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VOLKSDICHTUNGEN AUS OBERGUINEA


I. BAND


FABULEIEN DREIER VÖLKER

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 4 BILDBEILAGEN

b) Liebe und Ehe, Brautraub usw.

Wenn der Bassaritenbube das Alter von etwa 8 Jahren erreicht hat, bringt er den Alten Wasser auf das Feld heraus, röstet ihnen über Mittag auch den Jams. Mit 10 Jahren führt er die Hacke und wirkt kräftig mit, und mit 15 Jahren schon heiratet der



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Bursche. Denn schon, wenn er noch sehr jung und sehr unentwickelt ist, sieht der Vater sich nach einer Braut (=Mbua, Pl. Mbuombo, mit dem gleichen Worte bezeichnet man auch den Bräutigam) für seinen Sprossen um. Sowie die Vereinbarung getroffen ist, beginnt der Schwiegervater sogleich seinen zukünftigen Eidam gründlich auf seinen Feldern zu beschäftigen. Und da auch der Vater von seinem Sohne kräftige Knechtsdienste fordert, so bleibt dem Burschen nichts anderes übrig, als den zweiseitigen Ansprüchen entsprechend seine Zeit auf des Vaters und Schwiegervaters Gütern zu verarbeiten. So ein Junge greift gut zu, wie überhaupt das Sympathischste an den Bassariten der Fleiß ist, mit dem sie ihre Felder bearbeiten-wohlgemerkt, "ihre", denn nur für sich selbst strengt der Bassarit sich an, wenn nicht eine ermahnende Macht hinter ihm droht. — Für seine Arbeit auf des Schwiegervaters Acker hat der Bursche zunächst nur eine Entschädigung. Wenn nämlich die Schwiegermutter Bier gekocht hat, so läßt sie ihm das mitteilen - dann kommt er herüber und trinkt solange, bis er umfällt. Er kehrt an solchen Tagen nicht zum eigenen Dorfe zurück, sondern bleibt bei den Eltern der Braut zu Nacht. Es kommt aber zu keinerlei Unordnung zwischen ihm und dem Mädchen, denn die Leute schlafen getrennt und an verschiedenen Stellen des Gehöftes.

Überhaupt habe ich bei allen Gurmavölkern gefunden, daß überall der Bräutigam sein Mädchen durch Dienstleistung gewinnt, daß beide Teile des Brautpaares nach Gefallen geschlechtlichen Genüssen nachgehen, daß keiner von beiden dem andern nachstrebt (oder auch daß beide von den Brauteltern auseinander gehalten werden) und daß endlich der Bursch das Mädchen "raubt". — Alles das stimmt auch hier. Das Mädchen mag gehen, mit wem es will. Und der Wille scheint im allgemeinen nicht sehr eingeschränkt zu sein. Aber mit dem Bräutigam gibt sich die Braut nicht ab, und von ihren Liebschaften hört er auch erst, wenn sie als Gattin sein Lager zu teilen gewohnt ist. — Also schläft das Mädchen zunächst heimlich mit andern. Bedenklich wird die Sache nur, wenn eine Schwangerschaft folgt. An sich ist das auch nicht weiter schlimm, aber immerhin erhält der Bräutigam dann das Recht, sich von der Braut loszusagen, und der Schwiegervater muß dem Eidam dann für die geleistete Arbeit eine Kuh oder den Wert von 120000 Kauri (= Dene mirre, Plural: anne mirre) zurückerstatten. Viele Bräutigams fassen die Sache aber nicht tragisch auf und nehmen die fruchtbare Braut ins väterliche Haus - womit dann natürlich dem Schwiegervater eine Arbeitskraft, die ihm sonst wohl noch einige Jahre zur Verfügung gestanden hätte, entrückt wird.



