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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

g) Manismus. Totendienst. Seelenwanderung

Die Tim haben Priester der Schamanen- und Prophetenart, die Teoa (Singular: Teu). Medizinmänner, die in Krankheitsfällen ärztlich helfen, gibt es dem Anschein nach nicht. Erkrankt jemand, so wendet man sich an den Teu. Der betrachtet dann das Kanjinga, das Sandorakel. Danach weiß er Bescheid und gibt nun seine Ratschläge in bezug auf Arzneimittel. Schlagen diese an und kommt der Kranke mit dem Leben davon, so erhält der Teu ein Geschenk von 20 bis 100 Kauri. Bleibt der Kranke dagegen unter der Behandlung dieses ersten Ratgebers in gleich schlechtem Zustande, so wendet die Familie sich an einen zweiten Teu und versucht, ob seine Ratschläge einen besseren Erfolg haben. War die Sache eine sehr schwierige, so gibt man dem letzten, der geholfen hat, außer den üblichen 20 bis 100 noch ein Extrageschenk bis gegen ioooo Kauri nebst Huhn oder Ziege, die andern gehen aber leer aus; und wenn der Kranke trotz aller Mühe stirbt, so erhält überhaupt keiner von ihnen etwas.

Nach dem Verscheiden wird die Leiche sogleich hergerichtet, rasiert, mit Wasser gewaschen, in blau und weiß gestreifte Laken - die in Sugu und Semere oder von wandernden Jorubaleuten gekauft werden -gehüllt und zu Grabe getragen. Es ist aber bei den Tim nicht üblich, die Leichen zu ölen. Der Zeitpunkt der Bestattung richtet sich danach, wann die Verwandten anlangen. Denn diese



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bringen die Totengeschenke mit. Solange liegt die Leiche mit Stoffen und Matten bedeckt im Hause. Inzwischen wird aber das Grab hergerichtet. Ein vertikal geführtes kreisrundes Loch, das recht eng ist, führt in einen ca. 130 cm tiefen, seitwärts breit ausgeschachteten Gang. Hugershoff fand, daß die Grabform genau dem bei den Turka beobachteten Typ entsprach. Häufig, zumal in Häuptlingsfamilien, wird es wie bei den zentralen Mande inmitten des Gehöfts, das weiter bewohnt wird, angelegt.

Sind die schleunigst benachrichtigten Verwandten angelangt, so erfolgt auch gleich die Überführung aus dem Hause in das Grab. Anscheinend erfolgte früher auch dann, wenn der Tote im eigenen Gehöft beigesetzt ward, erst ein möglichst glanzvoller Umzug durch das Städtlein, wobei nach Möglichkeit geknallt und verpulvert wurde. Dabei wird eine eigenartige Opfersitte geübt. Die Leute werfen Kauri auf die bedeckte Leiche. Was davon liegen bleibt, läßt man darauf und versenkt es mit dem Toten in die Grube, was aber abgleitet und herunterfällt, sammeln kleine Buben auf, die sich diese Gelegenheit, einen kleinen Verdienst zu erhaschen, nicht entgehen lassen. Sie dürfen die Kauri als ihr Eigentum ansehen. Nachher wird dann die Leiche in das im Hofe und noch häufiger im eigenen Hause angelegte Grab versenkt, was die Angehörigen aber nicht hindert, noch weiter in dieser Behausung zu wohnen. Die Achse des Grabkanals verläuft von Nord nach Süd. Alle Toten werden mit dem Kopf nach Norden, den Beinen nach Süden, in der Stellung des Schlafes, also auf der Seite, mit hochgezogenen Beinen hingelegt. Die eine Hand ruht unter der Backe. Aber die Männer begräbt man mit dem Gesicht nach Osten, also auf die linke, die Frauen mit dem Gesicht nach Westen, also auf die rechte Seite, wofür hier kein besonderer Grund angegeben wird.

