Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_11-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

l) Allerhand Zaubermittel

Auch der Uboa, der Schamane, ist nicht ganz gefeit oder jeder Gefahr, die von diesen Nachtgeschöpfen ausgeht, überhoben. Auch die Seele des Uboa kann von einem rachegierigen Usopu eingefangen, verwandelt, fortgeschafft, geschlachtet und verzehrt



Atlantis Bd_11-058 Flip arpa

werden. Deshalb wenden sich die jungen Schamanen an die Alten und bitten sie um "magische Mittel", die gegen die Vampyre stark machen. Erst wenn sie genug von diesen "Mitteln" zu sich genommen haben, sind sie sicher. Es versteht sich von selbst, daß diese magischen Mittel Geheimmittel sind, von denen etwas Näheres zu erfahren mir nicht gelungen ist. — Nicht unmöglich, daß sie mit dem gleich näher zu fixierenden Zeremonial in Beziehung stehen.

Jeden Morgen verrichtet nämlich jeder Uboa eine doppelte "heilige" Waschung, und zwar dies in der ersten Morgenstunde, in der der Hahn schreit. Eine große Kalebasse steht im Koadihause. Der darin befindliche Medizininhalt heißt "Nuajogo". Eine mit ähnlicher Medizin, die Mboa-jogo heißt, gefüllte Kalebasse steht auf der Veranda seines Wohnhauses. Das Wort "jogo" für Medizin, Zaubermittel, das wir nachher noch häufiger treffen werden, erinnert an das dem Sinn nach ähnliche Wort juhu gewisser Guineasprachen. Mit der Nua-jogo und der Mboa-jogo wäscht sich der Uboa alltäglich zur Sonnenaufgangszeit Gesicht, Leib und alle Glieder. Niemals aber gibt er andern Leuten davon ab.

Holzfiguren und eiserne Schlangen, die bei Tim- und Ewestämmen eine so große Rolle im Haushalte der Schamanen spielen, fehlen den Uboa der Bassariten und Konkomba vollständig. Jene Tanzzeremonien, zu deren Begehung die Jünglinge und jungen Männer, wie wir bei den Moba fanden, so reiche Kaurikleidung, Kauribehänge und Kaurikappen tragen, kommen bei den Konkomba vor, nicht aber bei den Bassariten. Nur Hörnerkalebassen werden im Kriegsfalle von diesen getragen und sind dann eine Art Amulett, denn sie schützen gegen Pfeile und Flintenkugeln. Man sieht sie bei den Bassariten ebenso wie bei den Tim dann und wann. Es ist schmuckhafter, früher wohl mehr beliebt gewesener Tand. Aber jedesmal, wenn ich dem nachspürte, erfuhr ich, daß es Konkomba gewesen waren, die ihn auf Bestellung hergestellt hatten. Überhaupt sieht man so zierliche Kaurischmucke und Kaurigürtel wie bei den Busangsi nirgends in diesen Ländern. Sicherlich aber sind es keine Zaubermittel.

Nicht als ob die Bassariten arm wären an solchen Dingen. Im folgenden kann ich eine ganze Reihe von amulett- und zaubermittelartigen Gegenständen und Machwerken anführen, die mehr oder weniger gebräuchlich sind - eine Reihe, die aber sicherlich bei weitem nicht Anspruch auf Vollständigkeit machen kann.

Da ist zunächst ein Zaubermittel gegen Schlangenbiß. Es heißt Dina-djure und besteht aus einem Kuhschwanz, der mit einem Griffstiel versehen ist. Der ist umwickelt und in die Umwicklung sind Zauberingredienzien eingebunden. Wenn einer draußen gebissen



Atlantis Bd_11-059 Flip arpa

ist, eilt er heim. Er juckt oder kratzt die Stelle nicht mit der Hand, sondern mit dem Kuhschwanz, der sonst auch als Fliegenwedel dient, darüber hin und her, und das hat dann eine schnelle Heilung zur Folge.

Ein Kriegsamulett der älteren Zeit ist das Tuffadjoande. In eine etwa zwei Fuß im Durchschnitt messende Tonschüssel wurden Teile von den beiden Bäumen Unabau und Utumbu, dann noch das Kraut Kite-dju getan. Darüber wurden Huhn und Perlhuhn als Opfer geschlachtet, so daß deren Blut auf die vegetarischen Substanzen träufelte. Hiernach goß man Wasser darüber und stellte die Schüssel beiseite, um sie im Falle eines kriegerischen Ausbruches gleich zur Hand zu haben. Zog man in den Kampf, so wusch sich der Krieger mit dem Inhalte der Schüssel und war nun überzeugt, gegen Pfeilschüsse gefeit zu sein.

