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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

i) Der Uboa (Schamane) und sein Werdegang

Eine weitere Art kleiner Opferplätzchen sah ich mehrfach an der Außenwand der Durchgangshäuser an der Straßenfront, und zwar direkt über der Tür. Unwillkürlich erinnert das an die allerhand Opfer enthaltenden Nischen an den Tombo-Habehäusern in Korn oder die zwei Phallusse an der Front des Djennehauses oder an ähnliche Vorkommnisse an den Stirnen der Tambermaburgen. An den Bassarihäusern ist es meist eine Ausschälung, eine ausgesparte Lücke in der Lehmwand, in der meistenteils einige Hühnerfedern angeklebt sind. Die Stelle heißt umbote (Plural:



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inumbote), trägt also den Bassarinamen für Gott. Zu diesen Opferplätzen ward mir folgende Erklärung geboten:

Wenn ein Kind krank wird, so geht der besorgte Vater sogleich zu dem Uboa (Plural: Biboabe) genannten Priester. Er bringt ihm fünf Kaurimuscheln dar. Vater und Uboa hocken nun einander gegenüber nieder und fassen beide einen Stock, jeder an einem Ende. Die fünf Kaurimuscheln liegen zwischen beiden am Boden. Der Stock beginnt nun sich zu bewegen, und zwar mit dem vom Vater erfaßten Ende. Das in den Händen des Uboa liegende Ende ruht fest. Die Bewegung des Stockes geht anscheinend automatisch vor sich, und zwar bezieht sie sich auf die Gestalt des Vaters. Das Stockende tanzt erst um die fünf Kaurimuscheln, dann huscht es um den Vater herum, ihn bald berührend, ihn oder einzelne seiner Körperteile umkreisend, dann wieder zu den Kaurischnecken zurückkehrend, um den Weg von vorn zu beginnen.

Dabei sprechen Vater und Uboa miteinander. Den Anfang der Unterhaltung macht niemals der Vater, sondern stets der Priester. Der Uboa sagt bald nach dem Erfassen des Stockes: "Du brauchst mir nicht zu sagen, was dir fehlt. Gott hat es mir schon gesagt. Er hat mir gesagt, daß du gekommen bist, weil dein Kind krank geworden ist." Darauf der Vater: "Was fehlt meinem Kinde? Ist es hier?" Dabei führt er die ihm zugewendete Spitze des Stabes z. B. an den Bauch. Die Spitze kehrt automatisch zurück zu den Kauri, tanzt darüber und darum herum. Der Uboa sagt: "Das ist es nicht." Darauf führt der Alte sein Stabende an eine andere Stelle seines Körpers und sagt: "Ist es hier?" Der Stock kehrt automatisch zu den Kauri zurück und so fort, bis endlich die richtige Körperstelle gefunden ist. Dann weiß es mit einem Male der Uboa und er sagt: "Ja, an der Stelle ist dein Kind krank." Nach dieser Feststellung fügt der Uboa noch hinzu: "Du mußt nun Umbote (Gott) das und das Tier opfern."

Damit ist die Konsultation abgeschlossen. Der Vater geht. Die fünf Kauri bleiben beim Uboa. Eine eigentliche Bezahlung erhält der Priester nicht. Der Vater aber geht vom Priester direkt zu einem vertrauenswürdigen Arzte und kauft bei ihm in der oben geschilderten Weise die für den kranken Körperteil geeignete Arzenei. Außerdem und vor allen Dingen aber wird das vom Priester geforderte Opfer an der vom Umbote genannten Stelle an seinem Hause vom Vater für Gott dargebracht.

Damit sind wir sogleich in das Wesen des Biboabe genannten Schamanen eingeführt, und wir wollen sogleich den interessanten Weg verfolgen, auf dem ein Mensch zum Uboa wird. Der Uboa ist der typische sudanische Schamane, und als solcher ist er mit seiner schamanistischen und prophetischen Veranlagung geboren, gewisser-



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maßen von Gott für seinen Priesterberuf von vornherein auserkoren. Er ist genau vom Schlage jener Schamanen, die als Lagam bei den Tombo-Habe eine so eminente Rolle spielen, der Djeggu-tu der Bosso-Soroko usw. Es wird niemand schwer werden, die Parallelen sogleich zu erkennen, die sich auf die kleinsten Kleinigkeiten wie auf diffizile und alles erklärende Hauptsachen erstrecken.