Für unverheiratete Tote wird kein Totenfest veranstaltet, wohl aber für alle verheirateten. Dieses Fest währt sieben Tage und wird mit Schießen, Biertrinken, großem Trommeln und allabendlichen Tänzen gefeiert. Gerade die mit dem Manismus verbundenen Sitten zeigen uns übrigens an, daß wir uns in der Nähe des dahomeyischen Kulturkreises befinden. Nämlich noch zweimal, je nach Verlauf eines Jahres, wird das Lia genannte Totenfest begangen. Es ist eine Ehrensache für die Familie, daß es möglichst glänzend verlaufe. Man schlachtet bei dieser Gelegenheit Tiere, arme Leute Hühner, wohlhabendere Ziegen und reiche Ochsen, bis drei an der Zahl. Das Bier fließt dann in Strömen und manches Tönnchen Pulver wird verknallt. Es erfolgt noch ein direktes Opfer, das in der Hütte, in der der Tote gebettet liegt, und über dem Grabe geschlachtet wird. Es besteht in einem Huhn. Fernerhin schlachtet man in dem Torhaus ein Tier, und zwar, was hochinteressant ist, wenn es einem Manne



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gilt, eine Ziege, wenn es einer Frau gilt, einen Hund. In diesem Hundeopfer ist ein hochinteressantes Vergleichsobjekt gegeben. Ich erinnere an das Kissibo und die Boasage bei den Bakuba, die Hundebrautgabe der Samoko usw. — Nachher werden dann Huhn und Hund resp. Ziege verspeist.

Als Trauerzeichen tragen die Blutsverwandten einen blauen Schal um den Kopf geschlungen. Männer haben diesen ein Jahr lang beizubehalten und können dann wieder zu der üblichen Mütze übergehen. Die Witwe hat während dreier Monate das Kataeka genannte Frauenkopftuch anzulegen. Nachher kann sie es gegen ein beliebig andersfarbiges, buntes umtauschen. Während des gleichen Zeitraumes trägt sie am linken Arm über dem Handgelenk ein weißes, Kodunga genanntes Fadengehänge.

Hat der Tod (=sim) in unerklärlicher Weise einen Menschen weggerissen, so begeben sich die Verwandten zum Teu(bei den Haussa =Alfa) und fragen ihn nach der Todesart. Der wirft Kaurimuscheln und erklärt die Todesursache. Er sagt dann etwa: der längst verstorbene Vater habe den Toten gerufen, um ihn zu fragen, warum er so wenig auf dem Grabe geopfert habe. Oder: Der Verstorbene habe zu wenig Essen für seine Lisassi (siehe unten), die heiligen Holzfiguren, gemacht. Oder: ein Vampirmensch habe ihn um das Leben gebracht, und im letzteren Falle erfolgt dann schwere Anklage und Gottesgericht. Darüber haben wir weiter unten zu handeln.

Im allgemeinen sagen die Tim, die Uessu, die Seele, das Leben der Sterbenden gehe zu Esso (Gott, von iso-oben), um später im Leib eines Kindes wiedergeboren zu werden. Aber das ist nur eine kurze Abspeisung. In Wahrheit treffen wir bei den Tim eine recht komplizierte Anschauungsform. Über die Kasena (Plural: Kasevi), die Totenseele, ihre Wanderungen und ihre Existenzform hegen sie eine Menge von Ansichten, über ihre Wandelformen eine große Reihe von Vorstellungen, deren wichtigste hoffentlich gefunden wurden und im nachfolgenden angeordnet werden mögen.

Danach geht die vom Körper losgelöste Kasena zunächst zu der Stelle, an der der Verstorbene zu Lebzeiten zumeist gewirkt und gearbeitet hat, d. h. die Mannesseele auf die Farmen, die Frauenseele zur Braustelle, an der die Abgelebte meist ihr Bier kochte. Gemeiniglich arbeiten die Totenseelen dort. Wenn ihnen aber das Totenfest gefeiert wird, so schwirren sie überall umher. Danach begeben sie sich auf die Wanderung und ziehen nach Süden, in das Adeleland. Dort unten ist die große heilige Sache, die Diaburrunda genannt wird und die mir nicht ganz klar geworden ist. Bei der Diaburrunda (oder Djaburrunda) weilen die Totenseelen. Dort unten begrüßen sie sich als Lumbu (lum =Wald, bu (Plural: bie) =



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Kind, Lumbia oder Laumbia =Waldkinder), Waldkinder sollen sie sich nennen, weil sie dort im Walde leben. Aber das ist nicht ganz sicher.

