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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

f) Krankheit, Subachen, Tod, Begräbnis, Erntefest, Häuptlingsbestimmung

Wenn jemand krank wird, so unterscheidet man genau nach zwei Kategorien. Eine Art von Krankheiten gilt als verhältnismäßig unwesentlich, da sie durch Tschi, das sind Medikamente, behandelt und geheilt werden können. Die andern sind die schweren, bei denen überhaupt keine Hilfe möglich, also auch nicht erst



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versucht wird, da der Patient sowieso sterben wird. In kritischen Fällen wie überhaupt in schwierigen Lebenslagen befragt man das Eschoro. Das ist eine Würfelorakeischnur vom Typus und von der Anwendung des Oquelle. Es sind zwei mal vier Würfelblättchen daran befestigt und man kann nach dem Wurfe deutlich sehen, wie die Sache werden und verlaufen wird. Jedenfalls sieht man aus der Manipulation, ob es Zweck hat, noch mit Medizin Versuche zu machen. Und man richtet sich genau nach der Eschoroentscheidung.

Aber nicht nur das. Das Eschoro leistet noch viel wesentlichere Dienste. Richtig befragt und richtig abgelesen, gibt es dem Kenner ganz genau die Krankheitsursache an. Die aber ist nach Muntschimeinung von außerordentlicher Verschiedenartigkeit. Zum Beispiel kann das Agaschi sein, eine Buschkrankheit, die die Haussa Kab'ba nennen. Ferner können die Oquene, das sind die Seelen der Verstorbenen, in Haussa =Jamutu, ihre Hand im Spiele haben. Vor allem aber fürchtet man auch hier die Subachen, die Orozawa, wie die Muntschi, die Maji, wie die Haussa sie nennen. (Bei den Ewe in Togo heißt die Subache Ase-to, bei den Tim Fello). "Orozawa oaung" heißt "eine Subache hat ihn gefaßt", und das ist so ziemlich das Schlimmste, was der Eschoro aussagen kann. Hören wir, was die Muntschi über diese unheimlichen Gäste auszusagen wissen:

Orozawa kommen immer nur nachts heraus. Der ausziehende Orozawa läßt seinen Körper daheim im Hause, das er an jeder ihm passenden Stelle verlassen kann, ohne auf die Benutzung von Haustür oder Wandspalt etwa angewiesen zu sein. Draußen kann Orozawa jede Form annehmen: sowohl die einer Katze als eines Hundes, eines Vogels als eines Elefanten.

Nachts versammeln die Orozawa sich im Busch. Es ist eine geschlossene Gesellschaft, die sich nun untereinander verabredet und verständigt über die Frage, wer nur "geholt werden soll". Von da aus kommen sie dann in die Ortschaft. Sie kommen in das Haus ihres Opfers. Sie packen den Mann, heben ihn auf und tragen ihn heraus und in den Busch. Im Busch schneiden sie ihm das Uma (das ist die Leber = Rai im Haussa) oder aber das Numa (das ist das Herz =Schima im Haussa) heraus und bringen dann den dem Tode geopferten Mann in sein Haus und auf sein Lager zurück. Dann kehren die Orozawa selbst zum Busch zurück.

Wenn nun ein Mann sich abends gesund und munter aufs Bett legt, am andern Tage aber mit schwerem Kopf und Fieber, offenkundig todkrank erwacht, wenn er dann nach zwei oder vier Tagen stirbt, so sagt man im allgemeinen, daß ein solcher Orozawa ihn getötet habe, und das Eschoro wird bei entsprechender Befragung die Sache ja wohl auch bestätigen.



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Sehen kann man im allgemeinen die herumziehenden Orozawa nur, wenn man selbst auch Subache ist. Immerhin scheinen gewisse Flämmchen im Busch den Muntschi doch bedenklich mit ziemlicher Bestimmtheit Beziehungen zu den Nachtgreueln anzudeuten. Der Platz im Busch ist aber nach herrschender Meinung stets derselbe, an dem sie immer wieder zusammenkommen und ihre Zwiesprache halten. Die Orozawa können nur den packen, mit dem sie verwandt sind oder der ihnen von einem Verwandten überlassen, sozusagen geschenkt wurde. Sie können keinen nehmen, mit dem sie nicht verwandt sind oder der ihnen nicht als Besitz überwiesen wurde. Dieses betonten mehrere Muntschi mehrmals und sagten damit nichts anderes, als was ich seinerzeit von den Mande und andern Westsudanern oft genug gehört habe.