Besonders für kriegerische Vorgänge scheinen die alten Bassariten sich emsig mit amulettartigen Vornahmen gerüstet zu haben. Eine recht eigenartige Sache in diesem Sinne ist das "Kidjiginjogo", wörtlich: "Wassermedizin". Wer sie gewinnen wollte, mußte sich an einen alten, sehr beschlagenen "Unjogo-dinda", d. h. Medizinmann wenden. Diese Medizinmänner pflegten ihren Beruf in der Jugend im Nebenamte, waren Bauern und konnten sich erst im Alter, wenn sie genug erworben hatten, ganz auf solche "Njogopräparation" beschränken. Der um Rat gefragte Unjogo-dinda gab dann an, welche Baumblätter, Wurzeln, Rinden, Hölzer usw. man herbeibringen solle. Nachdem man sie herbeigeschafft hatte, vereinigte man alles auf einem Haufen und gab dazu ein Huhn, das obendrauf zu liegen kam. Dieses Huhn ward nicht geschlachtet. Das Unjogo-dinda hatte nur nötig, den Namen des Medikamentes, also "Kidjigi-njogo" zu rufen, und sogleich war es tot. Der Medizinmann kochte nun das Opferhuhn und bereitete dazu aus den beigebrachten Blättern, Wurzeln, Rinden usw. eine Soße. Und dies Gericht muß der Mann, der das Kidjigi-njogo und seine Kraft gewinnen will, verzehren. Bei der Mahlzeit darf er auf keinen Fall etwas auf die Erde tropfen lassen, sondern er muß stets vorsichtig beim Überführen aus der Schüssel in den Mund die Hand darunter halten, damit kein Soßentröpfchen zu Boden falle und ihm so etwas von der vollen Kraft verlorengehe. — Darauf bezahlt der Mann dem Unjogo-dinda 4000 bis 6000 Kauri und geht mit außerordentlichem Sicherheitsgefühl im Busen heim. Er hat mehr gewonnen als Unverwundbarkeit. Er hat die Fähigkeit, alle Wunden, die ihm zuteil wurden, sogleich zu heilen. Er kann in dem Gefühl dieser Überzeugtheit sich sogar allerhand barbarische Scherze erlauben, wie z. B. den folgenden: Ein junges Paar hat Hochzeit. Alle Welt protzt im Festjubel mit Kraft und Tüchtigkeit. Der In-



Atlantis Bd_11-060 Flip arpa

haber des Kidjigi-njogo kann nun sein Messer oder ein anderes Instrument nehmen und sich vor aller Welt in das Dickbein eine klaffende Wunde schlagen, so daß alle von einem ordentlichen Schrecken befallen werden. Er braucht dann nur in die Hand zu spucken und sich mit der so angefeuchteten Fläche über die Wunde zu fahren. Sogleich schließt sich die Wunde und er ist geheilt. Das ist eine phantastische Idee, die so recht geeignet ist, die brutale Phantasie dieser Menschen zu befriedigen, und sie illustriert recht gut die bassaritische Geistestiefe. — Oder aber der Inhaber der Kidjiginjogo geht in ein anderes Dorf, in dem er, wie er weiß, so recht verhaßt ist und man sogleich über ihn herfällt, um ihn mit allerhand Waffen zu zerfetzen und zerhacken. Der derart Zugerichtete schleppt sich dann heim, behandelt sich dort wieder mit dem eigenen heilkräftigen Speichel, der ihn sogleich wiederherstellt. Das ist eine Illustration zu den unsicheren Verhältnissen, die vor Ankunft der Europäer im Bassaritenlande herrschten. — Der Inhaber des Kidjigi-njogo ist im Kriege für Pfeilschüsse unverwundbar. In der Fehde empfangene Schlagwunden heut er immer in gleicher Weise. Anderseits scheint aber auch im gewissen Sinne die Eigenart der Tarnkappe mit dem Medikamente auf den Inhaber des Kidjigi-njogo überzugehen. Wenn nämlich jemand einen Pfeil auf ihn anlegt, um ihn in den Rücken zu schießen, ist er mit einem Male verschwunden und an einen andern Platz gerückt.

