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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

41. Katze (hier Zibetkatze) fängt Ratten

Tschongo (entspricht der Msuru-njuguda der Haussa; ist eine Zibetkatze oder Schakalart; soll viele Bananen fressen; hat am Schwanz Drüsen; ein Fell wie Hyänen) wollte einmal viele Chebe (=Ratten) speisen. Tschongo paßte auf, wo viele Ratten umherliefen. Dann legte sie sich an dem Wege, auf dem die Ratten hinzulaufen pflegten, nieder. Tschongo tat so, als ob sie tot sei.



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Nach einiger Zeit kam eine kleine Chebe. Sie sah Tschongo. Sie sagte: "Was ist das? Liegt da nicht Tschongo am Wege? Liegt Tschongo nicht da, als ob sie gestorben sei? Ich will einmal mein Ohr an ihren Mund legen!"Die kleine Chebe kam heran. Sie legte ihr eines Ohr an ihre Nase, danach legte sie ihr anderes Ohr an ihre Nase. Sie sagte: "Ich kann nichts hören. Tschongo muß gestorben sein!"

Die kleine Chebe lief zum Jru (die Telegraphentrommel der Muntschi; heißt bei den Jukum Asungu). Die kleine Chebe trommelt: "Alle Chebe sollen zusammenkommen. Tschongo ist gestorben. Tschongo liegt tot am Wege."Alle Chebe kamen darauf zusammen und fragten: "Ist Tschongo wirklich gestorben? Ist Tschongo wirklich gestorben ?"Alle Chebe kamen. Nur die Tschujiewe (in Haussa =Tjaba; in Joruba =Assirre; in Nupe =Eschiko; eine kleine, schwarze Mäuse- oder Rattenart, die in alten Häusern wohnt, die eine spitze lange Schnauze und den besten Geruch von allen Mäusearten hat) wollte nicht. Zwischen den andern Chebe und ihr war ein Fluß. Sie blies ein Signal für alle Ratten. Sie sang auf ihrem Horn: "Die Sache, die ihr Chebe auf der andern Seite des Flusses gefunden habt, ist nicht tot. Das Ding ist viel zu klug! Also bleibt von der Sache weg. Das Ding will euch nur alle miteinander fangen und fressen!" Nach einiger Zeit blies Tschujiewe wieder: "Wenn ihr andern Chebe noch nicht gefressen seid, so seht nach, ob das Ding tot ist oder lebt. Seht ihm in die Augen und gebt mir dann Antwort. Ich will mich aber nicht darum kümmern. Ich will weggehen. Das ganze ist eure Sache."

Die andern Chebe hörten nicht auf die Tschujiewe. Die andern Chebe liefen zu Tschongo. Die Chebe spielten um Tschongo herum. Sie sprangen über Tschongo hin und sprangen über Tschongo her. Sie drängten sich um Tschongo herum. Tschongo sprang auf. Tschongo faßte viele und biß sie tot. Sie sprang hinter den andern her und biß sie tot. Nur eine von 'allen Chebe blieb übrig. Die übriggebliebene Chebe gebar dann alle Chebe, die heute noch leben. Alle Chebe stammen von der einen Ratte ab.

42. Leuchtkäfer und Hahn stehlen im Hause der Blinden

Niemand hatte Essen. Es gab nirgends etwas zu essen. Es war großer Hunger im Lande; und auch wer viel Geld anwendete, konnte nichts kaufen. Niemand hatte für sich selbst genug zu essen.



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Nur die Oripirischi hatten Essen (Oripirischi sind Blinde; in Haussa =makapho; in Nupe = ebon-tschin; in Joruba = affo-dji). Die Oripirischi waren zehn. Sie wohnten zusammen in einem Hause; in dem bereiteten sie sich an jedem Abend Essen.