Wollen die Tim nun mit ihrem im Adeleland weilenden Seelen in Verkehr treten, so senden sie eine Art Leute dorthin, die als Tchallama (oder Djallama, Singular: Tchallanu oder Djallanu) bezeichnet werden. Diese Tchallama sollen ursprünglich in uralter Zeit aus dem Adeleland gekommen sein und früher neben den Kotokolli eine eigene Sprache gesprochen haben. Es ist mir persönlich nicht gelungen, Reste dieser archaistischen Sprache aufzutreiben, halte es aber doch nach allem recht wohl für möglich, daß ein anderer mehr Glück hat. Die Tchallama vermitteln den Verkehr mit den "Lumbia". Sie bringen, wenn es sich um irgendwelche drohende Not, Epidemien oder schlechte Ernten usw. handelt, Opfer und Geschenke zu Djaburrunda. Das hat dann immer sehr guten Erfolg. —Im übrigen sind die Tchallama heute in keiner Weise besonders angesehen oder irgendwie aus Glaubensgründen gefürchtet. Sie gehören zu keiner Gobirri, sind über das ganze Land hin zerstreut und bebauen wie jeder andere die Felder. Nur eines wird noch als besonderer Kultusakt (?), als ihr Vorrecht oder ihre Verpflichtung (?) bezeichnet: sie binden in kriegerischer Zeit, wenn Landfrieden verkündet werden soll, die Zweige an die Baumstange und stecken diese auch zwischen den Streitenden in den Boden.

Wenn die Kasena, die Totenseele, nun eine Zeitlang als Lumbu, als Waldkind, im Adeleland gelebt hat, kehrt sie zurück und führt nun ihr Dasein in eine neue Form, sie inkarniert sich in einem neugeborenen Kinde oder vielmehr im Embryo einer Frau, nachdem ein männlicher Nachkomme ihrer letzten Menschengestalt mit dieser geschlafen hat. Also eine klar ausgesprochene Seelenwanderung. Die Reinkarnation erfolgt aber stets in der Vaterlinie. — Wenn darum in einem Hause ein Kindlein geboren ist, so geht der Vater am siebenten Tage zu einem Teu und fragt diesen nach dem Namen des Kindes. Es bekommt den gleichen Namen, den jener führte, in dem die Seele früher lebte, und das war unbedingt ein Verwandter des Vaters. Der Teu schlachtet dann Hühner, läutet mit der heiligen Glocke, gerät in Inspiration und kann nun den Namen nennen: man weiß, welche Seele in diesem Kind wiedergekehrt ist.

Man opfert den Ahnen. — Tritt man durch das Torhaus in ein altes Timgehöft, dessen Inhaber noch nicht modernen und islamitischen Einflüssen verfallen sind, so sieht man links - in der Mauernische einen flach geklopften Lehmkegel, der häufig mit Kaurimuscheln geschmückt ist, der heißt Katelia (Plural: Katerissi). Ich betone die Anlage links von dem Torhause, denn bei den Tamberma



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ist die Ornamentwand und die Opfernische im selben Sinne rechts gelegen. — Der Lehmhügel Katelia ist die Stelle, an der für die Ahnen geopfert wird. Man bringt da schon in guten Zeiten Hühner, Ziegen, Jams, Sorghum, Bier, selbst Stoffe dar. Wenn aber Träume drohen oder Krankheiten oder sonst irgendeine Not die Familien bedroht, so wendet sich der Familienälteste an dieser Stelle an die Totenseelen. Alle Familienmitglieder sind versammelt, der Alte opfert und betet. Aber eine genaue Angabe dessen, was hier zu verrichten ist, erfolgt wiederum durch den Teu, der durch seine Orakelei feststellt, welcher unter den Toten der Familie es ist, der, sei es infolge gelangweilter Mißlaunigkeit oder infolge Vernachlässigung entstandenen Zornes, das Unglück herbeigeführt hat.

