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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

e) Schwangerschaft, Medizin, Geburt, Körperverschönerung

Man nimmt nicht an, daß bei der Verehelichung die junge Frau gleich in den Zustand der Mutterschaft gelange. Man wartet einige Zeit, wird aber, wenn sich nach einer Regenzeit immer noch keine Anzeichen der Empfängnis zeigen, ungeduldig und greift durch eine etwas unverständliche Zeremonie der Entwicklung unter die Arme. Man ruft dann eine Denjoro genannte weise alte Frau und bittet sie, folgende Wankoro genannte Manipulation zu unternehmen.

Die alte Frau erklärt sich auch hierzu bereit und ordnet an, zunächst einmal sechs Hennen bereitzuhalten. Danach kommt sie dann mit folgender Ausrüstung:



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i. einem kleinen, ada genannten Bogen;
2. dem Grase kangaraka, das bei den Haussa =tuji heißt;
3. einem kleinen, schenge genannten Töpfchen mit Wasser;
4. dem Schilfgras apere, in Haussa =karam-maschara;
5. einer Schnecke edscho, in Haussa =katang-tangua;
6. Samen des Baumes homo, in Haussa =gaude.
Die schwierige Angelegenheit beginnt damit, daß über der Schnecke
eines der sechs Hühner geschlachtet wird, natürlich so, daß das Blut
darauffällt. Das Schneckentier ist aus seinem Gehäuse entfernt und
nun wird das Hühnerblut darin aufgefangen. Die sterile Frau trinkt
danach das Blut aus der Schneckenschale. Danach werden alle
andern mitgebrachten Gegenstände in einen Topf gelegt. Es scheint
dabei auf eine bestimmte Anordnung anzukommen, was auch ganz
natürlich ist, da jede derartige Zauberkunst nur dann geglaubt und
bezahlt wird, wenn sie sich nach Möglichkeit umständlich und
wichtig macht. Über dem Topf mit den Gegenständen werden die
fünf übrigen Hühner geschlachtet, so daß dann Blut über alle Sachen
hinfließt. Das eigentliche Opfer ist nun beendet und die Denjoro hebt
mit dem Gebet an.

Die Denjoro äußert über dem Blut- und Zeremonialtopf sprechend die Aufforderung, der jungen Frau zu helfen und sie nicht durch fortgesetzte Sterilität in Ungelegenheiten zu bringen. Hat sie ihre Sache heruntergesagt, so schiebt sie der Jungen das Gefäß hin. Die spricht nun ihrerseits auch über dem Topf alles heraus, was sie zu der Sache zu sagen hat. Endlich gibt die Alte aus dem Topfe der Jungen in jede Handfläche drei Tropfen, die die Junge ablecken muß, und damit ist der zweite Teil der Zeremonie auch erledigt.

Nunmehr werden die sechs Hühner gekocht, und zwar gut, unter Zufügung wertvoller Gewürze. Man bereitet auch einen Brei aus gekochtem Sorghummehl (ruma; in Haussa =tuo). Sind die Speisen bereitet, so bringt die Denjoro von der Blätterpflanze Hueretschi herbei. Das ist ein unverwüstlich immer wieder frisch treibendes Kriechgewächs, das als wichtigstes Medikament in der ganzen Sache gilt. Von den trockenen Hueretschiblättern wird nun ein wenig pulverisiert, das Pulver mit den Ruma in Wasser gemischt und der Sterilen zu trinken gegeben. Gleichzeitig muß sie ein wenig von dem Hühnerfleisch essen. Dieses Zeremonial ist damit zu Ende. Die Hühner werden nun verspeist und die weise Frau zieht mit der Bezahlung heim. Die junge Frau wird sich nun möglichst bald von ihrem Gatten beschlafen lassen und ist überzeugt, daß sie alsdann umgehend schwanger werden wird.

Bei Schwangerschaft nimmt man eine Dauer von 9-9 1/2 Monaten vom Beischlaf bis zur Geburt gerechnet an. Die Geburt selbst erfolgt hinter dem Hause, also so gut wie in der Öffentlichkeit. Aber



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für solchen Zweck bringen die Weiber doch schnell einige Matten heran und stellen diese herum, damit die Männer nichts von den Vorgängen sehen. Im allgemeinen helfen drei bis fünf erfahrene Frauen. Die Frau selbst sitzt auf einem Stuhl. Jaga, die Nabelschnur, wird mit einem Bambussplitter abgeschnitten. Koandogo, die Nachgeburt, wird im Hofe vergraben und mit Steinen belastet. Sollte sie nicht von selbst und bald zum Vorschein kommen, so wird in einigen Gegenden ein Brechmittel verabfolgt. Die Erregung und Bewegung des Bauchfelles und des Magens wirkt dann nach Ansicht weiser Muntschifrauen auch nach unten expedierend.

