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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

b) Die Muntschi als Beobachter und Fortschrittler

Die dunkelhäutigen Bewohner Afrikas haben eine Eigenart, die sie durchaus in ihrem kulturgeschichtlichen Werdegange so beeinflußt hat, daß man heute bei aller kultureller Variabilität, bei aller Verschiedenartigkeit der einzelnen Gruppen im Kulturbesitz doch alle miteinander als "Neger" bezeichnen kann. Und zwar ist für mich diese Art "Neger"kein anthropologischer Begriff, sondern ein psychologisch -kulturtypischer. Die Eigenart aber, die dieses Negertum produziert hat, ist bei keiner andern großen Rasse und Kulturgemeinschaft der Erde sonst nachweisbarer Nachahmungstrieb. Dieser Nachahmungstrieb vereinigte alle Stämme von den Pygmäen an, deren possierliche Nachahmungskunst einst Schweinfurth, dann auch Junker schilderten, dann zu den Ostafrikanern, wo die Bezeichnungen Massaiaffen und Zuluaffen von Baumann und Stuhlmann geschaffene Begriffe wurden, bei den Nupe, die in allem die Fulbe nachahmen wollen, bei den äffenden Mande usw. Dieses Nachahmungsbedürfnis hat in Afrika große Bewegungen geschafft und die widerlichsten Bilder ins Völkerleben gesetzt. Dieser überall mehr oder weniger auftretende und gleichmachende, assimilierende Nachahmungstrieb macht eben die Neger zu Negern, raubt ihnen die Variabilität und zieht alles zu einer stumpfsinnigen Gleichmäßigkeit herab, weil dieser Nachahmungstrieb sich meistens mehr oder weniger auf Äußerlichkeiten bezieht.

Dieser Nachahmungstrieb ist nicht nur rein äußerlich, er setzt vielmehr seine Tätigkeit fast stets an der Oberfläche des Lebens und der Erscheinungsformen ein. Ich habe das beim Islam und seiner Verbreitung im West- und Zentralsudan beobachtet. Das erste, was dem wilden Jüngling am Islamiten auffällt und nachahmenswert erscheinen läßt, ist seine Tracht. Er setzt alles daran, sich so kleiden zu können wie jener würdige Mann. Das zweite ist die öffentliche Beterei. Der Islam beansprucht zu seiner Verbreitung in Afrika weder ein Glaubensbekenntnis noch eine Taufe. Der strebsame Jüngling läßt sich von, einem islamischen Freunde einmal zeigen, wie man sich wäscht, wie man die Bewegungen macht und was man dabei murmelt. Ich habe Leute in meinem Dienst gehabt, die innerhalb dreier Tage aus urwüchsigen Kafirs oder Kadis zu richtiggehenden und anerkannten Islamiten geworden sind; die nun aber nicht etwa gleich allen alten Kram über Bord geworfen und sich ganz der neuen Sitte und Gesetzmäßigkeit hingegeben



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hätten -nein, die einfach zunächst das Gebet verrichteten, heimlich Bier tranken, im Säckel ihre alten Heiligtümer führten und diesen auch nach alter Art opferten. Also die Nachahmung setzt ganz äußerlich ein und greift dann nach innen um sich. Je mehr der Novize mit den neuen Glaubensgenossen zusammenkommt, desto seltener wird die Möglichkeit, heimlich zu trinken, und die Überzeugung von dem Wesentlichen seines alten Glaubens wird durch die Spottreden der andern soweit erschüttert, daß er sich eines Tages entschließt, die alte ehrwürdige Sache der Väter zu überwinden. Er wirft sie über Bord. So reift der neue Mohammedaner auf dem Wege über die Äußerlichkeit und ausgehend von einer Forderung seines kindischen Nachahmungstriebes zum gesetzmäßig lebenden Mohammedaner heran.

Also wirkt dieser Nachahmungstrieb in Afrika ununterbrochen, bildet in großen Wellenkreisungen bald nach dieser Richtung, bald auf jenem Gebiete ethnische Eigenarten um und kann an sich große Bewegungen schaffen, die aber stets dem einen Gesetz des üblen Ansatzes äußerlicher Nachäfferei unterworfen sind. Die schlimmsten Äußerungen sehen wir aber an der Küste, wo die Nachahmung des Europäers bizarre Bilder geschaffen hat, die durchaus entwürdigend sind.

