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VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

h) Bestattung. Totenfeste. Ahnendienst

Wenn ein alter Mann erkrankt, wendet der Sohn sich an einen Unjogo-da (Plural: Injogo-dambe). Das ist ein Arzt, allerdings ein Arzt von jenem Typus, die man bei uns wohl als Kurpfuscher bezeichnen könnte. Der Unjogo-da geht nicht zum Kranken und läßt noch weniger den Kranken zu sich kommen. Er läßt sich ein wenig schildern, was für Symptome vorhanden sind; darauf verabfolgt er ein Medikament. Als Vergütung erhält dieser Herr Doktor sogleich ein Huhn und einen Lohn von 600 oder 800 Kauri, erstere Summe, wenn der Kranke ein Mann, letztere wenn er ein Weib ist. Auch hier also wieder die eigenartige Zahl 3 für Männer und 4 für Weiber.

Von irgendwelchen wesentlichen Arzneimitteln konnte ich auch hier nichts bemerken. Es muß sich der Eindruck aufdrängen, als ob die Westsudanstämme kaum mehr als einige Abführungs-, Stopf- und vor allen Dingen Schwitzmedikamente besitzen, die immer wiederkehren und nur verschieden gemengt, dosiert und benannt sind. — Mit solchen Medikamenten werden nun auch die Kranken behandelt. Schlagen sie ein und führen zur Besserung, so fährt man in der Anwendung des gleichen Arzneimittels fort. Ist aber kein nennenswerter Erfolg zu sehen, so wechselt man den Arzt. Anscheinend geht Änderung der Behandlungsweise immer mit einem Arztwechsel vor sich. Kaum wird ein Bassaritenarzt zu der Offenherzigkeit kommen zu sagen: "Das erste Medikament war wohl nicht das richtige. Versuchen wir es mit einem andern."

Nützt die neue Kur auch nichts und geht es mit dem Kranken bergab, so macht man, besonders wenn der Kranke ein älterer Mensch ist, keine besonderen Umstände mehr, sondern man läßt ihn ungeschoren. Man gibt in diesem Falle die Sache sogar recht schnell auf, so schnell, daß der Eindruck nicht zu verwischen ist, die Familie lege absichtlich dem räuberischen Tode keine besonderen Hindernisse in den Weg. Diesem Gedankengange kann man sich um so



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weniger entziehen, wenn man hört, daß die Familie stets geneigt ist, einem solchen Alten auch die gesundheitswidrigsten Wünsche nicht abzuschlagen. Im folgenden werde ich zu berichten haben, wie sorgfältig im Gegensatz hierzu die Alten für Erhaltung ihrer jungen Nachkommenschaft bedacht sind. Alte Leute sind eben unnütze Brotesser. Die Jungen sind die Familienerhalter. Es ist recht merkwürdig, wie kraß in allen Sitten und Gepflogenheiten diese Anschauung durchgeführt ist.

Der sehnlichste Wunsch der Alten ist auf Ndam, auf Sorghumbier gerichtet. Das ist auch der "letzte Wille" der kranken Alten, und wenn die ersten Medikamente nicht sehr bald eine günstige Wendung des Zustandes herbeiführen, kommt man ihm auch gern nach. Um das ganz zu verstehen, muß man die Bassariten längere Zeit beobachtet haben. Morgens um 9 oder 10 Uhr gehen in jedem großen Ort schon einige würdige Greise über die Straße und vereinigen sich bei einem Freunde, dessen Frau oder Tochter Ndam bereitet hat. Der Humpen kreist. Mittags wandern die gleichen oder andere alte Männer in ein zweites Gehöft. Das Geschäft, was sie dahin zieht, ist das gleiche: Biertrinken! Am Abend kann man sicher sein, an einem andern Orte zu gleichem Zwecke ein Konzilium vereinigt zu finden. Mittlerweile arbeiten die "Jungen" in den Feldern und Schmieden. Man kann sagen, daß im Biertrinken und Geschwätz das Tagesleben der Alten seinen wichtigsten Ausdruck findet. Und darum: Wenn es zum Sterben geht, folgt die alte Seele auch dem Biergedanken, der sie ins Jenseits leitet. Der Alte verlangt im letzten Augenblick Bier, und es ist wohl nicht nur Gutmütigkeit, wenn die Jungen dem Wunsche nachkommen, denn sie wissen, welche Gefahr mit der Gewährung verbunden ist. Also der Alte labt sich noch einmal gründlich und dann stirbt er —oft, wie behauptet wird, mit dem letzten Schluck.

