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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES VERSTEINERTEN PRINZEN

Wisse, hoher Herr, mein Vater war der König dieser Stadt; er hieß Mahmud, Herr der Schwarzen Inseln, und sein Reich war im Gebiet dieser vier Hügel. Er herrschte siebzig Jahre; und als er dann zu Allahs Gnade einging, wurde ich Sultan an seiner Statt. Ich vermählte mich mit meiner Base, und sie liebte mich so gewaltig, daß sie, wenn ich ihr fern war, nicht aß und nicht trank, bis sie mich wieder bei sich sah. Fünf Jahre lang lebten wir in dieser innigen Gemeinschaft. Da, eines Tages,



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ging sie zum Badehaus; und ich hieß den Koch sich daran machen, für uns das Nachtmahl zu bereiten. Dann trat ich in diesen Palast und legte mich dort nieder, wo ich zu schlafen gewohnt war, indem ich zwei Mädchen befahl, mich zu fächeln; die eine hieß ich mir zu Häupten, die andere zu meinen Füßen sitzen. Aber ich war besorgt wegen der Abwesenheit meines Weibes, und der Schlaf kam nicht zu mir; zwar waren meine Augen geschlossen, aber mein Geist war wach. Da hörte ich die Sklavin zu meinen Häupten zu der, die zu meinen Füßen saß, sagen: ,O Mas'ûda, es ist ein Jammer um unseren Herrn und ein Jammer um seine Jugend! Wie traurig ergeht es ihm mit unserer elenden Herrin, der Metze!' Und die andere erwiderte ihr: ,Ja, wahrlich; Allah verfluche alle treulosen und ehebrecherischen Weiber! Aber ein Mann wie unser Herr in seiner Jugend ist doch wirklich viel zu gut für diese Metze, die jede Nacht draußen schläft. 'Da sprach die zu meinen Häupten: ,Unser Herr ist doch stumm, wie einer, dem man einen Zaubertrank eingegeben hat, daß er sie nicht zur Rede stellt!' und die andere: ,Schäme dich! Weiß unser Herr etwas davon, oder verläßt sie ihn mit seinem Willen? Ja, mischt sie ihm nicht jeden Abend den Trank, den sie ihm vor dem Schlafengehen zu trinken gibt, und tut das einschläfernde Bilsenkraut hinein? So schläft er ein und weiß nicht, was geschieht, noch erfährt er, wohin sie geht und ihre Schritte lenkt. Wenn sie ihm nun den Wein mit dem Schlaftrunk gereicht hat, legt sie ihre Gewänder an, besprengt sich mit Wohlgerüchen und verläßt ihn und bleibt bis zum Anbruch des Tages fort; dann aber kommt sie zu ihm und brennt unter seiner Nase etwas Räucherwerk ab, und er erwacht aus seinem Schlafe.' Als ich das Gespräch der Mädchen gehört hatte, wurde das Licht vor meinen Augen zur Finsternis, und ich konnte kaum warten, bis die Nacht anbrach.



