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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

c) Volkstypen, Kulturbeziehung

Es ist klar, daß gerade bei einem solchen Volke die Frage nach der rassenhaften und kulturellen Zugehörigkeit doppeltes Interesse haben muß, und so will ich denn von der Schilderung der geistigen



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Fähigkeiten zu der Schilderung ihres Äußern und ihrer Kulturbeziehung übergehen.

Im Äußeren der Muntschi habe ich in rein natürlicher Veranlagung nicht so sehr viel übereinstimmende und zusammenfassende Eigenarten gewahren können. Im allgemeinen gehören sie wohl zu den braunen Menschen; aber sonst sind sie der allgemeinen Figur und Körperbildung nach bis auf wenige Symptome recht verschiedenartig. Am bemerkenswertesten schien mir die bedeutende Unterschiedlichkeit der Muntschi des Westens und derer des Ostens. Im Westen, in Abinschi, fand ich bei zehn männlichen Individuen völlige Übereinstimmung und nur bei einem Abweichung. Die zehn Leute waren nämlich sämtlich recht klein, alle um 160 und 165 Zentimeter hoch. Die Arme waren sehr lang, so daß diese Leute durchaus den Eindruck auf mich machten, den ich seinerzeit von den Pygmäen am Kassai gewann. Im Osten waren dagegen die großen Leute häufig. Die Köpfe sind überall prognat, die Augen weit auseinanderstehend und schmallidrig, zuweilen schlitzförmig. Niemals sah ich die großen, groben Glotzaugen der Joruba- und Beninstämme bei den Muntschi. Sehr groß und unförmig sind dagegen die Hände, die der Schlankheit und Feinheit der sudanischen Glieder gegenüber doppelt in die Augen fallen. Es sind eben die Hände echter Bauern, die es gewöhnt sind, von Jugend auf die Hacke zu führen. Männer und Weiber sind darin völlig gleich. Weiterhin gehören sie zu den "Wadenprotzen"Westafrikas. Kein Sudaner wird auch nur annähernd solche Muskulatur der Unterschenkel haben. Der Oberkörper schien mir den Beinen gegenüber zuweilen recht lang. Aber das alles habe ich bei den Bauernstämmen Westafrikas oft beobachtet. — Dann haben sie noch auffallend stark entwickelten Bartwuchs. Sie sind augenscheinlich sehr gesund und wie alle derartigen Völker Westafrikas gesegnet mit großen Scharen von Kindern, die sie zumeist in den Farmen haben und die den größeren Ortschaften soviel wie möglich ferngehalten werden.

Gleich hier mag erwähnt werden, daß auch das körperliche Äußere dieser Leute mich vom ersten Anblick an immer wieder an die Mongo-Bassongo-Mino des Kongo erinnerte, eine Ähnlichkeit, der wir im Kulturbesitz noch sehr, sehr häufig wieder begegnen werden. Aber der Leser darf nicht etwa an dieser einen Affinität mit seiner Vorstellung haften bleiben. Es wird am besten sein, man betrachtet die Muntschi zunächst einmal als eine Art für sich und kommt dann erst dazu, nach deren Kulturbeziehungen Umschau zu halten.

Im Kulturbesitz tritt das zutage, was ich nicht ohne Absicht geschildert habe, ehe ich auf die materielle Kultur zu sprechen



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kam, die scharfe Beobachtungsgabe und der Sinn für das Nützliche. Die Muntschi haben einen abgerundeten Kulturbesitz, der in allen seinen Einzelheiten so eng ineinander gefügt ist, daß man seine Nutzbarkeit und Nutzung allenthalben erkennt. Dabei haben aber diese Muntschi die Eigenart, daß sie ihrem Kulturbesitze nach weder im allgemeinen noch nach irgendeiner Richtung besonders überwiegend zu irgendeiner Kulturzone neigen. Sie stehen in all ausgeglichenem Kulturbesitz genau in der Mitte zwischen den Atlanten im Westen, den Athiopen im Norden und den Waldvölkern im Süden ihrer Heimat. Dabei lege ich großen Wert darauf, ihren Kulturbesitz nicht als einen zusammengewürfelten, sondern als einen ausgeglichenen anerkannt zu wissen.

