VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA
I. BAND
FABULEIEN DREIER VÖLKER
HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS
1924
VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA
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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE
MIT 4 BILDBEILAGEN
2. Jäger und JwaquilleEin Jäger machte sich mit Pfeil und Bogen auf den Weg zur Jagd. Er pirschte sich bis an einen Fluß heran und sah da eine Antilope. Er verwundete die Antilope am Fuß. Die Antilope flüchtete. Der Jäger folgte der Schweißspur. Er folgte ihr weiter und immer weiter fort. Endlich kam er an eine Stelle, wo zwei alte Uaquille (Plural: Jwaquille, im Tim Aboninga, Plural: Abonissi. Die Jwaquille sind Wesen mit ungleichen Seiten. Die eine Hälfte hat alle Organe lang und kräftig ausgebildet, die andere nur kurz und verkümmert), ein Mann und ein Weib waren. Die verwundete Antilope stürzte vor den Uaquille nieder. Sie brach zusammen.
Der Jäger stand vor der Antilope und den beiden Uaquille. Die Uaquile sagten: "Willst du dich haben oder willst du die Antilope haben?" Der Jäger sagte: "Ich will mich haben." Die Uaquille sagten: "Dann zieh deinen Pfeil heraus und geh. Geh nach Hause!" Der Jäger nahm sein Messer, erweiterte die Schußwunde, zog den Pfeil heraus und ging von dannen. Die beiden Uaquille aber verzehrten die Antilope.
Am andern Tage machte sich der Jäger wieder auf den Weg. Er traf eine Antilope, schoß, traf. Er folgte der Schweißspur weit fort und kam zu den Uaquille. Die verfolgte Antilope stürzte nieder. Die Uaquille sagten: "Willst du dich haben oder willst du die Antilope haben?" Der Jäger sagte: "Ich will mich haben." Die Uaquille sagten: "Dann zieh deinen Pfeil heraus und geh! Geh nach Hause!" Der Jäger nahm sein Messer, erweiterte die Schußwunde, zog den Pfeil heraus und ging von dannen. Die beiden Uaquille aber verzehrten die Antilope.
Am dritten Tage machte sich der Jäger wieder auf den Weg. Er traf eine Antilope, schoß, traf. Er folgte der Schweißspur weit fort und kam zu den Uaquille. Die verfolgte Antilope stürzte nieder. Die Uaquille fragten: "Willst du dich haben oder willst du die Antilope haben?" Der Jäger sagte: "Ich will mich haben." Die Uaquille sagten: "Dann zieh deinen Pfeil heraus und geh! Geh nach Hause!" Der Jäger nahm sein Messer, erweiterte die Schußwunde,
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zog den Pfeil heraus und ging von dannen. Die beiden Uaquille aber verzehrten die Antilope.
Am vierten Tage machte der Jäger sich wieder auf den Weg. Er traf einen Elefanten, schoß, traf. Er verfolgte die Schweißspur weit fort und kam zu den Uaquille. Der verfolgte Elefant stürzte nieder. Die Uaquille fragten: "Willst du dich haben oder willst du den Elefanten haben?" Der Jäger sagte: "Ich will mich haben." Die Uaquille sagten: "Dann zieh deinen Pfeil heraus und geh! Geh nach Hause!" Der Jäger nahm sein Messer heraus, erweiterte die Schußwunde, zog den Pfeil heraus und ging. Die beiden Uaquille aber verzehrten den Elefant.
Der Jäger war auf dem Heimweg. Er kam an eine Stelle, da lag noch eine Uaquille. Diese Uaquille hatte ihr Bein ausgestreckt. Es reichte weit, sehr weit, so weit, wie von Bassari bis nach Kabu. Das Bein war so dick und hoch, daß der Jäger nicht darüber hinweggehen konnte. Der Jäger sagte (bescheiden) zu der Uaquille: "Laß nur, ich kann ja darum herumgehen, wenn es auch ein kleiner Umweg ist."
