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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM WASSERTRÄGER UND DER FRAU DES GOLDSCHMIEDES

Einst lebte in der Stadt Bochara ein Mann, ein Wasserträger, der Wasser zum Hause eines Goldschmiedes zubringen pflegte; das hatte er schon dreißig Jahre lang getan. Nun hatte jener Goldschmied eine Frau von Schönheit und Lieblichkeit und von strahlender Vollkommenheit, und sie war im ganzen Land als fromm, sittsam und keusch bekannt. Eines Tages kam der Wasserträger nach seiner Gewohnheit und goß das Wasser in die Behälter, als die Frau gerade auf dem Hof inmitten des Hauses stand. Da trat er an sie heran, ergriff ihre Hand, streichelte sie und preßte sie an sich; darauf verließ er die Frau und ging fort. Als aber ihr Gatte vom Basar nach Hause kam, sprach sie zu ihm: ,Ich wünsche, daß du mir berichtest, was für eine Tat, die den Zorn Allahs des Erhabenen erregt, du heute auf dem Basar getan hast!' Der Mann entgegnete: ,Ich habe nichts getan, was den Zorn Allahs des Erhabenen erregen könnte!' Aber die Frau fuhr fort: ,Doch, bei Allah, du hast etwas getan, was den Zorn des Höchsten erregt! Und wenn du mir nicht erzählst, was du getan hast, und mir dabei nicht die volle Wahrheit sagst, so bleibe ich nicht mehr in deinem Hause; dann wirst du mich nicht wiedersehen, und auch ich will dich nicht mehr sehen.' Nun gestand er: ,Ich will dir berichten, was ich heute an diesem Tage getan habe, der Wahrheit gemäß. Es begab sich, während ich wie gewöhnlich in meinem Laden saß, daß plötzlich eine Frau zu mir trat und mir sagte, ich solle ihr ein Armband machen. Dann ging sie wieder fort; ich aber machte für sie ein goldenes Armband und legte es beiseite. Als sie zurückkam, holte ich es wieder hervor; sie streckte ihre Hand aus, und ich legte ihr das Armband



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um das Gelenk. Aber ich ward bezaubert durch die Weiße ihrer Hand und die Schönheit ihres Gelenkes, das jeden Beschauer in Verwirrung brachte, so daß ich des Dichterwortes gedachte:

Die Vorderarme strahlen von der Spangen Schönheit,
Gleichwie ein Feuer flackernd auf der Wellen Flut;
Es ist, als wären sie, umgeben von dem Golde,
Wie Wasser wundersam umkreist von Flammenglut.

Da nahm ich ihre Hand und drückte und preßte sie an mich. Die Frau aber rief: ,Allah ist der Größte! Warum hast du diese Sünde begangen? Wisse, jener Mann, der Wasserträger, der schon seit dreißig Jahren in unser Haus kommt und an dem wir kein Falsch gesehen haben, hat heute meine Hand ergriffen und sie gedrückt und gepreßt!' ,O Frau,' erwiderte der Mann, ,laß uns Allah um Verzeihung bitten! Ich bereue, was ich getan habe; flehe du zu Allah um Vergebung für mich! Doch die Frau sprach: ,Allah verzeihe mir und dir und gewähre uns einen guten Ausgang!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 391. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau des Goldschmiedes sprach: ,Allah verzeihe mir und dir und gewähre uns einen guten Ausgang!' Und am nächsten Morgen kam der Wasserträger, warf sich vor der Frau nieder, wälzte sich im Staube und bat sie um Vergebung, indem er sprach: ,Hohe Herrin, sprich mich frei von dem, was Satan mir eingab, als er mich verführte und irreleitete !' Da erwiderte ihm die Frau: ,Geh deiner Wege! Jene Sünde ging nicht von dir aus, sondern sie ward durch meinen Gatten veranlaßt, als er seine Tat im Laden beging. Nun hat Allah sie ihm schon in dieser Welt vergolten.' —



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Es wird auch erzählt, daß der Goldschmied. als seine Frau berichtete, was der Wasserträger ihr angetan hatte, gesagt habe: ,Schlag um Schlag muß man empfahn; hätte ich mehr getan, hätte der Wasserträger auch mehr getan.' Und dies Wort ward dann zu einem Sprichworte unter den Menschen. Es geziemt sich also, daß eine Frau vor der Welt und in ihrem Herzen zu ihrem Gatten stehe und sich mit Wenigem von ihm begnüge, wenn er ihr nicht viel geben kann, und sich 'Âïscha die Getreue und Fâtima die Strahlende' — Allah der Erhabene habe sie beide selig! — zum Vorbilde nehme, damit sie zu denen gehöre, die durch die Vorfahren geschützt werden.

Ferner wird erzählt


Copyright: arpa, 2015.

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