Alle Tiere hatten kein Essen. Momoe (Leuchtkäfer; in Haussa = gwaro; in Nupe =kunkona; in Joruba =mumuna) flog umher, um Essen zu suchen. Momoe flog in das Haus der Oripirischi. Momoe kam gerade herein, als die Oripirischi ihr Essen bereiteten. Die Oripirischi kochten. Momoe sagte: "Das ist ein guter Platz. Ich komme gerade zurecht." Momoe wartete, bis das Essen vom Feuer genommen wurde. Die Oripirischi setzten sich herum. Die Oripirischi griffen in das Essen. Momoe griff mit in das Essen. Die Oripirischi konnten nichts sehen. Momoe nahm ein Bällchen nach dem andern aus dem Topf. Die Oripirischi merkten nichts. Momoe tat ein Bällchen zum andern. Zuletzt hatte er einen ganz großen Ballen Essen aus dem Topfe genommen. Die Oripirischi hatten aber nichts gemerkt.

Momoe nahm seinen Ballen. Es flog damit heim. Es rief seine Leute zusammen und sagte: "Ich habe für uns genug Essen mitgebracht." Alle Leute setzten sich zum Essen nieder. Alle Leute Momoes wurden satt. Die Leute waren lange nicht satt geworden. Die Leute Momoes holten also eine Trommel und begannen zu trommeln und zu tanzen. Sie tanzten die ganze Nacht hindurch.

Nonkere (der Hahn) hörte das Trommeln und Singen und Tanzen. Nonkere sagte: "Was ist das bei Momoe! Bei Momoe trommeln und singen und tanzen sie die ganze Nacht hindurch. Sicher haben sie bei Momoe heute nacht Essen gehabt und sind einmal wieder satt geworden, während wir nichts zu essen haben. Ich muß mich einmal danach umsehen."Nonkere ging aus seinem Hause.

Nonkere kam herüber zu Momoe. Nonkere grüßte Momoe. Nonkere sagte zu Momoe: "Ihr trommelt und singt und tanzt heute." Momoe sagte: "So ist es." Nonkere sagte: "Dann habt ihr wohl heute zu essen gehabt und seid satt geworden?"Momoe sagte: "Ja, so ist es!" Nonkere sagte: "Wo habt ihr denn das Essen alles herbekommen?" Momoe sagte: "Die Oripirischi haben es uns gekocht." Nonkere sagte: "Dann werden die Oripirischi wohl wieder für euch kochen?" Momoe sagte: "Ja, die Oripirischi werden wieder für uns kochen, und ich werde dann wieder hingehen und unser Essen abholen."

Nonkere sagte: "Wenn du wieder hingehst zu den Oripirischi, um



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dein Essen abzuholen, dann laß mich es wissen. Ich möchte die Oripirischi auch einmal kennen lernen." Momoe sagte: "Ich würde dir den Gefallen sehr gerne tun. Ich kann dich aber wirklich nicht mitnehmen. Denn wenn es Morgen wird, krähst du immer und die Oripirischi können das Krähen der Hähne nicht hören. Die Oripirischi werden mein Essen aber kaum vor Morgen fertig haben, und deshalb muß ich so lange warten. Es tut mir also leid, daß ich dich nicht zu den Oripirischi mitnehmen kann. Ich will dir aber ein wenig Essen von den Oripirischi mitbringen."Nonkere sagte: "Nimm mich mit; ich bitte dich! Laß mich nicht hier; ich bitte dich! Ich will auch nicht krähen; ich verspreche es!" Momoe sagte: "Du mußt mir versprechen, daß du nicht krähst." Nonkere sagte: "Ich verspreche, daß ich nicht krähe. Ich sage es noch einmal." Momoe sagte: "Dann werde ich dich mitnehmen."

