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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

13. Goldeselein, Knüppel aus dem Sack

Es war eine große Hungersnot. Niemand wußte recht, was er essen sollte. Der Häuptling ließ die Trommel schlagen. Alle Leute kamen zusammen. Der Häuptling sagte: "Jeder, der etwas zu essen findet, soll es mit den andern teilen." Die Leute sagten: "Ja, so ist es gut."

Ein Mann machte sich mit seinem Beil auf den Weg, Holz zu



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schlagen. Er kam an ein Wasser, und da stand ein überhängender Baum. Der Mann stieg hinauf, seine Arbeit zu beginnen. Er schlug. Das Beil glitt aus und fiel in das Wasser. Der Mann stieg herab und begann im Wasser zu suchen. Er ging umher und suchte. Aber er fand sein Beil nicht. Der Mann fand ein Jotum (d. i. ein handflächengroßes, tellerartiges, flach gewölbtes, rund umschnittenes Kalebassenstück, mit dem die Frauen den Brei aus den Kochtöpfen kratzen). Der Mann fragte: "Wer bist du?" Die Kalebassenscherbe sagte: "Ich bin Jotum." Der Mann fragte: "Bist du mein Vater oder meine Mutter?"Die Kalebassenscherbe sagte: "Ich bin Jotum, deine Mutter." Der Mann sagte: "Was machst du? Ich möchte das gerne sehen!"Sogleich strömte aus dem Jotum viele gute Speise, große Mengen guten Essens. Sogleich stürzte sich der Mann darüber und aß und aß, bis er satt war, bis er keinen Bissen mehr hinunterzwingen konnte.

Der Mann nahm dann das Jotum, steckte es in seinen Schultersack und ging damit heim. Als er in sein Gehöft kam, sagte er zu seiner Frau: "Nun brauchen wir nicht mehr zu hungern. Ich habe etwas gefunden, das uns alle Tage satt machen kann." Die Frau sagte: "Zeig doch, was ist es?" Der Mann zog das Jotum aus dem Beutel, legte es auf den Boden und sagte: "Nun paß auf, Frau!" Der Mann sagte zu dem Jotum: "Was machst du? Ich möchte es gerne sehen." Sogleich strömte aus dem Jotum viele gute Speise, große Mengen guten Essens! Die Frau und der Mann und die Kinder konnten essen, soviel sie wollten.

Die Frau Spinnes schickte ihren kleinen Sohn, daß er bei dem Manne nebenan ein Feuerscheit hole. Der kleine Junge lief hinüber. Er sagte: "Gebt mir doch ein Feuerscheit." Der Junge sah, daß Essen im Überfluß vorhanden war. Die Frau brachte dem Jungen das Feuerscheit. Der junge Spinne lief nach Hause und rief: "Bei den Leuten nebenan ist Speise im Überfluß, alle essen und haben so viel, daß sie gar nicht alles hinunterschlucken können!" Spinne sagte: "Das möchte ich doch einmal sehen. Paß auf, mein Sohn, wie wir es anstellen wollen, auch etwas zu essen zu bekommen. Morgen früh werde ich dich schlagen. Du läufst dann, so schnell du laufen kannst, heulend in das Gehöft des Nachbars, versteckst dich hinter dem Mann und schreist: "Mein Vater schlägt mich so! Laß mich hierbleiben! Mein Vater schlägt mich so!" So machst du es. Das andere wird sich finden. Hast du mich verstanden?" Der Junge sagte: "Ja, so werde ich es machen."



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Am andern Morgen schlug Spinne nach seinem Sohn. Spinnenjunge lief heulend davon. Er lief in das Gehöft des Mannes. Er lief auf den Mann zu und versteckte sich hinter ihm. Heulend schrie er: "Mein Vater schlägt mich so! Laß mich hierbleiben! Mein Vater schlägt mich so!" Spinne kam hinterher in das Gehöft des Nachbars und sagte: "Hat mein Sohn sich vielleicht hier versteckt? Der ungezogene Junge hat so schlimm getan, daß er geschlagen werden muß!"Spinne sah umher. Er sah das viele Essen. Der Mann sagte: "Ja, dein Junge ist hier. Schlage ihn nur nicht so arg. Wenn du übrigens etwas Essen mitnehmen willst, so greif zu. Gerade heute haben wir genug."Spinne bedankte sich, nahm das Essen und den Jungen und ging heim.

Spinne sagte: "Es ist wahr, der Mann hat Essen im Überfluß." Spinne ging zum Häuptling und sagte: "Hast du nicht gesagt, daß jeder, der Essen hat, mit dem andern teilen soll?" Der Häuptling sagte: "Ja, so habe ich gesagt."Spinne sagte: "Da ist ein Mann, der hat Essen im Überflusse, in großen Mengen. Er gibt aber nur dem, den er zufällig sieht." Der Häuptling sandte sogleich zu dem Manne. Er ließ sagen, er solle sein Essen mitbringen. Dann ließ er trommeln, daß alle Leute zusammenkommen sollten.

