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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

20. Der Schlangenmann

Eine Frau hatte eine Tochter. Die Tochter wuchs heran. Die Tochter war reif zum heiraten. Es kamen Männer und wollten das Mädchen heiraten. Das Mädchen aber nahm sie nicht an. Es kamen reiche Leute, die wollten es heiraten; das Mädchen wies sie zurück. Es kamen Häuptlinge, die wollten es heiraten; das Mädchen wies sie zurück. Dem Mädchen war kein Mann gut genug.

Das hörte Do (die Wasserschlange; Plural: Doni). Do machte sich auf den Weg. Do kam an einem Dorfe vorbei. Er ging hinein und lieh sich Kleider. Er zog die Kleider an und machte sich auf den Weg.

Er kam in das Dorf des Mädchens, dem kein Mann gut genug war. Als der Mann kam, verliebte sich das Mädchen in ihn. Das Mädchen sagte: "Den Mann will ich heiraten." Die Mutter sagte: "Keiner kennt den fremden Menschen. Du hast reiche und vornehme Männer nicht heiraten wollen. Und diesen unbekannten Mann willst du nun heiraten?" Das Mädchen sagte: "Ja, den Mann will ich heiraten." Die Mutter fragte nochmals: "Du willst diesen unbekannten Mann heiraten?" Das Mädchen sagte: "Ja, den will ich heiraten."Die Mutter fragte nochmals: Diesem unbekannten Manne willst du folgen?" Das Mädchen sagte: "Ja, den will ich heiraten." — Das Mädchen schlief noch am gleichen Abend bei dem Manne.

Am andern Morgen sagte der Mann zu seiner jungen Frau: "Komm! Wir wollen in mein Dorf gehen!" Die junge Frau sagte: "Warte noch ein wenig." Sie blieben noch einen Tag lang da. Am andern Tage sagte der junge Mann wieder: "Komm, wir wollen in mein Dorf gehen!" Der Mann bestand darauf. Die junge Frau



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nahm von ihrer Mutter Abschied. Die Mutter sagte: "Nimm deinen kleinen Bruder mit." Der kleine Bruder begleitete den Mann und seine Frau.

Der Mann und die junge Frau und deren kleiner Bruder gingen ein gutes Stück weit. Dann kamen sie an das Dorf, in dem der Mann seine Kleider geliehen hatte. Er sagte: "Wartet hier einen Augenblick. Ich will nur schnell einmal in das Dorf gehen." Die junge Frau wartete mit dem kleinen Bruder. Der Mann ging in das Dorf, gab die Kleider zurück und war nun wieder Do. Do kam zurück und sagte zu seiner jungen Frau: "Nun komm!" Die junge Frau sagte: "Was willst du? Ich bin nicht deine Frau!" Do sagte: "Doch, du bist meine Frau. Ich habe dich geheiratet." Die junge Frau sagte: "Nein, der Mann, den ich geheiratet habe, sah anders aus." Der Mann sagte: "Rede nicht lange! Ich bin dein Mann! Nun weiter!" Die junge Frau und ihr kleiner Bruder mußten weiterfolgen.

Do ging voran unter das Wasser. Im Wasser führte er sie in sein Haus. Er schlief wieder mit ihr. Die Frau ward schwanger. Do ging alle Tage mit Pfeil und Bogen fort. Er kam alle Abende wieder. Er war ein Jäger und brachte alle Tage Fleisch mit nach Hause. Nach einiger Zeit gebar die Frau ein Kind. Do band dem Kinde Schellen um den Arm.

Eines Tages traf die junge Mutter beim Ausgehen das Tier Gurunguru (Plural: Gurungurua; es ist das wohl das Erdferkel). Die junge Frau fragte: "Glaubst du wohl, daß du mir helfen kannst, wenn ich meinem Manne entfliehen und nach Hause zurückkehren will?" Gurunguru sagte: "Ich werde es sogleich anfangen. Ich will einen Gang graben, der unter der Erde hin zu deiner Mutter führt." Die junge Frau sagte: "Es ist gut." Gurunguru begann sogleich zu graben.

Eines Tages sagten die andern Schlangen zu Do: "Wir riechen Menschenfleisch. Es müssen Menschen hier sein!" (Also war die junge Frau mit dem jungen Bruder bis dahin wohl den andern Schlangen verborgen gehalten worden.) Als die junge Frau das hörte, floh sie mit ihrem jungen Bruder und mit ihrem Kinde durch den Kanal, den Gurunguru gebaut hatte. So kam sie wieder bei ihrer Mutter an.

Seitdem essen viele Leute Gurunguru nicht, weil Gurunguru die junge Frau gerettet hat.


Copyright: arpa, 2015.

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