Momoe machte sich am Tage auf den Weg und ging mit Nonkere fort. Sie gingen auf das Haus der Oripirischi zu. Die kamen an das Haus der Oripirischi. Sie gingen hinein. Nonkere wollte krähen. Momoe packte Nonkere aber schnell am Hals und hielt ihm die Kehle zu, so daß er nicht krähen konnte. Nonkere sagte (stöhnend): "Laß mich los, laß mich los!" Momoe sagte: "Ich will dich loslassen, fliege aber sogleich in die Dachspitze hinauf; krähe nicht! Ich werde dir das Essen schon heraufreichen!"Nonkere flog hinauf.

Die Oripirischi holten ihren Topf herbei. Die Oripirischi machten Feuer. Die Oripirischi setzten Feuer auf. Die Oripirischi begannen das Essen zu kochen. Als das Essen fertig gekocht war, nahmen die Oripirischi den Topf vom Wasser. Die Oripirischi setzten sich herum. Sie griffen in das Essen. Momoe griff auch in das Essen. Die Oripirischi konnten nichts sehen. Momeo nahm ein wenig, legte es als seines beiseite. Dann nahm Momoe wieder und reichte es diesmal Nonkere hinauf. Nonkere aß das seine. Die Oripirischi konnten nichts sehen. Momoe nahm ein Bällchen nach dem andern aus dem Topf. Das seine legte er zum übrigen. Das andere reichte er Nonkere hinauf. Nonkere aß seines. Zuletzt hatte Momoe einen ganz großen Ballen für sich aus dem Topf genommen. Die Oripirischi hatten nichts gesehen.

Als der Topf leer war, nahm Momoe seinen Ballen Essen und sagte leise zu Nonkere: "Nun komm!" Nonkere aber krähte laut und sagte: "Nein, ich komme nicht. Ich bin noch nicht fertig!"Sogleich flog Momoe mit seinem Speiseballen zur Tür hinaus. Die



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Oripirischi sagten: "Macht schnell die Tür zu! Es ist ein Dieb im Hause." Die Oripirischi schlossen die Türe. Dann nahmen sie Stöcke und warfen sie zu Nonkere hinauf.

Die Oripirischi trafen Nonkere. Nonkere fiel herab. Die Oripirischi fingen ihn auf legten ihn in Eisenfesseln (Ibe; in Haussa = man; in Joruba tscheke-tscheke; in Nupe =kuru). Die Oripirischi sagten zu Nonkere: "Deine Leute sollen gut für dich bezahlen!"

Momoe war nach Hause gekommen. Er ging in das Gehöft Nonkeres und sagte: "Nonkere hat bei den Oripirischi gestohlen, und da haben sie ihn gefangen." Dann ging Momoe mit seinem Ballen Speise nach Hause, und verzehrte ihn mit seinen Leuten. Die Leute Nonkeres sandten aber zwei Kühe zu den Oripirischi und ließen ihnen sagen: "Wir wollen euch die zwei Kühe geben, damit ihr Nonkere frei laßt."Nonkere sagte aber: "Ich will nicht, daß ihr zwei Kühe für mich gebt! Laßt das!" Die Leute gingen. Nachher kamen die Leute wieder und brachten viel Geld (njarega; kann jede Sache sein, die mit Geldwert und Geldsinn kursiert, also Münze, Stoff, Metalle. Das 6-Pence-Stück heißt bei den Muntschi sakara, was aus dem Haussawert für Hahn entstanden ist, weil sie sich nämlich daran gewöhnt haben, für einen Hahn 6 Pence zu geben oder zu erhalten) zu den Oripirischi. Die Leute sagten: "Wir wollen euch all das Geld geben, wenn ihr Nonkere frei laßt!"Nonkere sagte aber: "Ich will nicht, daß ihr so viel Geld für mich gebt, laßt das!"

In der nächsten Nacht machten die Oripirischi die Tür ihres Hauses auf. Da schlüpfte Nonkere hinaus. Die Blinden liefen mit Stöcken hinter Nonkere her. Sie suchten überall nach Nonkere. Sie fanden ihn aber nicht.

So wurden die Blinden über das Land verstreut. Früher gab es nur das eine Haus mit den zehn Oripirischi.


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