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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

9. Das Kind der Kinderfresserin

Ein Mann heiratete eine Frau. Die Frau gebar dem Manne ein Kind. Als das Kind geboren war, legte sie es ins Feuer und röstete es. Als das Kind geröstet war, aß sie es. Die Frau gebar dem Manne zehn Kinder. Jedesmal, wenn ein Kind geboren war, legte sie es in das Feuer und röstete es. Wenn das Kind geröstet war, aß sie es. (Eine solche Frau nennt man tsauwa; eine Subachenform, die sehr stark an Typen des Kassai erinnert.) Die Frau hieß Anade. Eines Tages ward die Frau wieder schwanger. Als Anade das Kind geboren hatte, wollte sie es wieder in das Feuer legen, um es zu rösten.

Der Mann sah das. Der Mann sagte: "Tu das nicht. Laß dies Kind groß werden! Ich bringe dir anderes Fleisch. Töte dieses Kind noch nicht!" Anade sagte: "Bringe mir anderes Fleisch!" Anade tat dem Kinde nichts. Der Mann ging in den Busch. Er tötete eine Antilope. Er brachte Anade das Fleisch. Anade aß das Fleisch und ließ das Kind leben.

Das Kind blieb leben. Als das Kind etwa so groß (der Hand-Weisung nach etwa 8 Jahre alt) war, ging der Mann wieder in den Busch, schoß eine Antilope, brachte das Fleisch heim, legte es Anade hin und sagte: "Hier Frau, hast du Fleisch; iß es!" Anade sagte: "Ich will dieses Fleisch nicht. Du bringst mir immer Fleisch von Buschtieren. Ich mag es nicht mehr. Ich will heute den Jungen essen!"Der Mann sagte: "Laß das! Ich gehe sogleich in den Busch um ein anderes Tier zu schießen. Du sollst viel Fleisch haben. Aber laß den Jungen leben!" Der Mann nahm seine Pfeile und seinen Bogen und ging.

Als der Mann gegangen war, nahm die Frau ein Messer. Sie ging zu dem Jungen. Der Junge lag am Boden und schlief. Die Frau wollte ihn töten. Der Junge wachte aber auf. Der Junge sprang zur Hütte heraus. Der Junge lief in den Busch. Der Junge rannte im Busch von dannen so schnell er konnte. Dann versteckte sich der Junge im Busch.

Nach einiger Zeit kam der Mann heim. Er fragte: "Wo ist mein Sohn?" Die Mutter sagte: "Ich wollte ihn totstechen. Da sprang



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er auf und lief in den Busch. Willst du nun, mein Ehemann, mich töten? Warum willst du mich töten ?" Anade nahm das Messer und tötete ihren Mann.

Der Junge lief im Busch weiter. Er kam zu Anjama (Leopard). Anjama sagte: "Was willst du bei mir?! Deine Mutter ist eine schlechte Frau. Mach, daß du foitkommst!" Der Junge lief weiter. Der Junge kam zu Jwo (Ziege). Jwo aß gerade Gras. Der Junge sagte zu Jwo seinen Gruß. Jwo sagte: "Wo willst du hin?" Der Junge sagte: "Meine Mutter gebar zehn Kinder und aß sie alle auf. Sie wollte mich auch töten und essen. Ich lief aber weg. Ich weiß nicht, wohin ich laufen soll!"Jwo sagte: "Es ist gut. Bleibe nur bei mir." Nahe bei Jwo war ein dicker Baum. Jwo sagte: "Klettere auf den Baum dort! Sieh dich nach allen Seiten um. Sage mir, was du auf dieser Seite siehst und was du auf jener Seite siehst." Der Junge kletterte auf den Baum. Er sah nach Westen. Er sagte: "Ich sehe dort die Kinder der Tieri (Munschi) spielen."Jwo sagte: "Sieh nach der andern Seite!"Der Junge sah nach Osten. Der Junge sagte: "Ich sehe die Haussa; die treiben Handel." Jwo sagte zu dem Jungen: "Nun springe mit einem Satze von der Spitze des Baumes herab auf die Erde!" Der Junge sprang vom Baum oben herab auf die Erde. Da war er mit einem Male ein reicher Mann. Er war der Toro des Landes.

Anade hörte, daß ihr Sohn ein großer Mann geworden war. Anade machte sich auf den Weg zu ihrem Sohn. Anade traf eine Boakoassa (das ist eine Kuh der Munschi-Rinderrasse; Numboa ist ein Bulle der Munschi-Rinderrasse, die klein und buckellos ist; Jegegoamboa soll eine Fulberinderkuh, Numboa-Tamena ein Fulberinderbulle sein). Die Frau fragte die Kuh: "Wem gehörst du?" Die Kuh antwortete: "Ich gehöre dem Toro; wir alle gehören dem Toro." Anade hockte am Wege nieder. Es war da ein Stein. Anade schleifte das Messer am Stein: gidigong, gidigong, gidigong. Anade schärfte ihr Messer weiter am Stein: gidigong, gidigong, gidigong! Da fielen alle Kühe tot hin.

Dann ging Anade weiter auf die Stadt ihres Sohnes zu. Sie kam in die Stadt ihres Sohnes. Der Sohn sah sie kommen. Er nahm einen Hundeknochen. Er hielt den Hundeknochen auf die Haut der Mutter. Dann schlug er Anade tot. Jwo war in der Stadt. Jwo sagte: "Ich will lieber in den Busch gehen und Blätter als Medizin für den Burschen holen."Jwo ging in den Busch. Jwo sammelte Blätter. Jwo brachte die Blätter und tat sie in Wasser. Dann brachte sie das Wasser dem



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Burschen hin und sagte: "Trinke hiervon!" Der Bursche trank davon. Dann sagte Jwo: "Nimm den Rest und gehe dahin, wo deine getöteten Rinder liegen. Nimm von dem Wasser in den Mund und speie davon auf alle Kühe; dann werden sie wieder lebend!" Der Toro tat es. Alle seine Kühe standen auf. Der Toro blieb ein wohlhabender Mann.


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