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Sobald meine Base zurückkam aus dem Badehause, breiteten wir das Tischtuch aus und aßen; darauf saßen wir noch eine Weile beisammen und unterhielten uns, so wie wir es gewohnt waren. Dann rief sie nach dem Wein, den ich vor dem Schlafengehen zu trinken pflegte, und reichte mir den Becher; ich leerte ihn und tat, als tränke ich ihn wie gewöhnlich, aber ich goß ihn aus in die Tasche auf meiner Brust; im selben Augenblick legte ich mich nieder und stellte mich, als ob ich schliefe. Und siehe, sie rief: ,Schlaf durch die Nacht und steh nie wieder auf! Bei Allah, ich verabscheue dich, und ich verabscheue deine Gestalt, und meine Seele ist der Gemeinschaft mit dir überdrüssig; ich kann den Augenblick nicht mehr erwarten, da Allah dein Leben hinwegrafft.' Dann ging sie hin und legte ihre schönsten Kleider an, beräucherte sich mit Wohlgerüchen, nahm mein Schwert und gürtete sich damit; und sie öffnete die Tore des Palastes und ging hinaus. Ich aber stand auf und folgte ihr, wie sie den Palast verließ und durch die Straßen der Stadt zog, bis sie beim Stadttor anlangte. Dort sprach sie Worte, die ich nicht verstand; die Riegel fielen nieder, und das Tor tat sich auf. Sie ging hinaus, während ich ihr folgte, ohne daß sie es merkte, bis sie schließlich bei den Schutthügeln anlangte und zu einem Rohrzaun kam, indem sich eine runde Hütte befand, aus Lehmziegeln gebaut und mit einer kleinen Tür versehen. Sie trat ein, ich aber stieg auf das Dach der Hütte und schaute ins Innere. Und siehe, meine Base war zu einem schwarzen Sklaven getreten, dessen eine Lippe wie ein Topfdeckel und dessen andere Lippe wie eine Schuhsohle war; ja, seine Lippe war so lang, daß er mit ihr den Sand vom Kiesflur der Hütte hätte auflesen können. Er war aussätzig und lag auf einer Streu vom Abfall des Zuckerrohrs, gehüllt in ein altes Laken und in Lumpen und Fetzen. Sie küßte den Boden vor ihm; da wandte



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jener Sklave seinen Kopf zu ihr und sprach: ,Ha, du! Sag, warum bist du bis jetzt ausgebliebene Hier sind ein paar meiner schwarzen Vettern bei mir gewesen, die haben ihren Wein getrunken, und jeder hatte seine Geliebte da; ich aber mochte um deinetwillen nicht trinken.' Doch sie rief: ,Mein Herr und Geliebter, du Freude meiner Augen, weißt du nicht, daß ich meinem Vetter vermählt bin, dessen Gestalt ich verabscheue und dessen Gesellschaft ich hassel Und fürchtete ich nicht um deinetwillen, ich ließe die Sonne nicht wieder ausgehn, bevor ich nicht diese Stadt in einen Trümmerhaufen verwandelt hätte, darinnen Eule und Rabe schreien und Füchse und Schakale hausen; ja, ihre Steine selbst hätte ich schon hinter den Berg Kaf geschafft.' Da schrie der Sklave: ,Du lügst, Verfluchte! Nun schwöre ich einen Eid bei der Ehre der Mohren und glaube nicht, unser Ehrgefühl sei so gering wie das Ehrgefühl der Weißen! —, wenn du von heute an noch einmal bis zu dieser Zeit ausbleibst, so will ich nicht mehr mit dir Gesellschaft pflegen, noch will ich meinen Leib an deinen kleben, du Verfluchte! Du spielst mit mir Scherbenwerfen; bin ich nur für deine Laune da? O du stinkende Hündin! Du Gemeinste der Weißen!' Als ich diese Worte von ihm hörte, und sah und schaute und vernahm, was zwischen beiden vorging, da ward die Welt dunkel vor meinen Augen, und ich wußte selber nicht, wo ich war. Aber meine Base stand weinend und demütig vor dem Sklaven und rief: ,O mein Geliebter, Frucht meines Herzens, wenn du mir zürnst, wer wird mich dann zu sich nehmen? Und wenn du mich verstößest, wer wird mir dann eine Zuflucht gewähren, o mein Geliebter, o du Licht meiner Augen?' Und sie hörte nicht auf zu weinen und sich vor ihm zu erniedrigen, bis er sich mit ihr versöhnte. Da wurde sie froh, stand auf, legte ihre Gewänder ab, selbst ihre Beinkleider, und sprach:



