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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

14. Die ungetreue Frau und die Zauberantilope

Ein Mann heiratete eine junge Frau. Der Mann tötete ein Huhn, um seiner Frau etwas Gutes zu essen zu geben. Die Frau sagte aber: "Ich mag kein Huhn. Ich möchte fettes Fleisch essen." Der Mann sagte: "Ich will dir etwas im Busch schießen." Dann nahm der Mann seinen Bogen und die Pfeile und ging in den Busch.

Im Busch suchte der Mann eine Fährte. Als der Mann eine gute Fährte gefunden hatte, stieg er auf einen Baum und wartete, ob nicht eine Antilope vorbeikommen wolle. Nachdem der Jäger auf dem Baume gewartet hatte, kam eine Antilope auf dem Wege dahergelaufen. Der Jäger nahm einen Pfeil und schoß. Der Jäger schoß vorbei.

Die Antilope sagte zu dem Jäger: "Jäger, warum schießt du mit einem Pfeil auf mich? Bereite dir nicht selbst Unannehmlichkeiten. Laß das Schießen! Komm vom Baum herunter; ich will mit dir reden." Der Jäger kam vom Baum herunter. Die Antilope sagte zum Jäger: "Nimm nur dein Messer. Ich bin die Schuschudi*. Ich



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will dir von meinem Fleische abgeben. Schneide also meine beiden Keulen ab." Der Jäger sagte: "Es ist sehr gut."

Der Jäger schnitt von der Antilope die beiden Keulen ab. Die Antilope sagte: "Nimm die Keulen mit nach Hause. Deine Frau wird dich fragen, wo du die Keulen ohne den Kopf her hast. Du darfst ihr aber nicht meinen Namen nennen. Jeder, der meinen Namen ausspricht, fällt tot hin." Der Jäger sagte: "Es ist gut. Ich werde den Namen nicht nennen." Der Jäger nahm die beiden Keulen und ging mit ihnen nach Hause.

Der Jäger brachte die beiden Keulen seiner Frau. Er sagte: "Hier hast du fettes Fleisch."Die Frau sagte: "Wo hast du das gute Fleisch herbekommen?" Der Jäger sagte: "Ein Tier gab mir das Fleisch. Es sagte mir aber, ich dürfte seinen Namen nicht nennen." Die Frau sagte: "Es ist recht." Die Frau sagte bei sich: "Dann weiß ich, von welchem Tier das Fleisch ist." Die Frau kochte das Fleisch. Die Frau machte ein gutes Gericht. Der Jäger war fortgegangen.

Als das Gericht fertig war, kam der Freund der Frau zu der Frau des Jägers und sagte: "Dein Mann ist weggegangen, kannst du mir nicht etwas zu essen geben?" Die Frau gab dem Mann von dem fetten Fleische. Der Mann aß es und sagte: "Von welchem Tiere ist dies ausgezeichnete Fleisch ?" Die Frau sagte: "Mein Mann erhielt es von der Schuschudi!" Als die Frau das Wort gesagt hatte, fiel sie hin und starb. Der fremde Mann lief weg.

Andere Frauen sahen die tote Frau liegen. Sie liefen zum Jäger und sagten ihm: "Deine Frau ist hingefallen und liegt tot da." Der Jäger kam. Er sah seine Frau liegen. Er nahm von seiner Medizin und hielt sie seiner Frau unter die Nase. Sogleich erhob sich die Frau. — Nachher saß der Jäger vor der fetten Speise. Seine Frau saß auch vor der fetten Speise. Nachdem sie gegessen hatte, kam die Frau zu ihrem Manne und sagte: "Nenne mir doch den Namen des Tieres, von dem dieses Fleisch kommt." Der Jäger sagte: "Ich kann ihn dir nicht nennen." Die Frau sagte: "Ich muß aber den Namen von dir hören." Der Mann sagte: "Ich will dir den Namen morgen nennen. Dann werde ich tot hinfallen. Du mußt mir aber die Medizin unter die Nase halten. Dann werde ich wieder leben." Die Frau sagte: "Es ist mir recht. Sage mir den Namen morgen abend. Ich werde dir dann die Medizin unter die Nase halten. Gib mir aber von dem Fleische wieder, daß ich anfange es zuzubereiten." Der Jäger gab der Frau von dem Fleisch und ging dann fort in die Farm.



