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Kapitel 

VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

f) Das Alter. Regierung. Schamaneneinfluß. Rechtssätze

Bleibt uns in der Schilderung des rein weltlichen Lebens der guten Bassariten, nun noch die Betrachtung ihres Lebenswerkes, ihres Alters und Zusammenwirkens im Staatsorganismus zu skizzieren.

Solange die jungen Sprossen noch arbeitsunerfahren sind, begleitet der Familienvater sie hinaus auf das Feld und wirkt an ihrer Spitze mit der Hacke. Sobald sie aber gut eingelebt sind, bleibt er daheim und überläßt die Stellung eines Vorarbeiters seinem ältesten Sohne oder seinem angehenden Schwiegersohne, oder nach älterem Modus auch wohl einem älteren Sklaven, den er entweder selbst erwarb oder ererbte. Er selbst kümmert sich dann um so mehr um die Hauswirtschaft, versorgt Hühner, Perihühner und Schafe oder er geht nur noch dem Schmiedehandwerk nach und sitzt auch wohl



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nur noch herum, sonnt sich, reibt sich ein wenig Tabak, plaudert, klatscht, geht einmal auf den Markt, kurz - seine Sehnsucht ist erfüllt, er sieht das Ideal eines Bassariten verwirklicht, verbringt die goldene Zeit seines Lebens durch Nichtstun, selbst zwar noch kräftig, aber doch andere für sich arbeiten lassend!

Aber in diesem goldenen Lebenszustande entwickelt sich doch auch schon der Wurm, der sein morschendes Alter zernagt. Solange er selbst kräftig ist und die Zügel der Familienverwaltung in der Hand hält, geht alles ganz schön. Solange braucht er nicht zu arbeiten, und es wird doch niemand über seine Tatenlosigkeit murren. Aber dann wird er hinfälliger. — Die Faulheit beschleunigt das - im Gegensatz zu ihm wächst die nächste Generation heran zu voller Kraftentfaltung -dann fallen in seiner Abwesenheit schon häßliche Bemerkungen über überflüssige Futtergänger. Der Mann, der nichts tut und ernährt werden muß, verliert auch bei den Bassariten leicht die Achtung, und mir will scheinen, als ginge solcher Prozeß bei den Bassariten recht schnell vor sich.

Bei steigendem Mannesalter und beginnender Greisenhaftigkeit des Vaters schwillt das Murren der die Ernährung schaffenden Jugend an. Aber praktisch und egoistisch, wie die Bassariten sind, verbinden sie mit diesem lauten Gemurr einen Zweck. Sie erwecken dadurch den Anschein, als ob ihnen durch den Lebensanspruch des Alten unberechtigte Arbeitsaufbürdung zuteil würde, für die einen gewissen Entgelt sich selbst zu schaffen sie berechtigt seien. Diese Politik führt dazu, daß das Besitztum der alternden Leute langsam, aber desto sicherer abbröckelt und gegen das sogenannte "Herkommen" schon bei Lebzeiten eine Aufteilung unter die Söhne stattfindet. Es ist also noch nicht so sehr lange mit der patriarchalischen Tyrannis des Vaters zu Ende, da ist auch sein Besitz meist schon aufgelöst und seine Ernährung und Unterhaltung hängt von der Gnade seiner Sprossen ab -wenigstens bei Bauern-, bei Schmieden liegt die Sache besser. Nun kann man ja sicherlich nicht sagen, daß die jungen Leute ihre Eltern verhungern lassen. Nein, die Schwiegertochter bringt ziemlich regelmäßig die Speisetöpfchen in die Gehöfte der Alten. Und doch kann wohl kaum eine andere Rasse solchen Alterszustand derart fatalistisch ertragen wie die indifferente, gleichgültige Negerrasse. Unbeachtet und stumpfsinnig liegen die Alten in oder vor ihrem Gehöft. Niemand kümmert sich eigentlich um sie. Werden sie zu gebrechlich, um selbst gehen zu können, dann kommt morgens eine Schwiegertochter oder eine Enkelin und führt den Alten herauf auf das Feld, damit er sein Bedürfnis erledigen kann - das ist außer der Nahrungszulieferung die einzige Fürsorge, die den Alten zuteil wird. Sonst stumpfsinnen sie unbeachtet dem Tode entgegen, oft Jahre, ja Jahrzehnte lang.