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,O mein Herr, hast du nicht etwas für deine Sklavin zu essend' ,Nimm den Deckel vom Becken', brummte er, ,darin sind die Knochen von gekochten Mäusen, die iß; und dann geh zudem Tonkrug da, drin ist ein Bierrest, den trinke!' Sie aß nun und trank, wusch sich dann die Hände und den Mund und ging und legte sich neben dem Sklaven auf die Streu aus Zuckerrohr; und sie entblößte sich ganz und kroch zu ihm hinein in das schmutzige Laken und unter die Lumpen. Als ich aber mein Weib, meine Base, also tun sah, da verlor ich fast die Besinnung; ich stieg hinab vom Dach der Hütte, ging hinein und nahm das Schwert, das meine Base mitgebracht hatte, zückte es und wollte sie beide erschlagen. Zuerst führte ich einen Hieb nach dem Nacken des Sklaven und glaubte, daß es um ihn geschehen sei!' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 8. Nacht anbrach, fuhr sie fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der verzauberte Jüngling dem König erzählte: ,Als ich den Sklaven mit dem Schwerte getroffen hatte, um ihm den Kopf abzuschlagen, da hatte ich ihm nicht die beiden Schlagadern durchschnitten, sondern nur die Luftröhre und die Haut und das Fleisch. Ich vermeinte aber, ich hätte ihn getötet, und er röchelte schwer. Da regte sich meine Base; ich trat zurück, stieß das Schwert wieder in die Scheide, ging in die Stadt und trat in den Palast ein und schlief auf meinem Lager bis zum Morgen. Da kam mein Weib und weckte mich; und siehe, sie hatte sich das Haar abgeschnitten und Trauerkleidung angelegt. Und sie sprach: ,O mein Gemahl, tadle mich nicht um das, was ich tue! Mir ist soeben berichtet worden, daß meine Mutter entschlafen ist, daß mein Vater im heiligen Kriege gefallen, und einer meiner Brüder an einem Schlangenbiß gestorben ist, der andere aber sein Leben durch



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einen Absturz verloren hat. Darum geziemt es sich für mich, daß ich weine und traure.' Und als ich ihre Worte hörte, ließ ich sie gewähren, indem ich sprach: ,Tu, wie du willst! Ich werde dich nicht hindern.' So saß sie trauernd und weinend und klagend ein ganzes Jahr lang von Anfang bis zu Ende; und nach dem Ablauf des Jahres sagte sie zu mir: ,Ich möchte mir in deinem Palast ein Grab bauen, mit einer Kuppel, das will ich allein für die Trauer bestimmen, und ich will es das Haus der Klagen nennen.' Ich sprach wieder: ,Tu, wie du willst!' Und sie baute sich ein Haus für die Trauer; über die Mitte setzte sie eine Kuppel, und darunter im Erdboden ließ sie eine Grabkammer herrichten. Dann ließ sie den Sklaven herbeischaffen und dort wohnen; aber er war nicht mehr imstande, ihr zu Diensten zu sein; er trank nur noch Wein und sprach seit dem Tage, an dem ich ihn verwundet hatte, kein Wort mehr und lebte doch weiter, weil seine bestimmte Stunde noch nicht gekommen war. Tag für Tag ging mein Weib am Morgen und am Abend zu dem Mausoleum, weinte und klagte über ihn, und gab ihm Wein und Brühen, morgens und abends, und ließ davon ein zweites Jahr hindurch nicht ab; und ich ertrug das voll Langmut und achtete ihrer nicht. Doch eines Tages trat ich unversehens bei ihr ein; und ich fand sie weinend, und hörte sie rufen: ,Weshalb hast du dich meinem Blicke entzogen, o meines Herzens Wonne? Sprich zu mir, o mein Leben; rede mit mir, o mein Geliebter!' Und sie sprach die Verse:

Voll Ungeduld bin ich nach deiner Liebe: vergißt du mich,
So liebt doch mein Herz und mein ganzes Innre keinen als dich.
Nimm meinen Leib und meine Seele, wohin du nur eilst;
Begrabe mich neben der Stätte, wo du anhältst und weilst.
Ruf meinen Namen über mein Grab, so antwortet dir
Ein Seufzer meines Gebeins; es hört dich, rufst du nach mir.



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Und sie sprach weiter unter Tränen:

Der Tag der Sehnsucht ist der Tag, da du vor mir stehst:
Der Tag des Unglücks aber der Tag, da du von mir gehst.
Verbringe ich auch die Nacht in Angst und von Unheil bedroht,
So ist deine Nähe doch süßer als Freisein von aller Not.

Und nochmals begann sie:

Besaß ich auch alle Güter der Welt und dazu der
Perserkönige Reich:
Und könnte mein Auge dein Antlitz nicht schaun -
sie wären dem Flügel der Mücke mir gleich.