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Die Frau kochte wieder von dem fetten Fleisch. Sie bereitete ein gutes Gericht. Dann rief sie wieder ihren Freund (Beischläfer; in Muntschi = jkara, in Haussa = far(e)ka, in Nupe = jeschin, in Joruba = alle) und sagte: "Mein Mann ist in die Farm gegangen. Hier habe ich dir wieder etwas Essen bereitet. Morgen abend wird nun mein Mann den Namen dieser Antilope selbst nennen. Er wird dann tot daliegen. Dann komm zu mir. Dann kannst du die ganze Nacht bei mir schlafen. Am andern Morgen kann ich ihn dann wieder lebendig machen oder tot und begraben lassen, wie wir wollen." Der Beischläfer sagte bei sich: "Das ist eine schlechte Frau." Der Beischläfer sagte laut: "Ich kann von diesem Fleisch hier nicht essen, wenn ich nicht weiß, von welchem Tier es ist."Die Frau sagte: "Ich habe dir das schon gestern gesagt!" Der Beischläfer sagte: "Was hast du mir schon gestern gesagt?"Die Frau sagte: "Daß das Fleisch von Schuschudi ist."Als die Frau Schuschudi sagte, fiel sie hin und war tot.

Der Beischläfer rief nach andern Leuten. Die andern Leute kamen. Die andern Leute sahen die Frau tot daliegen. Die andern Leute sahen den Beischläfer bei der toten Frau stehen. Die andern Leute sagten: "Dieser Mann hat die Frau getötet."Die Leute fragten ihn: ,Hast du den Mann dieser Frau getötet?"Der Beischläfer sagte: "Ruft den Mann, dann will ich alles erzählen."

Der Jäger kam. Der Jäger sagte: "Was ist hier geschehen?" Der Beischläfer sagte: "Ich will dir alles erzählen. Ich bin der Freund dieser Frau. Ich schlief schon früher mit ihr. Ich glaubte, es wäre eine gute Frau. Sie gab mir vordem zu essen. Da sah ich, daß es eine schlechte Frau ist. Ich fragte sie, was es für Fleisch wäre, das sie mir gäbe. Sie sagte, das könne sie nicht sagen. Sie wolle aber machen, daß es ihr Mann, der Jäger, morgen sage, dann würde der tot hinfallen; dann könne ich die ganze Nacht bei ihr schlafen und am andern Morgen könne sie den Ehemann dann wieder lebendig machen oder aber tot und begraben lassen. Das ist sehr schlecht. Ich verlangte von ihr, daß sie den Namen des Fleisches mir nenne. Sie tat es und fiel tot hin. Dann habe ich die Leute gerufen, damit sie sehen, was für ein schlechtes Weib sie ist." Der Jäger sagte: "Wir wollen die Frau selbst hören, ob es so ist."Der Jäger hielt der Frau die Medizin unter die Nase; sie ward wieder lebendig. Sie stand auf. Der Jäger fragte sie: "Ist das dein Beischläfer? Sage alles, denn er hat alles schon selbst gesagt."Die Frau sagte: "Er hat bei mir geschlafen."Der Jäger sagte: "Wolltest du, daß er morgen, nachdem



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ich tot hingefallen war, die Nacht bei dir schliefe?"Die Frau sagte: "Das wollte ich." Der Jäger sagte: "Hast du gesagt, du könntest mich auch tot und begraben lassen?" Die Frau sagte: "Das habe ich gesagt."

Die Leute sagten: "Welcher ist denn der Name des Fleisches?"Der Jäger sagte: "Meine Frau kennt ihn. Sie mag ihn sagen." Die Frau des Jägers sagte: "Der Name ist Schuschudi."Darauf fiel die Frau hin und war tot. Die Leute sagten: "Kannst du jeden, der so tot hingefallen ist, wieder lebend machen?" Der Jäger sagte: "Das kann ich."Darauf sagten noch einige Leute Schuschudi. Sie fielen sogleich hin und waren tot. Andere Leute sagten: "Nun mache sie wieder lebendig!" Darauf hielt der Jäger den toten Leuten seine Medizin unter die Nase. Sie standen auf und waren wieder lebend.

Nur die Frau des Jägers lag noch tot da. Die Leute sagten: "Halte doch deiner Frau auch die Medizin unter die Nase, damit sie aufsteht und wieder lebendig ist!" Der Jäger sagte: "Das werde ich nicht tun. Diese Frau war eine schlechte Frau. Sie dachte daran, ihren eigenen Mann zu töten. Wir wollen sie tot und begraben lassen. Sonst sterben noch mehr Leute." Sie ließen die Frau tot und begruben sie.


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