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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES LASTTRÄGERS UND DER DREI DAMEN

Es war einmal ein Lastträger in der Stadt Baghdad; der war unverheiratet. Nun geschah es, als er eines Tages müßig auf der Straße stand und sich auf seinen Lastkorb stützte, daß, siehe, vor ihn eine Dame trat, bekleidet mit einem Mantel aus Musselin, einem Seidengewande, mit Schuhen aus Brokat, einem goldgewirkten Saum und einer herunterfallenden Schärpe. Sie lüftete ihren Schleier, und darunter zeigten sich zwei schwarze Augen, mit zierlichen Wimpern auf den Lidern, mit weichen Blicken und von vollkommener Schönheit. Und sie wandte sich an den Lastträger und sagte in lieblicher und gewählter Sprache: ,Nimm deinen Korb und folge mir!' Kaum hatte der Träger die Worte gehört, da nahm er in aller Eile den Korb auf den Kopf und sprach bei sich selber: ,O Tag des Glücks! o Tag der göttlichen Gnade!' Und er ging ihr nach, bis sie vor der Tür eines Hauses stehen blieb. Sie pochte an die Tür, und alsbald kam ein Christ zu ihr herunter; dem gab sie ein Goldstück und erhielt von ihm dafür eine dunkelgrüne Flasche; sie setzte diese in den Korb und sagte: ,Heb auf und folge mir!' Der Träger aber sprach: ,Dies ist, bei Allah, ein gesegneter Tag, ein Tag glücklich durch den Erfolg!' und hob den Korb auf den Kopf und folgte ihr, bis sie vor dem Laden eines Fruchthändlers stehen blieb, von dem sie syrische Äpfel kaufte, osmanische Quitten und Pfirsiche aus Oman, Jasmin und Wasserlilien aus Syrien, zarte kleine Herbstgurken, Zitronen, Sultansorangen, duftende Myrten, Tamarinden, Chrysanthemen, rote Anemonen, Veilchen, Granatapfelblüten und weiße Heckenrosen; all das tat sie in den Korb des Lastträgers und sagte: ,Trag es!' So trug er es und folgte ihr, bis sie bei einem Schlächter



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stehen blieb und zu ihm sagte: ,Schneid mir zehn Pfund Fleisch ab!' Der Schlächter schnitt es ab, und sie zahlte den Preis, wickelte das Fleisch in ein Bananenblatt und legte es in den Korb, indem sie sprach: ,Trag es, o Träger!' Er hob den Korb und folgte ihr. Sie ging weiter und blieb bei einem Gewürzkrämer stehen; von ihm kaufte sie, was zum Nachtisch gehört, Pistazienkerne, arabische Rosinen und Mandeln. Dann sprach sie zu dem Träger: ,Trag es und folge mir!' So nahm er seinen Korb auf den Kopf und folgte ihr, bis sie halt machte bei dem Laden des Zuckerbäckers; und sie kaufte eine Schüssel und häufte darauf allerlei Süßigkeiten aus dem Laden, Waffeln, Törtchen, mit Moschus zubereitet, Mandelkuchen, Zitronenfondants von mancherlei Art, Kämme der Zainab aus Zuckerwerk, Fingergebäck und Spritzkuchen; kurz, sie nahm von allen Arten der Süßigkeiten auf die Schüssel und stellte sie in den Korb. Da sprach der Träger zu ihr: ,Das hättest du mich wissen lassen sollen; dann hätte ich mein Packpferd mitgebracht, dem du all diese guten Sachen aufladen könntest.' Sie lächelte und schlug ihm leise mit ihrer Hand auf den Nacken, indem sie sprach: ,Spute dich zugehen und laß das viele Reden; dein Lohn ist dir sicher, so Gott der Erhabene will!' Dann machte sie halt bei einem Händler von Spezereien; und sie nahm von ihm zehn verschiedene Wasser, darunter Rosenwasser, Orangenblütenwasser, Lilienwasser und Weidenblütenwasser. Und sie kaufte auch zwei Zuckerlaibe, eine Flasche Rosenwasser mit Moschus, einige Stückchen Weihrauch, Aboeholz Ambra, Moschus und alexandrinische Kerzen; und das Ganze legte sie in den Korb und sagte: ,Nimm deinen Korb und folge mir!' Da hob er den Korb und ging ihr nach, bis sie zu einem schönen Hause kam, vor dem ein geräumiger Hof lag, einem hohen Bau mit ragenden Säulen; sein Tor hatte



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zwei Flügel aus Ebenholz, eingelegt mit Platten roten Goldes. Die Dame blieb am Tore stehen, hob den Schleier von ihrem Antlitz und klopfte leise an; der Träger aber stand hinter ihr und dachte unaufhörlich an ihre Schönheit und Anmut. Die Tür ward geöffnet, und die beiden Flügel schlugen zurück. Da schaute der Träger hin, wer sie geöffnet hatte; und siehe, es war eine Dame von stattlichem Wuchs, etwa fünf Fuß hoch, mit schwellendem Busen, von Schönheit und Anmut, vollkommenem Liebreiz und ebenmäßiger Gestalt. Ihre Stirn war blütenweiß, ihre Wangen hell rot wie die Anemone, ihre Augen wie die der wilden Färse oder der Gazelle, und ihre Brauen wie der Neumond des gesegneten Fastenmonats; ihr Mund war der Ring Salomos, ihre Lippen korallenrot und ihre Zähnchen wie eine Schnur von Perlen oder wie Blätter der Chrysanthemumblüte. Ihr Hals glich dein der Antilope, ihr Busen einem Marmorbecken und ihre Brüste zwei Granatäpfeln; ihr Leib aber war weich wie Samt, und die Höhle ihres Nabels hätte eine Unze Benzoesalbe gefaßt. Kurz, jener glich sie, von der der Dichter sagt:

Schaue sie an, die Sonne und Mond erbleichen macht,
Sie, die Hyazinthe in strahlender Blutenpracht.
Nie sah dein Auge Schwarz und Weiß so schön im Verein
Wie ihre dunklen Haare über dem Antlitz so rein.
Rosig sind ihre Wangen; und ihre Schönheit erzählt
Immer von ihrem Namen, wenn ihr auch der Reichtum fehlt.
Ich lächle ob ihrer Hüften, wenn sie im Gange sich wiegt;
O Wunder, und wein' um den Leib, den schlanken, der fast zerbiegt.