Und als sie mit ihren Worten und ihrem Weinen innehielt, sprach ich zu ihr: ,O meine Base, laß dies dein Trauern genügen; denn das Weinen nützt dir nichts!' ,Hindre mich nicht', antwortete sie, ,in dem, was ich tue; denn wenn du mich hinderst, so nehme ich mir das Leben!' Da ließ ich sie gewähren und ihres eigenen Weges gehen; und sie hörte noch ein weiteres Jahr nicht auf zu trauern und zu weinen und zu klagen. Nach Ablauf des dritten Jahres aber, eines Tages, als ich gerade über irgendeine Sache, die mir zugestoßen war, ärgerlich war und mir dies heulende Elend überhaupt schon zu lange gedauert hatte, trat ich ein und fand sie bei der Grabkammer im Mausoleum, und ich hörte sie sagen: ,O mein Herr, ich höre nie ein einziges Wort von dir! Weshalb gibst d mir keine Antwort, o mein Gebieter?' Und sie sprach:

O Grab! O Grab! Schwand denn seine Schönheit jetzt dahin?
Und schwand dein Glanz, der sonst in herrlichem Licht erscheint?
O Grab, du bist doch weder Erde noch Himmel für mich;
Wie kommt's, daß in dir der Mond sich mit der Sonne vereint?

Doch als ich ihre Worte und ihre Verse hörte, häufte sich bei mir Wut auf Wut; und ich rief: ,Wehe! Wie lange soll diese Trauer noch während', und ich sprach:



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O Grab! O Grab! Schwand denn seine Häßlichkeit jetzt dahin?
Und schwand dein Glanz, der sonst in ekligem Lichte erscheint?
O Grab, du bist doch weder Grube noch Kessel jur mich;
Wie kommt's, daß in dir der Ruft sich mit dem Schlamme vereint?

Wie sie jedoch meine Worte hörte, sprang sie auf die Füße und rief: ,Wehe über dich, du Hund, der du mir alles dies angetan hast; du hast den Geliebten meines Herzens verwundet und mir wehgetan, und du hast seine Jugend vernichtet, so daß er schon seit drei Jahren weder tot noch lebendig ist!' Da aber schrie ich sie an: ,O du allergemeinste Dirne, du allerschmutzigste Buhlerin, Geliebte eines Negersklaven, die du dich weggeworfen hast! Jawohl, ich habe es getan!', und indem ich mein Schwert aufgriff, zog ich es und zielte auf sie zu, um sie niederzuschlagen. Aber als sie meine Worte hörte und mich entschlossen sah, sie zu töten, lachte sie und sprach: ,Zurück, Hund, der du bist! Freilich, was vergangen ist, kehrt nicht wieder, und die Toten kommen nicht zurück. Jetzt aber hat Allah den in meine Hand gegeben, der mir all dies antat: eine Tat, die mir das Herz mit einem Feuer brannte, das nicht erlosch, und mit einer Flamme, die sich nicht ersticken ließ!' Dann stand sie auf, sprach ein paar Worte, die ich nicht verstand, und sagte: ,Kraft meiner Zauberkunst werde du halb Stein, halb Mensch!' Darauf wurde ich, so wie du mich siehst, außerstande, aufzustehen und zu sitzen, weder tot noch lebend. Nachdem ich dann so verwandelt war, verzauberte sie die Stadt mit all ihren Straßen und Gärten in einen See. Nun waren in unserer Stadt vier Zünfte: Muslime, Christen, Juden und Feueranbeter; die verzauberte sie in Fische, und die weißen sind die Muslime, die roten die Feueranbeter, die blauen die Christen und die gelben die Juden. Und die vier Inseln verzauberte sie in vier Hügel, die den See umgeben. Seitdem schlägt und geißelt sie



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mich jeden Tag mit hundert Hieben, so daß mein Blut fließt und meine Schultern Striemen haben; und zuletzt bekleidet sie mir die obere Hälfte mit einem härenen Hemd aus Hosentuch wirft dann diese prächtigen Kleider darüber.' Wiederum begann der Jüngling zu weinen, und er sprach diese Verse:

Geduld gebührt deinem Spruche, o Gott, o Schicksal der Welt;
Ich füge mich still darein, wenn es dir so gefällt.
Sie übten Gewalt und Feindschaft an mir und grausamen Hohn;
Aber vielleicht wird einst das Paradies mir zum Lohn.
Ich lebte durch das Geschick, das mir zuteil ward, in Pein;
Doch der reine Prophet, der Gott gefällt, tritt für mich ein.