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Doch das sind Ausnahmen. Auch hier geht es mit der Verführung und dem Leichtsinn schneller als mit der Befruchtung. Der regelmäßige Verlauf ist folgender: Wenn ein Mädchen nach äußerer Formentwicklung und nicht mißzuverstehenden organischen Funktionserscheinungen reif und erwachsen ist, läßt sie sich durch einen darin geübten Mann, einen Tätowierer (= Unmanmalle, Plural: Unmalmalibe) auf Nacken (=Usserebo) und Bauch (=Upore) mit Marken zeichnen. Die Marke heißt Bitjateingui. Es kommen zwei Typen vor. Beide stellen Idjo quarre (Plural: Adjequalla), die Eidechse vor. Bekannt und beliebt ist noch die Marke: Betjetessi-angele-ingmi (angele Hand, ingmi Strich), das sind drei lange nebeneinander laufende Schnitte. Bemerkenswert ist, daß auch bei den Männern die Eidechsendarstellungen sehr beliebt sind und daß man sie sehr häufig auf dem Bauche sieht. Als einzige Antwort auf die häufigen Fragen nach Sinn und Sittenursprung verzeichnete ich die allzuhäufige Antwort: "Das ist schön."

Die Brauteinholung erfolgt bald nach der Tätowierung der Maid, aber nie in der Regenzeit (=Kuisseum), stets in der Trockenzeit (=Depaere). Die Form ist auch hier die des Brautraubes. Der Bräutigam steckt sich hinter eine Frau, die Dorfgenossin seiner Braut ist. Sie muß es ihm mitteilen, sobald das Mädchen einmal allein in den Busch ging, um Feuerholz zu holen oder Kräuter zu sammeln. Dann kommt er sogleich mit einigen Freunden herüber und legt sich auf die Lauer. Er sucht das Mädchen zu fangen und in sein Dorf zu schleppen. Es wird ihm auch meist gelingen, und das Ganze ist auch hier eine Farce. Stets wird der Brautfang im Busch, draußen am Bach, außerhalb des Dorfes vorgenommen. Nie wird ein Mädchen etwa aus dem Hause weggefangen. Alle Welt würde Protest dagegen einlegen und würde sagen: "Das Mädchen hat doch nicht gestohlen!"

Das eingeheimste Mädchen wird auf dem Wege zum Hause des Bräutigams nicht gerade allzusanft angefaßt. Auch die älteren Vertreterinnen dieses Geschlechtes, die doch sonst ganz gern Lärm schlagen, sagen nichts dazu, sondern sehen still zu, wie die Geraubte durch die Straßen gezogen, gezerrt, gestoßen und geschleppt wird. Wehrt sie sich zu sehr, so nehmen die Burschen sie hoch und tragen sie, so gut das zappelnde Wesen es zuläßt. Ich sah solche Brauteinholungen, die letzten der Trockenzeit, aber es scheint mir recht beachtenswert, daß mir auch hierbei wieder der natürliche Anstand der Neger auffiel. Ich kann nicht oft genug betonen, daß diese Leute bei aller ihrer Primitivität - oder vielmehr gerade wegen ihrer Primitivität - von einer Harmlosigkeit und Anständigkeit sind, die uns Europäer, wenn wir ehrlich sind, oftmals



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in Erstaunen setzen und beschämen muß. Bei solchen Anlässen würde es bei uns die junge Männerschaft sicherlich nicht an plumpen Witzen und Sticheleien, und wenn sie auch nur gegen den Bräutigam gerichtet wären, fehlen lassen. Nichts dergleichen bei diesen Menschen. Und doch müßte nach unsern Begriffen das Gebaren der strampelnden Braut (die auf diesem komischen Brautgange gar bald alle Kleider verloren hat), ihre Bloßstellung alles dessen, was die Weiblichkeit sonst zu verbergen sucht, sowie die unwillkürlichen Griffe der packenden Männerschaft, die das kräftige, strampelnde Wesen zu fassen sucht, wo sie kann, zu allerhand lüsternen Scherzen Veranlassung geben. — Die Burschen trugen aber ihre holde Last mit wunderbarem Ernste und mit harmlosestem Dreinschauen. — Bemerkenswert ist, daß das Gehaben der Braut lokaler Gesittung unterworfen ist. In einigen Dörfern müssen sie sehr strampeln, in einigen weniger und in einigen sollen sie, einmal ergriffen, sich ohne Widerstand, aber unter Tränen ins "Brautgemach" führen lassen.

