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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

43. Der diebische Hund

Der Toro eines Ortes und alle seine jungen Leute hatten keine Frauen. Nicht einer hatte eine Frau. Der Toro rief eines Tages alle seine Leute zusammen und sagte: "Ich habe Bier gebraut. Kommt, wir wollen alle zusammen das Bier trinken." Alle kamen. Alle tranken von dem Bier. Das Bier war stark. Die Leute sprachen viel. Sie waren betrunken. Als einige gegangen waren, sagten andere: "Kommt, wir wollen uns auf den Weg machen. Wir wollen



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heute eine Frau haben." Die andern sagten: "Ja wir wollen heute eine Frau haben!" Alle gingen fort.*

Gwebe (der Ziegenbock)hatte aber eine Frau. Mit dieser Frau hatte er ein Kind; das war ein Mädchen. Es war ein sehr schönes Mädchen. Alle Männer kamen zu Gwebe und sagten: "Gib mir deine Tochter zur Frau!"Ejua (der Hund) kam zu Gwebe und sagte: "Gib mir deine Tochter zur Frau!" Duome (die Hyäne) kam zu Gwebe und sagte: "Gib mir deine Tochter zur Frau!" Bassewe (das Stachelschwein) kam und sagte: "Gib mir deine Tochter zur Frau!" Alle Tiere kamen und sagten: "Gib mir deine Tochter zur Frau!"

Eines Tages sagte Ejua und Duome und Bassewe: "Wir wollen heute gemeinsam hingehen und wollen Gwebe sagen, er soll einem von uns dreien seine Tochter zur Frau geben." Die drei sagten: "Ja, so wollen wir es machen." Darauf machten sich die drei auf den Weg und kamen zu Gwebe. Sie sagten zu Gwebe: "Wir alle drei möchten deine Tochter zur Frau haben. Nun wähle einen von uns dreien zu deinem Schwiegersohn. Wem willst du sie geben ?" Gwebe sagte: "Ich will meine Tochter dem Ejua geben." Gwebe gab seine Tochter dem Ejua.

Ejua nahm die Tochter Gwebes. Ejua brachte die Tochter Gwebes nach Haus. Drei Tage später versammelten sich alle Ejua. Die Ejua schlugen die Iru (Holzpauke). Die Ejua spielten drei Tage lang miteinander. Am andern Tage ging Ejua hin und kaufte zwei Stück Rindvieh. Die Ejua töteten die Rinder. Die Ejua schlachteten die Rinder. Ejua nahm zwei Keulen. Dann kaufte Ejua noch zwei Kalebassen mit Salz. Ejua ging mit den beiden Keulen und mit zwei Kalebassen Salz zu Gwebe und schenkte sie ihm.

Ejua hatte die Tochter Gwebes geheiratet. Zwei Monate, nachdem die junge Frau verheiratet war, sagte sie zu Ejua: "Mein Ehemann! Ich möchte fortziehen in den Ort meines Vaters. Ich möchte meine Mutter wiedersehen!" Ejua sagte: "Es ist gut: ich werde mit dir gehen. Ich werde dich in Gwebes Dorf begleiten. Wir werden zusammengehen!" Die Frau Ejuas packte ihre Last. Sie machten sich auf den Weg. Sie kamen zu Gwebe. Ejua begrüßte Gwebe.

Gwebe tötete eine Iquama (= Rind, bei den Haussa = Maria). Gwebe röstete alles Fleisch. Die Frau Ejuas sagte zu ihrem Manne: "Ich will ans Ufer gehen und für meine Mutter Wasser holen." Die junge Frau ging an den Fluß hinab. Sie ging mit ihrer Mutter



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zum Fluß hinab. Gwebe war nicht daheim. Als Ejua sah, daß er allein war, ging er an das Feuer. Über dem Feuer war ein Rost (aus Holzstäben); darauf lag das Fleisch von der Iquama. Ejua roch an dem Fleisch. Ejua sagte: "Das riecht recht gut. Ich habe außerordentlichen Hunger. Ich muß längere Zeit nichts gegessen haben." Dann nahm Ejua von dem Fleisch. Ejua stahl von dem Fleisch, lief hinaus und fraß es.