Nun wandte sich der König dem Jüngling zu und sagte: ,O Jüngling, du hast mir Kummer auf Kummer gehäuft, nachdem du mir eine Sorge genommen hast; aber jetzt, o Prinz, wo ist sie? Und wo ist das Mausoleum, darin der verwundete Sklave liegt?' ,Der Sklave liegt unter jener Kuppel in seiner Grabkammer', sprach der Jüngling, ,und sie sitzt in jenem Zimmer gegenüber. Jeden Tag kommt sie mit Sonnenaufgang zuallererst zu mir und zieht mir meine Kleider aus und schlägt mich mit hundert Peitschenschlägen, und ich weine und schreie; doch ich habe keine Kraft der Bewegung mehr, um sie von mir abzuwehren. Dann, nachdem sie meine Folter beendet hat, bringt sie dem Sklaven Wein und Brühe hinunter und gibt ihm zu trinken. Auch morgen früh wird sie hier sein.' Da sprach der König: ,Bei Allah, o jüngling, ich will gewißlich eine gute Tat an dir tun, die man an mir rühmen und von der man erzählen wird bis zum Ende der Zeiten.' Darauf setzte der König sich neben den Jüngling und unterhielt sich mit ihm bis zum Einbruch der Nacht, und dann schliefen beide. Als aber das Morgengrauen sich zeigte, stand der König auf, und er legte seine Überkleider ab, zog sein Schwert und eilte an den Ort, wo der



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Sklave lag. Da wurde er brennende Kerzen und Lampen gewahr, und den Duft von Weihrauch und Salben; und er ging geradewegs auf den Sklaven zu und hieb ihn mit einem Schlage nieder, der ilm tötete; die Leiche aber hob er auf seinen Rücken und warf sie in einen Brunnen des Schloßhofes. Sofort jedoch kehrte er zurück, zog sich die Kleider des Sklaven an und legte sich in der Grabkammer nieder, das gezückte Schwert längs seiner Seite. Und nach einer Weile kam die verfluchte Hexe; zuerst ging sie zu ihrem Gatten, zog ihm die Kleider ab, nahm eine Geißel und peitschte ihn, bis er aufschrie: ,Ah! Genug sei dir an meinem Zustand, o meine Base! Habe Mitleid mit mir, o meine Base!' Sie aber rief: ,Hattest du Mitleid mit mir und schontest du mir meinen Geliebten?' Und sie schlug ihn, bis sie müde war und das Blut von seinen Seiten floß; dann zog sie ihm das härene Hemd an und darüber das Linnengewand. Darauf ging sie mit einem Becher Weins und einer Schale voll Brühe in der Hand hinab zu dem Sklaven in das Mausoleum. Weinend und klagend rief sie: ,O mein Herr, sprich zu mir! O mein Gebieter, rede mit mir!' Und sie sprach diese Verse:

Wie lange noch diese Hörte und diese Lieblosigkeit?
Hat meiner Tränen Flut dich immer noch nicht erweicht?
Wie lange ziehst du die Trennung denn noch mit Absicht hinaus?
Ist dein Ziel das meines Neiders, so hat er sein Ziel erreicht.