Den zukünftigen Uboa erkennt man schon im neugeborenen Kinde. Ein solches Wesen sieht nicht rund und gesund in die Welt. Vielmehr ist es ganz mager, dürr, die Haut liegt auf den Knochen auf. Also ein jämmerliches Geschöpfchen. —Es drängt sich uns die Frage auf, ob ein Volk vom Schlage der Bassariten auf die tiefe Idee gekommen sein könne, daß der zukünftige Prophet, das Werkzeug der hohen Macht, so recht jämmerlich in die Welt einziehe, just als solle der Gegensatz dieser kümmerlichen Körperbildung zu der zukünftigen Geistesgröße besonders scharf betont werden. Die Betonung solcher Gegensätzlichkeit ist wohl nicht zu bestreiten, aber daß sie vom Geistestum des Bassaritenschlages geschaffen sei, möchte ich doch ablehnen. — Der Vater, der solch kümmerlichen Sproß in seinem Hause einziehen sieht, erschrickt. Der Mann will hier kräftige, gesunde Kinder haben, ordentliche Nachkommenschaft tüchtigen Bauerntumes. Der entsetzte Vater geht also sogleich zu einem besonders angesehenen Uboa und unterwirft sich dem Stockorakel. Das Stockorakel aber sagt ihm, daß das Kind so elend und mager aussehe, weil die Dubaure (Singular: abaure) beschlossen hätten, daß es einmal ein Uboa werden solle. Dann läßt der Uboa den besorgten Vater heimkehren und gibt ihm den Auftrag, auf die Umbotestelle, die Opferschale über der Haustür, Wasser zu gießen. Sowie der Vater diesem Befehle nachkommt, zeigt das Kind sogleich eine Neigung zu gesunderer Entwicklung und kommt dann auch bald zu guten Kräften. Erkrankt das Kind dann später nochmals, so hilft das Opfer eines Perlhuhnes über der gleichen Stelle und einer Ziege mitsamt einer Henne unter der Umboteopferausschalung unbedingt. — Von vornherein möchte ich auf die kleine, anscheinend nicht unwesentliche Differenzierung aufmerksam machen. Der Umboa behauptet, daß die Dubaure den zukünftigen Uboa erkoren hätten, aber ein Opfer auf der Umbote, der Gottesschale, hilft ihm, und daß das Wasser dabei eine so große rettende Rolle spielt, erinnert uns daran, daß die Taufe als religiöse Reinigungszeremonie auch bei vielen Völkern in Ubung gefunden wurde, ehe noch eine Beziehung zum Christentume eingetreten sein konnte. Jedenfalls verdienen diese Züge unsere vollste Aufmerksamkeit. Sie bestärken mich unbedingt in der Überzeugung, daß diese Diabastämme Träger einer außerordentlich alten Kultusform sind.



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Das aufwachsende Kind scheint zunächst nicht durch irgendwelche Symptome seiner prophetischen Veranlagung ausgezeichnet zu sein. Erst wenn der Bursch erwachsen ist, wird er hellseherisch und pflegt dann und wann Dinge zu sehen, die andern Sterblichen unsichtbar bleiben, und damit beginnt seine Schamanenlaufbahn, in die er nun mit oder gegen seinen Willen auf folgende Weise hineingedrängt wird: Eines Tages sieht er z. B. ein kleines, etwa T-förmiges oder wie ein T oder ein doppelter Angelhaken geformtes, Agema genanntes Eisen in der Erde am Wege liegen. Wenn ein anderer den Weg gehen würde, könnte er es nicht wahrnehmen, denn das Eisen zeigt sich nur dem zum Uboa Vorbestimmten. Der aber mag das Ding wohl sehen, aber keinerlei Interesse dafür an den Tag legen. Das Agemaeisen läßt sich durch diese Gleichgültigkeit aber nicht im geringsten stören. Nach einiger Zeit legt es sich irgendwoanders so hin, daß der Bursch, des Weges kommend, es sieht -während es jedem andern auf jeden Fall unsichtbar bleiben würde. Und so zeigt sich das kleine Eisen dem jungen Manne bald hier, bald dort, bis er sich dem direkten Einfluß nicht mehr entziehen kann, bis die Neugier ihn überwältigt, bis die Macht des Eisenagema ihn gefangengenommen hat - oder ähnlich. Meine Berichterstatter ließen die Kräfte des Widerstandes seinerseits und die Überwältigung durch das Agema nicht so deutlich werden, daß ich eine Analyse geben kann.