Nach einiger Zeit kamen die Frau Gwebes und die Frau Ejuas mit dem Wasser nach Haus. Die Frau Gwebes sah auf den Rost und sagte: "Hier ist Fleisch vom Rost weggenommen worden. Vorher gab es hier noch keinen Dieb. Erst seitdem du mit deinem Manne hierher zurückgekommen bist, erst seitdem dein Mann mit hier ist, wird hier Fleisch gestohlen." Die Frau Ejuas weinte. Die junge Frau weinte, weil ihre Mutter ihren Mann einen Dieb genannt hatte. Die junge Frau sagte: "Mein Mann stiehlt nicht! Mein Mann stiehlt nicht!"

Die Frau Gwebes ging aber aus dem Haus. Die Frau ging zu einem Ssoso (Orakelmann, Wahrsager) und sagte: "In meinem Haus ist heute Fleisch gestohlen worden. Kannst du mir den Dieb nennen ?" Der Ssoso warf seine Schnüre. Der Ssoso betrachtete seine Schnüre. Der Ssoso sagte: "Das Fleisch hat Ejua gestohlen." Gwebes Frau ging heim. Gwebes Frau kam zu ihrer Tochter und sagte: "Sagte ich dir nicht vorher, daß in unserm Haus erst Fleisch gestohlen ward, seitdem dein Mann hier ist? Ich war soeben bei Ssoso. Der Ssoso sagte: ,Ejua hat das Fleisch gestohlen!" Die junge Frau Ejuas sagte: "Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr! Mein Mann hat nicht gestohlen! Mein Mann hat nicht gestohlen! Mein Mann hat nicht gestohlen!" Die Frau Ejuas weinte.

Die Mutter der jungen Frau sagte: "Es ist gut!" Darauf ging die Mutter hinweg. Sie ging auf den Markt. Sie kaufte Fleisch. Sie brachte das Fleisch heim. Sie sagte zu ihrer Tochter: "Geht hinüber nach Eurem Hause. Hier habe ich dir Fleisch gekauft. Nimm es mit dir. Bewahre es in eurem Hause auf. Achte auch du darauf, daß niemand außer dir und deinem Manne im Haus aus- und eingeht. Wenn du dann das Fleisch nicht etwa selbst wegnimmst, wenn dann das Fleisch trotzdem gestohlen wird, dann weißt du, daß dein Mann der Dieb ist." Die junge Frau nahm das Fleisch und sagte: "Mein Mann ist kein Dieb." Die junge Frau ging.

Die Frau Ejuas ging in das Haus, das Gwebe ihnen angewiesen hatte. Sie legte das Fleisch in eine Kalebasse. Die Frau Gwebes



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sagte: "Niemand darf in das Haus etwa gehen, kein Mann und keine Frau!" Ejua war mit seiner Frau in dem Haus. Nach einiger Zeit sagte die junge Frau zu ihrem Manne: "Ich will zum Fluß gehen und will Wasser holen!" Sie nahm ihren Topf und ging damit von dannen.

Als Ejua sah, daß er allein war, ging er zu der Kalebasse, in der das Fleisch lag. Ejua roch an dem Fleisch. Ejua sagte: "Das riecht recht gut. Ich habe außerordentlichen Hunger. Ich muß längere Zeit nichts gegessen haben." Dann nahm Ejua das Fleisch. Ejua stahl das Fleisch, lief hinaus und fraß es.