Weiterhin ein verwandtes Medikament, das ähnliche Kraft verleiht, das ebenfalls bei einem Unjogo-dinda, und zwar für die unglaubliche Summe von 80000 bis 120000 Kauri erworben werden mußte, also nur recht wohlhabenden Leuten zugänglich war. Es heißt Lerre-ku. Über seine Herstellung konnte ich nichts erfahren. Es ist ein sagenhaftes Zaubermittel, das möglicherweise gar nicht bassaritischen Ursprungs ist, von dem man mir aber nichtsdestoweniger die erstaunlichsten Dinge erzählt hat. Daß es Leute gibt, die sich "noch erinnern", Inhaber dieser Kraft gekannt zu haben, besagt dabei nichts. Die Bassariten pflegten früher die liebenswürdige Sitte, die erschlagenen Feinde in der Weise zu zerstückeln, daß ihnen auf der Wahlstatt sogleich der Kopf und die Beine an den Knien abgeschnitten wurden. Die derart verunglimpften und zugerichteten Leichen ließ man dann unbekümmert und gleichgültig liegen, wo sie lagen. Das Lerra-ku hatte nun den Zweck, solche häufig geübte Zerstücklung wirkungslos zu machen, und nach der Bassaritenansicht brauchte sein Inhaber solche Mißhandlung seines Leibes nicht zu fürchten. Die Hände seines kopfund beinlosen Körpers griffen nach einem Diffan-kugure, wie sie überall im Bassaritenlande herumliegen. Das sind die Konglomeratballen der Laterittstufen, die bröcklich und an den Stellen, wo die



Atlantis Bd_11-061 Flip arpa

Kiesel herausgefallen sind, mit Löchern versehen sind. (Diese Löcher nennen die Bassariten "Augen" und "Ohren" der Diffankugure.) Einen solchen Ballen legten die Hände des Zerstückelten nun an die Stelle des Halses, wo der Kopf abgeschlagen wurde. Der Erfolg war der, daß der Kopf sogleich wieder am Rumpfe saß. Ob damit gemeint ist, daß der alte Kopf wieder an seine Stelle sprang oder daß aus dem Laterittballen ein neuer Kopf, wenn auch von der alten Art, erstand, konnte ich nicht verstehen. Dann steckte der Mann zwei Stöcke dahin, wo die abgeschnittenen Unterschenkel hingehörten, und sogleich war auch der Unterteil der Beine wieder hübsch in Ordnung. Auf solche Weise wiederhergestellt, ging der Zerstückelte in alter Kraft und Gesundheit unverändert heim.

Von solchen eigenartigen Zaubermitteln kannten die alten Bassariten eine ganze Menge. Es versteht sich von selbst, daß sie nicht gern davon sprachen. Ihre Kenntnis hat für uns den Zweck, in das Phantasieleben dieser Leute und ihre alte Gesittung eindringen zu können. Für den Vergleich mit parallelen und analogen Sitten anderer Völker sind die Gepflogenheiten entschieden von größerem Interesse, die sich auf Liebes- und Familienleben beziehen.

Wenn ein Mann in eine Frau verliebt ist und ohne Erfolg nach ihrem Besitz strebt, weil seine Neigung nicht erwidert wird, so wendet er sich an einen Freund, läßt sich das Unum-pu-mo-njogo genannte Medikament, eine Medizin zur Erweckung der Liebe, von ihm geben. Der Freund erhält als Gegengabe dafür einen Topf mit Bier. Das erwähnte Medikament ist ein Pulver, das aus der Rinde zweier Bäume hergestellt ist, die nebeneinander hochstreben und oben mit den Zweigen ineinander verflochten oder verwachsen sind. Um nun dieses Mixtum seiner geliebten Spröden beizubringen und bei ihr damit Neigungserwiderung zu erwecken, schafft der Verliebte einen weiteren Topf Bier an, den er in das Haus der Frau trägt. Man tut von dem Unum-pu-mo-njogo-Pulver unter den Daumennagel. Darauf setzt man den Biertopf mit der Frau gemeinsam an die Lippen. Diese Art, zu zweien aus einem Topfe oder aus einer Kalebasse zu trinken, heißt hier Bebaga-ndam. Es ist die gleiche Weise, die ich auch bei Tamberma und Moba kennenlernte. Man lehnt die Wangen aneinander, bringt die Münder so nahe zusammen, daß die Lippen aneinander fest anschließen und nichts zwischen ihnen heruntertropfen kann. Jeder der beiden "Brüderschaftstrinker" hält mit einer, und zwar der dem Wangenanschluß entgegengesetzten Hand die Trinkschale, den Daumen an die Innenwand, die andern vier Finger an die Außenwandung lehnend. Es ist also recht bequem, bei dieser Gelegenheit den Daumen, unter dessen Nagel das Pulver ruht, in das Bier zu tauchen, so daß das Unum-pu-mo-njogo unbemerkt in die Flüssigkeit gleitet. Um