Dann verfügen die Tim über eine zweite Anschauung und entsprechend Sittenübung, die in hohem Grade interessieren muß, da sie zur Parallelstellung mit modernem und auch veraltetem Spiritismus herausfordert, Häufig kehrt ein verstorbener Mensch zwar in das Heimatgelände zurück, läßt sich aber nicht in einem Kindlein seines Familienkreises wiedergebären, sondern inkarniert sich in einer meist schon bejahrten Frau. Solchen mit einer zweiten, einer Totenseele besessenen Menschen nennt man Kessensi-tena (Singular: Kessinga-nto). Diese zweite Seele weilt nicht ständig in der in Besitz genommenen Frau, sondern immer nur von Zeit zu Zeit. Dann ändert sich aber plötzlich das übliche Gebaren der Frau. Die Kessinga-nto bewegt und gebärdet sich mit einem Male just so wie der Mensch, in dem die Totenseele vor seinem Absterben lebte, und zwar so deutlich, daß ihn jeder, der ihn bei Lebzeiten kannte, unbedingt wieder erkennen muß. Die Kessinga-nto hat dann seine Hand- und Beinbewegungen. Sie hat sein Mienenspiel, sie zeigt die gleichen kleinen Angewohnheiten, die man an jenem beobachten konnte - alles bis in das kleinste Detail hinein. Aber nicht nur, daß die Frau solche Nachahmung durchführen kann - nein, sie erhält auch dadurch das Recht, sich äußerlich genau nach dem verstorbenen Vorbilde zu gebaren. Sie zieht dann die Kleider des Verstorbenen an, nimmt seine Waffen zur Hand, steigt auf sein Pferd und reitet - kurz und gut, repräsentiert also in jeder Weise den Toten.

Ein gutes Beispiel solcher Art repräsentiert in Sokode die Frau Nasarra, in der sich von Zeit zu Zeit die Seele des verstorbenen Häuptlings, des großen Uro-iso Jabo Bukari, niederlassen, und die dann von ihm ganz erfüllt sein soll. Ich selbst war leider nie Zeuge einer solchen Produktion, aber die Schilderung eines klassischen Augenzeugen, wie Dr. Kersting, der auch den Verstorbenen wie keinen zweiten kannte, garantiert mir dafür, daß die Frau ihre Sache vorzüglich versteht, wollte sagen, daß sich der Verstorbene durch sie



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in überzeugendster Weise wieder darzustellen vermag. Angeblich sind derartige Inkarnationen an bestimmte Grade der Familienzugehörigkeit gebunden. Vor allen Dingen wählen die Totenseelen zu solchen zeitweiligen Reinkarnationen gern eine Schwägerin, d. h. also eine Frau des richtigen Bruders. Hat die Seele einmal ein solches Objekt zur Besitzergreifung gewählt, so kehrt sie häufig in ihm wieder, niemals aber in einer andern Person. Solange sie in solchen Besessenheiten sich manifestiert, kann sie nicht als Kind wiedergeboren werden. Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, daß für die Besessene damit keinerlei Schädigung geistiger Eigenart oder materieller Interessen verbunden ist.

Ich möchte nun noch die Seelenwanderungsanschauung des ins Timgebiet verschlagenen und heute an die Grenze der Kurramia verdrängten Diabastammes, der Tschamba, erwähnen, die nach innerem Sinn und geographischer Verbreitung interessante Anhaltspunkte bietet. — Stirbt ein Mensch, so geht die hier "bifa" genannte Seele ins Wasser. Im Wasser lebt der Manatus, den die Diaba als odje bezeichnen, worin wir das Aju der Haussa und Songai wiedererkennen, so daß wir an den Zyklus der Ma-Sagen des westlichen Sudan erinnert werden. Zu diesem odje gehen die Totenseelen. Früher waren alle Menschen Manatus. Heute aber noch gibt er dem Embryo das Leben, die Seele, er befruchtet oder belebt also die Frau, ohne daß die Mutter es weiß. Deshalb gehen die Frauen beim Ausbleiben des Kindersegens ans Wasser, opfern dort und bitten um Kinder.

Die Gräber der Tschamba gleichen genau denen der Tim.


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