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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

21. Die ungetreue Frau

Ein Mann heiratete. Der Mann war eifersüchtig. Damit die Frau nun mit keinem andern Manne zusammenkommen könne, zog er mit seiner jungen Frau aus dem Dorfe fort und baute sich eine Hütte im Walde. Er wohnte nun mit ihr so, daß kein Mensch in die Umgebung ihres Gehöftes kam. Der Mann sagte (zu sich): "Nun bin ich sicher, daß kein anderer Mann mit meiner Frau schläft."

Die Frau ging jeden Morgen von dem Gehöft zum Flußufer herab, schöpfte Wasser und trug das Wasser heim. Als sie eines Tages Wasser schöpfte, sah sie Do (die Schlange; Plural: Doni. Do ist auch ein Mann). Die Frau sah Do und sagte zu ihm: "Wohnst du hier?"Do sagte: "Ja, ich wohne hier nebenan, zwischen den Felsen." Die Frau sagte: "Zeige es mir!" Do führte die Frau in seine Wohnung. Die Frau sagte: "Du hast hier dein Lager?" Do sagte: "Ja, hier schlafe ich." Die Frau sagte: "Ich muß mich einmal hinlegen, um zu sehen, ob das Lager angenehm ist." Die Frau legte sich hin. Die Frau sagte: "Das Lager ist angenehm."

Die Frau sagte zu Do: "Komm, beschlafe mich einmal!" Do sagte: "Nein, das darf ich nicht, denn dein Mann ist sehr eifersüchtig. Er ist deswegen schon aus dem Dorfe in den Wald gezogen, damit du mit keinem andern Mann zusammenkommen kannst." Die Frau sagte: "Mein Mann kann nicht wissen, was hier unten am Flusse vorgeht." Do sagte: "Nein, laß es, es ist nicht gut!" Die Frau sagte: "Beschlafe mich!" Endlich beschlief Do die Frau.

Am andern Tage ging die Frau wieder zum Fluß herab, um Wasser zu holen. Sie rief Do. Do kam. Die Frau überredete Do, wieder mit ihr zu schlafen. Do tat es zuletzt. Die Frau ging alle Tage zum Wasser, rief jeden Tag den Do, überredete ihn und ließ sich von ihm beschlafen. Do wollte nicht. Aber die Frau überredete ihn immer wieder.

Eines Tages kam eine alte Frau. Sie ging hinter der Frau her. Sie hörte, wie die junge Frau den Do rief. Sie sah, wie Do kam. Sie sah, wie Do die Frau beschlief. Die alte Frau schlich sich unbemerkt wieder fort. Sie ging zu dem Manne der jungen Frau und sagte zu ihm: "Deine Frau läßt sich morgens von Do am Flußufer beschlafen." Der Jäger sagte: "Das ist nicht möglich. Meine Frau ist eine ordentliche Frau. Sie schläft nicht mit andern Männern." Die Alte sagte: "Wenn du es nicht glauben willst, so komm mit mir; ich will dich morgen früh hinführen und du kannst die



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Sache selbst sehen." Der Jäger sagte: "Es ist gut; du kannst es mir morgen früh zeigen."

Am andern Morgen ging die junge Frau herab, um am Flusse Wasser zu schöpfen. Die alte Frau und der Jäger folgten ihr unbemerkt in einiger Entfernung. Die junge Frau kam an das Flußufer, sie setzte ihr Wassergefäß hin und rief den Do. Do kam. Dann überredete die junge Frau den Do, mit ihr zu schlafen. Do beschlief die junge Frau.

Die alte Frau und der Jäger sahen es von ihrem Versteck aus. Der Jäger hob den Bogen und wollte schießen. Die alte Frau sagte: "Mach es nicht so. Töte nicht die junge Frau. Komm nun mit mir zurück." Die alte Frau führte den Jäger zu seinem Gehöfte zurück. — Als die junge Frau nach Hause kam, sah der Jäger sie an. Sie begann zu weinen und weinte den ganzen Tag.

Am andern Tage blieb die junge Frau daheim. Der Jäger ging zum Flusse herab. Unten angekommen, rief er Do. Do glaubte, die junge Frau rufe ihn. Do kam heraus. Der Jäger zog einen Pfeil heraus und tötete Do. Dann zerschnitt der Jäger die Schlange in Stücke. Die Stücke tat er in einen Korb und legte den Penis des Do oben auf.

Der Jäger rief seine Frau und sagte: "Trage diesen Korb hinauf!" Die Frau kam. Sie sah den toten Do. Sie begann zu weinen. Sie sagte: "Das kann ich nicht tragen." Der Jäger ergriff einen Stock und sagte: "Du trägst!" Darauf trug die Frau den zerhackten Do in das Gehöft.

Der Jäger sagte zu seiner Frau: "Setze Wasser auf und koche dies Fleisch!" Die Frau sah den toten Do an, weinte und sagte: "Das Fleisch kann ich nicht kochen." Der Jäger ergiff einen Stock und sagte: "Du kochst!" Darauf tat die Frau den zerhackten Do in einen Kochtopf und kochte ihn, bis er gar war.

Der Jäger sagte zu seiner Frau: "Das Fleisch ist bereitet. Nun iß das Fleisch!" Die Frau sah den gekochten Do, weinte und sagte: "Das Fleisch kann ich nicht essen." Der Jäger ergriff einen Stock und sagte: "Du ißt!" Die Frau sagte: "Ich kann nicht!" Der Jäger hob den Stock und sagte: "Du ißt!" Darauf aß die Frau den gekochten Do. Nur der Penis war noch übrig.

Der Jäger sagte zu seiner Frau: "Jetzt ist das beste Stück im Kochtopf. Du wirst auch das noch essen." Die Frau sah den Penis an, warf sich auf die Erde und weinte sehr. Sie sagte: "Das kann ich nicht! Das kann ich nicht!" Der Jäger nahm den Penis aus



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dem Kochtopf, hielt ihn der Frau hin und sagte: "Du ißt." Die Frau schluchzte und sagte: "Das kann ich nicht! Das kann ich nicht!"Der Jäger sagte: "Du ißt!" Die Frau schluchzte und sagte: "Das kann ich nicht! Das kann ich nicht!" — Darauf stopfte der Jäger seiner jungen Frau den Penis Dos in den Mund und zwang sie, ihn zu kauen und herunterzuschlucken.

Wenn ein Mann nicht sieht, daß eine Frau mit einem andern Manne schläft, so weiß er es eben nicht. (Diese leichtsinnige Sentenz scheint mir so wenig am Platze, daß sie hier kaum allgemein volkstümlich und zugehörig sein kann.)


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