Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



Atlantis Bd_10-000.4 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT

54. Ahun tötet den Vogel Orisas

Es war ein sehr hübsches Mädchen. (Wörtlich: Meine Geschichte handelt von einem sehr hübschen Mädchen.) Dieses Mädchen wollte niemand zum Manne, der sich um sie bewarb. Alle Tiere kamen und sagten: "Ich möchte dich zur Frau haben!" Das Mädchen antwortete aber einem jeden: "Geh weg, ich mag dich nicht zum Manne!" Sie wies jeden ab.

Ahun sagte eines Tages zu den Tieren: "Ich werde mit dem Mädchen schlafen." Die andern Tiere sagten: "Die andern Tiere sind nicht zum Manne von ihr angenommen worden. Sie wird auch dich nicht nehmen und nicht mit dir schlafen wollen." Ahun sagte: "Wir werden sehen!"

Eines Tages saß das Mädchen auf dem Markte und verkaufte Honig. Ahun ging zu ihr. Er betrachtete den Honig. Er sagte: "Wieviel bekomme ich für eine Kauri ?" Das Mädchen füllte ein und sagte: "Soviel bekommst du für eine Kauri." Ahun besah es



Atlantis Bd_10-314 Flip arpa

und sagte: "Ich weiß nicht, ob das genug ist. Wenn es nicht recht ist, komme ich heute abend wieder und muß dann aber meine Kaurimuschel haben. Bist du damit einverstanden?" Das Mädchen sagte: "Ja, damit bin ich einverstanden." Als es Abend war, kam Ahun mit dem Honig zu dem Hause, in dem der Vater des hübschen Mädchens wohnte und sagte: "Ich habe heute von deiner Tochter für eine Kauri Honig mitgenommen. Ich muß den Honig zurückgeben." Der Vater rief seine Tochter und sagte: "Ahun hat etwas mit deinen Honigsachen."Das Mädchen sagte: "Ja, er hat für eine Kauri Honig von mir gekauft, will ihn aber, wenn er nicht recht ist, gegen seine Kauri zurückgeben." Ahun sagte: "So ist es. Hier ist der Honig! Gib mir meine Kauri."

Das Mädchen nahm den Honig und gab Ahun eine Kauri hin. Sie sagte: "Hier hast du deine Kauri wieder." Ahun betrachtete die Kauri und sagte dann: "Dies ist nicht meine Kauri. Ich will meine Kauri wiederhaben." Das Mädchen nahm die Kauri aus ihrem Korbe und sagte: "So suche dir selbst eine Kauri aus."Ahun betrachtete die Kauri, die in dem Korbe waren, und sagte: "Meine Kauri ist nicht dabei." Das Mädchen sagte: "Es ist wahr. Ich habe einen Teil der Kauri schon der Mutter gegeben. Ich werde die Mutter rufen." Die Mutter ward gerufen. Sie kam mit einem Sack Kauri und sagte: "Sieh, ob du deine Kauri hierunter findest." Ahun betrachtete die Kauri und sagte: "Meine Kauri ist nicht hierbei."Die Frau sagte: "Es ist wahr. Ich habe einen Sack Kauri heute dem Vater gegeben." Der Vater brachte einen großen Sack Kauri an und sagte: "Sieh, ob du deine Kauri hierunter findest." Ahun betrachtete die Kauri und sagte: "Meine Kauri ist nicht hierbei."Der Vater sagte: "Es ist wahr, ich habe heute allerhand bei fahrenden Kaufleuten gekauft."

Ahun sagte: "Ich muß aber meine Kauri wiederhaben." Der Vater sagte: "Ich will dir zweihundert andere Kauri dafür wiedergeben." Ahun sagte: "Ich muß aber meine Kauri wiederhaben." Der Vater sagte: "Ich will dir ein Pferd dafür geben." Ahun sagte: "Ich muß aber meine Kauri wiederhaben." Der Vater sagte: "Ich will dir ein Pferd und einen Ochsen dafür geben." Ahun sagte: "Ich muß aber meine Kauri wiederhaben." Der Vater sagte: "Was willst du haben, wenn ich dir deine Kauri nicht wiedergeben kann?" Ahun sagte: "Ich will auf meine Kauri verzichten, wenn ich bei deiner Tochter schlafen kann." Der Vater sagte: "Nein, das will ich nicht."Ahun sagte: "Dann gib mir meine Kauri wieder!"



