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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

10. Die verscherzten Glücksgüter

Ein Mann heiratete eine Frau. Sie hatte ein Kind, das war ein Sohn. Als der Junge so alt (etwa 7 Jahre alt, der angedeuteten Körpergröße nach) war, starb er. Man begrub ihn.

Als der Junge begraben war, ging er (also der Tote) in den Busch. Er fand im Busch kein Essen. Er ging hierhin und fand nichts. Er ging dahin und fand nichts. Der Junge hatte großen Hunger. Er lief überall hin, fand aber im Busch kein Essen.

Endlich begegnete der Junge einer großen Schlange, das war eine Jhama (in Haussa: mesa; in Nupe: dua), die sehr groß war. Der (tote) Junge nahm einen dicken Knüppel. Er wollte damit die große Schlange töten. Die große Schlange sagte aber: "Warte! Töte mich nicht! Ich kann dir alles geben, was du haben willst." Der Junge sagte: "Was willst du mir denn geben?" Die große Schlange sagte: "Ich will dir ein großes schönes Haus und alles dazu geben." Der Junge sagte: "Wie geschieht das?" Die große Schlange sagte: "Steige auf diesen hohen Baum. Wenn du ganz oben bist, so springe zur Erde. Dann wirst du alles finden, was du brauchst." Der Junge sagte: "Dieser Baum ist sehr hoch. Wenn ich von da oben herunterspringe, werde ich mir da nicht die Arme und Beine zerbrechen und sterben?" Die große Schlange sagte: "Steige nur hinauf und springe herunter. Wenn ich es dir sage, wird dir nichts geschehen!"

Der Junge kletterte auf den Baum. Er kletterte ganz hoch hinauf. Als er ganz oben im Baume war, rief die große Schlange ihm zu: "Nun springe wieder herunter!"Der Junge rief herunter: "Werde ich auch nicht sterben, wenn ich herunterspringe ?" Die große Schlange sagte: "Nein, springe nur herab!" Der Junge sprang herunter. Der Junge kam auf die Erde. Er war gesund. Es war ihm nichts geschehen. Vor ihm stand ein großes Haus. In dem Hause waren Kleider und Perlen und Geld. Es waren Pferde da und viele Sklaven. Der Junge sagte: "Nun bin ich ein reicher Mann!"



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Die große Schlange sagte zu dem Jungen: "Hast du dir die Beine gebrochen? Bist du gestorben?" Der Junge sagte: "Nein, ich habe mir nicht die Beine gebrochen. Ich bin auch nicht gestorben. Wem gehört denn das große schöne Haus hier mit den vielen Sachen?" Die Schlange sagte: "Das große schöne Haus gehört dir. Du hast mich nicht totgeschlagen. Deshalb soll dir das Haus gehören. Du mußt dir aber eines merken: Es wird ein großer Schafbock kommen, der hat kranke Haut. Der wird zu trinken haben wollen. Du mußt ihm zu trinken geben. Es wird ein großer Schafbock kommen, der hat gesunde Haut. Der wird zu trinken haben wollen. Du mußt ihm zu trinken geben. Wenn du dem Schafbock mit der kranken Haut und dem Schafbock mit der gesunden Haut zu trinken gibst, dann ist alles gut für dich." Der Junge sagte: "Ich will dem Schafbock mit der kranken Haut und dem Schafbock mit der gesunden Haut zu trinken geben." Die große Schlange ging.

Der Junge lebte in dem großen schönen Haus, in dem die vielen Sachen waren. Eines Tages kam ein großer Schafbock zu ihm, der hatte eine gesunde Haut. Der große Schafbock sagte ihm: "Gib mir zu trinken!" Der Junge ging hin, schöpfte in eine Kalebasse Wasser und gab dem großen Schafbock zu trinken. Dann lief der große Schafbock wieder weiter.

Es kam dann ein großer Schafbock zu ihm, der hatte eine kranke Haut. Der große Schafbock mit der kranken Haut sagte zu dem Jungen: "Gib mir zu trinken!" Der Junge sagte aber: "Was will der große Schafbock mit der kranken Haut hier?" Der Junge nahm einen Stock und schlug auf den großen Schafbock mit der kranken Haut. Der große Schafbock mit der kranken Haut lief fort. Als der große Schafbock mit der kranken Haut fortgelaufen war, war das große schöne Haus mit den Perlen und Kleidern und dem Geld und allen Rindern und Sklaven nicht mehr da. Es war nur noch Busch da, und der Junge stand mit dem Stock, mit dem er den Schafbock mit der kranken Haut weggejagt hatte, ganz allein da.