Die Uaquille aber zog ihr Bein in die Höhe. Ihr Knie war viel, viel höher als ein Haus. Als der Jäger nun vorbeiging, sagte die Uaquille: "Du hast jeden Tag deine Beute bei den beiden Uaquillle verloren. Wenn du morgen wieder auf die Jagd gehst, ein Stück Wild anschießt, ihm folgst, es bei den Uaquille findest, so erweitere nicht nur die Wunde, um deinen Pfeil herauszuziehen, sondern schneide rund herum ein Stück Fleisch mit dem Pfeile heraus. Hast du verstanden?" Der Jäger sagte: "Ja, ich habe verstanden; ich werde es so machen." Dann ging der Jäger weiter. Der Jäger ging nach Hause.
Am andern Morgen machte der Jäger sich wieder mit Bogen und Pfeil auf den Weg. Er traf wieder einen Elefanten, schoß und traf ihn. Der Elefant floh. Der Jäger verfolgte die Schweißspur weit fort und kam zu den Uaquille. Der verfolgte Elefant stürzte bei den Uaquille nieder. Die Uaquille fragten: "Willst du dich haben oder willst du den Elefanten haben?" Der Jäger sagte: "Ich will mich haben." Die Uaquille sagten: "Dann zieh deinen Pfeil heraus und geh! Geh nach Hause!" Der Jäger nahm sein Messer, erweiterte die Wunde um den Pfeil herum aber nicht, sondern schnitt den Pfeil mit einem Stück Fleisch rund herum heraus. Er nahm den Pfeil mit dem Fleisch und ging damit von dannen.
Nach einiger Zeit kam der Jäger wieder an die Stelle, an der die
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alte (freundliche) Uaquille lag. Der Jäger sagte: "Ich habe es so gemacht, wie du mir geraten hast." Die alte Uaquille sagte: "Es ist gut. Nun mach ein Feuer, röste das Fleisch und lege es dann mit dem Pfeil auf meinen Oberschenkel!" Der Jäger machte ein Feuer. Er röstete das am Pfeil steckende Fleisch über dem Feuer. Als das Fleisch geröstet war, legte er es, wie es am Pfeil steckte, auf den Oberschenkel der alten Uaquille.
Kaum lag das Fleisch auf dem Oberschenkel der Uaquille, so begann der Schenkel an der Stelle zu schwellen. Er schwoll und schwoll. Als die Schwellung ganz hoch war, platzte sie. Und nun war da ein Kind. Die alte Uaquille sagte: "Dies Kind ist Quampumba. Nimm Quampumba mit dir. Es soll dich begleiten. Geh mit Quampumba nach deinem Hause." Der Jäger sagte: "Es ist gut." Er nahm Quampumba und ging mit ihm von dannen.
Der Jäger ging mit Quampumba auf dem Wege nach seinem Dorfe. Unterwegs trafen sie auf einen Husarenaffen. Der Husarenaffe blies auf einer Flöte. Da kam Brei und Fleisch und Bier heraus. Der Jäger und Quampumba aßen und tranken sich satt. Dann gingen sie weiter. Nach einer Weile sagte Quampumba zu seinem Vater (dem Jäger): "Ich will eben einmal austreten." Der Bursche ging seitwärts in den Busch. Er schlich sich vorsichtig zu dem Husarenaffen hin und schlug dem Affen mit schnellem Hiebe den Kopf ab. Dann nahm er die Pfeife, auf welcher der Affe geblasen hatte und steckte sie zu sich.
Er lief hinter dem Jäger her und kam mit ihm in dessen Haus. Daheim begann Quampumba mit aller Macht auf der dem Affen entrissenen Pfeife zu pfeifen. Da kamen Kühe, Pferde, Schafe, allerhand Kleider, Korn, Eisen, Gold in großen Mengen heraus.
So ward durch das Pfeifen Quampumbas dessen Vater, der Jäger, ein sehr reicher Mann und ein großer Häuptling.
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