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VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

d) Das Recht und Schiedsgericht der Uro

Nun einiges über die Rechtspflege, wie sie früher gehandhabt wurde, ehe die deutsche Verwaltung eine Anpassung an die Anforderungen der europäischen Gesittung herbeiführte. Die eigentliche Leitung in Zivil-, Straf- und Staatsrechtsangelegenheiten der Landschaft Tschautscho lag früher in den Händen des mit unumschränkter Macht ausgestatteten Uro-Iso, des Uro-Tschoba von Paratau, der ein gar mächtiger und einflußreicher Herr war. Wie schon erwähnt, verfügt er über Hunderte von Reitern und viele Fußtruppen, so daß er imstande war, das, was nicht auf friedlichem Wege zu regeln war, mit Kraftmitteln zu erzwingen.

Entstand irgendwo Streit, gab es eine unehrliche Sache, etwa gar Diebstahl oder Raub usw., so gingen die Alten mit dem Ankläger und evtl. auch gleich mit dem Angeklagten zu dem Uro-Iso von Paratau. Da vereinigten die Alten sich dann zu einer Gerichtssitzung, hockten rund herum am Boden nieder und standen abwechselnd



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auf, um klagend oder verteidigend ihre Ansicht zu äußern. Jedenfalls wurde ein regelmäßiges Verfahren eingeleitet und durchgeführt, und nach allem, was ich davon hörte, scheint die Gerichtsbarkeit wenigstens im Sinne der Innerafrikaner gar keine so üble gewesen zu sein. Zur Erläuterung hier einige typische Fälle, wie sie die alten Männer berichteten.

i. Wenn eine Frau in den Verdacht kam, mit einem andern als ihrem Gatten den Beischlaf ausgeübt und somit von den Rechten des Eheherrn etwas vergeben zu haben, so wurden die angeklagte Frau sowie der des Ehebruches angeklagte Mann vor den Uro und die Altenversammlung berufen. Im Verlaufe der Verhandlung wurde nicht nur der Kläger, der klagende Ehemann also, sondern auch ein jedes der beiden Angeklagten gehört und jede Einzelheit der Beweisführung gründlich erwogen. Fand man, daß das Vergehen an sich begangen war, so trat man erst in die Hauptverhandlung, die zu erkennen suchte, ob der männliche oder der weibliche Teil der Urheber, Anreger zum Vergehen war. In dieser Unterscheidung äußert sich eine Feinheit des Rechtsgefühles, wie ich sie sonst in Afrika nicht fand. Fand man den Mann als den Hauptschuldigen, so ward er festgenommen und dazu verurteilt, die enorme Summe von 120000 Kauri zu zahlen. War er hierzu nicht imstande, so ward umhergefragt, ob sich etwa ein Mann fände, der bereit sei, diese Summe zu erlegen. Es ist wiederum bezeichnend für das entwickelte Wirtschaftsleben und die Hochschätzung, die die Leute für die Arbeit hatten, daß solche Umfrage meist sehr schnell von Erfolg gekrönt war. Es fand sich wohl bald ein Reicher, der nach Erlegung der Summe den Sünder dann mit sich auf seine Farm nahm und ihn dort arbeiten ließ. Der Mann verlor also seine Freiheit. Der Behauptung, daß er sich durch eine gewisse Arbeitsleistung wieder frei machen konnte, schenke ich keinen Glauben. — Erwies sich dagegen, daß die Frau die Verführerin gewesen war und daß diese durch ständiges Nachlaufen oder gar Geschenkzusteckung den Mann verführt hatte, so war der hintergangene Gatte und ein Bund seiner Freunde vor der Klageanstrengung sicher so aufmerksam gewesen, der Buhlerin aufzupassen, sie abzufangen, ihr die Kleider vom Leibe zu reißen und sie gehörig durchzubläuen. Der betreffende Mann ward übrigens trotzdem zur Verantwortung gezogen, kam aber mit einer viel geringeren Strafe davon. — Das Merkwürdigste an der Sache ist aber, daß nicht nur der Ehebrecher bestraft wurde, sondern daß auch dessen jüngere und ältere Brüder und Schwestern einer Zahlung, nämlich der Tragung der Gerichtskosten, unterworfen wurden. Jeder Bruder hatte dem Uro zirka 24000 Kauri zu zahlen. Hatte der Ehebrecher zwei Schwestern oder mehr, so nahm der Uro nunmehr eine für sich als Privatbesitz



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in Beschlag. Sie ward seine Frau und Arbeiterin ein hübscher Entgelt für seine Bemühungen in richterlicher Funktion. Die dem Ehebrecher abgenommenen Kaurimuscheln wurden zwischen dem entscheidenden Häuptling und dem betrogenen Ehemann geteilt.