Atlantis Bd_11-062 Flip arpa

den vollen Effekt zu erzielen, läßt der Verliebte das Weib ordentlich trinken, markiert aber solches für sich selbst, nimmt also von dem Getränk nicht viel zu sich. —Quibus rebus perfectis kann man getrost nach Hause gehen und versichert sein, daß die Frau nun sehr schnell zu ihm schicken wird, denn mit "diesem Trank im Leibe" ist sie gar bald in ihn arg verliebt. Ich erinnere daran, daß diese Methode, mit dem Daumen einzutauchen und ein unter dem Nagel verborgenes Medikament in ein dem andern kredenztes Getränk zu bringen, auch den Mande bekannt ist.

Folgenderweise verfährt man im Falle der Kinderlosigkeit. Der Mann macht sich mit der sterilen Gattin auf den Weg nach dem Koadi eines Uboa. Drinnen wendet er sich mit einem Gebet an ein Dubaure. Er sagt: "Ich bin mit meiner Frau hierhergekommen. Schon seit langer Zeit beschlafe ich meine Frau. Sie wird und wird aber nicht schwanger. Darum bin ich hierhergekommen und bitte, mir für Kinder zu sorgen. Ich will dann auch eine Ziege hierherbringen."

Nach diesem Bittgänge geht der Mann mit seiner Frau nach Hause zurück und kann nun überzeugt sein, daß der nächste Beischlaf von Erfolg gekrönt sein wird. Das nach solcher Pilgerfahrt geborene Kindchen nennt man Songoi. (Alle Kinder, die als Folgeerscheinung solcher Bittgänge das Licht der Welt erblicken, faßt man unter dem Namen Songoi-ua zusammen.) Der also beglückte Vater begibt sich bald darauf mit Weib und Kind wieder in das gleiche Koadi. Er bringt ein Huhn und einen Topf Bier mit. Der Uboa schlachtet die Henne über den Dubaure. Dann wird sie von der inzwischen eingetroffenen Verwandtenversammlung gekocht und gegessen, wozu außerdem reichlich Bier genossen wird. Der Uboa darf aber auch in diesem Falle niemals von dem Opferfleische mitgenießen. Darf er doch auch niemals von dem Biere trinken, das ihm auf seiner Veranda oder in seinem Gehöft dargebracht wird. Geschenktes Bier darf er nur dann genießen, wenn es ihm unter fremdem Dache kredenzt wird. Um das Einnahmenrecht des Herrn Uboa noch weiter zu beschreiben, sei erwähnt, daß er auch niemals aus eigenem Antriebe Zahlungen fordern darf, daß die Herren Schamanen hierfür aber folgenden schönen Ausweg gefunden: die Dubaure fordern von Zeit zu Zeit dann und wann für sich einmal einige tausend Kauri. Also wohlgemerkt, für seine Tasche kassiert der Uboa nicht ein, sondern nur für Rechnung der Dubaure, und das gilt dann als etwas ganz anderes! — Sehr erstaunt war ich, zu hören, daß, nachdem der bedrängte Familienvater bei seinem Bittgänge den Dubaure eine Ziege versprochen hatte, er jetzt nach dem Erscheinen des Songoikindchens nur mit einer Henne kommt. Eine Erklärung für diese eigenartige Dissonanz erheischend,



Atlantis Bd_11-063 Flip arpa

ward ich folgendermaßen aufgeklärt: "Bringt man den Dubaure sogleich nach dem ersten Songoi eine Ziege dar, so lassen sie es bei dem einen Kinde bewenden. Wenn man aber die Ziege nicht gleich gibt, so sorgen sie für viele Kinder und sind emsig dabei, für weitere zu sorgen, bis sie ihre Ziege bekommen." Aus dieser hübschen Erklärung ersieht man, daß auch die Bassariten ihre Götter ganz nach ihrem Bilde machen!