Das neugeborene Kind wird erst mit Lehm abgerieben und dann mit angewärmtem Wasser gewaschen, endlich mit Gbaga, das ist Rotholzpulver, gefärbt und (angeblich) nochmals gewaschen. Zum Schlusse wird das Wesen mit Kurem, das ist Schibutter, eingerieben. Vier Tage nach der Erscheinung in der Welt fällt dann die Nabelschnur ab, und sobald das geschehen ist - nicht eher - reicht die Mutter dem Kinde die gefüllte Brust. Die abgefallene Nabelschnur wird aber in eine Kalebasse getan und vergraben. Bei der Zeremonie müssen alle die Frauen wieder gegenwärtig sein, die sich schon zur Entbindung um die Mutter versammelt hatten.

Die Mutter aber wird nach der Geburt von der eigenen Mutter an allen Teilen, zumal am Unterleibe, gründlich mit heißem Wasser abgewaschen. Die Wöchnerin hat fünfzehn Tage das Haus zu hüten.

Das Kind erhält etwa vier bis fünf Tage nach seiner Geburt einen Namen. Der Vater gibt ihn. Aber die ganze Familie kommt zusammen und spricht sich weit und breit über die Sache aus. Auf jeden Fall erhält das Kind den Namen eines längst verstorbenen Vorfahren. Darüber kann kein Zweifel sein, und auch über den Grund solcher Benennungsweise äußern sich die Muntschi durchaus deutlich. Also der eine nennt den Namen dieses, der andere den Namen jenes Vorfahren, und wieder ein anderer macht darauf aufmerksam, daß man diesen und jenen längst Verstorbenen nicht vergessen dürfe. Man hält also Umschau und Überlegung ab, was wohl in diesem Kinde wiedergeboren sein könne, und der Vater trifft zum Schluß die Entscheidung. Darüber aber herrschte bei meinen Berichterstattern vollkommene Übereinstimmung, daß nämlich in jedem Kinde ein Verstorbener zurückkehre, da alle Toten in ihrer eigenen Familie wiedergeboren werden. Das Eigentümliche ist, daß hier wie in Atakpame, wo ganz übereinstimmende Anschauungen herrschen, die neugeborenen Kinder im Geschlecht durchaus nicht dem Individuum zu entsprechen brauchen, in welchem sie vordem gelebt haben. Ein Mann kann als Mädchen, eine Frau als Knabe wiedergeboren werden, und zwar scheint man



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allenthalben dasselbe anzunehmen, daß nämlich der Tote vor seinem Ende den Wunsch einmal klipp und klar ausgesprochen haben müsse.

Weitverbreitet in Togo, in Nigerien, bei den verdrängten Splitterstämmen und nun hier bei den Buschvölkern und ganz besonders klar ausgesprochen bei den Muntschi fand ich folgende Anschauung: In schlechter Lebenslage, in einem Augenblick tiefen Kummers wird eine Frau leicht apathisch erklären, daß sie nicht als Frau, sondern als Mann dereinst wiederkommen wolle. Und was einmal so ausgesprochen ist, das wird nach der Volksanschauung unbedingt auch gehalten. Genau umgekehrt kann ein Mann als Weib wiederkehren. Diese Tatsache und ein eventueller Ausspruch des Verstorbenen in diesem Sinne werden vom Vater bei der Namengebung unbedingt berücksichtigt.

Den Burschen wird eine viereckige Lücke in die Mitte der oberen mittleren Schneidezähne geschlagen. Es ist an den gegenüberliegenden Ecken je ein Rechteck herausgeschlagen. Das geschieht, wenn das Kind 12-14 Jahre alt ist. Der Knabe muß dann auf ein Holz beißen und eine geschickte Hand hämmert die Ecken heraus. Man sagt, daß man den Jungen diese Verschönerung beibringe in der Zeit, wenn sie den Mädchen nachstreben. Der Bursch will dem Mädchen gefallen, und hier wie anderweitig behauptet man, die letzteren bevorzugten solcherart geschmückte Jünglinge. In gleicher Zeit wird auch die Stirn- und Kopftätowierung angebracht und das sehr beliebte Loch im Ohrläppchen.

Dem entspricht die durchaus eigenartige Bauchtätowierung der Mädchen, die kara oder akara genannt wird. Sie wird angebracht, wenn ein Mädchen reif für die Ehe oder vielmehr für das Geschlechtsleben ist. Sie wird in Schnitten ausgeführt, die auseinandergeklafft und dann mit Biegonda, einer "Medizin", die aber in nichts anderem als schwarzem Moosgrund zu bestehen scheint, gefüllt. Das hat zur Folge, daß die Schnitte ungemein in die Höhe gehen. Es muß anerkannt werden, daß die Schnittnarben der Muntschi sich durch starke Erhabenheit, ebenmäßige Linienführung und Formengewandtheit auszeichnen.


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