Die Bestattung erfolgt am gleichen Tage. Der Leichnam wird sogleich nach dem Tode gewaschen, rasiert und mit einem roten Creme eingerieben, der aus einer Mischung von Schibutter und zermalmter Baumrinde besteht. Inzwischen eilen Boten in die umgebenden Dörfer, und von da aus verbreitet sich die Nachricht über das Land, weit hinaus, so daß auch entfernt wohnende Verwandte und Freunde in Bälde unterrichtet sind. Die Folge ist, daß am gleichen Tage noch von allen Seiten Menschen herbeiströmen, truppweise, Männlein und Weiblein. Aber die gleichen Gruppierungen wiederholen sich immer wieder: vorn der Hausherr, hinter ihm Tochter oder Sohn, die Donnerbüchse tragend - ein altes Weib, das einen Topf mit Bier auf dem Kopfe hat, noch ein Weiblein, ein ärmerer Alter, der nicht allein gehen mag, oder eine Freundin der Familie.



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Inzwischen heben jüngere Leute das Grab aus. Andere flechten die Tragbahre, Ulünde (Plural: lilundo) genannt. Sie besteht im wesentlichen aus vier Bambusstangen. Der Tote wird gestreckt daraufgelegt. Zwei Leute tragen die beladene Bahre zu Grabe. Es gibt Kirchhöfe draußen, nicht weiter als eine Viertelstunde von der Ortschaft entfernt, wenn nicht näher. Da ist Grab neben Grab angelegt. Es sind einfach senkrechte Schächte.

Die Leiche wird ausgestreckt auf der Seite liegend niedergelegt. Eine Hand ruht unter dem Kopfe, die andere zwischen den Beinen. Männer- und Frauenleichen ruhen verschieden. Zur Erklärung hierfür sagte ein Alter recht hübsch: "Wenn die Sonne aufgeht, geht der Mann zur Farmarbeit. Wenn die Sonne untergeht, geht die Frau zum Markte." Ein zweiter Alter sagte: "Wenn die Sonne da (ca. 4 Uhr) steht, nimmt die Frau ihre Last auf und sagt: ,Ich will zum Markte gehen.' Wenn die Sonne aufgeht, nimmt der Mann seine Hacke und sagt: ,Ich will nun zur Farmarbeit gehen!" — Demnach ist die Lage der Toten also folgende: Frauen mit der rechten Hand unter dem Kopfe nach Sonnenuntergang gewendet - Männer mit der linken Hand unter dem Kopfe nach Sonnenaufgang sehend. Bei beiden aber der Kopf nach Norden, die Beine nach Süden.

Man deckt die Leichen nur mit einem Blatte zu. Das ist vom Baume Ngallende genommen, der kleine, schwarze Beeren hat. Dies Blatt deckt merkwürdigerweise die nach oben gerichtete Ohröffnung, "damit keine Erde hineinkommt". Im übrigen wird sogleich nach der Bettung die Erde über den Leichnam geworfen, der nur durch das Blatt auf dem Ohr von ihr getrennt ist. Ich sah und hörte nichts von irgendeiner Grabbeigabe. Die Grube wird bis oben hin mit Erde und Steinen gefüllt.

