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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

36. Spinne gewinnt Frauen

Ein Uro hatte zwei Töchter. Er wußte ihre Namen und die Mädchen selbst kannten ihre Namen; sonst kannte aber niemand die Namen der beiden Mädchen. Als die beiden Töchter des Uro heiratsfähig waren, rief der Häuptling alle seine Leute zusammen und sagte: "Meine beiden Töchter sind erwachsen. Ich will sie dem zur Frau geben, der ihre Namen kennt. Kann mir jemand die Namen der beiden Mädchen nennen?" Die Leute sagten: "Wir kennen die Namen der Mädchen nicht." Der Häuptling sagte: "Ich gebe die Mädchen nur dem zur Frau, der mir ihre Namen nennen kann!" Die Leute gingen auseinander.

Spinne hatte das auch gehört. Spinne ging dahin, wo die Mädchen am Brunnen Wasser schöpften. Spinne kletterte auf einen großen Baum, der über der Wasserstelle hing. Spinne versteckte sich im Laubwerk der Aste.

Nach einiger Zeit kam eines der beiden Mädchen mit dem Wassertopf, um zu schöpfen. Die andere kam hinter ihr her. Als das erste Mädchen sich niederbeugte, um zu schöpfen, warf Spinne ein mit Seide übersponnenes Blatt herunter. Das Mädchen sah das Blatt herunterfallen. Das Mädchen fischte das Blatt auf und rief: "Tindia, was ist denn das ?" Das zweite Mädchen kam heran. Beide betrachteten das Blatt. Danach beugte sich die zweite Tochter des Häuptlings über das Wasser. Die erste war schon auf dem Rückwege in das Dorf. Da warf Spinne noch ein mit Seide übersponnenes Blatt herunter. Das Mädchen sah das Blatt herunterfallen. Das Mädchen fischte das Blatt auf und rief der vorangegangenen Schwester nach: "Anakosse, sieh nur! Ich habe auch ein solches Blatt gefunden wie du." Sie hob den Topf auf. Sie ging dann der



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Schwester nach. Beide Mädchen betrachteten das Blatt auf dem Heimwege.

Als die beiden Mädchen mit ihren Wasserkrügen fortgegangen waren, stieg Spinne von seinem Baume herab. Spinne ging auch in die Stadt. Spinne ging zum Häuptling und sagte: "Rufe alle deine Leute zusammen!" Der Häuptling rief alle seine Leute zusammen. Sie kamen. Als alle Leute da waren, sagte Spinne: "Du willst deine Töchter dem geben, der ihre Namen sagen kann. Ist es nicht so?" Der Häuptling sagte: "Ja, das will ich tun!" Spinne sang: "Tindia, Anakosse, Tindiaaaaa! Tindia, Anakosse, Tindiaaaaa!" Als der Häuptling das hörte, sagte er: "Es ist richtig; du sollst meine beiden Töchter zu Frauen erhalten!" Der Uro gab Spinne seine beiden Töchter.

Spinne nahm die beiden Töchter des Uro. Er führte sie in sein Haus. Er heiratete sie. Er beschlief sie. Die beiden Frauen wurden schwanger. Die Frauen gebaren Kinder. Spinne tat das, was die Spinnen immer mit ihren Kindern machen: er nahm sie auf den Arm und wiegte sie. Spinne sagte ihnen: "Der Häuptling wollte seine Töchter nur dem zur Frau geben, der ihre Namen kenne. Niemand kannte sie. Ich stieg heimlich auf einen Baum über dem Wasser und warf ihnen Blätter, die mit Seide besponnen waren, herab. Die beiden Mädchen glaubten sich allein. Die Mädchen riefen sich beim Namen, um sich die Blätter gegenseitig zu zeigen. So hörte ich ihre Namen. Ich ging zum Häuptling. Ich nannte ihm die Namen seiner Töchter. Ich bekam seine Töchter zu Frauen. Ich heiratete sie. Sie gebaren mir meine Kinder!"

Tindia und Anakosse hörten, wie Spinne das den Kindern erzählte. Tindia und Anakosse liefen zu ihrem Vater und sagten: "Spinne hat dich betrogen! Du wolltest deine Töchter nur dem zur Frau geben, der ihre Namen kannte. Niemand kannte sie. Spinne stieg heimlich auf einen Baum über dem Wasser und warf uns Blätter, die mit Seide besponnen waren, herab. Wir glaubten uns allein. Wir riefen uns beim Namen, um uns gegenseitig die Blätter zu zeigen. So hörte Spinne unsere Namen. Spinne ging zu dir. Spinne nannte dir unsere Namen. Du gabst uns Spinne zu Frauen. Spinne heiratete uns. Wir gebaren ihm seine Kinder!"

Als der Uro das hörte, rief er alle seine Leute zusammen. Die Leute kamen. Der Häuptling sagte zu seinen Leuten: "Spinne hat mich betrogen." (Der Erzähler wiederholt alles nochmals in direkter Rede.) Dann nahm der Uro Spinne seine beiden Töchter fort. Spinne ward von den Leuten arg geprügelt.



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Seitdem kommt es vor, daß ein Kind drei oder vier Tage nach der Geburt krank wird. Das macht Spinne. Dann sagte der Teu: "Geh' und suche in deinem Hause die Spinnen und tue sie in Wasser und wasche dein Kind damit!" Auch hängt man wohl die Spinne den Kindern an einem Bande um den Hals, wenn die Nahrung nicht ansetzen will (wenn sie nicht dick werden).


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