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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

17. Lügen

Ein Mann nahm eine Kuh, zog ihr einen Strick um die Hörner und ging mit dem Strick in der Hand fort. Er zog die Kuli immer hinter sich her. Der Mann sagte: "Die Kuh will ich dein schenken, der mir etwas ganz Besonderes vorlügen kann!" Der Mann zog mit seiner Kuh überall herum. Er sagte überall: "Die Kuh will ich dem schenken, der mir etwas Besonderes vorlügen kann!"

Nach einiger Zeit kam der Mann mit seiner Kuh zu einem Hause, aus dem ein junger Mann trat. Der Mann, der die Kuh führte, sagte zu dem jungen Mann: "Bringe mir doch etwas Wasser, daß ich trinken kann." Der junge Mann sagte: "Ich will es tun, so schnell ich kann." Dann ging der junge Mann wieder in das Haus zurück. Der Mann mit der Kuh wartete auf das Wasser. Er stand mit seiner Kuh vor dem Hause und wartete. Er wartete sehr lange Zeit. Endlich kam der junge Mann heraus und brachte ihm Wasser zum trinken.

Der Mann mit der Kuh sagte: "Du sagtest mir: Ich will dir das Wasser bringen, so schnell ich kann. Es hat aber sehr lange gedauert." Der junge Mann sagte: "Ich habe es auch so schnell getan, als ich konnte. Es war aber sehr schwierig. Mein Vater hat nämlich zwei Frauen. Die eine davon ist meine Mutter. Die beiden Frauen haben die schlechte Angewohnheit, das Wasser, das sie vom Bache heraufholen, in ein und denselben Wassertopf zu gießen. Dadurch wird es vermengt. Ich habe doch nun kein Recht, von dem Wasser der andern Frau zu nehmen, die nicht meine Mutter ist. Daher mußte ich das Wasser der andern Frau erst herauslesen, ehe ich von dem Wasser meiner Mutter schöpfen



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konnte. Und das war schwierig. Deshalb hat es so lange gedauert."

Der Mann mit der Kuh sagte: "Du kannst so gut lügen, wie ich noch keinen Menschen habe lügen gehört. Du sollst die Kuh haben." Damit gab er dem jungen Menschen die Kuh als Geschenk und ging nach Hause. Der junge Mann ging mit seiner Kuh zu dem Häuptling und sagte: "Ich habe eine Kuh als Geschenk erhalten. Ich werde die Kuh zu deiner Herde tun. Ich hoffe, daß sie mir bald ein Kalb wirft." Der Häuptling sagte: "Das werden wir sehen." Nach einiger Zeit besah der junge Mann die Herde und da er sah, daß seine Kuh ein Kalb hatte. Er ging zum Häuptling und sagte: "Meine Kuh hat ja ein Kalb geworfen." Der Häuptling sagte: "Nein, das ist nicht so. Das Kalb hat mein Ochse geworfen." Der junge Mann sagte: "Ach so! —Nun, dann ist es gut!" Der junge Mann ging.

Nach einiger Zeit begann der junge Mann mit einem Male mitten in der Nacht in einem Mörser, der hinter der Wohnung des Häuptlings stand, zu stampfen. Der Häuptling fuhr empor, rief seine Leute und ging hinaus. Er sagte: "Wir wollen doch sehen, was da los ist!" Er ging zu der Stelle, an der der junge Mann in einem Mörser stampfte, und fragte ihn: "Was machst du denn mitten in der Nacht? Du hast mich und alle meine Leute geweckt." Der junge Mann sagte: "Es macht nichts, wenn das alle deine Leute hören. Mein Vater hat nämlich ein Kind zur Welt gebracht und deshalb bitte ich dich, den Häuptling, um ein Geschenk." Der Häuptling sagte: "Was ist das für ein Unsinn. Männer bringen keine Kinder zur Welt. Das tun nur Frauen!" Der junge Mann sagte: "Du sagtest mir doch aber: dein Ochse habe das Kalb zur Welt gebracht und nicht meine Kuh. — Natürlich wird es so sein. Aber was dein Ochse kann, das kann mein Vater auch!" Der Häuptling sagte: "Du hast recht; ich werde dir dein Kalb geben." Am andern Tage gab der Häuptling dem jungen Mann sein Kalb.

Deshalb gehört ein Kind dem Manne, mit dem die Mutter zuerst geschlafen hat, und nicht dem, mit dem sie schlief, nachdem sie schon geschwängert war.

(Die Sentenz ist nicht ganz am Platze. Aber der Sinn ist genau wiedergegeben.)


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