Und wiederum weinte sie und sprach: ,O mein Herr! Sprich zu mir! Rede mit mir.' Und der König dämpfte die Stimme und verrenkte die Zunge und sprach in der Art der Neger und sagte: ,Ach! Ach! Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah, dem Erhabenen, Allmächtigen!' Als sie aber diese Worte vernahm, jauchzte sie auf vor Freude und fiel bewußtlos zu Boden; wie sie dann wieder zur Besinnung



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zurückkam, fragte sie: ,O mein Gebieter, ist dies wahre' Und der König erwiderte mit leiser Stimme: ,O du Teufelsmaid, verdienst du, daß jemand mit dir redet und zu dir spricht?' ,Weshalb das?' versetzte sie; und er erwiderte: ,Das Weshalb ist, daß du den lieben langen Tag deinen Gatten folterst; und er ruft immer um Hilfe, so daß er mir vom Abend bis zum Morgen den Schlaf geraubt hat, und er fleht und verwünscht mich und dich, so daß er mich unruhig gemacht und mir viel geschadet hat. Wäre das nicht, so wäre ich schon gesund, und darum konnte ich dir nicht antworten!' Da rief sie: ,Mit deiner Erlaubnis will ich ihn von dem Zauber, der auf ihm liegt, befreien'; und der König antwortete: ,Befreie ihn und schaffe uns ein wenig Ruhe!' Mit den Worten: ,Ich höre und gehorche' erhob sie sich und ging hinaus aus dem Mausoleum in den Palast; dort nahm sie eine Schale, füllte sie mit Wasser und sprach gewisse Worte darüber, so daß die Schale aufkochte und sprudelte, wie ein Kessel über dem Feuer kocht. Und damit besprengte sie ihren Gatten, indem sie sprach: ,Durch die Kraft dessen, was ich gemurmelt und gesprochen habe, tritt, wenn du so geworden bist durch meinen Zauber und meine Kunst, aus dieser Gestalt hervor und in deine frühere Gestalt zurück.' Und siehe da, der Jüngling schüttelte sich, sprang auf und freute sich seiner Befreiung und rief: ,Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und ich bezeuge, daß Muhammed sein Gesandter ist -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Dann sprach sie zu ihm: ,Geh fort und kehre nie hierher zurück; sonst werde ich dich töten'; das schrie sie ihm ins Gesicht. So ging er vor ihr davon; sie aber kehrte in das Mausoleum zurück, stieg hinunter und sprach: ,O mein Gebieter, komm doch heraus zu mir, daß ich deine schöne Gestalt anschaue!' Da sprach der König mit leisen Worten: ,Was hast



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du getane Du hast mich von dem Ast befreit und willst mich nicht von der Wurzel befreien?' Und sie fragte: ,O mein Geliebter, o mein Negerchen! Welches ist die Wurzel?' Nun sagte er: ,Weh dir, du Teufelsmaid! Die Bewohner dieser Stadt und der vier Inseln sind es! Jede Nacht, um Mitternacht, heben die Fische ihre Köpfe empor und flehen um Hilfe und verwünschen mich und dich; und das ist der Grund, weshalb meinem Leib die Heilung versagt ist. Geh hin und setze sie eilends in Freiheit; dann komm zu mir und nimm meine Hand und richte mich auf, denn ein wenig meiner Kraft ist schon zurückgekehrt.' Und als sie die Worte des Königs hörte, den sie immer noch für den Sklaven hielt, rief sie in Freuden: ,O mein Gebieter, herzlich gern! Im Namen Allahs !' Dann sprang sie auf, und voller Freude lief sie fort und hinaus zu dem See; dort nahm sie ein wenig von seinem Wasser. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 9. Nacht anbrach, sagte sie: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, als das junge Weib, die Zauberin, einiges von dem Wasser des Sees genommen und darüber Worte gesprochen hatte, die man nicht verstehen kann, da sprangen die Fische auf und hoben ihre Köpfe empor und standen im Nu als Menschen da. Denn der Zauber war von den Leuten der Stadt genommen, und die Stadt ward wieder bewohnt; die Händler verkauften und kauften, jedermann ging seinem Berufe nach, und die vier Hügel wurden wieder wie einst vier Inseln. Darauf kam das junge Weib, die Zaubern, sogleich zum König und sprach zu ihm: ,O mein Geliebter, reiche mir deine herrliche Hand und steh auf!' ,Komm näher zu mir!' sprach der König mit verstellter Stimme. Und als sie so nahe herantrat, daß sie ihn berührte, da nahm der König sein Schwert in die Hand und