Auf das Grab kommen zunächst einmal drei Steine. Dann noch ein Gerät. Die Grabgrube wurde mit einem Kenjanguiu (Plural: Tinganguidi) ausgeholt. Wenn nach der Beisetzung unter Zuhilfenahme des gleichen Werkzeuges, das nichts anderes als ein Erdbeil, ein Knieholz mit darübergeschobenem Eisenkeil ist, das Grab wieder zugeworfen ist, so ziehen die jungen Leute das Eisen vom Kenjanguiu und werfen das Griff- oder Knieholz hin. Das Eisenblatt nimmt man heim. Das Griffholz des Erdbeiles kommt aber auf das Grab zu den drei Steinen und wird auch mit Sträuchern, die über dem Grabe aufgeschichtet werden, bedeckt.

Dieses Griffholz auf dem Grabe der Bassari erinnert mich an einige analoge Vorkommnisse, die mir im Sudan auffielen. Da ist zunächst das Mobagebiet. Direkt neben "Dapong", dem ersten Rathause, das wir in Togo kennenlernten, fand ich fünf Gräber. Auf dreien fand ich solche Kniehölzer. Dann in Kani-Bonso, oben



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im Totental, in einer Grabhöhle, fand ich gleichfalls ein Holz, das aussieht wie ein Griff. Fernerhin erzählten mir einige Diarra im Kankangebiet, daß ihnen die Gräber der "alten"Bamanakönige im Segusprengel wohl bekannt seien. Sie wollten mir nicht mit Angaben über den "heiligen" Platz der Gräber dienen, gaben aber an, daß auf jedem eine Hacke läge. Wenn, was die Zeit mit sich bringt, der Hackengriff abgewittert sei, erneuere man ihn durch einen andern; das Eisen sei aber von alters her immer das gleiche.

Zu den Vornahmen beim Begräbnis gehört vor allen Dingen "Schießen". Auf dem Wege vom Wohndorfe zum Grabe wird ordentlich geschossen. Auf der Rückkehr nach Hause wird wieder geknallt, was die alten Donnerbüchsen nur aushalten. Geknallt wird dann wieder abends beim "Totenumtrunk". Wenn dann später noch die Söhne und Schwiegersöhne als verspätete Gäste erscheinen, ziehen sie knallend zum Grabe, kehren knallend wieder ins Dorf zurück. — Diese echt negerhafte Vorliebe fürs Knallen habe ich oftmals beobachtet, und zwar beobachtet mit dem Bestreben die Freude daran zu verstehen.

Die Büchsenknallerei gehört zum Festtrubel bei mancherlei Gelegenheit, bei Totenfest, Beschneidungsfest, bei Hochzeit, bei "Empfängen" hoher Herrschaften usw. Zunächst ist deutlich wahrnehmbar das protzenhafte Gefühl des Individuums, das die allgemeine Aufmerksamkeit auf seinen Flintenbesitz nicht schöner konzentrieren kann, als indem er schießt. Zum zweiten ist die afrikanische Negerrasse mit der Büchsenmusik sehr zufrieden, denn laut sind ihre Lärminstrumente, Trommel, Horn, Glocke. Endlich aber kommt das noch dazu, was mich zu dieser Reflektion veranlaßt: die Furcht. Bei Beschneidungsfesten wird ausgesprochenermaßen deswegen so geknallt, weil die Geister ferngehalten werden sollen, die sonst so frech den beschnittenen Knaben auflauern. Und bei den Totenfesten?

Wenn man von jenen Leuten absieht, die durch ihr Handwerk mit Toten in häufige Berührung kommen, und einigen ganz besonders robust veranlagten Menschen, wird man sagen können, daß die Hantierung mit einem Leichnam für niemand eine gleichgültige Sache ist. Ebenso sicher aber kann man sagen, daß die allermeisten, zumal die Neger, bestrebt sind, ein möglichst gleichgültiges Gesicht dazu zu machen, um das ungemütliche Gefühl nicht merken zu lassen, das einen befällt. Gleichmütig zu erscheinen, gehört beim Neger an sich schon zum Zeichen guter Erziehung und unbeeinflußbarer Männlichkeit. Aber gerade bei den Grabgeleiten der Bassariten konnte ich wahrnehmen, daß der Neger sehr zufrieden ist, wenn er durch die Knallerei einerseits sein eigenes Empfinden betäuben und anderseits die Aufmerksamkeit anderer ablenken kann.