Um zum letzten der mir bekanntgewordenen Zaubermittel der Bassariten überzugehen, die das Verhältnis zur umgebenden großen Natur, zu den Kräften, die zwischen Himmel und Erde spielen, regeln sollen, sei zunächst einmal auf die Regenmacherei eingegangen. Wenn es lange Zeit nicht geregnet hat, so daß mit der Feldarbeit nicht begonnen werden kann und so für die diesjährige Ernte Gefahr im Verzuge ist, so pflegt sich meist ein einzelner wohlhabender Mann dazu zu entschließen, die Sache zu regeln und seinem eigenen wie dem allgemeinen Bauernbedürfnis abzuhelfen. Es wird dann aber ein solcher Mann nicht im geringsten durch Gutmütigkeit und edlere Herzensgefühle zu solcher Opferbereitwilligkeit bewogen, sondern außer dem eigenen, egoistischen Bedürfnis treibt ihn noch besonders die Freude, vor den andern mit dem schönen "ich kann mir das leisten" protzen zu können. Der gute Mann nimmt also ein Huhn, einen Topf Bier und 6000 Kauri, und mit diesem Geschenk macht er sich auf den Weg zu einem Uta-da (Plural: Bita-dambe), einem Regenmacher. Viele solcher Regenmacher scheint es derzeit im Bassarigebiete nicht zu geben. Ich hörte meinerseits nur von einem einzigen, der beim Uro Tagba wohnte. Der wohlhabende Bauer wendet sich sodann mit folgenden Worten an den Regenmacher: "Hier bringe ich ein Huhn, einen Topf Bier und 6000 Kauri. Die Leute wollen, aber es gibt kein Wasser. (Weil alle Rinnsale und Sammelstellen ausgetrocknet sind.) Die Leute wollen die Acker bestellen, aber es fehlt an Regen. Nun sollen die Leute sehen, daß ich reich bin. Hier ist ein Huhn, ein Topf Bier und 6000 Kauri. Sorge, daß es sogleich regnet." — Der Regenmacher hat unter der weit vorspringenden Veranda seines Hauses einen tüchtigen Topf stehen, der heißt Deta-burr (Plural: Ata-bon). Wenn es nicht regnen soll, wird der Topf leer gehalten. Wenn nun aber, wie im geschilderten Falle, ein wohlhabender Mann mit dieser Gabe und dem erwähnten Sprüchlein kommt - wenn dann auf die Verbreitung dieser Nachricht hin die Leute von allen Seiten zusammengekommen sind, so daß ein rechter Volkshaufe gaffend umhersteht, so verrichtet der Regenmacher an dem leeren Riesentopfe folgende Zeremonie: Erst gießt er Wasser in den Topf. Dann klopft er mit einem Raffiastengel gegen den Rand des Gefäßes und ruft: i. den Namen des



Atlantis Bd_11-064 Flip arpa

Vaters, 2. den Namen seiner Mutter, 3. den Namen Gottes (Umbotes). Dann beginnt er seine Rede: "Mein Vater und meine Mutter! Als ihr noch lebtet, habt ihr den Regen gemacht. Jetzt aber sind die Alten gestorben, jetzt will ich den Regen machen!" Nach dieser Ausrufung tötet er das Huhn und spritzt Blut gegen den Topf und klebt von den Federn daran. Das Huhn wird darauf zubereitet und danach ein kleines Gelage abgehalten. Endlich begibt sich der reiche, gönnerhafte Bauer auf den Heimweg. Sobald er aufbricht, beginnt es zu regnen. Solange er auf dem Heimweg begriffen ist, regnet es. Es regnet, bis er nach Hause kommt - und nachher noch solange, als es nötig ist-so behaupten die Bassariten.

Den größeren Naturvorgängen gegenüber findet das Bassaritenvolk sich mit dem einfachen Satze ab: "Das macht Gott. Wie es kommt, das kann kein Mensch wissen." Der Wechsel der Jahreszeiten, Sonnenauf- und -untergang, Mondbewegung, Sternenhimmel, alles, alles wird in der gleichen, gleichgültigen Art und Weise als das Selbstverständliche und darum Uninteressante behandelt. Kein Bassarit scheint eine Erklärung für solche Vorgänge zu haben. Die Phantasie findet keinerlei Betätigung in diesen Regionen, die in gar keinem Zusammenhange mit den materiellen Interessen dieser Menschen zu bringen sind.