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Niemand achtet während dieser Zeit auf einen Defekt m Hause, eine einstürzende Mauer. Das Gehöft zerfällt. Mögen die Alten sehen, wie sie sich helfen und schützen! Wenn wir im folgenden Kapitel über die Totenfeste sprechen, wird der Leser mit Erstaunen hören, wie brutal egoistisch der Bassarit über das Wünschenswerte des Greisentodes im Interesse der Familie spricht.

Solange der Familienvater noch nicht dem Verfalle überliefert ist, spielt er aber als älterer Mann im Gemeindewesen eine erkleckliche Rolle. Verwaltungsangelegenheiten werden angeblich durch drei Organe geregelt: 1. den Häuptling, 2. die Versammlung der Alten, 3. den Familienältesten. Man wird den bassaritischen Verwaltungsleistungen wohl am ehesten gerecht, wenn man sagt, daß der Häuptling wenig, die Altenversammlung wenig mehr und die Familienältesten am wenigsten zu sagen haben - wenigstens in den Ortschaften am Bassariberge. In Kabu soll der Häuptling weit mehr Gewicht haben, bei den Tschamba-Geselinn im Osten gibt es sogar ein ziemlich einflußreiches Häuptlingsgeschlecht - was auf das gute Beispiel der umwohnenden Tim zurückzuführen ist - und bei den Konkomba sollen die Verhältnisse durchaus gesund sein und alle drei Faktoren genügende und entsprechende Kompetenzen, allgemeines Ansehen und soziale Würdigung genießen.

Bei den Bergbassariten geht es aber ganz merkwürdig zu. Man würde in verwaltungstechnischer Hinsicht entschieden sagen können, daß hier jeder nach seiner Fasson selig werde und daß somit das große soziale Problem gelöst wäre, wenn nicht einmal die etwas dunkle Tätigkeit der Schamanen etwas energisch, wenn auch nicht allzu laut in die individuellen Seligkeitsbegriffe hineinspräche, und wenn nicht gerade bei den Bassariten deswegen alles so glatt ohne Verwaltungsbehörde vor sich ginge, weil das Volk stilischwiegend zugibt, daß die größten Lumpen obenaufsitzen, und weil die Anständigen als dumm gelten. Und wirklich sind bei den Bassariten nur ganz Dumme anständig. Über die Macht der Schamanen, die nach berühmtem Rezept um so bedeutender ist, je stiller sie wirkt, werde ich im nächsten Kapitel zu reden haben. Hier nur einige Beispiele der Rechtspflege - d. h. vom Recht, wie es angeblich nach Bassaritentradition gepflegt werden soll, aber kaum wird.

i. Ein Fall von Diebstahl. Ein Mann ist angeklagt, etwas gestohlen zu haben. Die Sache wird vor die Versammlung der Alten gebracht. (Buquillip, Singular: Uquille.) Erst wird von seiten des Anklägers, dann von seiten des Angeklagten sehr viel hin und her gesprochen. Behauptung, Entrüstung, Aufzählung alter Geschichten, Hineinreden anderer. Es ist eine unglaubliche Schwatzerei.



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Wenn der Dieb seine Schuld zugibt, dann ist die Sache schnell erledigt. Er gibt das Gestohlene zurück und geht dann - ohne Strafe fort. Wird der Angeklagte durch irgendwelche Zeugenaussagen arg belastet, so bestimmt die Altenversammlung eine Entscheidung, nicht durch den Häuptling, sondern durch ein Orakel. Alles zieht zum Kupullu (Plural: Pipulle), d. i. eine Art Priester. Hier findet das Dissambirreorakel statt. Es wird in einem Topfe Buom, d. i. Schibutter heiß gemacht. Der Angeklagte muß seinen Dikimbere, d. i. der Bogonschellenring, der auf dem Daumen getragen wird, hineinwerfen und ihn dann mit der Hand wieder herausnehmen. Dem Unschuldigen schadet der Griff in das heiße Fett nichts, der Schuldige verbrennt sich die Hand, er muß Strafgeld zahlen. Den Betrag teilen der Bestohlene und der Kupullu untereinander.

2. Ein Fall von Farmraub. Solcher wird ohne Inanspruchnahme einer Behörde durch Selbsthilfe geregelt. Hat A auf dem Acker, der B gehört, sein Korn gebaut, so gibt es gewöhnlich eine persönliche Auseinandersetzung und Regelung. Oder aber A — das ist bei so unverschämter Handlung anzunehmen - ist soviel angesehener und machtvoller als B, daß B nicht aufzubegehren wagt, so steckt der B dem A einen Djona-na-burr (Plural: Anna-bu: Djona hat gesteckt) in das Feld. Das ist ein armlanger Pfahl aus dem Holz des Burrbusches. Das hat zur Folge, daß dem A die Ernte auf dem unrechtmäßig beschlagnahmten Acker mißrät.