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Der Neger, und zumal der Bassarit, ist dem Leichnam gegenüber ganz und gar nicht gleichgültig. Er hat unbedingt das Grauengefühl. Und darüber hinweg hilft die Knallerei.

Eine andere Frage ist es, ob der Bassarit damit eine besondere Vorstellung verbindet, ob er zum Beispiel mit dem Geknalle die Geister im allgemeinen oder den Geist des Toten, den er da fortbegleitet, fernhalten will. Einer so klaren Herauskristallisierung einer Idee aus dem ganz allgemeinen, dem Bewußtsein mit Absicht möglichst ferngehaltenen Gefühl des Grauens, der Gespensterfurcht, halte ich den Bassariten im allgemeinen nicht für fähig. Ich habe bei meinen Unterhaltungen über diesen Punkt keine Andeutung von irgendeinem auch noch so keimhaft ausgebildeten Gedanken, der in diese Richtung zielen könnte, gehört.

Aber ganz dem wirtschaftlich-egoistischen Geiste der Bassariten entspricht es, wenn auch hier wieder der Satz Geltung gewinnt: Ist der Tote ein junger Mensch gewesen, dann wird geheult und nicht getanzt - war es ein altes Individuum, so wird getanzt und nicht geheult! Aber so roh wie hier habe ich das niemals aussprechen gehört. Klipp und klar, ohne Scheu, wurde mir von Jungen in Anwesenheit von Alten und unter selbstverständlicher Zustimmung seitens der Alten angegeben: "Wenn ein alter Mann stirbt, so ist das gleichgültig. Der alte Mann ist nur zum Biertrinken gut. Er kann nicht mehr arbeiten und nützt nichts. Er ißt und will auch nur Gutes essen. Der junge Mann aber arbeitet. Er verlangt nicht viel für sein Leben. Er arbeitet auf der Farm. Er nützt also sehr. Deshalb muß man tanzen und froh sein, wenn ein Alter stirbt. Weinen muß man, wenn ein junger Mensch stirbt." In ganz gleich roher Weise äußerten sich die Leute über den Unterschied, der den Todesfall eines jungen, arbeitsamen und fortpflanzungsfähigen Weibes von dem einer alten, müden und sterilen Frau scheidet. — Aber bei den Frauen werden sowieso weniger Umstände gemacht als bei den Männern, und so verschwindet die Differenzierung in der Sittenausübung bei ihnen mehr als bei den Männer begräbnissen.

Totenfeste für alte Leute währen bei leidlich angesehener und wohlhabender Familienzugehörigkeit oft tagelang. Das Normale scheint eine Festzeit von sieben Tagen zu sein. Solche Totenfeste sind Volksfeste, an denen sich die ganze Gegend mit aller Hingabe beteiligt. Eigentlich gefeiert wird nur gegen Abend, den Abend hin, und dann in die Nacht hinein. Von allen Seiten strömen gegen 4 oder 5 Uhr die Leute im Trauerdorfe zusammen. Immer truppweise mit Gewehr und Biertopf, Männer und Weiber. Ich wohnte einer solchen Festversammlung bei, deren Gedrängtheit die enge Fassung der Dörfer nicht bergen konnte. Die Leute saßen noch vor den Toren. Besondere Zeremonien scheinen mit den Totenfesten