Nach einiger Zeit kam die junge Frau zurück. Sie blickte in die Kalebasse. Das Fleisch war nicht mehr in der Kalebasse. Nachher fragte die Mutter die Frau Ejuas: "Habt ihr das Fleisch ?"Ejuas Frau sagte: "Das Fleisch ist weggenommen." Die Frau Gwebes sagte: "Siehst du, daß dein Mann der Dieb ist, der dein Fleisch stiehlt?" Die Frau Ejuas sagte: "Mein Mann ist kein Dieb! Mein Mann ist kein Dieb! Mein Mann ist kein Dieb!" Die Frau Ejuas weinte. Sie sagte: "Ich gehe aber heute noch aus dem Hause meiner Mutter!" Die Frau Ejuas packte ihre Sachen. Sie ging noch in der gleichen Nacht mit ihrem Mann von dannen und in den Ort ihres Mannes zurück.

Am andern Tag kaufte die Frau Gwebes ein dickes Stück Fleisch. Sie rief einen Burschen und sagte: "Nimm das Fleisch und bringe es in den Ort, in dem Ejua wohnt. Das Fleisch ist für meine Tochter, die mit Ejua verheiratet ist." Der Bursche sagte: "Ich werde das Fleisch deiner Tochter bringen." Der Bursche lief in Ejuas Ort. Der Bursche ging zu der Frau Ejuas und sagte: "Die Frau Gwebes sendet dieses Fleisch, das für dich ist." Die Frau Ejuas nahm das Fleisch. Sie legte das Fleisch in eine Kalebasse. Der Bote ging zur Frau Gwebes zurück und sagte: "Ich habe das Fleisch deiner Tochter gegeben."

Ejua war in der Farm. Die Frau Ejuas war allein im Orte. Es war niemand sonst da. Einige Zeit, nachdem die junge Frau das Fleisch in die Kalebasse gelegt hatte, nahm sie ihren Topf und ging damit den Fluß hinab. Kurze Zeit, nachdem die junge Frau gegangen war, kam Ejua nach Hause. Er legte seine Hacke hin. Ejua schnupperte in der Luft. Ejua sagte: "Es muß Fleisch im Hause sein." Ejua kam zu der Kalebasse. Ejua sah das Fleisch. Ejua sagte: "Das riecht recht gut. Ich habe außerordentlichen Hunger. Ich muß längere Zeit nichts gegessen haben." Dann nahm Ejua das Fleisch. Ejua stahl das Fleisch. Er lief damit hinaus und fraß es.



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Ejuas Frau kam heim. Sie sah Ejuas Hacke. Sie sah, daß Ejua nicht da war. Sie blickte in die Kalebasse. Sie sah, daß das Fleisch nicht mehr in der Kalebasse war. Nach einiger Zeit kam Ejua nach Hause. Seine Frau fragte ihn: "Wo kommst du her?" Ejua sagte: "Ich komme von der Farm." Seine Frau fragte ihn: "Wer hat das Fleisch hier weggenommen?" Ejua sagte: "Ich weiß nichts von Fleisch. Ich komme von der Farm." Die junge Frau sagte: "Meine Mutter sagte, daß du ein Dieb seist. Ich weinte und sagte: Mein Mann ist kein Dieb. Meine Mutter schickte vorhin Fleisch. Ich legte es in die Kalebasse. Ich ging zum Fluß. Wie ich wiederkam, war das Fleisch nicht mehr da. Du kamst. Ich fragte dich, woher du kamst. Du sagtest, daß du von der Farm kämst. Ich fragte dich, wer das Fleisch weggenommen habe. Du sagtest, du wüßtest nichts. Du hast zweimal gelogen. Deine Hacke war hier, ehe du kamst. Du warst also hier, ehe ich vom Wasser zurückkam. Du hast deine Hacke dahin gestellt, wo die Kalebasse mit Fleisch war. Du sagtest nicht, daß du schon hier warst. Also wolltest du etwas anderes nicht sagen. Das andere war, daß du das Fleisch genommen und gefressen hast. Meine Mutter hat Recht. Du bist ein Dieb. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben."

Die junge Frau nahm ihre Sachen. Sie packte alle zusammen. Sie ging weg. Sie ging in Gwebes Ort. Sie ging zu ihrer Mutter und sagte: "Meine Mutter, du hattest recht."


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