Auch darin stimmen alle Ansichten überein, daß die Orozawa von Geburt Subachen sind. Aber an sich kommt die Erscheinung von Oundu, d. i. Gott. Mann und Weib kann Orozawa sein, aber "die Männer können nicht so viele Menschen (als Orozawa) fangen wie die Weiber. Wenn eine Frau Orozawa ist, ist sie viel, viel schlimmer als ein Mann (gleicher Art) !" Es ist wunderbar, wie solche Meinung und Stimmung doch immer wieder durchbricht. Das hängt nicht nur mit dem Subachenglauben und seinem sozialen Urgrund zusammen (manche Völker trauen doch solche Eigenschaften überhaupt nur Frauen, nie Männern zu), sondern bezieht sich auf ein gewisses Mißtrauen den "alten Weibern"gegenüber auch im speziellen. Es wird nämlich auch hier alles Schlechte vor allem den alten Frauen zugeschrieben und gesagt, daß, wenn ein Dorf zerstört werde, daran immer die Frauen schuld seien.

Doch weiter über den Subachenglauben. Nach Muntschiansicht, die in diesen Punkten merkwürdig mit Glaubensformen der Jukum und Joruba übereinstimmt, hat jeder Orozawa seinen mystischen Zaubervogel. Man scheint drei Arten für solche Bestimmung geeignet zu halten. Da ist erstens der Wungu, eine Eulenart (Haussa Mujia), dann Akiki, ein schwarzer Nachtvogel mit Helmschopf (im Haussa=Sankara-Kurumi), endlich ein kleiner Nzana genannter Nachtvogel (in Haussa Ururu). Diese alle drei werden ihrem Wesen und Charakter nach mit Aasgeiern verglichen und dementsprechend für räuberisches Nachtwerk für geeignet gehalten. Sie verfolgen ihre Beute auf allen Wegen und zerfleischen die sterbende, sowie sie verendet ist. Sie setzen sich immer auf die Dachspitzen und lauern. Von ihnen, so sagt man, habe jeder Orozawa den einen oder andern in einer Deckelkalebasse. Er bewache ihn ängstlich, daß kein Fremder ihn sehen könne. Sie gelten gewissermaßen als Inkorporationen der Orozawa.

Wenn die Orozawa eine Beute gemacht haben, so teilen sie. Jeder



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muß seinen Anteil am Mahle zahlen, und wer dazu nicht imstande ist, der muß einen eigenen Verwandten zur Verfügung der Gesellschaft stellen.

Als Gandazawa bezeichnet man einen Mann, der imstande ist, durch übernatürliche Veranlagung die Orozawa zu erkennen und zu fassen. Ihn sucht der Mann auf, der ein Kind verlor und durch die Todesart und die Würfe der Eschoro zu der Ansicht kam, daß ein Orozawa seine Hand im Spiele haben müsse. Der Gandazawa erkennt den Nachtmörder - wie, konnte ich nicht erfahren; die Anschauung hierüber scheint mir bei den Muntschi verwischt. Der Gandazawa schafft den Angeklagten herbei. Wie wohl stets, wird noch eine letzte Bestätigung gesucht, indem man diesem den mit giftiger Baumrinde versetzten Trank, hier Ama, in Haussa Goska genannt, beibringt. Bricht er den Trank aus, so ist er unschuldig, behält er ihn bei sich, so stirbt er bald und ist als Orozawa erkannt. — Die eigentlichen Orozawavögel darf man aber nicht fangen. Tut jemand das, so fallen die andern Subachen über seine Angehörigen her und vernichten sie.

Sehr originell ist eine Auffassung, der zufolge jeder, und zwar ausnahmslos jeder Muntschi sich in einen Orihiri, d. h. einen Werwolf (in Haussa = Meirikida) verwandeln kann. Es heißt, jeder Muntschi besitze eine Medizin, die es ihm im Kriege und in kriegerischer Bedrängnis ermögliche, als Katze, als Vogel oder sonst ein Tier wegzulaufen oder wegzufliegen, jedenfalls zu verschwinden. Die sogenannten Buschumleute, die zwei Tage jenseits Donga und jenseits Kentu in Deutsch-Kamerun heimisch sind, stehen im Muntschilande im Geruch, sich tagsüber in Hyänen zu verwandeln und als solche dann in die Häuser kommen zu können, aus denen sie dann halbwüchsige Kinder zu rauben pflegen.