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stieß es ihr durch die Brust, so daß ihr die Spitze blitzend zum Rücken herausdrang; dann hieb er auf sie emund spaltete ihren Leib, also daß sie in zwei Hälften zu Boden fiel. Danach ging er hinaus und fand den einst verzauberten Jüngling, wie er dastand und seiner harrte; er beglückwünschte ihn zu seiner Errettung, und der Prinz küßte ihm die Hand und dankte ihm. Als der König ihn fragte: ,Willst du hier bleiben in deiner Stadt oder mit mir in meine Stadt ziehen?' sprach der Jüngling: ,O größter König unserer Zeit, weißt du, welche Entfernung zwischen dir und deiner Stadt liegt?' ,Zwei Tagemärsche und ein halber', erwiderte er; doch da rief der Jüngling: ,O König, wenn du schläfst, so erwache! Zwischen dir und deiner Stadt liegt die Reise eines vollen Jahres für einen rüstigen Wandrer, und du wärest nicht in zweieinhalb Tagen hergekommen, wäre die Stadt nicht verzaubert gewesen. Ich aber, o König, will mich nie mehr von dir einen Augenblick trennen.' Da freute sich der König und sprach: ,Dank sei Allah, der mir dich geschenkt hat! Von jetzt an bist du mein Sohn; denn mein Leben lang ward ich mit Nachkommen nicht gesegnet.' Darauf umarmten sie sich und freuten sich inniglich; und dann schritten sie gemeinsam zum Palaste. Dort befahl der König, der verzaubert gewesen war, den Großen seines Reiches, sich zur Reise bereitzuhalten und den Troß und alles Notwendige zu rüsten. Die machten sich an die Ausrüstung zehn Tage lang. Dann brach er auf mit dem Sultan, dessen Herz in Sehnsucht brannte nach seiner Stadt, der er noch so lange fernbleiben sollte. Und sie zogen dahin mit einem Geleit von fünfzig Mamluken und mit kostbaren Geschenken; ohne Aufenthalt reisten sie weiter, Tag und Nacht, ein volles Jahr lang, und Allah gewährte ihnen, daß sie unversehrt bis zur Hauptstadt des Sultans kamen: da entsandten sie Boten und taten dem



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Wesir kund, daß der Sultan unversehrt angekommen sei. Alsbald zog der Wesir ihm mit den Truppen entgegen; sie hatten freilich schon die Hoffnung aufgegeben, den König je wiederzusehen. Nun aber küßten die Truppen vor ihm den Boden und beglückwünschten ihn zu seiner Rettung. Dann zog er ein und nahm Platz auf seinem Thron; der Wesir trat vor ihn hin, und der König tat ihm alles kund, was jenem jungen Fürsten widerfahren war. Als der Wesir das alles vernommen hatte, beglückwünschte er den Fremden zu seiner Rettung. Und als nun alles wieder zur Ruhe gekommen war, da gab der Sultan vielen seiner Untertanen Geschenke und sprach zum Wesir: ,Hole mir den Fischer, der uns damals die Fische gebracht hat.' Der Wesir schickte alsbald nach dem Fischer, der die erste Ursache der Befreiung der Stadt und ihrer Einwohner gewesen war; und als der gekommen war, verlieh ihm der Sultan ein Ehrenkleid und fragte ilm nach seinem Wohlbefinden und ob er Kinder habe. Jener tat ihm kund, daß er zwei Töchter habe und einen Sohn; da schickte der König nach ihnen und nahm die eine der Töchter zur Gemahlin und gab die andere dem jungen Fürsten und machte den Sohn zu seinem Schatzmeister. Dann beauftragte er den Wesir und entsandte ihn als Sultan zu der Stadt des jungen Prinzen, die auf den Schwarzen Inseln lag, und sandte mit ihm die fünfzig Mamluken, die von dort mitgekommen waren, und gab ihm Ehrenkleider für alle Emire. Der Wesir küßte ihm die Hände, machte sich auf und zog alsbald dorthin, während der Sultan und der junge Fürst daheim blieben. Der Fischer aber wurde der reichste Mann seiner Zeit, und seine Töchter lebten als Gemahlinnen der Könige, bis der Tod zu ihnen kam.

Und doch ist dies nicht wunderbarer als


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