Alle Leute kamen zusammen. Der Mann kam mit dem Jotum. Der Häuptling sagte: "Habe ich nicht gesagt, daß jeder, der Essen hat, dem andern abgeben soll?" Der Mann sagte: "So ist es." Der Häuptling fragte: "Du hast Essen?" Der Mann sagte: "Ich will es euch zeigen." Der Mann zog das Jotum heraus und sagte: "Was machst du? Ich möchte es gern sehen."Sogleich strömten aus dem Jotum viele gute Speisen, große Mengen guten Essens. Kaum sahen es die hungernden Leute, die rund herum saßen, so stürzten sie auch alle auf einmal auf das Essen zu. Jeder wollte soviel wie möglich davon für sich zur Seite bringen. Sie schlugen um sich, um Platz zu gewinnen. Sie schlugen aufeinander. Sie trafen auch auf das Jotum.

Das Jotum zerbrach. Nun gab es kein Essen mehr.

Spinne sagte: "Ich werde das auch versuchen. Spinne nahm ein Beil und ging zu dem Baum, der über dem Wasser hing. Er kletterte hinauf. Spinne schlug mit dem Beil auf das Holz zu. Spinne machte es möglichst ungeschickt. Das Beil glitt aber nicht ab. Da warf Spinne das Beil hinunter in das Wasser. Dann stieg Spinne herab und versuchte etwas im Wasser zu finden.

Spinne stieß mit dem Fuß gegen etwas, das war Baratju (Peitsche;



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Plural: Baratjube). Spinne fragte: "Wer bist du, mein Vater oder meine Mutter?"Baratju sagte: "Ich bin Baratju, dein Vater!" Spinne fragte: "Was machst du? Ich möchte es gerne sehen!" Da fuhr Baratju auf Spinne zu und schlug auf Spinne ein, daß er über und über mit Schlägen bedeckt war und nicht wußte, wohin er sich retten sollte. Endlich ergriff er Baratju, nahm ihn unter den Arm und ging damit heim.

Daheim rief Spinne seine Frau und seine Kinder: Er sagte zu ihnen: "Ich habe etwas Schönes mitgebracht, das ist ganz ähnlich dem Jotum. Ich will eben fortgehen; wenn ich weg bin, könnt ihr mal zudem Baratju sagen: "Was machst du? Ich möchte es gerne sehen!" Dann ging Spinne fort. Er ging aber nur um die Mauer und versteckte sich hinter der Tür. Kaum war er fort, so sagte die Frau Spinnes zu dem Baratju: "Was machst du? Ich möchte es gerne sehen!" Da fuhr Baratju auf Frau Spinne und ihre Kinder zu und schlug auf die ein, daß sie über und über mit Schlägen bedeckt waren und nicht wußten, wohin sie sich retten sollten. Endlich kam Spinne aus seinem Versteck hervor, griff den Baratju und nahm ihn unter den Arm.

Spinne ging mit dem Baratju zum Häuptling und sagte: "Ich habe etwas ganz Ähnliches wie das Jotum. Es ist das Baratju. Trommle nun, laß alle Leute zusammenkommen und sage zum Baratju: ,Was machst du? Ich möchte es gerne sehen!' Hier hast du ihn. Ich selbst bin satt und will mich (bescheiden) zurückziehen!" Der Häuptling nahm den Baratju an sich. Er ließ trommeln. Er ließ alle Leute zusammenkommen. Als die ganze Einwohnerschaft sich versammelt hatte, trat der Häuptling in die Mitte, legte den Baratju auf die Erde und sagte: "Es ist uns wieder etwas gebracht worden, das ist ganz ähnlich dem Jotum. Unsere Hungersnot wird also aufhören. Aber es darf nicht wieder jeder darauf losstürzen wie beim Jotum, das wir durch die allgemeine Hast verloren haben. Jeder soll auf seinem Platz bleiben." Die Leute sagten: "Ja, jeder soll auf seinem Platz bleiben." Der Häuptling sagte dann zu dem Baratju: "Was machst du? Ich möchte es gerne sehen!"

Der Häuptling sprach noch das letzte Wort, da sprangen auch schon alle Leute auf das Baratju zu. Gleichzeitig aber fuhr Baratju auf den Häuptling und die herandrängenden Leute und bedeckte alles mit Schlägen. Die Leute erschraken. Sie fielen übereinander. Sie wußten nicht, was ihnen geschah. Baratju schlug und schlug



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und schlug. Spinne saß hinter einer Tür und sah zu. Endlich gelang es dem Häuptling, den Baratju zu ergreifen. Früher war zwar das Essen im Wasser, die Peitsche aber auch.


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