Dies Brautgemach ist ein kleines Wohnhäuschen im Gehöft des Bräutigams. Eine Freundin begleitet sie dahin und bleibt auch zunächst bei ihr, während nachts, um ein Entweichen der Braut zu verhindern, die Männer des Gehöftes Wache haltend liegen. Während sieben Tagen sitzt das Mädchen so in der Klause und verbringt ihre Stunden abwechselnd mit Heulen und Biertrinken. Man sagt, die in der Klausur befindlichen Mädchen tränken sehr viel Bier. Soweit geht es der Braut ganz gut.

Aber sie muß jammern und plärren. Vollführt sie das nicht ordentlich, so wird sie gründlich verspottet, und dann kommt es zu recht kräftigen, sexuellen, aber immerhin natürlichen Zurufen; ich hörte selbst einmal den schönen Zuruf einer älteren Frau: "Die kann den Penis nicht schnell genug essen!"Das galt einem Mädchen aus Wodande, das gerade einmal zehn Minuten im Heulen pausierte. Weiterhin ist bemerkenswert, daß die Mutter der Braut nicht in die Brautkammer gehen darf, da sie sonst verlacht wird. Mir wurde gesagt, daß sie überhaupt der Tochter nicht näherkommen dürfe. Aber viele dieser alten verschrobenen (weil nicht mehr in die heutigen Verhältnisse passenden und nicht mehr verstandenen) Sitten sind noch bekannt und im Volksmunde üblich, ohne ausgeübt zu werden. Wie dem auch sei, an der Tür der Brautkammer, in der ein Mädchen aus Biquassibe saß und weinte, sah ich einmal deren Mutter stehen, und was sie sagte, ward mir übersetzt wie folgt: "Du weinst doch? Und dein Mann hat viel Arbeit für dich geleistet! Er ist ein anständiger Mann! Er ist ein starker Mann. Er trinkt auch nicht. Laß also das Weinen!"



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Übrigens halte ich es für richtig, an dieser Stelle den Eindruck wiederzugeben, den ich mitten im betr. Sittengebiet von der Bedeutung des Brautraubes und seiner Entstehung gewann. Nach der Legende vom Raub der Sabinerinnen hat man die wohl allgemein gültige Theorie betreffend die Entstehung dieser Sitte geschaffen, die mir aber für die Gurmavölker nicht ganz zu passen scheint. — Hier hatte ich - und ich habe mich öfters mit Weibern darüber unterhalten, um ihre Stimme in dieser Sache nicht zu überhören - den Eindruck, daß der Brautraub eine unbedingte Folge der jugendlichen Verlobung und der Brautwerbung durch langjährige Arbeit sein müsse. Diese Form der Aneinanderbindung schließt jede Neigungsehe (als allgemein üblich) so gut wie aus. Es ist, eben die ursprünglichste Konvenzienzehe, bei deren Abschluß gar nicht nach Neigung gefragt wird, da beide Teile bei dem Kontraktschluß, der durch die Eltern erfolgt, viel zu jung sind, ja sich oft gar nicht einmal kennenlernen. — Bis zur Ehe aber üben Bursch und Mädchen die Hingabe nach Neigung. Ich kann hier nicht weitschweifig über die Empfindungen reden, die ich männlichen und weiblichen Vertretern der Negerrasse abgelauscht habe, will aber betonen, daß für die Negerin auf jeden Fall zur Wahl und Zulassung zu geschlechtlichem Genuß mehr Zuneigung notwendig ist als für den Neger. Der übliche Schwarze läßt sich fast ausnahmslos mit jedem weiblichen Wesen ein, das ihm in den Weg kommt, Weib ist Weib - wenn ich auch nicht gesagt haben will, daß er nicht etwa persönlicher Leidenschaften und Zuneigung fähig wäre. Aber der Neger ist wohl stets bereit, sich mit jedem geschlechtsfähigen Weibe einzulassen, während die Negerin unbedingt von Natur und nicht nach Drill der Neigung zu folgen stets bereit ist. An anderer Stelle darüber mehr mit Einzelheiten. Der Brautraub selbst nun macht unbedingt den Eindruck der symbolischen Loslösung des Weibes aus ihrer Schutzsippe.