Wenn ein Mensch, gleichgültig auf welche Weise, gestorben ist, zeigt man das sogleich dem Häuptling, dem Toro, an. Der Häuptling begibt sich darauf mit allen Leuten zur Begrüßung des Leichnams. Alte Leute waschen den Leichnam und reiben ihn dann mit Rotholz ein. Ferner wird er mit Schibutter eingefettet und dann in Tücher gewickelt. Erst wird mit einem Zarkondo, einem kleinen Stück Stoff, der Mund hochgebunden, dann der ganze Leichnam erst mit Kondo Popo (weißem Stoff), dann mit Kondo in (blauem Stoff) eingewickelt. Die Hälfte aller Stoffe, die ein Mensch besitzt, folgen dem Toten in die Grube, und die andere Hälfte wird in die Dachspitze seiner Hütte aufgehängt. Man hat bei den Muntschi fast den Eindruck, als ob sie die reichhaltige Menge der großen Stoffstücke überhaupt nicht für das Leben, sondern für den Tod herstellen, wie ja auch am oberen Benue die vielen, vielen wertvollen Baumwolistreifen der Werre usw., soweit sie nicht unbenützt im



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Lande als Geld kursieren, für die Leichenbewicklung hergestellt seien. — Alles andere Besitztum eines Toten teilen aber Kinder und Frauen.

Der Häuptling wird in der Empfangshalle =Jo, das ist das offene schöne Männerhaus, begraben, jeder andere, zumal arme Mensch, im Busch hinter dem Dorf. Das Grab besteht aus einem Schacht, von dem ein Kanal nach Sonnenaufgang führt. Nach Osten wird auch das Haupt der Leiche gerichtet, so daß deren Füße nach Westen weisen. Sie liegt auf dem Rücken, die rechte Hand auf der Brust, eine Stellung, die genau der in Atakpame üblichen entspricht.

Bis auf ein Hühneropfer erfolgt keine Grabbeigabe. Ein Huhn wird im Grab geköpft und dessen Blut auf die Brust des Toten geträufelt. Eine eigentliche Totenbefragung fehlt. Wenn aber ein Häuptling stirbt, so nimmt ein starker Mann seinen Leichnam auf den Kopf und tanzt damit im Dorfe umher.

Das Hühnerorakel heißt Koeschoro. Es steht mit dem Eschoro insofern in Verbindung, als es angewendet wird, wenn die Eschorowürfel befragt worden sind. Zwei Streitende kommen dann jeder mit einem kleinen Huhn oder Hahn herbei. Man gibt beiden Tieren ein wenig vom Gifttrank (s. oben) und wartet den Erfolg ab. Der Mann, dessen Huhn stirbt, hat unbedingt unrecht.

Danach habe ich noch verschiedene Kultureinrichtungen zu schildern.

Zunächst ist da Igbe. Wenn der Bauer ein neues Haus erbaut hat, errichtet er es vor seinem Eingange. Es ist ein Querbalken, der über zwei über zwei Meter hohe Gabelsäulen gelegt und über den ein Topf mit ausgeschlagenem Boden geschoben ist. Es ist eine Art Portal, durch das jeder gehen muß, der die Haustür betreten will. Wenn das Igbe aufgerichtet wird, opfert der Hausherr eine Ziege, ein Schaf und ein Huhn. Mit dem Blute dieser Tiere wird der bodenlose Topf eingerieben, der über den Querbalken geschoben wird. Alle Männer werden zusammengerufen und alle Männer verzehren es. Aber keine Frau darf davon genießen. Mit diesem einmaligen Opfer ist das Igbe oder Egbe ein für allemal geweiht; es verliert seine Kraft erst, wenn der Erbauer stirbt. — Sein ausschließlicher Zweck ist Schutz gegen die Orozawa.