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nicht verbunden zu sein. Ich sah und hörte nichts davon. Also müßte mir etwas versteckt oder verschwiegen sein. Aber das glaube ich nicht. Es handelt sich nur um ein Freudenfest. Ein unnützer Brotesser ist tot. Also wird gejubelt, getanzt, geknallt. Auch hier fordert man von lachenden Erben ein "standesgemäßes" Fest. Es gehört zum guten Ton, ordentlich etwas daraufgehen zu lassen, und ist eine Gelegenheit, die Achtbarkeit und Ansehnlichkeit der Familie einmal recht zum Ausdruck zu bringen. Auch ist für würdigen Verlauf der Festlickkeit schon vorher gesorgt worden. Sehr oft kaufen gute Söhne schon bei Lebzeiten des Vaters einen kleinen soliden Pulvervorrat, denn im Geknalle äußert sich die Vornehmheit.

Übrigens beziehen die Erben gleich nach des Vaters Tode sein Haus.

Dann haben die Bassariten in ihrem Sittenkodex noch eine sehr interessante Einrichtung, die den Namen "Binja-titu-piti" führt. Das ist die Überführung "der Seele des Toten" zu jener Stätte, an der der Gestorbene seinerzeit geboren wurde. Diese Zeremonie findet statt am vierten Tage nach dem Ableben. Bei der Zurichtung der Leiche hat man einige Haarbüschel aufgehoben (ganz ähnlich in Nupe). Am vierten Tage nun nimmt man sie und außerdem eine Handvoll Erde vom Grabe des Bestatteten. Die Erde wird mit den Haaren gemischt und in eine Tonschale gefüllt. Weiterhin wird eine neue Tragbahre hergestellt. Man nimmt nie die alte, auf der der Leichnam fortgeschafft wurde, sondern fertigt, wie ausdrücklich betont wird, eine neue an, und zwar ebenfalls aus Bambus und tragbar von zwei Männern. Auf der Bahre werden zunächst einige Stoffe ausgebreitet, die dem Alten gehörten. Auf sie stellt man die Tonschüssel mit den Haaren und der Graberde. Hierüber deckt man abermals Tücher.

Zwei Männer nehmen die Bahre auf den Kopf. Sie tragen sie dem Dorfe zu, in dem der Tote bestattet wurde. Viele Menschen schließen sich der Bahre an, Männer und Weiber. Die Donnerbüchsen werden mitgeführt. Weiber haben ihre kleinen Kinder auf den Rücken gebunden. Es ist ein langer Zug, der sich in der Richtung auf das Geburtsdorf des Toten in Bewegung setzt. Aber vor dem Eintritt in dies Dorf, am letzten Kreuzwege, macht das Ganze halt. Am Kreuzweg ist ein kleines Grab, ein Miniaturgräblein, ausgehoben. Dort hinein wirft man den Topf mit den Haaren und der Erde. Gleichzeitig wird geschossen, was die Rohre nur aushalten. Darauf setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Nun walifahrtet die ganze Gesellschaft bis zu dem Hause oder Gehöft oder der Stelle, an der der Verstorbene seinerzeit geboren wurde. Dort werden feierlich Hühner geschlachtet und deren Blut umher-



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gespritzt. Ob dabei irgend etwas gebetet oder aus der Lage der sterbenden Hühner irgendein Orakel gelesen wird, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, daß hinterher abgekocht und geschmaust wird, und zwar die gleichen Hühner, die soeben "geopfert" wurden. Ich brauche nicht besonders zu betonen, daß man die ausgezeichnete Gelegenheit, ein Bierfest zu feiern, nicht ungenutzt verstreichen läßt, daß man trommelt und tanzt, vor allem aber heftig knallt. Erst gegen Morgen nimmt die nächtliche Veranstaltung ihr Ende. Da wandert alles heim, und die wichtigste Zeremonie des Totenfestes ist erfüllt.