Dies vorausgesetzt, muß es verständlich werden, daß diese jungen Weiber, die sich mehrere Jahre in Neigungshingabe geübt, ja wohl sicherlich auch schon in ein Gewohnheitsverhältnis gekommen sind, beim Zerreißen dieser Beziehung sich zunächst sträuben, dem gleichgültigen Eheherrn auf das Lager zu folgen. Ich glaube, daß wir für diese Sitte der Gurmastämme solchen Gedankengang entschieden berücksichtigen müssen. Wenigstens für die Sitten- und Anschauungsbeziehungen und -entstehungen.

Heute ist das oftmals anders. Wenigstens bei den Bassariten. Es gibt bei den Bassariten Verhältnisse und Vorkommnisse, für die diese Analyse noch stimmt. Es gibt auch wohl noch abgeschlossene, seitwärts der großen Straßen wohnende Gurmavölker, bei denen wir solche Konfliktsaktivität noch als vorwiegend bezeichnen kön



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nen. Die Bassariten zeigen aber wie in vielem auch hierin einen häßlichen Allgemeintyp. Die Bassariten sind lax und in den geschlechtlichen Instinktäußerungen der Weiber verroht. Das Bassaritenweib ist geneigt, dem zuzulaufen, der am wohlhabendsten ist, und es ist ein alltägliches Vorkommnis im Soldatenlager, daß die Weiber den biederen Kriegern truppweise zulaufen, weil sie bei diesen am wenigsten Arbeit haben. Nun, da ist im besten Falle allerdings nebenbei noch von der Anziehungskraft des bunten Rockes, sicherlich aber nicht von eruptiv und impulsiv auftretenden Neigungsäußerungen zu reden, und wer etwa die Bassaritenweiber nach den Erscheinungen dieses Milieus abschätzen will, der wird für meine Erklärungen des Brautraubes kein Verständnis finden.

Beendigen wir aber die Schilderung der Brautraubsitten. —Nach siebentägigem Jammern legt sich der Schmerz der Jungfrau und die Freundin verläßt sie. Der Bräutigam betritt nun das Brautgemach und vollzieht das erstemal seine eheliche Rechtsvollstreckung. Am andern Tage hat er dann vier Töpfe Bier und 2000 Kaurimuscheln dem schwiegerelterlichen Hause zu übersenden. Die Schwiegermutter verteilt das Bier und der Schwiegervater kauft Hühner. Er ruft alsdann die jungverheiratete Tochter. Er schlachtet die Hühner. Er bindet der jungen Frau Hühnerfedern um Arm- und Fußgelenke. Das geschieht, damit sie fruchtbar und bald schwanger werde.

Hier sei gleich angefügt, daß die junge Frau nicht ununterbrochen bei ihrem Manne bleibt, daß sie vielmehr unbedingt noch eine Zeremonie zu erfüllen hat: sie muß anstandshalber noch einmal fortlaufen. Das geschieht zwischen dem dritten und siebenten Tage nach der Verehelichung, und es ist unschicklich von einem jungen Ehemanne und wurde ihm früher als eine unanständige Taktlosigkeit ausgelegt, wenn er durch allzu scharfe Kontrolle der Frau die Erfüllung dieser Anstandssitte unmöglich machte. Heute wird der Brauch nicht mehr so streng gefordert. Die Jungverheiratete lief also noch einmal fort und zum heimatlichen Dorfe zurück. Im Hause der Mutter blieb sie ein bis zwei Tage und ließ sich von der Mutter dann überreden, zum Gatten zurückzukehren. Vollführte das Mädchen diese Weglauferei nicht, so kam sie bei ihren Freundinnen ins Gespött und es ward ihr nachgesagt, sie sei allzu geil und könne nicht eine Nacht mehr ohne Beischlaf verbringen. Und in der Tat scheint mir heutzutage ein unbedingter Zusammenhang zu bestehen zwischen der tatsächlich bedeutenden Kohabitationslust der Bassariweiber und dem Bedürfnis, sie zu verbergen, wie es eben aus dem von Freundinnenseite erhobenen Ausspruch zu erkennen ist. Aber die Geilheit der Bassariweiber ist eine Folge neuerer Verderbtheit, die zum Beispiel den Konkombafrauen nicht eigen ist (siehe später). Die Wirkungen derartiger Verschiebung



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sind natürlich durchaus danach angetan, die alte Sittenentwicklung zu verschleiern, indem sie für alte Sitten Beweggründe sucht, die der neuen Gesittung entsprechen. — Unter Anwendung rückschließend komme ich zu dem Ergebnis, daß in einer keuscheren Zeit, als man noch nicht Veranlassung hatte, das Geschlechtsverlangen zu verbergen, und in der die Mädchen noch treuer an ihren Geliebten hingen - daß in dieser Zeit die gegen ihre Neigung verehelichte junge Frau jede Gelegenheit wahrnahm, den Armen des ungeliebten Mannes zu entlaufen, um daheim eine Zuflucht zu suchen.

Gesagt muß werden, daß die Sittenausübung des Wiederweglaufens in den verschiedenen Dörfern recht verschiedenartig ist. Sehr oft soll es vorkommen, daß die junge Frau zu dem bestimmten Manne nicht wieder zurückkehren will. Sie wird vielleicht mit Gewalt zurückgeschleppt, muß vom Gatten (vorausgesetzt, daß er über die genügenden physischen Kräfte verfügt!) zur Erfüllung seiner Eherechte vergewaltigt werden, und läuft doch wieder fort. Oftmals soll in einigen Ortschaften das Weib nicht wieder zurückzubringen sein, und das sind dann die Fälle, in denen sie fest an dem Geliebten hängt und hält. Es soll vorkommen, daß dem Gatten von diesem Geliebten, bei dem die Frau dann bleibt, nicht einmal der Wert der für das Weib geleisteten jahrelang ausgeführten Arbeit zurückerstattet wird, weil derselbe einfach nichts hat, und daß trotzdem das Weib bei ihm, dem Geliebten, bleibt. Das ist dann ein Sichbeugen vor der Macht der edleren Natur.

In andern Dörfern wieder laufen die Frauen ihren Männern mehrfach fort und schlüpfen bei ihren Müttern unter. Die Mütter schützen sie dann. Die jungen Frauen geben aber an: "sie seien weggelaufen, weil es ihnen zu langweilig geworden sei." In solchen Fällen ist es nicht schwer, die jungen Frauen zurückzuschleppen - angenommen, daß in der mehrfach wochenlang währenden Zwischenzeit die junge Frau nicht von einem Liebhaber gefesselt wird. Auch das ist nicht selten. Die Sache ist dann kompliziert. Der junge Mann hat es nun um so schwerer, wieder in den Besitz der Frau zu kommen, aber abgesehen von der Abneigung derselben, kommt noch die Indifferenz der Verwandtschaft und Freundschaft jenes Dorfes hinzu, in dem sie beheimatet ist und jetzt ihren Liebhaber gefunden hat.

Die Bassarifrauen sind nicht treu, solange sie nicht Mütter sind oder sich nicht Mutter fühlen. Dann erst ist eine Ehe leidlich haltbar und darum wünscht der Mann sich möglichst baldiges Erscheinen von Nachwuchs.

