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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ABU EL-HASAN ODER DEM ERWACHTEN SCHLÄFER'

Es war einmal ein Kaufmann zur Zeit, als Harûn er-Raschîd Kalif war; der hatte einen Sohn des Namens Abu el-Hasan der Schalk. Als der Vater starb, hinterließ er seinem Sohne großen Reichtum; der teilte sein Erbe in zwei Hälften, von denen er die eine beiseite legte, während er mit der anderen seine Ausgaben bestritt. Und er begann mit Persern und Kaufmannssöhnen zu verkehren, und er füllte sich mit gutem Trank und guter Speise, bis all das Geld, das er bei sich hatte, vertan und dahin war. Darauf begab er sich zu seinen Kumpanen, den Bekannten und den Zechgenossen, legte ihnen seine Not dar und teilte ihnen mit, daß sein Hab und Gut zur Neige gegangen sei. Aber keiner von ihnen richtete auch nur ein Wort an ihn. Da kehrte er gebrochenen Herzens heim zu seiner Mutter und erzählte ihr, was er erlebt hatte und was ihm von seinen Freunden widerfahren war, wie sie nicht mit ihm teilen wollten und ihm nicht einmal eine Antwort zollten. Seine Mutter sagte darauf zu ihm: ,O Abu el-Hasan, so sind die Söhne dieser Zeit; wenn du etwas hast, so kommen sie zu dir; hast du aber nichts, so fliehen sie vor dir.' Sie war betrübt um ihn, während er seufzte und unter Tränen diese Verse sprach:

Wenn meines Gutes wenig ist, so hilft mir keiner;
Doch wenn mein Gut sich mehrt, ist jedermann mein Freund.
Wie mancher ward mein Freund nur uns des Geldes willen
Und ward zuletzt, als mich das Geld verließ, mein Feind!



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Darauf eilte er zu der Stätte. an der die andere Hälfte seines Reichtums verborgen war; von der konnte er nun gut leben, aber er schwor sich, er wolle hinfort mit keinem von denen, die er gekannt hatte, mehr verkehren; nur noch mit Fremden wolle er Umgang und auch mit solchen nur eine einzige Nacht zusammen sein; wenn es dann Morgen würde, wolle er den Gast nicht mehr kennen. Nun pflegte er jeden Abend an der Brücke' zu sitzen und alle, die an ihm vorübergingen, zu beobachten; wenn er dann einen Fremdling sah, so schloß er Freundschaft mit ihm und begab sich mit ihm in seine Wohnung. Dort aß und trank er mit ihm die Nacht hindurch bis zum Morgen; dann aber entließ er ihn und grüßte ihn nie wieder, nahte sich ihm nicht mehr und lud ihn nicht ein. So tat er ein ganzes Jahr hindurch; da, eines Tages, als er wie gewöhnlich an der Brücke saß und wartete, wer ihm begegnen würde, um ihn mitzunehmen und die Nacht mit ihm zu verbringen, kamen plötzlich der Kalif und Masrûr, der Träger des Racheschwertes, nach ihrer Gewohnheit verkleidet. Abu el-Hasan sah sie an, und da er sie nicht kannte, erhob er sich und sprach zu ihnen: ,Wollt ihr beiden mit mir zu meiner Wohnstätte kommen und speisen, was bereit ist, und trinken, was zur Hand ist, Brot in Fladen aufgeschichtet, Fleisch durch Dämpfen zugerichtet und Wein geklärt und rein?' Der Kalif lehnte es ab; doch Abu el-Hasan beschwor ihn mit den Worten: ,üm Allahs willen, mein Herr, geh mit mir! Du bist heut nacht mein Gast; mach meine Hoffnung auf dich nicht zuschanden!' So drang er unaufhörlich in ihn, bis der Kalif ihm zusagte. Nun ging Abu el-Hasan vergnügt voran und plauderte so lange mit ihm, bis er mit ihm zu dem Saale seines Hauses kam und eintrat, während er seinen Diener an der Tür



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sitzen ließ. Als der Kalif sich nun gesetzt hatte, brachte Abu el-Hasan ihm zu essen; er aß also, und sein Wirt aß mit ihm, auf daß ihm die Speise mundete. Dann wurde der Tisch abgetragen, und man wusch sich die Hände; und als der Kalif sich wieder gesetzt hatte, trug Abu el-Hasan das Trinkgerät auf, setzte sich ihm zur Seite, schenkte ein und trank, schenkte wieder ein und reichte den Trunk und plauderte mit dem Gaste. Dem Kalifen gefiel seine Gastfreiheit und seine Freundlichkeit, und er sprach zu ihm: ,Junger Herr, wer bist du? Mach mich mit dir bekannt, auf daß ich dir deine Güte vergelten kann!' Lächelnd erwiderte Abu el-Hasan: ,Gebieter mein, fern soll es sein, daß wiederkehre, was vergangen ist, und daß ich noch einmal mit dir zusammen bin außer zu dieser Frist!' ,Warum das?' fragte darauf der Kalif, ,warum willst du mir nichts über dich kundtun?' Abu el-Hasan gab ihm zur Antwort: ,Wisse, hoher Herr, meine Geschichte ist seltsam, und all dies hier hat einen Grund.' ,Was ist das für ein Grund?' fragte der Kalif weiter. Da antwortete der Schalk: ,Mit dem Grunde ist ein Schwanz im Bunde!' Als der Kalif darüber lächelte, fuhr Abu el-Hasan fort: ,Ich will dir dies Wort erklären durch die Geschichte von dem Strolch und dem Koch. Vernimm denn, o Herr.

Copyright: arpa, 2015.

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