Die Seele (Kenang, Plural: N'nam) gibt den Bassariten keine besonderen Probleme auf. Er nimmt an, daß, wenn der Mensch schliefe, sie ihn verließe. Dann ginge die Seele umher und sähe sich alles an. So entstünde der Traum (Kedamtiu). Dagegen soll die Seele mit dem Körper gemeinsam absterben. Wie so häufig muß man sich aber auch hier wieder die Wertlosigkeit und das Zustandekommen solcher Angaben klarmachen. Beharren wir also einen Augenblick bei diesem Punkte.

Der Bassarit, ja mehrere Bassariten versicherten mir auf meine Frage: "Was wird denn aus der Kenang, wenn der Mensch stirbt?" auf das bestimmteste: "Sie stirbt auch!" Gleich darauf schildern sie mir, wie den Seelen der Toten geopfert werde. — Ich habe solchen Widerspruch so oft gehört, daß ich nicht umhin konnte, seiner Entstehung nachzugehen. Im vorliegenden Falle ist die Sache sehr einfach. Die regelmäßigen, den Jahreszeiten entsprechenden Opfer an die Toten sind fest gegliedert und entsprechen ganz genau den Totenopfern, die bei fast sämtlichen Diabastämmen gefeiert werden. Es liegt ein alter, wohlausgebauter Kultus, der einer vollwertigen, auch wohlgeordneten Anschauung entspricht, als gemeinsames Religionsgut vor. Die meisten Diabastämme können genaue Angaben machen, so die Mossifürsten, die Gurmafamilie vor allen Dingen. Nun aber sehen wir - was sogleich zu berichten sein wird -, daß die Bassariten genau den gleichen jahreszeitlich geordneten Opferdienst haben, aber sie sagen: "Die Seele ist gestorben." Wir haben also die Kultushandlung noch erhalten, aber die zugehörige Anschauungssache fehlt. Also ist die Anschauung ausgestorben. Auch der Neger verrichtet seinen Opferdienst mehr oder weniger mechanisch. Alle Menschengruppen zeigen die Erscheinung, daß der Mensch seine religiösen Bedürfnisse stets gern durch Innehaltung der Form, Absolvierung des Kultus befriedigt. Nur dann, wenn religiöse Probleme Tagesprobleme werden, kümmert sich der Mensch, der nicht religiöser Fachmann ist, um den Sinn der Handlung. Der Bassarit aber führt ein durch und durch egoistisches Wirtschaftsleben. Das ist sein Interessengebiet. Über Familienzucht und Hackbau



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und Handel und Wohlleben usw. denkt er nach. Im "Religiösen" genügt ihm die Kultushandlung. —Nun kommt der Weiße und verlangt Aufklärung über sein religiöses Denken. Das religiöse Denken ist gar nicht vorhanden, und ohne den Widerspruch selbst zu verstehen, ohne lügen zu wollen, sagt er in der Tat die Wahrheit, wenn er seinen Glauben mit der Mitteilung schildert: "Die Seele stirbt mit dem Körper ab." Der Neger ist zu dieser Behauptung stets um so mehr geneigt, als er in der Tat zu beständiger Gespensterfurcht bereit ist, diese aber natürlich immer leugnen will. Dieses Leugnen der Gespensterfurcht ist ihm das wichtige. Die Inkonsequenz,die in der Wegleugnung hier und der Seelenübertragungszeremonie sowie dem jahreszeitlichen Totenopfer liegt, die empfindet er nicht.

Ebenso ablehnend verhielten sich die Bassariten hinsichtlich der Fragen über die Neubildung von Kindern. Das Körperliche wird auch hier sachgemäß, realistisch abgehandelt: der Mann beschläft die Frau, damit führt er ihr den Samen zu, aus dem im Weib das Kind erwächst. Also sudanische Allgemeinweisheit, Naturerkenntnis. Dann aber die Frage: "Wie kommt denn nun aber die Seele in das Kind?" Antwort: Ja, das könne man nicht wissen, das wisse eben nur Gott. Gott aber müsse das wissen. Ablehnung, Gedankenfaulheit. Nicht eine Spur jener klaren Aussage wie bei den Kabre oder den Tschamba, welch letztere doch Verwandte der Bassariten sind. Aber die Tschamba wohnen im Kabre-Timgebiet, in dem in allen diesen Fragen das bewußte Glauben noch den Kultus lebendig erhält.