Tore dagegen ist ein Topfpaar, das nebeneinander in den Sockel des Hauses, außerhalb der Hauswand eingegraben und mit Deckeln bedeckt ist. Die notwendigen Töpfe müssen bei der Töpferin extra bestellt werden und diese erhält dafür ein Huhn. Die Töpfe werden erst mit Stücken der Keimblätter der Bambuspalme eingewickelt. Dann muß aber ein ganz gewaltiges Opfer, eine wahre Hekatombe dargebracht werden, nämlich fünf Ziegen und zwanzig Hühner. Das Blut aller dieser Geschöpfe wird an der Stelle auf den Mauersockel



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gegossen, wo die Töpfe nachher eingegraben werden sollen. Ehe das nicht geschehen, nutzt es auch nicht, die Töpfe in die Erde zu lassen. Nachdem das aber geschehen ist, kochen die Männer das Fleisch der Opfertiere. Die Frauen bereiten inzwischen auch Brei. Es ist ihnen aber aufs strengste verboten, von dem Bier oder Mehl zu genießen. An dem Mahle dürfen nur Männer teilnehmen, die selbst ein Tore besitzen. Vor dem Essen wird von den Speisen ein klein wenig in Flocken auf die Töpfe gedrückt. Auch das ist eine Einrichtung, die gegen die Orozawa gerichtet - und für die Muntschi, die sie trifft, recht kostspielig ist. — Doch nun etwas anderes.

Wenn der Mann seine erste Farm anlegt, d. h. wenn er das Feld umgebrochen und soweit gereinigt hat, daß es für die Aufnahme der Saat bereit ist, schnitzt er sich zwei Pfähle, beide Kombo-Humba genannt, von denen der eine aber als männlich gilt und Hamba, der zweite als weiblich und Tam heißt. Der männliche Pfahl endet oben stets in eine Spitze, der weibliche in einen Knauf oder Buckel aus. Beide Pfähle pflanzt er nun nebeneinander vor sein Haus neben die Tür, kocht dann ein wenig Saatkorn und gibt es ihnen als Opfer. Danach beginnt er die Saat. Wenn er im Herbst erntet, so gibt er von allem Erntegut erst ein wenig dem Kombo-Humba, und zwar von jeder Frucht das erste Zubereitete. Ehe er nicht dies Opfer dargebracht hat, darf er nicht davon genießen. Das ist die klarste und bewußt reinste Anwendung des berühmten Figurenpaares, das wir auch bei Tombo, Tim und Tschamba finden.

Gleichfalls dem tellurischen Dienst dürfen wir wohl die allerdings etwas unklare Igbue-Zeremonie zuschreiben, die in der Erntezeit stattfindet. Die Teilnehmer des Geheimnisses sind nur Männer in den besten Jahren. Sie schlachten am Tage im Busch "viele Ziegen". Mit ihrem Blute bestreichen sie die Kalebasse. Darauf kommen sie draußen zusammen und essen. Inzwischen meldet einer im Dorf den Besuch des Igbue für die Nacht an. Infolgedessen verkriechen sich alle Weiber und Kinder in die Häuser, denn es heißt, wer von ihnen gelegentlich des Umgangs des Igbue herausguckt, wird von tödlicher Ruhr befallen. Beim Herausziehen brüllt einer der Leute auf der Kalebasse. Man zieht hierhin und dorthin. Damit ist aber auch alles erledigt. Diese Zeremonie soll gut sein für die Farmen, gegen Krankheiten, für Weiber, Fortpflanzung, Kinder usw. Masken werden dabei nicht gebraucht, wohl aber nach Beschreibung der Töne anscheinend Schwirren. Irgendeine Beziehung mit dem äthiopischen Tellurismus glaube ich mit Bestimmtheit annehmen zu können.

Wenn ein Häuptling stirbt, wird auf keinen Fall ein Mann seiner hohen Verwandtschaft zur Nachfolge gelangen. Beim Ableben



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eines jeden Häuptlings wird vielmehr der übernächste Nachfolger gewählt. Also ist der nächste Herrscher, wenn ein unberechenbares Schicksal nicht einen Strich durch die Berechnung macht, bei Ableben jedes Toro schon bestimmt und vorhanden. Es liegt hier ein gesunder Grundsatz, den wir ja in den verschiedenen Jerimatypen des atlantischen Kulturkreises allgemein durchgeführt finden.

Die Muntschi sind aber im übrigen ein durchaus nicht monarchisch denkendes Volk. Ihre Toro erinnern ungemein an die Dorfschulzen des Kongobeckens.


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