Diese starke Nachahmungssucht, auf die man wohl auf allen größeren Flächenteilen des Negerafrika stößt, kann ich nun aber nicht ohne weiteres nur als einen lediglich primitiven, herabziehenden, weil Charakter- und Typenklarheit zerstörenden Trieb oder Instinkt ansehen. Es liegt für mich kein zwingender Grund vor, ihn a priori als eine Erbschaft aus affenartiger Zeit und lediglich als ein Zeichen ursprünglicher Primitivität anzusehen. An sich ist die Nachäfferei der Zulu und Massai - was die Tracht und Gehabung der Islamiten betrifft - nur ein Bestreben, sich denen möglichst ähnlich zu machen, die als Mächtige im Lande sich Anerkennung verschafft haben; und es ist ein großer Unterschied gegenüber den mimischen Nachahmungen der Pygmäen, die Emin Pascha und die Nuba parodistisch darstellten. Diese Pygmäen beobachten scharf das Eigenartige und Drollige an andern und können es dann imitieren. Sie nehmen es nicht an, zeigen sich aber als gute Beobachter. Und dieses scharfe Beobachten und Erkennen der Verwendbarkeit, der Ausnutzung einer Situation, das ist viel mehr eine produktive Tätigkeit als eine stumpfsinnige Nachahmerei wie die Zuluaffen und Massaiaffen, die eine solche doch nur aus Schwächebewußtsein heraus durchführen und damit eigene Persönlichkeit aufgeben.

Und dieser Satz von der Primitivität und Affenartigkeit dieses Instinktes fordert in noch viel höherem Grade eine Revision heraus,



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wenn wir den Erscheinungen, wie sie in den Muntschi und ähnlichen Stämmen zutage treten, das Augenmerk widmen.

Wie schon gesagt, ist der Muntschi ein ungemein scharfer Beobachter, ein tadelloser Mime, ein glänzender Nutznießer jeder günstigen, geschickt erspähten Gelegenheit und ein lebendiger produzierender Mensch, der niemals und nirgends sein nationales Gepräge in der Kleidung aufgibt, um etwa den wirtschaftlich viel kräftigeren und kulturreicheren Stadtmenschen gleich zu erscheinen. Also steht mein Muntschi viel mehr der Art nach dem beobachtungsscharfen Pygmäen nahe, der jedes Tieres Eigenart und Schwäche erkennt und ausnutzt, als dem Islamnovizen, der seine Eigenart äußerlich aufgibt, um in der Masse der Kulturreichen und Angesehenen mitzuschwimmen.

Wenn irgendwelche "gebildete" Völker mein Haus betraten, so prüften sie meinen ihnen neuartigen Regenmantel, bettelten um prunkhafte schlechte Stoffe, verliebten sich in einige Messer mit geschmackloser, aber protziger Außenschale und schlechter Klinge, baten um Steigbügel, die schöner seien als ihre eigenen usw. Wenn aber die Muntschi meine Arbeitskemenate betraten, dann sahen sie bei den Messern nicht nach der Schale, sondern nach Form und Art der Klinge, dann baten sie um große Nähnadeln, dann vertieften sie sich in meine Erklärungen über unsern heimischen Ackerbau, und das Problem des Pfluges hat sie mindestens eine Woche lang in Atem gehalten. Und zwei Muntschi brachten nachher ihre Frauen zu mir, damit ich denen dann noch einmal den Pflug auseinandersetzte. So wichtig war ihnen das.

Ich hatte vordem überhaupt noch nie ein Volk gefunden, das für vergleichende völkerkundliche Arbeit insofern ein Interesse zeigte, als es seine eventuelle Nützlichkeit erkannte. Meine Muntschifreunde aber verstanden sogleich, daß es gut sei, von vielen Völkern zu lernen und das Beste anzunehmen. In Salatu wollten sie wissen, ob ihre Häuser schön wären oder ob man sie verbessern könne. So etwas war mir im Sudan noch nicht vorgekommen und ich stand vor diesem Typus von Menschen staunend da. — Nur einmal vorher hatte ich in Afrika ein ebenso denkendes Volk im Kassaigebiete getroffen: die Baua Lulua, Pogges und Wißmanns Baschilangi; damals war es mir aber viel weniger kraß als Ausnahme aufgefallen als jetzt hier die Muntschi im Niger-Benue-Gebiet.


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