Der Junge lief zu der großen Schlange. Er sagte zu der großen Schlange: "Ich hatte ein großes und schönes Haus mit Geld und Kleidern und Perlen und Sklaven und Rindern und Farmen gehabt. Das ist alles fortgenommen. Es ist nur noch der Busch da." Die große Schlange sagte: "Mein kleiner Junge, ich sagte dir doch, der große Schafbock mit der kranken Haut würde zu dir kommen und dich bitten, ihm zu trinken zu geben. Ich sagte dir, du solltest ihm



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zu trinken geben. Du hast aber nicht getan, was ich dir gesagt habe. Darum sind das große schöne Haus und alles andere auch nicht mehr da."

Der Junge sagte zu der großen Schlange: "Ich bitte dich; bringe mir doch das schöne Haus mit den Perlen und Kleidern, mit dem Geld, den Sklaven, den Pferden, den Rindern, den Farmen wieder." Der Junge sagte: "Ich bitte dich! Ich bitte dich! Ich bitte dich!"Die große Schlange sagte: "Dann steige wieder auf den großen Baum und springe wieder von oben herab!" Der Junge sagte: "Werde ich mir auch nicht die Beine und Arme brechen? Werde ich auch nicht sterben?"Die große Schlange sagte: "Springe nur von oben herunter." Der Junge stieg wieder auf den Baum. Er kletterte bis oben hinauf und sprang von ganz oben herunter auf die Erde. Er kam auf die Erde. Er war gesund. Es war ihm nichts geschehen. Vor ihm stand wieder das große schöne Haus. In dem Hause waren Kleider und Perlen und Geld. Es waren Pferde und Rinder und Sklaven da und rund herum lagen die Farmen.

Die große Schlange sagte: "Das große schöne Haus und alles andere gehört nun wieder dir. Du mußt dir nun aber genau merken: Wenn der große Schafbock mit der gesunden Haut kommt, mußt du ihm zu trinken geben. Wenn der große Schafbock mit der ungesunden Haut kommt, mußt du ihm zu trinken geben." Der Junge sagte: "Dieses Mal werde ich es nicht vergessen. Dieses Mal werde ich es tun." Die große Schlange ging.

Der Junge lebte in dem großen schönen Hause. Eines Tages kam ein großer Schafbock zu ihm, der hatte eine gesunde Haut. Der große Schafbock sagte zu ihm: "Gib mir zu trinken!" Der Junge ging hin. Der Junge schöpfte eine Kalebasse mit Wasser und gab dem großen Schafbock zu trinken. Dann lief der große Schafbock wieder weiter.

Es kam dann der große Schafbock zu ihm, der hatte eine kranke Haut. Der große Schafbock mit der kranken Haut sagte zu dem Jungen: "Gib mir zu trinken!" Der Junge sagte aber: "Was will der große Schafbock mit der kranken Haut hier?" Der Junge vergaß wieder, was die große Schlange gesagt hatte. Der Junge nahm einen Stock und schlug auf den großen Schafbock mit der kranken Haut. Der große Schafbock mit der kranken Haut lief fort.

Der große Schafbock mit der kranken Haut lief zu der großen Schlange. Der große Schafbock mit der kranken Haut sagte zu der großen Schlange: "Der Junge hat mir nichts zu trinken gegeben,



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sondern hat mich schon wieder geschlagen." Darauf waren das große schöne Haus und die Pferde und Rinder und Sklaven und Farmen nicht mehr an der Stelle. Es war nurmehr Busch da, und der Junge stand mit dem Stock, mit dem er den Schafbock mit der kranken Haut weggejagt hatte, ganz allein mitten im Busch.

Der Junge lief sogleich wieder zu der großen Schlange. Der Junge sagte zu der großen Schlange: "Ich habe ein großes schönes Haus mit Geld und Perlen und Kleidern und Sklaven und Pferden und Rindern und Farmen gehabt. Das alles ist fortgenommen. Es ist nur noch der Busch da." Die große Schlange sagte: "Mein kleiner Junge, ich habe dir zweimal gesagt, du solltest dem großen Schafbock mit der kranken Haut zu trinken geben. Du hast das aber nicht getan. Nun mußt du dir selber ein schönes Haus suchen!"

Der Junge sagte: "Soll ich wieder auf den großen Baum steigen und herunterspringen?" Die große Schlange sagte: "Was du tun willst, tu nach deinem Willen. Ich habe mit alledem und mit dir nichts mehr zu tun." Der Junge sagte: "Ich werde wieder auf den großen Baum klettern und herunterspringen. Der Junge stieg wieder auf den Baum. Er kletterte bis oben hinauf und sprang von ganz oben auf die Erde. Er kam auf die Erde. Er war tot.


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