Nun das, was ich von Totenopfern hörte oder wahrnahm. In jedem Gehöfte opfert man den Betanquibe (Singular: utonquile), das sind die Toten. Das geschieht auf einem kleinen phallitischen Tonaltar, Dukumpore (Plural: Akumpo) benannt, der im Winkel rechts oder links neben der Ausgangshütte im Mauerwinkel errichtet ist. Das Opfer selbst verrichtet der Familienälteste zweimal im Jahre, das erste am Eingang der Regenzeit, wenn die Felder zur Saat hergestellt werden, das zweite nach dem Ende der Regenzeit und Einbringung der Ernte. Beide Male schlachtet der Alte ein Huhn über dem Altar. Das erstemal betet er, daß den jungen Leuten draußen im Busch kein Unglück widerfahren möge, daß beim Ackerbau kein Skorpion sie steche, daß beim Aufgraben der Rattenlöcher keine Schlange sie beiße, daß bei der Jagd auf Antilopen der Leopard sie nicht überfalle. —Merkwürdigerweise wird ausdrücklich versichert, daß einerseits das Gebet an die Toten gerichtet wird, wobei einige Alte auch die Namen bestimmter abgeschiedener Angehöriger ausrufen, und daß anderseits niemals eine Bitte um gute Ernte eingeflochten werde.



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Das zweite Totenfest wird nach Einbringung des Sorghum abgehalten. Sobald das erste Sorghumbier bereitet ist, bringt der Alte am Dukumpore, am Phallusaltar einen kleinen Topf davon dar und schlachtet zudem ein Huhn. Er betet einen Dankspruch, der etwa lautet: "Das bringe ich euch (den Verstorbenen), weil ihr gut auf das Wohlergehen meiner Kinder geachtet habt. Es ist keinem ein Unglück geschehen." — Außer diesen Zeremonien konnte ich Totenopfer nicht nachweisen. Es verlautet, daß die Bassariten ihre Totenfeste mehrmals wiederholen, aber das wurde von ihnen selbst auf das energischste bestritten. Eine generelle Gleichgültigkeit den Toten gegenüber scheint mir auch vielmehr ihrem egoistisch-wirtschaftlichen Gedanken- und Werktagsieben zu entsprechen.

Wohl aber fand ich recht häufig noch eine andere Art gleichgeformter Phallusaltäre, nicht in den Häusern oder Gehöften, sondern an den Felsrändern, die den Dörfern zugewendet waren. Sie wurden titanquande (Plural: itanquan) genannt und waren etwa lendenhoch. Der Durchmesser der Basis betrug etwa 6o bis 70 cm, der der Kuppe ca. 15 cm. Zuweilen liegen alte Steinbeile, die auch hier als Donnerkeile gelten, an dem Sockel. Der Name dieser Blitzsteine ist ata-quan (Singular: deta-quandi). Wir können nicht umhin, den Namen dieser Steinwerkzeuge mit dem der Phallusaltäre in Zusammenhang zu bringen. Die Bassariten bestreiten die linguistische und sinngemäße Beziehung ganz energisch und behaupten, daß es zwei verschiedene Worte seien. Tatsächlich ist die Aussprache und die Pluralbildung abweichend. — Auf diesen Altären bringen die Kranken sowohl im Beginn der Krankheit als nach der Genesung Bitt- und Dankopfer, also Hühner dar, und unterlassen, zumal nach der Heilung, nicht ein Gebet, in dem sie darum bitten, daß sie die Krankheit nicht wieder befallen möge. —Angeblich bleiben aber die Opfer auf diesen Altar ohne Einfluss auf die Medikamente der Arzte, über deren Verabfolgung oben gesprochen ward.


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