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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM MÜLLER UND SEINEM WEIBE

Es war einmal ein Mann, der eine Mühle besaß und einen Esel dazu, der ihm die Mühle drehte. Er hatte aber auch ein böses Weib; die liebte er, während sie ihn verabscheute. Sie liebte dagegen einen ihrer Nachbarn; doch der haßte sie und hielt sich fern von ihr. Nun sah ihr Gatte einst im Traume eine Gestalt, die zu ihm sprach: ,Grab an der und der Stelle im Geleise des Esels bei der Mühle; so wirst du einen Schatz finden!' Als er aus dem Schlafe erwachte, erzählte er seiner Frau, was er geträumt hatte, und hieß sie das Geheimnis bewahren; sie aber verriet es ihrem Nachbarn - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 388. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau des Millers ihrem Nachbarn, den sie liebte, das Geheimnis verriet, um seine Gunst zu gewinnen. Er verabredete darauf mit ihr, daß er bei Nacht zu ihr kommen wolle. Als er nun im Dunkel zu ihr gekommen war, grub er in dem Geleise bei der Mühle



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nach, und sie fanden den Schatz wirklich und holten ihn heraus. Da fragte der Nachbar: ,Was sollen wir damit anfangen?' Sie erwiderte: ,Wir wollen ihn in zwei gleiche Hälften teilen; dann trenne du dich von deiner Frau, und ich werde ein Mittel finden, wie ich von meinem Manne befreit werde. Danach sollst du dich mit mir vermählen; und wenn wir verbunden sind, haben wir das ganze Geld' beieinander, und alles ist in unserer Hand.' Doch er sprach zu ihr: ,Ich fürchte, Satan wird dich verführen, daß du einen anderen Mann nimmst als mich; denn Gold im Hause ist wie die Sonne in der Welt. Ich halte es für das Richtige, daß alles Geld bei mir bleibt, auf daß du mit allem Eifer danach trachtest, von deinem Manne befreit zu werden und zu mir zu kommen.' Darauf gab sie ihm zur Antwort: ,Ich fürchte eben dasselbe, das du befürchtest; darum will ich dir meinen Anteil an diesem Gelde nicht geben. Denn ich bin es doch, die dir dazu verholfen hat.' Als er diese Worte von ihr vernahm, reizte die Habgier ihn dazu, sie zu töten; da ermordete er sie und warf ihren Leichnam in die Schatzgrube. Aber das Tageslicht überraschte ihn und ließ ihm nicht mehr Zeit, sie ganz zu verbergen; so nahm er rasch das Geld fort und ging davon. Nun wachte der Müller aus seinem Schlafe auf; und als er seine Frau nicht fand, ging er in die Mühle, spannte den Esel an den Querbaum und trieb ihn mit lautem Rufen an. Der Esel tat einige Schritte und blieb dann stehen. Darauf schlug der Müller heftig auf ihn ein; aber so sehr er ihn auch peitschte, der Esel wich nur noch mehr zurück, da er vor dem Leichnam der Frau scheute und nicht vorwärts zu gehen vermochte. Bei alledem merkte der Müller nicht, aus welchem Grunde der Esel stehen blieb, und so nahm er denn ein Messer und versetzte ihm damit viele Stiche; dennoch rührte das Tier sich nicht vom Fleck. Da wurde der Müller so



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wütend, daß er ihm das Messer in die Weichen stieß. Nun fiel der Esel tot nieder. Als es aber heller Tag wurde, entdeckte der Müller, daß vor seinem toten Esel seine tote Frau lag, die er in der Grube des Schatzes fand. Da entbrannte er in heißem Zorne, weil der Schatz ihm entgangen war und weil er seine Frau und den Esel verloren hatte; und tiefe Trauer kam über ihn. All das geschah nur deshalb, weil er seinem Weibe sein Geheimnis verraten und es nicht für sich behalten hatte.

Ferner wird erzählt


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