Interesse, aber auch nur ein sehr primitives, erweckt nur das Einschlagen des Blitzes, der Räume spaltet und Menschen tötet. Man nimmt an, daß die Donnerkeile das machen. Aber erst wenn ein Schaden auf solche Weise entstanden ist, suchen die Bassariten nach einer Schutzwehr in Medizinform. Dagegen scheinen Vorbeugungsmittel für Gewitterunglück unbekannt zu sein. Wenn ein Mensch vom Blitz erschlagen ist, bespritzen sie die aufgebahrte Leiche mit Medizinwasser, vom gleichen Medizinwasser gießen sie auf den Toten, wenn er ins Grab gelegt ist, und nachher waschen sie sich selbst noch damit, damit die "Krankheit" nicht auf sie übergehe. Dieses Medizinwasser heißt Bija-njogo-njim. Es wird unter Verwendung gewisser Baumblätter hergestellt. Durch Blitzschlag entzündete Häuser läßt man ohne zeremonielle oder praktische Zaubermittel einfach herabbrennen. Auch legt man dem Blitzfeuer keinerlei besondere Beachtung bei. — Es sei bei dieser Gelegenheit erwähnt, daß Feuerentzünden durch Schlagen von Stein und Eisen erfolgt und daß das alte Bohrfeuerzeug in diesem Teile Togos verschwunden zu sein scheint.

Eine eigenartige Vorrichtung sieht man nicht selten in den Bassaritenhütten. Sie besteht in einer Schnur, die vom Dachsparren senkrecht zum Boden geführt und hier an ein Holzkeilchen gebunden ist, das mit Blut und Federn beklebt und in den Fußboden gestoßen wurde. Ich konnte nichts Genaueres über diese Vorrichtung



Atlantis Bd_11-065 Flip arpa

erfahren. Die Annahme, daß es ein Gewitterschutz ist, widerspricht der allgemeinen Angabe, daß es ein "Weg für das Leben" ist. Ob damit aber abgeschiedene Seelen oder was sonst gemeint ist, wurde nicht gesagt. Das Interessante daran ist, daß solche fraglos mit religiösen Ideen zusammenhängende Strickverbindungen zwischen Dach sparren und Fußboden auch in den Hütten der Bobo vorkommen.

Zum Schluß noch eine hübsche Anschauung. Wenn ein Dugurre, d. i. ein Mann mit einem Buckel, stirbt, so binden sich alle Leute der Nachbarschaft, ja wohl des ganzen Dorfes, einen aus Palmenfasern geflochtenen, mit Kauri geschmückten Strick um den Hals, der kekalang-mio genannt wird. Die Enden läßt man herunterhängen. Diese Maßnahme hat den Zweck, es zu verhindern, daß etwa der Buckel auf den Träger des kekalang-mio übergehe. Es ist also ein Schutzmittel gegen den Buckel, von dem man annimmt, daß er von einem toten Menschen auf andere Lebende übergehe, wenn der Buckelträger stirbt. Nicht so ist es mit Kenne-bo, dem Kropf. Vom Kropf glaubt man, daß er mit dem Kinde geboren werde und mit dem Tode des von ihm Behafteten auch vergehe. Dagegen darf niemand, der einen Kropf hat, mit einem ganz kleinen Kinde neben sich essen. Er muß abseits gehen, sonst stirbt das Kind. — Solche Glaubensformen findet man bei jedem dieser Völker in reicher Menge.

"Alloa"(siehe Tim!) gibt es bei den Bassariten nicht. Auch fehlt ihnen angeblich folgende bei den Konkomba recht häufige Sitte: Die Konkomba bezeichnen ältere Frauen, die steril blieben und keine Kinder hervorbringen, als Ussobo (Plural: bussombe). Sie werfen den Bussombe vor, daß sie schlechte Menschen seien und entweder selbst Vampirmenschen oder mit Vampirmenschen Umgang gepflogen hätten. Solche Weiber werden dann in den Busch verjagt, in dem sie sich in Altweiberdörfern ansiedeln. Diese Altweiberdörfer sollen im Konkombaland ziemlich häufig sein, im Bassarigebiete aber fehlen.

Das Trauerzeichen der Bassariten ist einfach. Kinder schneiden sich nach dem Tode des Vaters das Haar ab. Sie kennen folgende Sitte der Kabre, üben sie aber angeblich nicht: Das Trauerzeichen der Kabre besteht bei Gatten in Stricken um Stirn und um Hals, bei allen andern in einem Strick um den Hals und einem solchen um die Lenden. Bei den Mossistämmen ist meist Schwarzfärben Trauerzeichen, doch kommt auch Tragen primitiver Blätterkleidung vor.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt