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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

b) Abstammungsnadzriclzten. Genealogien. Die Tscizamba

Die Tim sind wieder ein historisch denkendes Volk, außer den Dagomba und den kümmerlichen Gurmafamilien das einzige in Nordtogo. Ehe wir aber diesen historischen Traditionen und Legenden nachgehen, sei derer gedacht, die als "Nichtkotokolli"diese Provinzen bewohnen. Zunächst sind die Fulbe zu erwähnen, die heute noch in das Land einsickern, aber keinerlei Erinnerung an ihr erstes Auftreten bewahrt haben. Wie alle Fulbe in Togo haben sie ihren ursprünglichen Baustil, den wir noch wenig nördlich der Grenze bei Natjundi und im Mossi-Bobo- und Gurunsi-Bussangsigebiet feststellen konnten, aufgegeben, sie bauen hier wie die Kotokolli. Ihre Frauen stellen hübsche Töpfereien her, eine Kunstfertigkeit, die wohl mit der Wanderung aus den östlichen Gebieten und der dort entwickelten Töpferei zusammenhängt. Übrigens sind reine Fulbefrauen hier wie im benachbarten französichen Gebiet Seltenheiten. Die meisten Kotokolli heiraten eingeborene Frauen, während von den Tamberma bis hier herunter nie ein Tamberma, Kabre oder Kotokolli ein Fulbeweib ehelichen wird.

Eine sehr alte Einwanderungsgeschichte werden wir weiter unten



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kennenlernen in den sogenannten Tschallama (Singular: Tschallanu), die in alter Zeit aus dem Adeleland einwanderten und heute noch als Fremdlin e angesehen werden. (Siehe unten unter Totendienst.) Als ganz junger Zuzug sind dagegen die Yoruba und Haussa zu bezeichnen, die in einigen Städten eigene Viertel einnehmen und als Händler und vor allem als Industrielle sich emsig an dem Aufschwung der materiellen Kultur im Lande beteiligen. Sie heiraten vielfach eingeborene Frauen, stehen aber doch dem Volkswesen so fremd gegenüber, daß sie sich sehr merklich von den Tim unterscheiden. Die Haussa und auch ein großer Teil der Yoruba sind Mohammedaner. Zu der Religion des Propheten hat sich auch ein beträchtlicher Teil der städtischen Tim bekehrt, aber in einigen Landesteilen ist eine gewisse Scheidung eingetreten. Im Hauptgebiet herrscht zum Beispiel in Sokode der Imam, im benachbarten Königsstädtlein Paratau dagegen der mehr weltliche, altreligiöse Geist des Timvolkes.

Die Tim werden von erblichen Fürsten, von Uros, regiert, und an diese Tatsache knüpft die legendäre Tradition an. Der größte Teil der Tim stammt angeblich aus Tabailo, einem Städtchen, das zwischen Bassari und Sokode auf einem Berge liegt. Die Sage vermeidet, daß die alten Tim-uros von einem Uro abstammten, der auf dem Berge und in Tabailo lebte, ehe noch Mohammedaner ins Land kamen. Eines Tages nun drängten von Westen her die Tscherkossi mit den Wangara nach sich in das Land, und darauf ward das Taballovolk auseinandergedrängt. Nun breiteten sie sich nach allen Richtungen hin aus, ins Tschautscho, nach Paratau, nach Bafilo und Dako, nach Adjede, Augullu, Ameide usw. So kamen alle Timstädte zur Entstehung. In Erinnerung hieran besteht heute noch die Sitte, daß, wenn ein Häuptling in einer Timstadt erwählt wird, ein großer Topf mit Wasser aus Tabailo, dem Ursitze, geholt wird und der neue Fürst in dieser "Kauraga-Tim" genannten Flüssigkeit gebadet werden muß. Weiterhin heißt es, daß vor der Besitzergreifung des Landes, die Dr. Kersting zum Abschluß brachte, die Timhäuptlinge einander nicht sehen durften. Daher kamen sie nie zusammen in dem Glauben, daß sie beim gegenseitigen Erblicken sogleich sterben müßten. Somit verkehrten sie untereinander nur durch Boten, die die Nachrichten und gegenseitigen Geschenke überbrachten. Daraus geht hervor, daß die Leute nicht durch einen kriegerischen Geist, sondern durch religiöse Anschauungen voneinander ferngehalten wurden.

Übrigens glaube ich nicht, daß alle Gobirris (Klane, siehe weiter unten) einmal zusammengesessen haben, sondern daß die Sache hauptsächlich auf die Verheiratung der ersten Geschlechter, der Gobirri Molla oder Mala sich bezieht. Von einem der Gobirri geben



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die Tim selbst und außerdem die Sitten der Urowahl es zu. Es ist das die Gobirri Dare, die früher in Tschallo und nicht in Tabailo wohnte und deren Mitglieder sich vielleicht mit einem gewissen Recht als älteste Tim bezeichnen, der dann erst als Einwanderung in Tschautscho dem Zuzug der Molla-Gobirri folgte. Heute sind die Molla die Herrschenden. Wenn aber unter den Molla Streitigkeiten betreffend die Häuptlingsnachfolge entstehen, so werden die Dschallo- oder Tschalloleute, also die Dare, als entscheidende Kurfürsten herbeigerufen.

Die Genealogie dieser Timfürsten ist mehr oder weniger zerstückelt erhalten. Leider fehlt der wichtigste Teil, die Reihe der Taballoherren, die vor und nach dem allgemeinen Exodus auf dem Bergnest saßen, und jener, die die Herrschaft in den Städten des Plateaus und der Ebene gründeten, vollkommen. Nur neuere Fürstengruppen sind zu gewinnen gewesen. Hier das in solchem Sinne gesammelte Material:

a) in Tabailo:

i. Uro Kontolomm 2. " Katau
3. " Akonto
4. " Djobo
5. " Kura
6. " Konto, heute Herr in Taballo

b) in Dako:

i. Uro Aosi 2. " Bodi
3. " Dokora
4. " Kora
5. " Bodi, heute Herr in Dako

c) in Bafilo:

i. Uro Bellung (soll der Sohn des Gründers der
Stadt gewesen sein, eine recht unglaubwürdige
Angabe)
2. " Undi
3. " Djobo
4. " Korra
5. " Bangna oder Banna
6. " Bossi
7. " Kondo
8. " Bodi
9. " Sama
10. " Banna
11. " Djobo, heute Herr in Bafilo

d) in Beiaku, einer alten Hauptstadt der Timebene. In dieser Stadt sammelte Dr.-Ing. Hugershoff zwei abweichende Stammbäume ein, nämlich:



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1.

i. Uro Bedow II. i. Uro Bedow
2. " Jale 2. " Jale
3. " Abo 3. " Abo
4. " Musa 4. " Musa
5. " Njao 5. " Njao
6. " Akonto 6. " Kura
7. " Tagna 7. " Sama
8. " Sama 8. " Akonto
9. " Tagua 9. " Sama-adjoante
10. " Bangana 10. " Bangana
11. " Gafo i i. " Taqua
12. " Quelle 12. " Gafo
13. " Kakaraka 13. " Quelle
14. " Akonto 14. " Iao
(heute herrschend) 15. " Kura (der Kleine) 16. " Sama
17. " Kakaraka
18. " Akonto

Die in Beiaku anscheinend etwas schüchtern vorgebrachte Angabe, daß Uro Bedow Städtegründer in der Timebene gewesen sei, wird nicht nur durch die Länge des für Beiaku erhaltenen Stammbaumes etwas wahrscheinlicher gemacht, sondern erhält auch dadurch eine Stütze, daß in Paratasu als einziger Städtegründer oder aus Taballo ausführender Fürst nur Uro Bedow bekannt war.

Im Anschluß an diese geschichtlichen Überlieferungen müßten wir nun einer Volksenklave Erwähnung tun, die bis an das äußerste Ende des Timbereiches zwischen die Kotokolli und die Kurrastämme verschoben worden ist. Es sind das die Geselimm oder Tschamba, die nichts anderes sind als ein Diabastamm engster Bassaritenverwandtschaft. In Sprache, in der Industrie (z. B. und vor allen Dingen ist der Blasebalg der gleiche, nur daß der der Tschamba größer und plumper ist) und auch in mancherlei Gesittungsausdruck haben diese Leute ihre alten Stammeseigentümlichkeiten behalten. In anderer Hinsicht haben sie wieder vieles von den Kotokolli angenommen, so z. B. in der Flechterei der großen bunten Matten, die den gleichen Erzeugnissen der Kotokolli der Ebene entsprechen, ebenso in Bogen und Pfeil. In wieder anderem, vor allem in der sehr eigentümlichen Kalebassenornamentierung die ihre reinste Spezialität heute in Nordtogo hat, dann in dem merkwürdigen Trauertanzschurz der Alibi haben sie ein ganz eigenes und eigenartiges Kulturzentrum geschaffen. Alle ornamentierten Kalebassen in Nordtogo stammen von Tschamba, und um eine Parallele zu finden, müssen wir schon die Grenze verlassen und bis nach Ssemere auf französischen Boden oder nach Süden bis zu den Dahomeverwandten



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Atakpames gehen. Der Seelenwanderungsglaube der Tschamba, der weiter unten zu besprechen sein wird und von großer ethnographischer Wichtigkeit ist, wurde mir in dieser Form von diesem Völkchen bekannt. Dagegen weist der viereckige Grundriß der Tschambahütten, der so gänzlich vom Rundbau der Tim abweicht, zu den Kurrastämmen. Die Schmalbandweberei in der üblichen Sudanform wird von Männern betrieben.

Die Wanderung dieses interessanten kleinen Völkchens wird mit einem großen Kriege in Zusammenhang gebracht, den die westlichen Bassariten einstmals mit den nach Sklaven jagenden Dagomba hatten. Doch verwischt sich hierin die Volkserinnerung und in verworrener Weise wird in diese Berichte die Wanderung der Tscherkossi hineingemischt. Einmal im Timgebiet angesiedelt, haben sie unter andern Eigentümlichkeiten auch das genealogische Gedächtnis der Kotokolli angenommen. Möglich auch, daß ihre Fürsten, die "Obo", Tim sind. Die Tim vergeben so viele Herrscher an die Nachbarstämme (Timursprunges ist im Süden z. B. der heutige Stadtherr der Kurra von Bagu und im Norden der Uro Taqua oder Tagba, Herrscher in Bassari), daß sich uns diese Annahme unwillkürlich aufdrängt. — Nun die gewonnenen Genealogien:

a) in Tschamba:

i. Obo Djedere 2. Oboi Dore
3. Obo Abere
4. Oboi Djobo
5. " Dedji
6. " Kurra
7. " Ko
8. " Dore
9. Obo Bere, der heute in Tschamba herrscht;

b) in Alibi:

i. Obo Kurgo, der der Gründer Alibis war
2. " Kuddi
3. Oboi Njo
4. " Djeri
5. " Djobo
6. " Kubau
7. " Kura
8. " Njenni

Nachdem wir damit das, was wir von äußerer Zusammenfassung und historischer Tiefe der Stämme im Timgebiet wissen, zusammengefaßt haben, wollen wir nun zur Besprechung der ethnischen inneren Gliederung der Tim übergehen.


Copyright: arpa, 2015.

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