an ihrer Statt mit goldenen Buchstaben: Es gibt keine List als die List der Frauen; denn ihre List ist die größte. Dann fragte er sie: ,Ist dein Herz nun zufrieden?' ,Jawohl,' erwiderte sie; ,geh du sogleich zu den Tänzern und Trommlern und sprich zu ihnen: ,Kommt morgen mit euren Trommeln und Pfeifen zum Gerichtshof des Kadis, während ich dort sitze: dann tretet zu mir heran und sagt zu mir: ,Zum Segen, Vetter! Unsere Seele freut sich über das, was du getan hast.' Dann wirf du ihnen Dinare und Dirhems zu.' ,Ja, der Rat ist gut', antwortete er, schloß den Laden und begab sich zu den Tänzern und Trommlern; er tat ihnen den Plan kund und versprach ihnen eine große Belohnung. Sie nahmen seine Worte entgegen, indem sie sprachen: ,Wir hören und gehorchen!' Am folgenden Tage ging er nach dem Frühgebete zu Seiner Exzellenz dem Kadi. Der empfing ihn mit Hochachtung und ließ ihn an seiner Seite sitzen. Dann wandte er ihm sein Angesicht zu und begann mit ihm zu plaudern; er fragte ihn, wie es mit dem Handel stehe und wie hoch die Preise der Waren seien, die von überall her nach Baghdad eingeführt wurden; und der Kaufmann antwortete ihm auf alles, was er fragte. Während sie so miteinander sprachen, kamen plötzlich die Tänzer und Trommler mit ihren Trommeln und Pfeifen; einer von ihnen hielt eine lange Fahne inder Hand und schritt ihnen voran, unter allerlei seltsamen Rufen und Bewegungen. Als sie zu dem Gerichtsgebäude kamen, rief der Kadi: ,Ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor diesen Teufeln!' Der Kaufmann lachte und schwieg. Da traten die Leute ein, grüßten Seine Exzellenz den Kadi und küßten die Hand des Kaufmanns; dann sprachen sie: ,Zum Segen, Vetter, unsere Herzen haben sich gefreut über das, was du getan hast, und wir flehen zu Allah, daß er unserem Herren Kadi dauerndes Ansehn verleihe, ihm, der uns durch Verwandtschaft geehrt hat



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und uns an seinem hohen Rang und Stand hat teilnehmen lassen!' Als der Kadi diese Worte hören mußte, da ward er verwirrt und sprachlos, und sein Gesicht ward rot vor Zorn. Dann aber fragte er seinen Eidam: ,Was sollen solche Worte bedeuten?' Der erwiderte ihm: ,Weißt du nicht, hoher Herr, daß ich auch zu dieser Zunft gehöre? Der da ist mein Vetter von Mutters Seite, und der andere mein Vetter von Vaters Seite: ich werde freilich zu den Kaufleuten gerechnet.' Der Kadi erblich, wie er solches vernahm; er ward von Schmerz und wildem Zorn erfüllt, und er war nahe daran, vor Wut zu bersten. Dann sprach er zu dem Kaufmann: ,Allah verhüte, daß dies Ding sich vollende! Wie sollte es erlaubt sein, daß die Tochter des Kadis der Gläubigen bei einem Manne verbleibe, der zu den Tänzern gehört und niedriger Herkunft ist? Bei Allah, wenn du dich nicht im Augenblicke von ihr scheidest, so lasse ich dich peitschen und auf immer bis zu deinem Tode ins Gefängnis werfen. Hätte ich eher gewußt, daß du zu den Leuten da gehörst, so hätte ich dich mir nicht nahekommen lassen, ja, ich hätte dir nicht einmal ins Gesicht gespuckt; du bist ja unreiner als ein Hund oder ein Schwein.' Darauf stieß er ihn mit dem Fuße von seinem Sitz herab und befahl ihm, die Scheidung auszusprechen. Aber der Kaufmann rief: ,Sei besonnen, o Gebieter! Denn Allah ist besonnen, und Er übereilt sich nicht; ich kann mich von meiner Frau nicht scheiden, wenn du mir auch das Königreich Irak schenktest!' Nun war der Kadi ratlos; denn er sah ein, daß der Zwang nicht erlaubt ist nach der heiligen Satzung. So sprach er ihm denn mit milderen Worten zu: ,Schütze meine Ehre, Allah soll dich schützen! Wenn du dich nicht von ihr scheidest, so wird diese Schmach fur alle Zeiten an mir haften bleiben.' Doch dann übermannte ihn wieder die Wut, und er schrie ihn an: ,Wenn du dich nicht



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freiwillig von ihr scheidest, so lasse ich dir sofort den Kopf abschlagen, und dann nehme ich mir selbst das Leben -lieber im Höllenbrande als in Schande!' Der Kaufmann dachte eine Weile nach; dann sprach er öffentlich die Scheidung von seiner Frau aus, und so befreite er sich durch diesen Streich von dem Unheil. Darauf kehrte er in seinen Laden zurück. Nach einigen Tagen aber vermählte er sich mit jener Jungfrau, die ihm ihren Streich gespielt hatte; sie war die Tochter des Scheichs der Schmiede. Und er führte mit ihr ein Leben in Fröhlichkeit. in Herrlichkeit und Seligkeit. —Preis sei Allah, dem Herrn der Welten!

Ferner wird erzählt


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