Mit den Nigritiern der Westküste haben sie vor allen Dingen folgende Übereinstimmungen: Im Gegensatz zu allen äthiopischen Stämmen haben sie keine Gehöfte. Vielmehr leben sie in offenen Weilern, die mehr oder weniger klar immer aus freien Plätzen mit darum in Kreisform angelegten Wohnhäusern bestehen. In dem Kreisplatze liegt aber ein zweiter Innenkreis, meist eine Reihe ihrer wundervollen Speicher und Arbeitshäuser. Sie haben also eine Dorfanlage, die der der Bakuba und Bassongo-Mino am nächsten kommt, wenn bei den Bakuba der Dorfplatz auch nicht rund, sondern viereckig ist. Sie haben diese Anlage gemeinsam mit jenen bis auf ganz bestimmte Einzelheiten. Immer liegt z. B. ein Männerhaus auf dem Dorfplätze und die eigentliche Gemeinde besteht aus mehreren solchen Weilern, die wie die Verschlingungen eines Maschennetzes über das Land ausgebreitet sind. Wir können die Eigenarten ihres gehöftlosen Baues sowohl bei den Nordwestnigritiern (von der Elfenbeinküste bis Senegambien) bis zu den Südostnigritiern im Kongogebiet verfolgen. Ihre Häuser aber sind die nächsten Verwandten der Häuser der Tomma und Gersse: in ein mächtiges großes Rundhaus ist immer ein Speicherhaus als Hängeboden hineingesetzt. Das ist bei keinem äthiopischen Volke zu finden. Wer in der Mitte eines solchen Muntschiweilers steht, weiß, daß er hier Verwandte mit den Westafrikanern vor sich hat.

Und wenn er Umschau hält, gewahrt er noch mehr überzeugende Übereinstimmung. Zunächst einmal ist da die Holzpauke, das Instrument der Trommeltelegraphie, hier nicht nur dem Nachrichtenwesen, sondern auch als Musikinstrument der abendlichen Fröh-Lichkeit gewidmet. Die Muntschi sollen wie andere Westafrikaner außerordentlich geschickt in der Handhabung dieses Telegrammsystems sein, während die Äthiopen durchweg ihr Signaiwesen wie die Libyer auf Pfiffe eingestellt haben. Fernerhin sieht man die hübschen Dreibeinstühle, hier in verschiedenen Varianten, aber alle gleicherweise den Männern dienend -genau wie am Kongo



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oder im Westsudan bei der Beschneidung. Es ist die gleiche Stuhlform, wie sie auch am Crossriver üblich ist. Wiederum ein westafrikanischer Verwandter ist der Stampftrog, niedrig und mit mehr oder weniger langen Seitengriffen versehen, ein Instrument, das von hier zum Ogowe und dann weit hinab zum Kassai bekannt ist. Weiterhin traf ich die gleichen Trommeln mit Keilringspannung, die auch die Fannstämme usw. bearbeiten. Noch mancherlei kleine Ähnlichkeit weist nach Süden. Sie haben hohe Türeingänge, "Fenstertüren" wie die Kongostämme und einen Fensterrahmen, der verzapft ist -also wie bei den Bapende. Diese eigenartige Schwelle, die auch noch eine kleine Ausschälung zum Topfniedersetzen hat, heißt gbanda oder gwanda. Die wichtigste Beziehung zur Südwestkultur werden wir aber erst erörtern, wenn die Stellung klargelegt ist, die diese Leute der atlantischen und der äthiopischen Kultur gegenüber einnehmen.

Von ersterer haben sie ein außerordentlich wichtiges Instrument, den Bogen. Der Muntschibogen steht den alten Typen fast näher als der der Nupe und Igbirra- und Ankpastämme. Denn er ist klein und von großer Ebenmäßigkeit. Mit den andern Trägern der atlantischen Kultur haben sie die Orakeischnur, zweifach mit je vier Blättchen, und die eigenartige Zahnmode gemeinsam. Daß der ausgesprochene Subachenglaube bis auf detaillierte Feinheiten genau mit dem der Joruba und Jukum übereinstimmt, ist wesentlich.

Weit zahlreicher ist die Reihe von Erscheinungen, die den Kulturbesitz der Muntschi dem der Äthiopen Nordkameruns und auch Togos angliedert. Sie haben genau den gleichen Flötenorchestertanz wie alle Äthiopen, blasen auf den abgestimmten Hörnern und ziehen im Kreise herum. Ihre Tanzbewegungen sind durchaus originell. Man möchte diese Bewegung als ein Aufheben, als eine Ornamentierung der Hockbewegung bezeichnen. Bei Komai, Tschamba und bei Nuba sah ich genau das gleiche. Dann haben sie mit den Tschamba gemeinsam die beiden Figuren Mann und Weib, die für den Ackerbau zu sorgen haben. Das eigenartige Spannmesser der Muntschi, des Katsena-Ala-Gebietes, dessen auf der Handrückenfläche liegender langer Eisenstreifen nach vorn in spiralige Aufrollung, rückwärts aber dem Arme zu in eine spachtelartige Schneide ausläuft, sah ich in vergrößerten Exemplaren bei den Werre und Kwona. Dann haben die Muntschi den Hitschenhocker länglicher Form mit Längsleisten als Füßen. Es gibt im Schmuck der Dakka Eisenringe, die genau mit denen der Muntschi übereinstimmen. Und der Webstuhl der Komai-Werre ähnelt mit seinen langen Stangen und mit der Sitzweise des Webers, der auf dem fertigen Stoff dem Ende zu weiterrutscht, dem ihren durchweg. Mit den Sudanvölkern aber haben die Muntschi sicherlich den Fabelhelden



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Kaninchen (statt Schildkröte oder Spinne) gemeinsam. Sie haben an Gelbguß gleiche Ornamente wie die Konkomba, mit denen sie auch eine Männerhaartracht teilen, nämlich (statt der sonst in diesen Ländern üblichen Raupenlängslinien) die Querordnung. Und wie die Stämme am oberen Benue, wie Bobo, Konkomba usw., hängen sie an den Gürtel eigenartige Ornamente aus Gelbguß. Bestimmte Streitäxte mit Griff aus Eisenrohr, bronzegegossenem Menschenkopf als Knauf und langem Schmaiblatt sind bei Dagomba und Muntschi durchaus identisch. Sie haben die gleichen Verehelichungszeremonien wie die Akposso und bestatten genau wie die Leute von Atakpame. — Also ist das Kulturgut, das sie mit den äthiopischen Stämmen gemeinsam haben, überaus umfangreich und bedeutsam.

Dann aber haben sie erstens vorwiegende Betonung des Matriarchates, zweitens den Ventilbiasesack und drittens den Griffwebstuhl (neben dem Trittwebstuhl für Baumwolle), auf dem hier ursprünglich Bast, heute aber auch Baumwollstoffe gewebt werden.

Dieses Instrument ist vielleicht überhaupt das wichtigste Kulturgerät der Muntschi für die Entscheidung ihrer kulturellen Stellung. Auf die große Bedeutung, die der von Frauenhänden gehandhabte Griffwebstuhl bei den Joruba hat, wurde im ersten Bande hingewiesen. Es ist ein Kulturgerät, das Atlanten und Libyer verbindet - ebenso wie das Matriarchat und der Impluvial-Tembenbau. Dieser Webstuhl wird bei den Joruba und Bum ganz sachlich stehend gehandhabt, und zwar bei Bum und Verwandten für Herstellung von Bastfaserstoffen sowohl wie von Baumwollgeweben. Wir wissen, daß bei den Kongo-Kassaistämmen dieser Webstuhl nicht von Frauen, sondern von Männern gehandhabt wird. —Nun, genau in der Mitte stehen die Muntschi. Sie haben den Griffwebstuhl hingelegt und Männer handhaben ihn, sowohl zur Herstellung von Bastgeweben (für Säcke) als für Verfertigung von breiten Frauentüchern. Sie stehen also genau in der Mitte, zeigen aber die Stelle, wo entweder beide Webarten ineinander übergehen oder von wo aus die südliche Männerwebart der Kongostämme, Bakuba usw. ihren Ausgangspunkt genommen hat.

Wenn aber hierin die Muntschi den Südweststämmen nahestehen, so haben sie in der Schmiedekunst genau umgekehrte Beziehung; sie haben den Blasesack mit Ventil, wie alle den Gelbguß mit Vorliebe übenden Völker des Sudan; und doch ist ganz nahe bei ihnen das Schalengebläse der Südstämme heimisch, nämlich bei allen Dakka usw.

Also sage ich, stehen die Muntschi als ein eigener Typus genau in der Mitte aller Beziehungen und kann man unmöglich sagen, daß sie etwa ein Mixtum compositum oder eine neue, junge Kornposition



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oder irgendeine noch nicht ausgeglichene Völker- und Kulturart darstellen. Sie sind eine so ausgeglichene Völkerschaft wie nur eine im West- und Zentralsudan.

Die Muntschi selber wissen über ihre Herkunft nichts Besonderes zu sagen. Sie erzählen, daß sie von einem Berge kommen, der den Namen Adiko hat und am Benue liegt. Ihr Ahnherr sei Takuruku und ihre Ahnfrau Urene gewesen, die beide bei Geje auf dem Bandaberge im Nordosten Salatus geboren wurden. In jener Gegend lebten die Muntschi erst lange in einer großen Stadt gemeinsam, bis eines Tages ein Krieg mit den Denji- und Takumleuten, also mit Tschamba und Tikar ausbrach, der die Zerstörung der Stadt zur Folge hatte. Danach zerstreuten sich dann die Muntschi auf beide Ufer des Benue. So sitzen sie heute noch; im Westen wie im Osten haben sie Jorubaverwandte, nämlich hier Bassa, dort Jukum, im Norden Äthiopen und eine Bornuenklave, nämlich die Kamberri von Lafia, und im Süden Tikar und Bafum zur Nachbarschaft.


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