3. Ein Fall von Mädchenraub. Der junge Mann A hat schon längere Zeit auf dem Acker des X gearbeitet, damit ihm dessen Tochter zufalle, d. h. er sie als Frau erhalte. Der böse B aber macht ihm das Mädchen abspenstig und entführt es. Also kommt es zur Gerichtsversammlung vor den Alten. Man bemüht sich, das Mädchen, das natürlich mit in Bs Dorf gelaufen ist, zurückzubringen. Es gelingt nicht. Richterspruch: die Eltern des Mädchens müssen dem A an Stelle der Braut und als Vergütung für die abgediente Arbeitszeit 40000 Kauri zahlen. Der schlimme B hat aber der Schwiegermutter 100000 und dem Schwiegervater 16000 Kauri zu zahlen und behält die Frau. —Also die Alten machen das Geschäft.

4. Ein Fall von Totschlag. Wenn ein junger Mann einen andern im Streite erschlagen hatte, so floh er in ein anderes Bassaridorf. Die Familie des Erschlagenen und auch die zugehörige Altersversammlung vermochte dann nichts gegen ihn zu machen. Es wurde ihm in dem Dorfe, in das er geflohen war, Asylrecht zuteil, und er wurde nicht ausgeliefert. Auch in diesem Falle wandte man sich nicht an den Häuptling, weil es - nichts genutzt hätte.

5. Erbschaftsteilung. War angeblich nach folgendem Modus geregelt: Der jüngere Bruder beerbte stets den älteren, und zwar war



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der älteste der überlebenden Brüder Alleinerbe und nahm alles Besitztum, Mobilien und Immobilien in Beschlag. Von den Frauen heiratete er meist nur eine, die andern wurden frei und konnten anderweitig wieder heiraten oder in die Gehöfte der jüngeren Brüder übergehen. Die Söhne des Toten arbeiteten nun für den Onkel, der Erbe war. Dabei blieb aber das, was die Söhne sich schon selbst erworben hatten, deren Privateigentum. Wenn nun dieser jüngere Bruder auch starb und kein jüngerer mehr vorhanden war, so wurde der älteste Sohn der Familie, alias der Familienälteste (Ukulle-qui, Plural: Bukullequi), der Rechtsnachfolger und in obigem Sinne Gesamterbe. Die andern wurden nur mit einem Legat, das zur Anschaffung einer Frau genügte, beglückt (was aber meist unterschlagen wurde). Dabei war es ganz gleich, ob dieser Älteste der älteste Sohn des Toten oder eines jungen oder älteren Bruders desselben war. —Im übrigen hatte in die Erbschaftsteilung weder die Altenversammlung noch der Häuptling etwas mitzureden. Die Leute betrogen und betrügen sich heute noch absolut privatim. — War der Tote ein Alter, so war nach oben geschildertem Modus meist nichts mehr zu betrügen, da die erwachsenen Söhne in diesem Falle schon alles beiseite gebracht hatten.

Mit gerechtem Erstaunen sieht man sich nach den Machtkompetenzen der Häuptlinge um. Auch ich habe energisch danach gefragt. Eine Abgabe ward dem Häuptling in alter Zeit offiziell nicht zuteil. Man sagte mir als Antwort auf meine eindringlichen Forschungen, daß seine Macht eine politische gewesen sei und in die Wagschale geworfen ward, wenn zwei Gemeinden miteinander Krieg führten. Wenn die Kämpfenden dann einander gegenüberstanden, so steckte er den oben erwähnten Bürr Pfahl zwischen sie. Dann war unbedingt Dorffriede.

Aber war das alles? Man erzählte mir Wunderdinge von dem Reichtum, den besonders in älterer Zeit die Häuptlinge von Bassari zusammengescharrt hatten. Aber wie? Durch Handel? Nein! Durch Krieg? Nein! Einige Alte, mit denen ich mehrfach über diese Sache sprach, sahen sich gegenseitig verständnisinnig an und lächelten verschmitzt. Es war mir klar, daß offenbar auch in diesem Falle der allergrößte Lump im Mastkorb segelte. Aber welche Gemeinheiten ihn so hoch und reich machten, das blieb mir ein Rätsel.


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