2. Bei der Anklage auf Diebstahl wurde in der gleichen genauen Verhandlungsweise sehr exakt vorgegangen - zumal natürlich, wenn es sich um ein Mitglied der herrschenden oder angesehenen Familien handelte; denn auch hier spielt die Wucht einer Familie und deren Einfluß bis in den Gerichtssaal hinein. Man unterschied auch nach der Verhandlung bei der Strafzuweisung sehr genau, ob man es mit einem Mitbürger oder mit einem Fremden zu tun hatte. War der Dieb ein Fremder, so ward er unbedingt, und wenn es sich um weiter nichts als den Diebstahl eines elenden Huhnes handelte, als Sklave verkauft. War er ein Einheimischer, so entschied man die Strafe nach dem Wert des Objektes und ließ ihn z. B. für ein Huhn 8000, für eine Ziege aber 24000 Kauri zahlen. Ganz gleiche Unterschiedlichkeit hielt man auch beim einfachsten Mundraub aufrecht. Der sträfliche Dorfgenosse kaufte sich mit 8000 Kauri frei, der Fremde dagegen mit der Freiheit. — Eigentlicher Farmraub in dem Sinne, daß B auf dem dem A gehörigen und von ihm als Brache liegengelassenen Schlage sein Korn baute, kam nicht vor, da jedes brache Feld als frei galt.

3. Wäre also endlich der Totschlag zu behandeln. Hierin unterschied man nach bestimmten Kategorien, die mir aber nicht ganz verständlich geworden sind. Im allgemeinen übte man wohl einfach das Blutrecht. Man schlug den, der getötet hatte, tot. Es scheinen aber doch Fälle vorgekommen zu sein, in denen statt mit Tod auf Bußzahlung entschieden wurde, und zwar hatte der Verurteilte dann an 180000 oder 200000 Kauri zu bezahlen. Endlich stand auf versehentlichen Totschlag, also fahrlässige Tötung, nur eine Bußzahlung von 24000 Kauri. Doch hatte der Mann außer dieser Zahlung noch die Verpflichtung, für ein würdiges Begräbnisfest, das dem von ihm Getöteten gefeiert wurde, zu sorgen, d. h. er hatte zu dieser Veranstaltung Stoffe, Pulver und Bier zu liefern.

Mit zu der wesentlichsten Tätigkeit der großen Häuptlinge von Tschautscho gehörte die Regelung der Kriegs- und Friedensangelegenheiten, die unter den Timgemeinden oft eine recht eigenartige Behandlung erfahren zu haben scheinen. War irgendeine Zwistigkeit unter zwei Gemeinden ausgebrochen - es war dazu kein sehr wichtiger oder bedeutsamer "Zwischenfall" nötig -, so p legte die eine der andern eine Botschaft mit der Mitteilung zukommen zu lassen, daß die beleidigte Gemeinde die Sache kriegerisch zu erledigen wünsche. Also eine Kriegserklärung, der dann alsbald ein frischer fröhlicher Krieg folgte. Sicherlich waren diese



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Kriege noch nicht von der modernen ernsten Art, sondern spielten sich in Geplänkeln, Überfällen, Raubzügen und summa summarum in einer echt afrikanisch vergnüglichen Weise ab, in der das Wesentliche ist, daß kein strammes Pflichtgebot oder Pflichtgefühl einen jeden mehr oder weniger zu blutigen Entscheidungen treibt und zwingt, als ihm gerade in der Laune liegt und dem Stande seiner momentanen Exaltation entspricht.

War nun eine der beiden Parteien ermüdet, so steckte diese einen Pfahl auf die Straße. An diesem waren oben Mimosenblüten befestigt, und man nannte ihn Seidani. Die Errichtung dieses Seidani hatte unbedingten Landfrieden zur Folge. Die Fehde war damit abgebrochen. Hielt die andere Partei dieses Gesetz nicht ein, so hatte sie vor dem nun folgenden Schiedsgericht von vornherein verloren. Nach Aufstellung des Seidani begaben sich dann beide Parteien zum Uro-Iso von Paratau. Der hörte beide Teile an. Dann fällte er sein Urteil. Im allgemeinen hatte die im Unrecht befundene Gemeinde an die andere eine Entschädigungssumme zu zahlen. Diese wiederum gab eine "freiwillige" Gabe von 4000 Kauri an die Söhne des Uro-Iso ab, damit sie sich dafür Bier kaufen konnten. Im übrigen war die Poena im allgemeinen folgendermaßen verteilt: Die Gemeinde, die im Unrecht war, erlegte etwa 140000 Kauri. Hiervon erhielten 24000 der Uro-Iso und 40000 derjenige, dessen Rechtsverletzung zu der ganzen Fehde Anlaß gab. Die 24000 Kauri behielt der Uro nicht vollkommen, vielmehr gab er 14000 an die beisitzenden Räte ab.

Fanden die beiden kriegerischen Parteien keinen rechten Abschluß, indem keine an die Aufrichtung des Seidani gehen wollte, währte die "Rempelei" dem Uro-Iso wiederum zu lange, so machte er ihr ein Ende, indem er seinerseits einen Stock an sie sandte, an dem die Seidanblätter (Mimosenblätter) befestigt waren und den man dann Kadjifassa nannte. Das bedingte sofortigen Fehdeschluß und bedeutete gleichzeitig eine Vorladung vor das Schiedsgericht des Uro-Iso.


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