Jedenfalls, der junge Mann hebt nach längerem Zögern widerstrebend das Agema auf und fragt es: "Was bist du?" Das Agema sagt dann: "Ich bin ein Abaure (Plural: dubaure)." Der Bursch dann wieder: "Was willst du?" Das Agema: "Du sollst mich mitnehmen. Du sollst mich in dein Gehöft tragen. Du sollst mir ein Koadi geben. Du sollst mir ein Huhn schlachten usw". Vielleicht ist der Mann immer noch nicht bereit, den neuen Beruf zu beginnen, und wirft das Agema nochmals fort. Aber es hilft ihm nichts. Das Agema läßt die Berufsflucht nicht zu. Es zeigt sich ihm immer wieder, bis er es eines Tages wieder auf- und mit nach Hause nimmt. In seinem Gehöft stellt der angehende Schamane nun irgendeine Hütte in den Dienst der neuen großen Sache. Sie wird von jetzt an zu nichts anderm mehr verwendet und führt den Namen: Koadi. Im Koadi lehnt er das Agemaeisen als ersten, heiligen Gegenstand an die Wand. Kaum ist es aber an diesem Orte angelangt, so beginnt das Agema heftig zu wachsen, bis es so groß und größer als ein Mensch ist.

Wieder ein anderes Mal trifft der angehende Schamane irgendwo einen sogenannten Diffankugerestein (Plural: affankuku). Das sind bald runde, bald längliche Stücke des Latteritterzes. Die Diffankugere drängen sich dem Uboanovizen in ähnlichem Spiel auf



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wie die Agemaeisen. Nur zeigen sie sich nicht hie und da am Wege, sondern sie laufen dem Mann überall hin nach. Andere Leute sehen das nicht, aber der Uboa sieht solchen Stein bald hier, bald dort ihm entgegenlaufen, bis er ihn aufnimmt und ihn fragt: "Wer bist du ?" und: "Was willst du?" Dann nimmt er ihn heim. Er wird in das Koadi zu dem Agema gestellt. Der Uboa findet nicht nur einen, sondern mehrere solcher Steine und legt sie alle in das Koadi.

Unwillkürlich erinnert das an die Art und Weise, wie bei den Tombo-Habe der Lagam durch Auffindung der heiligen Perlen zum Lagam wird. Auch den heiligen Stab solcher Priester werden wir gleich kennenlernen. Wenn der junge Uboa nämlich die Dubaure im Koadi gesammelt hat, fertigt er sich einen Stab, den sogenannten "Uboapondo" an. Das ist ein etwa 1,20 m langer Stab, in dessen Rinde der Uboa drei Ringe hineinschneidet. Danach tötet er ein Huhn. Er bindet einige Federn an das Stabende und bestreicht es zudem mit Blut, worauf der "Uboapondo" fertiggestellt ist. Sobald der Uboa ihn nun zur Hand nimmt, zieht sogleich unbegrenztes Wissen in ihn ein. Der Uboa kann mit seinem Stabe in der Hand alle Fragen beantworten, die ein zu ihm Kommender in Gedanken hat -noch ehe sie ausgesprochen sind. Kommt jemand zur Konsultation, so ruft der Uboa den Namen Gottes, dann den seiner Mutter, dann den seines Vaters. Darauf kommen die Dubaure zu ihm, und die können ihm alles sagen. Aber nur der Uboa selbst sieht seine Dubaure kommen. Ein anderer sieht sie nicht. —Jedenfalls haben wir mit alledem das Werkzeug und den Werdegang des Schamanen kennengelernt, über dessen Tätigkeit noch mancherlei zu sagen sein wird.

Sehr wesentlich ist mir hier festzustellen, daß diese ganze Glaubensgruppe bei Bassariten und Konkomba genau übereinstimmt - bis in die kleinen Details hinein wie Aussprache der Namen, usw.


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