Und als der Träger sie sah, war sein Verstand und sein Sinn gefangen, so daß ihm der Korb fast vom Kopfe fiel; dann sprach er bei sich selber: ,Nie sah ich in meinem Leben einen gesegneteren Tag als diesen!' Und die Pförtnerin sprach zu der Wirtschafterin: ,Tritt ein in das Tor und befreie den armen



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Träger von seiner Last! 'Da trat die Wirtschafterin ein, und die Pförtnerin folgte ihr, und der Träger auch; und sie gingen weiter, bis sie zu einer schönen, geräumigen Halle kamen, die mit wunderbarer Geschicklichkeit erbaut war, mit allerlei Verzierungen, mit Arkaden, Erkern, Estraden, Nischen und Schränken, vor denen Vorhänge hingen. Und in der Mitte der Halle war ein großes Bassin voll Wasser, und darin war ein Boot-häuschen; an der Rückseite der Halle aber stand ein Lager aus Wacholderholz, mit Edelsteinen besetzt, über dem ein Baldachin schwebte aus rotem Atlas, der mit Perlen aufgesteckt war, so groß wie Haselnüsse und größer noch. Darinnen zeigte sich eine Dame, von erlesener Schönheit, mit herrlichem Antlitz, bezaubernden Augen und weisen Mienen, von Aussehen so lieblich wie der Mond; und ihre Brauen waren gewölbt wie Bogen, ihr Wuchs war aufrecht wie ein J, ihr Atem hauchte Ambra, und ihre Lippen waren rot wie Karneole und süß wie Zucker. Ihres Gesichtes Glanz beschämte die strahlende Sonne; sie war wie einer der himmlischen Planeten, oder wie eine vergoldete Kuppel, oder wie eine Braut in erlesenstem Schmuck oder ein edles Mädchen Arabiens. So sang von ihr der Dichter:

Es ist, als zeigte ihr Lächeln schneeweiße Perlenreihn,
Wie Chrysanthernumblüten oder wie Hagelstein'.
Locken hat sie, die fallen herab wie die schwarze Nacht,
Sie, deren Schönheit das Licht des Morgens erbleichen macht.

Da stand die dritte Dame auf von dem Lager und trat langsam vor mit wiegendem Gang, bis sie in die Mitte des Saales zu ihren Schwestern kam; und sie sprach: ,Was steht ihr da? Nehmt die Last von dem Haupte des armen Trägers!' Alsbald trat die Wirtschafterin vor ihn hin, und die Pförtnerin trat hinter ihn, und die dritte half ihnen beiden, und sie hoben den Korb von des Trägers Kopf, leerten ihn und legten alles an



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seinen Ort. Und schließlich gaben sie dem Träger zwei Goldstücke und sagten: ,Zieh deines Weges, o Träger!' Aber er blickte die Damen an und ihre große Schönheit und feinen Züge; denn er hatte noch nie etwas Schöneres gesehen als sie —doch es fand sich kein Mann bei ihnen. Und ferner blickte er auf den Wein, die Früchte, die Blumen und alle die anderen guten Dinge, die bei ihnen waren. So geriet er in höchstes Erstaunen und zögerte mit dem Gehen; da sprach die eine der Damen: ,Was ist dir? Warum gehst du nicht? Hältst du vielleicht den Lohn für zu gering?' Darauf wandte sie sich zu ihrer Schwester und sprach: ,Gib ihm noch einen Dinar!' Doch der Träger erwiderte: ,Bei Allah, Herrin, ich halte den Lohn nicht für zu gering; mein Lohn beträgt kaum zwei Dirhems; nein, mein Herz und meine Seele denken nur an euch. Wie kommt es, daß ihr so allein seid, ohne einen Mann bei euch zu haben oder irgendjemand, der euch Gesellschaft leiste? Ihr wißt doch, daß der Turm der Moschee nur auf vier Grundmauern stehen kann; aber euch fehlt der vierte! Das Vergnügen der Frauen wird doch erst durch die Männer vollkommen, wie es im Liede heißt:

Siehst du nicht, zur Lust sind vier vonnöten:
Harfe, Laute, Zither und die Flöten!
Und vier Düfte müssen sie umkosen:
Myrten, Levkojen, Anemonen und Rosen.
All dies wird nur durch vier andre hold:
Wein und Jugend, Liebe und Gold.

Ihr seid drei und entbehret eines vierten, der ein verständiger und kluger Mann sein muß, scharf von Witz und fähig, Geheimnisse zu bewahren.' Als sie seine Worte hörten, hatten sie ihre Freude daran, und sie lachten über ihn und sagten: ,Und wer ist das für uns? Wir sind Jungfrauen, und wir fürchten uns, unser Geheimnis jemandem zu vertrauen, der es nicht bewahrt,



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denn wir haben in einer Erzählung gelesen, was der Dichter Ibn eth-Thumâm gesagt hat:

Bewahr dein Geheimnis mit Eifer! Tu es niemandem kund!
Denn wer sein Geheimnis verrät, verliert es zur selbigen Stund.
Und wenn deine eigene Brust dein Geheimnis nicht fassen kann,
Wie kann dessen Brust es fassen, dem du es kundgetan?

Und auch Abu Nuwâs sagte vortrefflich:

Wer den Menschen sein Geheimnis berichtet,
Verdient, daß der Brand ihm die Stirne vernichtet.'

Als aber der Träger ihre Worte hörte, erwiderte er: ,Bei eurem Leben! Ich bin ein verständiger und zuverlässiger Mann, ich habe die Bücher gelesen und die Chroniken studiert; ich zeige das Schöne und verberge das Häßliche, wie es im Dichterwort heißt', und er sprach die Verse:

Es bewahrt das Geheimnis nur der verläßliche Mann;
Und das Geheimnis ist bei dein besten Menschen versiegelt.
Bei mir ist das Geheimnis in einem verschlossenen Haus;
Die Schlüssel dazu sind verloren, und das Tor ist verriegelt.

Als die Damen die Verse, und was er ihnen kundtat, gehört hatten, da sagten sie: ,Du weißt, wir haben für diesen Bau eine große Summe Geldes verbraucht. Hast du etwas für uns zum Entgelt dafür? Denn wir werden dir nicht gestatten, daß du bei uns sitzest als unser Tischgenosse und in unsere reizenden, schönen Gesichter blickest, ohne daß du uns eine Summe Geldes zahlst. Kennst du nicht das Sprichwort: Liebe ohne einen Deut nützt keinen Deut?' Und die Pförtnerin fügte hinzu: ,Bringst du etwas, mein Freund, so bist du etwas; bringst du nichts, zieh ab mit nichts!' Da aber sagte die Wirtschafterin: ,Schwestern, laßt doch ab von ihm; denn, bei Allah, er hat uns heute nicht im Stich gelassen, und wäre er anders gewesen, er hätte nie mit uns Geduld gehabt. Was für Verpflichtungen ihn



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auch treffen mögen, ich nehme sie auf mich.' Da freute sich der Träger, küßte den Boden, dankte ihr und sprach: ,Bei Allah, mein erstes Geld erhielt ich heute von dir aus.' Nun sagten sie: ,Setze dich und sei uns willkommen'; und die Dame vom Thronsessel fügte hinzu: ,Bei Allah, wir können dich nur unter einer Bedingung bei uns sitzen lassen, und die ist, daß du keine Frage stellst über Dinge, die dich nichts angehn; und wenn du dich doch einmischest, so bekommst du Prügel.' Da rief der Träger: ,Einverstanden, o meine Herrin, mit der größten Freude. Sehet da, ich habe keine Zunge mehr!' Dann erhob sich die Wirtschafterin, schürzte ihr Kleid auf, ordnete die Flaschen in Reihen, klärte den Wein und legte das Grün um den Krug und machte alles bereit, was sie brauchten. Darauf stellte sie den Wein vor sie und setzte sich, sie mit ihren Schwestern; auch der Träger setzte sich zu ihnen, aber er wähnte sich im Traum. Nun nahm die Wirtschafterin die Weinkaraffe und schenkte den ersten Becher voll und trank ilm aus, und ebenso einen zweiten und dritten. Dann füllte sie wiederum und reichte einer ihrer Schwestern, und schließlich füllte sie und reichte dem Träger mit den Worten:

Trinke zum Wohle, zur Freude, zum Heile!
Dieser Trank macht, daß die Krankheit enteile.

Und er nahm den Becher in die Hand und dankte mit tiefer Verbeugung und sprach aus dem Stegreif die Verse:

Der Becher wird nur getrunken mit dem vertrauten Freund,
Dem Manne von edler Abkunft und altem Geschlechte, vereint.
Der Wein ist wie der Wind: wenn der über Düfte weht,
So duftet er; doch er stinkt, wenn er über Leichten geht.

Und er fügte hinzu:

Trinke den Wein nie anders als aus den Händen des Schönen,
Der zu dir spricht mit Feinheit der Rede und der ihr gleicht.



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Nachdem er diesen Vers gesprochen hatte, küßte er ihnen die Hände und trank und ward trunken, und wankend fuhr er fort, Verse zu sprechen:

Alle Dinge, darinnen Blut ist, sind verboten
Zu trinken, außer allein dem Blute der Reben.
Tränk mich, ich will Ihr deine Augen, Gazelle,
Mein Hab, mein Gut, mich selbst als Lösegeld geben!

Da füllte die Wirtschafterin einen Becher und gab ihn der Pförtnerin, die ihn ihr aus der Hand nahm, dankte und trank. Dann schenkte sie wiederum ein und reichte der Dame des Thronsessels, und füllte wieder einen Becher und reichte ihn dem Träger. Der küßte den Boden vor ihr, dankte und trank und sprach die Verse:

Bring ihn, bei Allah, bringe aus vollen Bechern, schnell!
Gib mir einen Becher zu trinken; das ist des Lebens Quell.

Nun trat der Träger vor die Herrin des Hauses und sagte: ,O Herrin, ich bin dein Sklave, dein Mamluk, dein Diener'; und er begann:

Am Tor steht einer von deinen Sklaven und preist
Allzeit, was deine Gnade an Gaben ihm lieh.
Darf er, o Herrin der Gaben, eintreten und schaun
Deine Schönheit? Denn ich und die Liebe, wir trennen uns nie.

Sie aber sagte: ,Tu dir gütlich, trinke zum Wohle, und Gesundheit fließe in die Adern des Wohlseins!' Da nahm er den

Becher, küßte ihr die Hand und sprach in singendem Tonfall diese Verse:

Ich gab ihr der Wangen Ebenbild, den Wein, so klar,
Den alten, dessen Licht wie Flammen des Feuers war.
Sie berührte ihn mit den Lippen, und lächelnd sprach sie dann:
Wie bietest du Wangen der Menschen den Menschen zu trinken an?
Ich sprach: Trink doch! Dies sind meine Tränen, mein ut auch,
Davon sie rot geworden; die mischte im Becher mein Hauch.



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Und sie erwiderte mit diesem Verse:

Hast du um meinetwillen Blut geweint,
So bring und tränk mich, herzlich gern, o Freund!

Da nahm die Dame den Becher und leerte ihn auf ihrer Schwester Wohl. So hörten sie nicht auf zu trinken mit dem Träger in ihrer Mitten; dabei tanzten sie und lachten und sangen Lieder, Verse und Strophengedichte. Der Träger aber begann mit ihnen zu tändeln; er küßte, biß, streichelte, befühlte, betastete sie und trieb allerlei Kurzweil. Und die eine schob ihm einen Leckerbissen in den Mund, und die andere streichelte ihn; und diese schlug ihn auf die Wange, und jene warf Blumen nach ihm; und er war bei ihnen in der höchsten Wonne, wie wenn er im Paradiese bei den schwarzäugigen Jungfrauen säße. Das trieben sie so weiter, bis ihnen der Wein zu Kopfe stieg und ihnen die Sinne verdunkelte; und als die Trunkenheit über sie herrschte, stand die Pförtnerin auf und zog ihre Kleider aus, bis sie ganz nackt war. Und sie ließ ihr Haar um ihren Leib herabfallen wie einen Vorhang und warf sich in das Bassin und spielte im Wasser, tauchte wie eine Ente und prustete, nahm Wasser in ihren Mund und spritzte es über den Träger; dann wusch sie sich die Glieder und zwischen den Schenkeln. Nun sprang sie heraus aus dem Wasser und warf sich dem Träger auf den Schoß und sagte: ,O mein Herr, wie heißt dies?' indem sie auf ihren Schoß zeigte. Er antwortete: ,Deine rahim.' Doch sie rief: ,Wie? Schämst du dich nicht?', und sie faßte ihn am Hals und schlug ihn. Dann sagte er: ,Deine fardsch'; und sie schlug ihn nochmals und rief: ,Pfui, pfui, wie häßlich! Schämst du dich noch nicht?' Er aber sagte: ,Deine kuss'; und sie rief: ,Wie? Schämst du dich nicht aus Ehrgefühl?', und sie stieß mit der Hand und schlug ihn. Da rief der Träger: ,Dein zunbûr'; jetzt aber fiel die älteste Dame mit Schlägen über ihn



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her und rief: ,So darfst du nicht sagen!' Aber welchen Namen nur immer er nannte, sie schlugen um immer mehr, bis ihm der Hals anschwoll von all den Prügeln; und so machten sie ihn zum Ziel des Gelächters untereinander. Schließlich aber fragte er: ,Und wie heißt es bei euch?' Und die Dame erwiderte: ,Die Krauseminze des Kühnen!' Da rief der Träger: ,Allah sei Dank für die Rettung; gut, o Krauseminze des Kühnen!' Dann ließen sie den Becher und die Schale kreisen, und die zweite der Damen stand auf, legte ihre Kleider ab, warf sich in das Bassin und tat, wie die erste getan hatte; und sie kam aus dem Wasser heraus und warf sich in des Trägers Schoß, wies auf ihr Gemächt und fragte: ,O Licht meiner Augen, wie heißt dies?' Er erwiderte: ,Deine fardsch'; und sie versetzte: ,Ist das nicht häßlich von dir?', und sie schlug so, daß der Saal von dem Schlage widerhallte. Dabei rief sie: ,Pfui, o pfui, schämst du dich denn nicht?' Er darauf: ,Die Krauseminze des Kühnen'; aber sie rief: ,Nein.' Und es setzte Prügel und Schläge auf seinen Nacken, während er rief: ,Deine rahim! Deine kuss! Deine fardsch! Dein nudûl!' und die Mädchen immer antworteten: ,Nein, nein!' So wiederholte er: ,Die Krauseminze des Kühnen'; und alle drei lachten, bis sie auf den Rücken fielen, und sie schlugen ihn und sagten: ,Nein, so heißt es nicht.' Er aber rief: ,O meine Schwestern, wie heißt es denn?', und sie erwiderten: ,Der enthülste Sesam!' Darauf legte die Wirtschafterin ihre Kleider wieder an, und sie begannen von neuem zu trinken. Aber der Träger stöhnte fortwährend ob seines Nackens und seiner Schultern. Und der Becher kreiste bei ihnen wieder eine Weile. Dann aber stand die älteste und schönste der Damen auf und zog sich ihre Gewänder aus; und der Träger faßte mit der Hand nach seinem Nacken und rieb ihn und sprach: ,Mein Nacken und meine Schultern seien Allah anbefohlen!'



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Als dann die Dame entkleidet war, warf sie sich in das Bassin, tauchte unter, spielte und wusch sich. Der Träger blickte auf ihren nackten Leib; der war wie ein Stück des Mondes, und ihr Antlitz glich dem vollen Monde oder der aufgehenden Morgenröte. Und er blickte auf ihre Gestalt und ihren Busen und jene runden Backen, die da bebten; denn sie war nackt, wie der Herr sie geschaffen hatte. Und er rief: ,Ah! Ah!' und redete sie in Versen an:

Wenn ich deinen Leib mit einem grünen Zweige vergleiche,
Belade ich mich selbst mit Schuld und schwerem Vergehen;
Der Zweig ist am schönsten, wenn wir im Kleide ihn finden,
Du aber bist am schönsten, wenn wir dich nackend sehen.

Als nun die Dame die Verse hörte, stieg sie heraus aus dem Bassin, kam und setzte sich auf seinen Schoß und zeigte auf ihr Ding und sagte: ,O mein Herrchen, was ist das?' Er antwortete: ,Die Krauserninze des Kühnen'; da rief sie: ,Ach geh!' Er darauf: ,Der enthülste Sesam'; sie aber: ,O nein!' Dann sagte er: ,Deine rahim!' Nun schalt sie ilm: ,Pfui, pfui! Schämst du dich nichte', und sie schlug ihn auf den Nacken. Und welchen Namen er immer nannte, sie schlug ihn und rief: ,Nein, nein!', bis er schließlich sagte: ,Ihr Schwestern, wie heißt es denn?' Und sie erwiderte: ,Die Herberge des Abu Mansûr!', worauf der Träger rief: ,Allah sei gepriesen für die sichere Rettung! Ha, die Herberge des Abu Mansûr!' Und die Dame ging hin und zog ihre Kleider an. Nun kehrten sie zu ihrem Tun zurück, und der Becher kreiste unter ihnen eine Weile. Schließlich aber stand der Träger auf, zog seine Kleider aus, sprang in das Bassin, und sie sahen, wie er im Wasser schwamm; und er wusch sich unter dem bärtigen Kinn und unter den Armhöhlen, wie ja auch sie sich gewaschen hatten. Dann stieg er heraus und warf sich der ersten Dame in den Schoß, stützte die Arme auf den



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Schoß der Pförtnerin und legte seine Füße und Schenkel auf den Schoß der Wirtschafterin. Dann zeigte er auf sein Glied und sagte: ,O meine Herrinnen, wie heißt dies?' Alle lachten über seine Worte, bis sie auf den Rücken fielen, und eine sagte: ,Dein zubb!' Aber er erwiderte: ,Nein!' und biß zur Strafe eine jede. Dann sagten sie: ,Dein air!' Er aber rief: ,Nein!' und umarmte eine nach der andern. — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 10. Nacht anbrach, sprach ihre Schwester Dinazâd: »Erzähle uns deine Geschichte zu Ende«; und sie antwortete: »Mit größter Freude. — Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Damen immerfort zu dem Träger sagten: ,Dein zubb! dein air! dein chazûk!', und dabei küßte und biß und umarmte er sie, bis sein Herz sich an ihnen Genüge getan hatte, und sie lachten alle miteinander. Schließlich sagten sie: ,O unser Bruder, wie heißt es denn?' Und er fragte: ,Wißt ihr nicht, wie es heißt?', und sie sagten: ,Nein!' Er antwortete: ,Dies ist das Maultier, das durch alles dringt, dem die Krauseminze des Kühnen als Weide winkt, das den enthülsten Sesam als Nahrung verschlingt und in der Herberge des Abu Mansûr die Nacht verbringt.' Da lachten sie, bis sie auf den Rücken fielen; und sie kehrten zum Gelage zurück und hörten nicht auf, bis die Nacht über sie hereinbrach.

Nun sagten sie zu dem Träger: ,Gott befohlen, Freundchen, erheb dich und lege deine Sandalen an; zieh ab und zeige uns die Breite deiner Schultern!' Doch er sprach: ,Bei Allah, ich könnte mich leichter von meiner Seele trennen als von euch; kommt, laßt uns die Nacht an den Tag anknüpfen, und morgen ziehe ein jeder von uns seines eigenen Weges.' ,Bei meinem Leben', sagte die Wirtschafterin, ,laßt ihn bei uns bleiben,



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damit wir über ilm lachen können: wer wird so lange am Leben bleiben, bis wir seinesgleichen wieder treffend Fürwahr, er ist ein lustiger und witziger Gesellschafter.' Darauf sagten sie: ,Du darfst die Nacht nur unter der Bedingung bei uns bleiben, daß du dich unseren Befehlen fügst und daß du, was du auch sehest, nicht danach fragst, noch nach den Gründen forschest.' ,Gut', erwiderte er, und sie geboten: ,Geh hin und lies die Inschrift über der Tür.' Da ging er hin zur Tür und fand dort in Gold gemalt die Worte geschrieben: Wer da redet von dem, was ihn nichts angeht, wird hören, was ihm nicht angenehm ist! Und der Träger sagte: ,Ihr sollt des Zeugen sein, daß ich nicht reden will über das, was mich nichts angeht.' Nun stand die Wirtschafterin auf und setzte ihnen zu essen vor, und sie aßen. Dann zündeten sie die Kerzen und die Lampen an und legten an die Kerzen Amber und Aloeholz; und nachdem sie jenen Saal mit einem anderen vertauscht und frische Früchte und Getränke aufgetragen hatten, setzten sie sich nieder zum Trinken und zum Liebesgespräch. Und sie hörten nicht auf, zu essen und zu trinken und zu plaudern und trockene Früchte zu knabbern und zu lachen und zu scherzen, eine volle Stunde lang. Da aber, siehe, ertönte ein Klopfen an der Tür. Doch das störte ihre Geselligkeit in keiner Weise; nur stand eine auf und ging zur Tür hin. Alsbald kehrte sie zurück und sagte: ,Wahrlich, unser Vergnügen soll heute nacht vollkommen werden.' ,Was gibt's denn?' fragten sie; und sie erwiderte: ,Am Tore stehen drei persische Bettelmönche, deren Bart und Haupthaar und Augenbrauen abrasiert sind, alle drei blind auf dem linken Auge - und das ist wahrlich ein seltsamer Zufall. Sie sind gerade jetzt von der Reise angekommen und tragen sichtlich die Spuren der Reise an sich; sie haben eben erst Baghdad erreicht, und dies ist ihr erster Besuch in unserer Stadt; und daß sie an unserer



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Tür klopften, geschah nur, weil sie keine Stätte zum Übernachten fanden. Sie sagten sogar: Vielleicht wird uns der Besitzer dieses Hauses den Schlüssel zu seinem Stalle geben, oder eine Hütte, darinnen wir die Nacht verbringen können -denn der Abend hatte sie überrascht, und da sie Fremdlinge waren, so wußten sie niemanden, bei dem sie Obdach finden würden, und, o meine Schwestern, ein jeder von ihnen hat auf seine Art eine komische Gestalt.' Und sie ließ nicht ab zu bitten, bis sie zu ihr sagten: ,Laß sie eintreten und erlege ihnen die Bedingung auf, daß sie nicht reden von dem, was sie nichts angeht, damit sie nicht hören, was ihnen nicht angenehm ist!' Da freute sie sich, ging hin und kehrte alsbald mit den drei Einäugigen zurück, deren Bärte und Schnurrbärte abrasiert waren. Die sprachen den Gruß der Muslime, bezeigten ihre Ehrfurcht und traten zurück; aber die Damen standen auf und hießen sie willkommen und wünschten ihnen Glück zu der sicheren Ankunft und hießen sie sich setzen. Nun erst sahen die Mönche vor sich eine schöne Stätte, einen sauberen Saal, mit Blumen geschmückt; sie sahen brennende Kerzen, aufsteigenden Weihrauch und Naschwerk, Früchte, Wein und drei jungfräuliche Damen, und da riefen sie wie mit einer Stimme: ,Bei Allah, hier ist es schön!' Dann wandten sie sich zu dem Träger und sahen, daß er in vergnügter Stimmung, aber ermattet und trunken war. Und sie dachten, er sei einer von den Ihren, und riefen: ,Das ist ein Bettelmönch wie wir! Ein Araber oder ein Fremder.' Wie aber der Träger fliese Worte hörte, blickte er sie mit weitgeöffneten Augen an und sprach zu ihnen: ,Sitzet still und macht kein neugieriges Geschwätz! Habt ihr nicht gelesen, was über der Tür geschrieben steht? Das gibt's nicht, daß Bettler wie ihr, die zu uns kommen, auch noch ihre Zunge gegen uns loslassen.' ,Wir bitten dich um Verzeihung, o Fakir', erwiderten



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sie; ,unser Kopf liegt in deiner Hand.' Die Damen aber lachten und stifteten Frieden zwischen den Bettelmönchen und dem Träger und setzten den Bettlern Speise vor; und diese aßen. Und so saßen sie beisammen, und die Pförtnerin gab ihnen zu trinken; wie nun der Becher bei ihnen kreiste, sagte der Träger zu den Bettlern: ,Und ihr, meine Brüder, habt ihr denn keine Geschichte oder eine Anekdote, die ihr uns erzählen könnte' Da ihnen aber bereits der Wein zu Kopfe gestiegen war, so riefen sie nach Musikinstrumenten; und die Pförtnerin brachte ihnen ein Tamburin, eine Laute und eine persische Harfe. Und jeder der Bettler nahm eines der Instrumente und stimmte es, der eine das Tamburin, der andere die Laute und der dritte die Harfe; sie griffen in die Saiten und sangen, und die Damen begleiteten sie mit kräftiger Stimme, so daß es laut bei ihnen herging. Wie sie so ihr Wesen trieben, siehe, da pochte es abermals an die Tür, und die Pförtnerin ging hin, um nachzusehen, was es gäbe.

Nun, o König«, so sprach Schehrezâd, »war der Anlaß dieses Klopfens dieser: Der Kalif Harûn er-Raschîd war aus seinem Palast herabgekommen, Umschau zu halten und zu hören, was es Neues gäbe. Bei ihm waren Dscha'far, sein Wesir, und Masrûr, der Träger des Schwertes seiner Rache; doch er selbst pflegte sich bei solchen Gelegenheiten als Kaufmann zu verkleiden. Als er nun in jener Nacht hinunterging und die Stadt durchzog, führte ihr Weg sie auch zu jenem Hause, wo sie die Musik und den Gesang hörten. Da sprach der Kalif zu Dscha'far: ,Ich wünsche, daß wir in dies Haus eintreten und diese Lieder hören, und sehen, wer sie singt.' Dscha'far erwiderte: ,O Beherrscher der Gläubigen, das sind Leute, über die schon die Trunkenheit gekommen ist, und ich fürchte, daß uns von ihnen ein Unheil widerfährt.' ,Ich will unbedingt hineingehen',



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versetzte der Kalif, ,und ich wünsche, daß du einen Vorwand findest, so daß wir hineinkommen.' Dscha'far antwortete: ,Ich höre und gehorche'; dann trat er vor und pochte an die Tür. Da kam die Pförtnerin heraus und öffnete. Dscha'far aber trat hervor, küßte den Boden und sagte: ,O meine Herrin, wir sind Kaufleute aus Tiberias, wir sind in Baghdad vor zehn Tagen angekommen, und während wir im Chân der Kaufleute wohnten, haben wir unsere Waren verkauft. Nun hatte uns heute abend ein Kaufmann zu einem Gastmahl eingeladen; wir kamen in sein Haus, und er setzte uns Speise vor, und wir aßen; dann saßen wir noch eine Weile mit ihm zusammen und tranken, bis wir uns verabschiedeten; so zogen wir hinaus in die Nacht, und da wir Fremde sind, so verloren wir den Weg zu dem Chân, in dem wir wohnen. Vielleicht werdet ihr so gütig sein, uns diese Nacht bei euch aufzunehmen, damit wir ein Obdach haben; der Himmel vergelt's euch!' Da blickte die Pförtnerin sie an und sah, daß sie wie Kaufleute gekleidet waren und ein gesittetes Benehmen hatten. Sie kehrte zu ihren Schwestern zurück und erzählte ihnen Dscha'fars Geschichte; da hatten sie Mitleid mit den Fremden und sagten zu ihr: ,Laß sie herein!' Sie öffnete ihnen die Tür wiederum, und jene fragten: ,Dürfen wir mit deiner Erlaubnis eintretend' ,Kommt herein!' erwiderte sie; und der Kalif trat ein mit Dscha'far und Masrûr. Als die Mädchen sie sahen, standen sie auf, hießen sie sich setzen und bedienten sie, indem sie sprachen: ,Ein herzliches Willkommen den Gästen, doch nur unter einer Bedingung.' ,Wie ist die?' fragten sie, und jene erwiderten: ,Redet von dem nicht, was euch nichts angeht; sonst höret ihr, was euch nicht angenehm ist!' ,Gut', sagten sie; dann setzten sie sich zum gemeinsamen Trunk. Da erblickte der Kalif die drei Bettelmönche, und als er sah, daß sie alle blind auf dem linken



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Auge waren, erstaunte er darüber. Dann sah er die Mädchen an, wie schön und anmutig sie waren, und geriet in Verwirrung und Verwunderung. Und jene fuhren fort zu zechen und sich zu unterhalten, und sie sagten zu dem Kaufen: ,Trink!' Doch der erwiderte: ,Ich bin zur Pilgerfahrt entschlossen.' Da stand die Pförtnerin auf und breitete vor ihm ein Tischtuch aus, gewirkt mit Silber, und stellte darauf eine Schale aus Porzellan, in die sie Weidenblütenwasser goß, und tat hinein ein Häufchen Schnee und einen kleinen Laib Zucker. Und der Kalif dankte ihr und sprach zu sich selber: ,Bei Allah, ich will ihr die gute Tat, die sie getan hat, morgen vergelten.' Die anderen aber begannen wieder ihren Umtrunk zuhalten; und als der Wein Gewalt gewann über sie, stand die Hausherrin auf, verbeugte sich vor ihnen, nahm die Wirtschafterin bei der Hand und sagte:, Steh auf, meine Schwester, wir wollen unsere Pflicht erfüllen.' Und die beiden Schwestern versetzten: ,Jawohl!' Sofort deckte die Pförtnerin den Tisch ab, warf Stückchen zur Erneuerung des Weihrauchs hin und räumte die Mitte des Saals. Danach ging sie voran und führte die Bettelmönche auf eine Estrade zur Seite der Halle, und den Kalifen und Dscha'far und Masrûr führte sie zu einer Estrade auf der anderen Seite; und sie rief den Träger und sagte: ,Wie gering ist deine Anhänglichkeit! Du bist doch kein Fremder! Du gehörst zum Hause.' Da erhob er sich und gürtete sich und fragte: ,Was befiehlst du?' Und sie erwiderte: ,Bleib stehen auf deinem Platz!' Dann stand die Wirtschafterin auf und setzte mitten in den Saal einen niedrigen Stuhl, öffnete eine Kammer und rief dem Träger zu: ,Komm, hilf mir!' Da sah er zwei schwarze Hündinnen mit Ketten um den Hals; und sie sagte zu ihm: ,Die halte!' Und der Lastträger hielt sie und führte sie mitten in den Saal. Da stand die Herrin des Hauses auf und schob sich die



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Ärmel bis über die Handgelenke empor, ergriff eine Geißel und sprach zu dem Träger: ,Bringe eine der Hündinnen her!' Und er brachte sie, indem er sie an der Kette schleppte; aber die Hündin weinte und schüttelte gegen die Dame den Kopf. Da begann die Dame sie auf den Kopf zu schlagen, und obgleich die Hündin heulte, hörte sie nicht auf zu schlagen, bis ihr der Arm versagte. Dann warf sie die Geißel aus der Hand, drückte die Hündin an ihre Brust, wischte ihr mit eigener Hand die Tränen ab und küßte ihr den Kopf. Dann sprach sie zu dem Träger: ,Nimm sie weg und bringe die zweite'; und als er die gebracht hatte, tat sie mit ihr wie mit der ersten. Als der Kalif das sah, rührte sich ihm das Herz, und die Brust ward ihm beklommen, und voll Ungeduld verlangte ilm danach, zu erfahren, was es mit diesen beiden Hündinnen auf sich habe. Und er warf Dscha'far einen Blick zu, aber der wandte sich herum und sagte durch Zeichen: ,Schweig!' Dann wandte sich die Dame zu der Pförtnerin und sprach zu ihr: ,Auf, tu auch du deine Pflicht!', und die erwiderte: ,Jawohl!' Nun setzte die Dame sich auf das Lager aus Wacholderholz, das mit Plättchen aus Gold und Silber belegt war, und sagte zu der Pförtnerin und der Wirtschafterin: ,Bringt eure Sachen!' Da setzte die Pförtnerin sich auf einen niedrigen Schemel zu ihrer Seite; aber die Wirtschafterin trat in eine Kammer und holte einen Beutel hervor aus Atlas, mit grünen Bändern und zwei kleinen goldenen Sonnen. Und sie trat vor die Hausherrin, schüttelte den Beutel und zog eine Laute daraus hervor; sie stimmte die Saiten und drehte die Wirbel; und als sie gut gestimmt war, sang sie zu ihr diese Verse:

Du bist mein Wunsch, du bist mein Ziel;
O du mein Liebster, seh ich dich,
So ist es ewige Seligkeit,



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Doch fern von dir ist die Hölle für mich.
Durch dich kommt mein Wahnsinn und durch dich
Mein tiefer Schmerz für lange Zeit.
Und welcher Tadel ruht auf mir,
Wenn ich meine Liebe dir geweiht?
Zerrissen ward der Schleier mein,
Als ich dir meine Liebe lieh:
Ja, immerdar zerreißt die Lieb
Die Ehre und häuft Schmach auf sie.
Das Kleid der Krankheit legt' ich an:
Klar zeigte sich's, wie ich gefehlt.
So hat in meiner Sehnsucht denn
Mein Herze dich sich auserwählt.
Es rannen meine Zähren herab;
Da ward mein Geheimnis offen und klar.
So ward mein Inneres offenbart
Durch die Träne mein, die vergossen war.
Heil' du das schwere Leiden mein:
Denn du bist Krankheit und Arzenei.
Doch wessen Arzenei bei dir ist,
Der wird doch nicht von Leiden frei.
Das Licht deiner Augen ist mir Qual.
Mein Tod kommt durch meiner Liebe Schwert.
Wie viele sind durch der Liebe Schwert
Gestorben, die einst hochgeehrt!
Ich lasse von meiner Sehnsucht nicht,
Noch wende ich zur Zerstreuung mich.
Die Liebe heilt mich, ist mein Gesetz,
Mein Schmuck geheim und öffentlich.
O selig ist das Aug, das lang
Dich anschaut und deinen Blick genießt.
Und ach, es ist das Hetze mein,
Das doch in Angst und Not zerfließt.

Als die Pförtnerin dies Lied gehört hatte, rief sie: ,Ach! Ach! Ach!' Dann zerriß sie ihr Gewand und fiel in Ohnmacht zu Boden; und der Kalif sah Wunden von Rutenhieben an ihr



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und Striemen, und er geriet in höchstes Erstaunen. Da stand die Wirtschafterin auf und sprengte Wasser über sie und brachte ihr ein schönes Gewand und legte es ihr an. Als aber die Gäste all das sahen, wurde ihnen wirr zu Sinn; denn sie ahnten nicht, wie das' anging und zusammenhing. So sagte der Kalif zu Dscha'far: ,Sahst du nicht das Mädchen mit den Wunden auf dem Leibe? Ich kann keine Ruhe finden, bis ich die Wahrheit erfahren habe über die Geschichte dieses Mädchens und die Geschichte der beiden schwarzen Hündinnen.' Aber Dscha'far

erwiderte: ,O unser Herr, sie haben es zur Bedingung gemacht, daß wir nicht fragen sollten nach dem, was uns nichts angeht; sonst werden wir hören, was uns nicht angenehm ist.' Da sagte die Pförtnerin: ,Bei Allah, meine Schwester, erfülle an mir deine Pflicht und komm zu mir!' Drauf sprach die Wirtschafterin: ,Mit größter Freude'; und sie nahm die Laute und leimte sie an ihren Busen, strich mit den Fingerspitzen über die Saiten und sang:

Wenn wir klagen ob Trennung, was sollen wir sagen?
Oder quält uns die Sehnsucht, wohin uns wagen?
Oder senden wir Boten als Dolmetscher für uns,
Nicht bringen die Boten des Liebenden Klagen.
Oder bin ich geduldig, der Liebende schwindet
Nach Verlust des Geliebten gar bald von hinnen.
ihm blühet nichts als Leiden und Schmerzen
Und Tränen, die ihm auf die Wangen rinnen.
O der dafern ist dein Blick meines Auges
Und der doch immer im Herzen mir weilet
Wird es dich sehen? Gedenkst du des Bundes?
Ach, er dauert wie Wasser, das rasch enteilet.
Oder hast du der Sklavin die Liebe vergessen,
Deren Tränen und Seufzer alle dir gelten?
Wenn mich die Liebe mit dir noch vereinet,
Will ich lange an dir deine Härte schelten.



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Als die Pförtnerin dies zweite Lied gehört hatte, schrie sie laut auf und sagte: ,Bei Allah, wie schön!' Und sie legte die Hand an ihre Gewänder und zerriß sie wie das erste Mal; dann fiel sie ohnmächtig zu Boden. Die Wirtschafterin aber legte ihr wieder ein neues Gewand an, nachdem sie sie mit Wasser besprengt hatte. Da erholte sie sich und setzte sich aufrecht. Dann sagte sie zu ihrer Schwester, der Wirtschafterin: ,Fahre fort und erfülle deine Pflicht gegen mich; denn jetzt bleibt nur noch dieser eine Gesang.' Und von neuem nahm die Wirtschafterin die Laute zur Hand und begann diese Verse zu singen:

Wie lange noch soll diese Hörte und diese Grausamkeit dauern?
Genügen die Tränen dir nicht, von denen mein Aug überquillt?
Wie lange noch willst du mir die Trennung mit Fleiß hinziehen?
War deine Absicht die meines Neiders, so ist sie erfüllt.
Wäre dem Liebenden gerecht das grausame Schicksal,
Brauchte er nicht zu wachen, krank von der Liebe zu ihr.
Habe Mitleid mit mir; die Grausamkeit will mich erdrücken,
O mein Herrscher, es ward Zeit zum Erbarmen mit mir.
Wem soll ich meine Liebe verkünden, o der du mich tötest,
Der du die Klagen nicht achtest, wenn so die Treue verweht?
Es mehrt sich meine Liebe zu dir mit meinen Tränen,
Und lang wird mir die Zeit der Härte, bis sie vergeht.
O Muslime, erfüllt die Rache dem Liebessklavin,
Der Schlaflose,,, der die Stätte ihrer Geduld zerstört!
Ist's nach dem Rechte der Liebe erlaubt, o du meine Sehnsucht,
Daß ich fern bin und daß eine andere die Gunst erfährt?
Und welche Freude könnte ich denn bei ihm genießen?
Wie müht er sich doch ab, er, der Verschwendung ehrt!

Als aber die Pförtnerin dies dritte Lied hörte, schrie sie laut; und sie legte Hand an ihre Kleider und zerriß sie bis hinab zum Saum; und zum dritten Mal fiel sie ohnmächtig zu Boden, und wieder zeigte sie die Narben der Geißel. Da sprachen die Bettelmönche untereinander: ,Wollte der Himmel, wir hätten



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dies Haus nie betreten und lieber auf den Schutthaufen genächtigt! Denn wahrlich, unser Aufenthalt wird durch Dinge getrübt, die das Herz zerreißen.' Und der Kalif wandte sich zu ihnen und fragte: ,Weshalb?', und sie erwiderten: ,Unser Inneres wird beunruhigt durch diese Dinge.' Wie dann der Kalif fragte: ,Seid ihr denn nicht vom Hause?', antworteten sie: ,Nein; wir haben auch diese Stätte nie gesehen vor dieser Stunde.' Da staunte der Kalif und fragte: ,Der Mann, der dort bei euch sitzt, kennt vielleicht der das Geheimnis?' Nun winkte er den Träger heran, und sie fragten ihn nach diesen Dingen; der erwiderte: ,Bei Allah dem Allmächtigen, in der Liebe sind wir alle gleich! Ich bin in Baghdad groß geworden; doch nie in meinem Leben habe ich dies Haus betreten bis zum heutigen Tage. Und wie ich zu ihnen kam, das ist eine seltsame Geschichte.' ,Bei Allah', versetzten sie, ,wir hielten dich für einen von ihnen; und jetzt sehen wir, du bist wie wir.' Dann sprach der Kalif: ,Wir sind sieben Männer, und sie nur drei Frauen, und sie haben keinen vierten; darum fragt sie nach ihrem Schicksal; und geben sie uns gutwillig keine Antwort, so werden sie wider Willen antworten müssen.' Alle stimmten ihm bei, nur Dscha'far sagte: ,Das ist nicht meine Ansicht, laßt sie! Wir sind ihre Gäste, und sie haben uns eine Bedingung auferlegt, und wir haben ihre Bedingung angenommen, wie ihr wißt. Darum ist es besser, wir schweigen von dieser Sache; und da nur noch wenig von der Nacht verbleibt, so mag ein jeder von uns seines eigenen Weges ziehen.' Dann winkte er dem Kalifen und flüsterte ihm zu: ,Es ist ja nur noch eine Stunde. Morgen kann ich sie vor dich bringen; da kannst du sie nach ihrer Geschichte befragen.' Aber der Kalif erhob sein Haupt und rief erzürnt: ,Ich habe keine Geduld mehr, auf die Kunde von ihnen zu warten; laß die Mönche sie alsbald befragen!' Dennoch



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sprach Dscha'far: ,Dies ist nicht mein Rat.' Darauf stritten sie und redeten hin und her, wer sie zuerst fragen sollte; und sie einigten sich auf den Träger. Doch die Dame fragte sie: ,Ihr Leute, worüber redet ihr so laut?' Da erhob sich der Träger vor der Herrin des Hauses und sprach zu ihr: ,O meine Herrin, diese Leute hier wünschen sehr, daß du ihnen von den beiden Hündinnen und ihrer Geschichte erzählst, und weshalb du sie so grausam züchtigest und dann weinest und sie küssest; ferner, daß du ihnen von deiner Schwester berichtest und davon, weshalb sie wie ein Mann mit Palmenruten gegeißelt wurde. Das sind ihre Fragen an dich; und damit basta!' Da sprach die Dame, die die Herrin des Hauses war, zu den Gästen: ,Ist dies wahr, was er über euch sagt?', und alle erwiderten: ,Ja'; nur Dscha'far bewahrte Schweigen. Als die Dame ihre Antwort vernahm, rief sie: ,Bei Allah, o unsere Gäste, ihr habt uns die ärgste Kränkung angetan; denn wir haben euch zur Bedingung gemacht, wer immer rede von dem, was ihn nichts angeht, der solle hören, was ihm nicht angenehm ist. Genügt es euch nicht, daß wir euch in unser Haus aufnahmen und euch mit unserer Speise bewirteten? Aber die Schuld ist nicht so sehr euer wie dessen, der euch zu uns geführt hat.' Dann schob sie sich die Ärmel bis über die Handgelenke hinauf, schlug dreimal auf den Boden und rief: ,Kommt schnell herbei!' Und siehe, eine Kammertür tat sich auf, und heraus traten sieben Negersklaven mit gezücktem Schwert in der Hand; und sie sagte zu ihnen: ,Fesselt diese Schwätzer und bindet sie Rücken an Rücken!' Sie taten es und sagten: ,O wohlbehütete Dame, befiehl uns, daß wir ihre Köpfe abschlagen!' Doch sie sprach: ,Wartet noch eine Weile mit ihnen, daß ich sie frage, wer sie sind, ehe ihre Köpfe abgeschlagen werden!' ,Allah schütze mich, o Herrin', rief da der Träger, ,töte mich nicht für anderer



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rer Sünde; all diese haben gefehlt und Schuld auf sich geladen, nur ich nicht. Denn, bei Allah, unsere Nacht wäre schön gewesen, wären wir nur von diesen Bettlern bewahrt geblieben! Wenn die in eine volkreiche Stadt einzögen, so würden sie sie zur Ruine machen.' Dann sprach er diese Verse:

Wie schön ist Verzeihung des Mächtigen doch,
Zumal wenn sie dem gilt, dem Hilfe gebricht!
Beim Bande der Liebe, das uns hier umschlingt,
Verderbet den Anfang durchs Ende doch nicht!

Als der Träger seine Verse geendet hatte, mußte das Mädchen lachen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 11. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als die Dame, ihrem Zorn zum Trotz, hatte lachen müssen, da wandte sie sich der Gesellschaft zu und sagte: ,Erzählt mir, wer ihr seid; denn ihr habt nur noch eine Stunde zu leben! Wäret ihr nicht Männer von Rang und Vornehme oder Herrscher eures Volks, so hättet ihr nicht so dreist geredet.' Da rief der Kalif: ,Du da, Dscha'far, sage ihr, wer wir sind; sonst tötet sie uns aus Versehen. Doch rede gütlich mit ihr, ehe uns das Unheil befällt!' ,Es ist, was du verdienst', erwiderte der Wesir; doch der Kalif schrie ihn an: ,Der Scherz hat seine Zeit, und der Ernst hat seine Zeit; und die ist jetzt.' Die Herrin des Hauses aber trat auf die drei Mönche zu und fragte sie: ,Seid ihr Brüder?', und sie erwiderten: ,Nein, bei Allah, wir sind nur Fakire und Fremde.' Dann sprach sie zu einem von ihnen: ,Wurdest du blind geboren auf einem Auge r', und er sagte: ,Nein, bei Allah, es war eine sonderbare Begebenheit und ein merkwürdiges Geschick, da mir das Auge ausgestoßen wurde; und meine Geschichte ist so, daß, würde sie mit Sticheln



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in die Augenwinkel gestichelt, sie eine Warnung wäre für jeden, der sich warnen ließe.' Sie befragte auch den zweiten und den dritten Mönch, und beide antworteten wie der erste. Dann fuhren sie fort: ,Bei Allah, o Herrin, wir kommen ein jeder aus einem anderen Lande, und wir waren alle drei Söhne von Königen, die über Länder und Untertanen herrschten.' Da schaute die Dame sie an und sprach: ,Ein jeder von euch erzähle seine Geschichte und den Grund, weswegen er hierhergekommen ist; dann mag er zum Abschied die Hand zur Stirne heben und seines Weges ziehen!' Aber zuerst trat der Lastträger vor und sagte: ,O meine Herrin, ich bin ein einfacher Lastträger. Diese Wirtschaftern gab mir eine Last zu tragen; sie führte mich erst zum Hause eines Weinhändlers; dann zu dem Laden eines Schlachters; und von dem Schlächterladen zum Fruchthändler; und von ihm zum Krämer; und von dem Krämer zum Zuckerbäcker und zum Spezereienhändler; und von dem hierher, und da habe ich mit euch erlebt, was ich erlebt habe. Das ist meine Geschichte, und damit basta!' Da lachte die Dame und sprach zu ihm: ,Heb deine Hand zur Stirne und geh fort!' Er aber rief: ,Bei Allah, ich gehe nicht fort, ehe ich die Geschichte meiner Gefährten gehört habe.' Nun trat einer der Mönche vor und begann


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