Bleibt noch das entsprechende Verhältnis bei den Vettern der Bassariten, den Konkomba, zu erwähnen. Hauptmann Mellin erzählte



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mir von den Erfahrungen, die er mit den Konkombaburschen und -mädchen gemacht hat, als er die große Brücke über den Konkombafluß bei Jogu schlagen ließ. Zur Ausführung dieser Arbeit hatte er Konkomba ausheben lassen. Als Steinarbeiter traten zumeist Burschen in den besten Jahren an, die noch nicht verheiratet waren, die aber zum größten Teil von Mädchen begleitet waren. Diese Mädchen bereiteten für die Burschen das Essen und verrichteten alle den Weibern zukommenden Arbeiten. so daß für die Burschen ausgezeichnet gesorgt war. Wieweit die wirtschaftliche Fürsorge der jungen, unverehelichten Mädchen für ihre Liebhaber ging, ist daraus zu ersehen, daß sie bald mit wirtschaftlichem Scharfblick eine ausgezeichnete Einnahmequelle entdeckten. Beim Freilegen des Flußtales und dem Dammbau wurde viel abgestorbenes Holz weggeräumt. In Magnu war seit alters her Mangel an Brennholz und einige alte Weiber in Mangu verkauften Brennholz zu hohen Preisen auf dem Markte. Die jungen Konkombaweiber ersahen ihren Vorteil und brachten das von den Burschen beiseite geräumte Altholz zu Markte. Sie verkauften es (zum Ärger der alten Manguhökerinnen) und erzielten durch den Erlös die Möglichkeit, ihren Liebhabern gutes Essen vorzusetzen. Wir sehen also eine voreheliche, enge Wirtschaftsgenossenschaft.

Der Fall interessierte mich natürlich außerordentlich, und ich ging der Frage nach, in welchem Verhältnis diese Mädchen zu den Burschen standen. Zunächst ward die Ansicht vorgebracht, daß die Mädchen die Bräute der Burschen seien, für die die Burschen auf den schwiegerväterlichen Feldern arbeiteten. Als ich der Sache dann aber energisch nachging und besonders die halbnomadischen südlichen Konkomba fragte, in welchem Verhältnis solche unverheiratete Begleiterinnen zu den unverheirateten Burschen stünden, wurde aus allen Angaben sicher, daß dies nicht die Br&ute, sondern die Geliebten der Burschen seien, daß also genau der gleiche Ritus bei Konkomba und Bassari ist.

Bei den Konkomba ging - denn es ist damit infolge des Regierungsverbotes, eine Braut zu erarbeiten, vorbei -also das Verhältnis der Neigungsbeziehung vor der Ehe noch weiter als bei den Bassari. Bei den Konkomba begleiteten die Mädchen die Burschen, schliefen nicht nur mit ihnen, sondern bildeten auch mit ihnen wirtschaftliche Einheiten, die erst mit der zwangsweisen (Brautraub) Verehelichung des Mädchens aufgelöst wurden. Da aber die Konkomba ihrer wirtschaftlichen Lebensform nach dem älteren Typus der Gurmavölker viel näher stehen als die "industriellen" Bassari, so erscheint mir für die Beurteilung der Sittenentwicklung dieser Völker - in diesem Punkte - die Konkombagewohnheit recht wichtig.



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Zum Abschluß sei betont, daß ich bei der Nachforschung auf diesem Gebiete vielen und heftigen Widerstand fand, daß mir viel vorgelogen wurde und daß ich nur durch immer wiederholte Kreuzverhöre und peinlichst genaue Beobachtungen während der Zeit im Sinnhofe das hier Zusammengestellte erkunden konnte. Der Grund liegt darin, daß die Deutsche Regierung entsprechend den Erfahrungen der Bezirksleiter das Erarbeiten der als Kind angelobten Braut hinfällig gemacht hat. Ein Mädchen braucht gegen seine Neigung dem aufgezwungenen Manne nicht zu folgen, wenn es auch bei seiner Gattenwahl den Rat der Eltern berücksichtigen muß. Diese Anordnung, die von Regierungsrat Kersting und Hauptmann Mellin bei allen Streitschlichtungen aufrecht erhalten wurde, hat naturgemäß zur Folge, daß nun alles, was mit der Kinderverlobung, Brauterarbeitung und dergleichen zusammenhängt, mühsam verborgen wurde, daß diese Sitten der geschäftlichen Konvenienzehe aber immer mehr verschwinden und der Neigungsehe Raum gegeben wird und daß es dem Völkerkundler immer schwerer werden wird, auf diesem Gebiete Material über diese archaistischen Ehegesittungsformen zu sammeln.


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