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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_11-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN


Das Volksleben der Muntschi

Als Gegensatz zu der Darstellung zentral-äthiopischer Stämme, die ich seinerzeit gab, mag die Schilderung eines Volkes, welches nicht als äthiopisches bezeichnet werden kann, Platz finden. Denn es scheint mir ganz außerordentlich wichtig, den Gegensatz zu betonen, der zwischen einem so ausgesprochenen, scharf umrissenen Typus wie dem äthiopischen und dann demjenigen eines zwar in sich abgeschlossenen, aber dennoch genetisch unbedingt stark gemischten besteht. Als Beispiel für ein derartig aus der Mischung zu eigenem Typus herausgewachsenes Kulturgebilde habe ich die Muntschi gewählt, die so recht im Gegensatz zu den Splitterstämmen Nigeriens und Kameruns erscheinen. Bei den Äthiopen alles einfach, schlicht, innerlich organisch zusammenhängend, originell, archaistisch, ein Guß. Jede Erscheinung der Äthiopen leicht zu erklären aus dem Zusammenhange, den eine einzige Entwicklungslinie bietet - eine Entwicklungslinie, die nur hie und da leicht verwischt ist durch unschwer erkennbare libysch-atlantische Einflüsse. Bei den Äthiopen ein Volkscharakter, der hart und konstant, konservativ und fest gegliedert ist. Dagegen nun die Muntschi: im Kulturbesitz reich ausgestattet mit Erbschaftsstücken aus verschiedenen Richtungen, von Natur beweglich, anpassungsfähig, bereit, sich überall, sei es feindlich, sei es freundlich, Ausgleichspunkte zu schaffen. Fraglos sind die Muntschi ein Typus für sich; weder die Ausdrücke ihres Geisteslebens noch die Formen ihres materiellen Kulturbesitzes machen etwa den Eindruck des Zusammengeflickten und unorganisch Verbundenen, und dennoch können wir nach allen Seiten Beziehungen erkennen.

Nur auf einem Gebiete fällt von vornherein die Kulturform der Muntschi stark ab. Alle religiösen Verhältnisse und Außerungsformen haben die scharfen Konturen verloren. Praktische Menschen, die sie sind, stehen sie mitten im praktischen Leben und sind sie verhältnismäßig gleichgültig gegenüber allen Fragen weiterschauender Weltanschauung. Hierin sind sie so recht der Gegensatz zu den Äthiopen. Alle Glaubenssachen sind abgewandelt in Aberglauben. Nirgends eine feste Linie der Weltanschauung. Der Aberglaube wuchert bei ihnen noch nicht so stark wie bei westafrikanischen Mischtypen; das hat aber seinen Grund nur darin, daß die Muntschi Menschen des realen Lebens sind, eines Lebens, das im Gegensatze zum echt äthiopischen die Geschlossenheit der sozialen Gliederung verloren hat. Es ist typisch, daß diese Erscheinung so besonders stark hervortritt hier, wo der Sorghumbau aufhört und wo hauptsächlich die Frau die Farmwirtschaft in Händen hat. Hierin gerade liegt der Grund, weshalb diese Muntschi den



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Westafrikanern kulturell so nahestehen und sich trotz der Nähe der Äthiopen stark abgewandelt haben.

Die Muntschi sind deswegen als ein Typus aufzufassen, der in der Mitte der Entwicklung und Beziehung zwischen äthiopischen Sudanvölkern und zwischen atlantischen und nigritischen Stämmen Westafrikas steht, und in dieser Mittelstellung sollen sie uns hier eben ein Gegenstand der Beobachtung sein, der uns gerade die ursprüngliche Geschlossenheit und innere Selbstverständlichkeit der Äthiopen noch schärfer auffallend machen muß.


Copyright: arpa, 2015.

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