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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

3. Die Kumelenti

Eine Frau hatte einen kleinen Sohn, der lief immer mit ihr. Der Bursche verstand ausgezeichnet die Pfeife (Foja; Plural: Foisi) zu blasen. Die Frau ernährte sich durch Gewürzbereitung. Sie ging alle Tage zum Fluß herab und wusch da ihre Gefäße und Kräuter. Der Bursche begleitete sie stets und pfiff immer seine Lieder. So war das alle Tage.

Eines Tages war die Frau wieder mit ihrem Gerät zum Fluß hinabgegangen. Der Bursche hatte sie pfeifend begleitet. Dann hatte der Bursche sich zwischen den Bäumen (des Galeriewaldes) herum getrieben. Die Mutter sagte: "Es wird bald dunkel werden. Komm, wir wollen machen, daß wir vor Beginn der Nacht nach Hause kommen!" Der Bursche kam. Die Mutter nahm ihre Geräte zusammen und auf den Kopf. Sie ging den Weg zum Dorfe zu. Der Bursche lief mit ihr.

Nachdem sie ein Stück Weg gegangen waren, rief der Bursche: "Mutter, ich habe meine Pfeife vergessen. Mutter, ich muß meine Pfeife holen." Die Mutter sagte: "Es wird dunkel. Du kannst bis morgen warten." Der Bursche sagte: "Nein, ich will gleich meine Pfeife holen." Die Mutter sagte: "Nein, du sollst nicht." Der Bursche sagte: "Nein, ich will gleich meine Pfeife holen." Die Mutter sagte: "Nein, du sollst nicht." Der Bursche sagte: "Doch, ich muß meine Pfeife haben." Der Bursche lief weg.

Der Bursche lief den Weg zurück zu der Stelle, an der die Mutter ihre Wäscherei betrieben hatte. Dort hatte er die Pfeife auf einen Stein gelegt. Der Bursche ging zwischen den Bäumen hin auf den



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Stein zu. Als er nicht mehr weit war und um die letzten Bäume herumblickte, gewahrte der Bursche, daß die Kumelenti, die Buschleute (Singular: Kumeleng; Plural: Kumelenti, eine sagenhafte Faunenart von Menschen, wahre Buschleute, Nachtgelichter, etwas dumm, halb verspottet, halb gefürchtet), dort waren, wo er die Pfeife hatte liegen lassen. Die Kumelenti hatten seine Pfeife und versuchten darauf zu flöten. Einer nach dem andern nahm die Pfeife und spielte darauf. Aber keiner vermochte darauf rechte Töne hervorzubringen. Einer gab sie immer dem andern. Der Bursche hielt sich verborgen und schaute dem Treiben der Kumelenti zu. Bei den Kumelenti war auch ein Kumelentikind. Die alten Kumelenti standen zusammen und versuchten die Pfeife. Das Kind spielte zwischen den Bäumen. Das Kind entdeckte den Burschen. Es lief zu den alten Kumelenti und sagte: "Gebt mir die Pfeife; ich will sie einmal dem Burschen zeigen, der dort hinter dem Baum steht." Die alten Kumelenti sahen in die Richtung, auf die das Kind deutete. Sie sahen den Burschen zwischen den Bäumen.

Die Kumelenti sagten: "Das trifft sich ausgezeichnet. Hier ist eine Pfeife, die wir nicht zu benützen wissen. Der Junge kann sicher pfeifen. Der Junge soll pfeifen. Wenn der Junge pfeifen kann und uns vorpfeift, so daß wir danach tanzen können, so wollen wir ihn leben lassen. Wenn der Junge das aber nicht will, oder nicht kann, dann wollen wir ihn töten." Die Kumelenti sagten: "Ja, so ist es gut." Die Kumelenti winkten dem Burschen und sagten: "Komm her, steig auf den Stein und pfeife. Wenn du es gut machst, wollen wir dir nichts tun."

Die Kumelenti gaben dem Burschen seine Pfeife zurück. Der Bursche stieg auf den Stein. Er begann zu pfeifen. Die Kumelenti hörten zu. Die Kumelenti sagten: "Der Bursche kann gut pfeifen." Dann begannen die Kumelenti zu tanzen. Die Kumelenti tanzten bald ein wenig näher, bald ein wenig weiter. Als die Kumelenti einmal ein wenig entfernt tanzten, sprang der Bursche von seinem Stein, schob den Stein ein gut Stück auf dem Wege nach dem Dorfe seiner Mutter hin, sprang wieder darauf und pfiff weiter. Die Kumelenti tanzten näher und dann wieder weiter. Als die Kumelenti wieder ein wenig entfernter tanzten, sprang der Bursche von seinem Stein, schob den Stein ein gut Stück auf dem Wege nach dem Dorfe seiner Mutter hin, sprang wieder darauf und pfiff weiter. Die Kumelenti tanzten näher und dann wieder weiter. Als die Kumelenti wieder ein wenig entfernter tanzten, sprang der Bursche von seinem



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Stein, schob den Stein ein gut Stück auf dem Wege nach dem Dorfe seiner Mutter hin, sprang wieder darauf und pfiff weiter. Die Kumelenti tanzten näher und dann wieder weiter.

Zuletzt hatte der Bursche den Stein schon ganz nahe zum Dorfe seiner Mutter hingeschoben. Als er ganz dicht bei dem Gehöft seiner Mutter war, rief er: "Mutter, mach die Türe auf! Die Kumelenti sind hinter mir!" Dann sprang er vom Steine und auf die Hütte zu. Er dachte, seine Mutter würde die Tür aufmachen, so daß er schnell hereinschlüpfen könne und so entweichen würde. Es war aber inzwischen Nacht geworden und die Mutter schlief schon ganz fest.

Der Bursche kam an die Tür. Sie war fest zugeschoben. Die Kumelenti waren dicht hinter ihm. Da sprang er zur Seite und lief um die Hütte herum. Die Kumelenti liefen hinter ihm her. Der Bursche sprang um die Hütte herum. Als er wieder an der Tür angekommen war, riß er sie auf. Dadurch aber verlor er ein wenig Zeit und die Kumelenti konnten, gerade als er hineinsprang, ihre kralligen Hände nach ihm ausstrecken. Er kam lebend in die Hütte, aber die Kumelenti hatten ihm zwischen den Schulterblättern einen Streifen und aus dem Kreuz ein gut Stück Fleisch herausgerissen.

Seitdem haben alle Menschen eine Vertiefung zwischen den Schulterblättern und eine Einsenkung im Kreuz.


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