Atlantis Bd_10-315 Flip arpa

Der Vater sagte: "Du kannst mit meiner Tochter schlafen, aber die Matte muß zwischen euch (als Wand) hängen!" Ahun sagte: "Gib mir meine Kauri wieder!" Der Vater sagte: "So schlafe denn bei meiner Tochter!" Die Mutter sagte: "Ich werde dann aber meiner Tochter zweihundert Kleider anziehen, so daß Ahun nicht an sie kommt." Ahun sagte: "Gib mir meine Kauri wieder." Der Vater sagte: "Nein, du sollst bei meiner Tochter schlafen, aber merke dir eins. Nachts kommt der Orisavogel (der Eje-Orisa; das ist der eigenartige Vogel, der in der Dämmerung mit zwei seitlichen Fahnenfedern wie zwei folgende kleine Vögelchen durch die Luft zittert), der schreit. Du darfst ihm nicht antworten. Sonst tötet er dich." Ahun sagte: "Ich werde es mir merken." Der Vater sagte: "Ist es nicht besser, daß ich drei Mörser über dich decke, so daß er dich nicht bemerken kann?"Ahun sagte: "Gut, decke drei Mörser über mich."

In der kommenden Nacht schlief Ahun in der Hütte des jungen, hübschen Mädchens. Der Vater hatte drei Mörser über ihn gedeckt. Ahun lag unter den drei Mörsern. Als es Nacht wurde, kam der Eje-Orisa und sang: "Ejeo! Ejeo!" (Ich bin der Vogel! Ich bin der Vogel!) Als Ahun das hörte, rief er: "Ahungo! Ahungo!" (Ich bin Ahun! Ich bin Ahun!) Als er das gerufen hatte, kam der Vogel herab. Er stürzte auf die Mörser. Er zertrümmerte alle Mörser. Er pickte nach Ahun. Er verschluckte Ahun. Ahun kam in seinen Bauch. Er flog mit Ahun empor.

Als Ahun im Bauch des Vogels war, zog er sein Messer heraus. Er begann den Vogel im Innern zu zerschneiden. Er zerschnitt ihm das Herz. Der Vogel starb; er fiel herab. Ahun schnitt den Bauch auf und kam heraus. Er begann den Vogel zu zerschneiden. Er zerschnitt ihn in ganz, ganz kleine Stücke. Die Fleischstückchen streute er überall aus.

Inzwischen war es Zeit zur Morgendämmerung geworden. Es blieb aber dunkel und wurde nicht hell. Es kam kein Tageslicht. Als es immer weiter dunkel blieb, rief der Osi alles Volk zusammen. Ahun hörte das und versteckte sich. Das Volk kam zusammen. Der Osi (König) sagte: "Warum wird es kein Licht? Die Nacht ist zu Ende und es wird nicht Tag!" Man rief einen Babalawo. Der Babalawo sagte: "Man muß Orisa fragen (Orisalla)!" Man fragte Orisalla. Orisalla sagte: "Es bleibt alles schwarz (dunkel), weil man meinen Vogel getötet hat. Wenn ihr mir dagegen viel Essen macht, will ich es wieder Tag werden lassen." Der Osi sagte: "Das wollen wir!" Das Volk rief: "Das wollen wir!"



Atlantis Bd_10-316 Flip arpa

Alle gingen auseinander. Jedermann ging hin, um für Orisa viel Essen zu bereiten. Es wurde viel Essen. Es war eine Unmasse von Essen. Das wurde Orisa dargebracht. Darauf begann der Hahn zu schreien. Es wurde Tag.

Der Osi wollte nun den Mann finden, der den Vogel Orisas getötet hatte. Er ließ einen Knaben sehr schön anziehen. Der Knabe ward auf ein Pferd gesetzt. Der Knabe ward auf dem schöngesattelten Pferde überall herumgeführt. Alles Volk jubelte dem Knaben zu. Sie führten ihn zu dem Hause des Osi und dann wieder herum. Alles Volk jubelte. Ahun sah das von seinem Verstecke aus. Ahun sagte: "Was mag mit dem Knaben sein?" Ahun kam heraus und fragte den Mann, der das Pferd führte: "Was ist mit dem Jungen?"Der Führer des Pferdes sagte: "Er hat den Vogel Orisas getötet; deshalb feiern wir ihn." Da schlug Ahun dem Jungen ins Gesicht und sagte: "Du Lügner! Den Vogel des Orisa habe ich ja getötet! Setzt mich auf das Pferd!" Darauf packte das Volk Ahun und rief: "Wir haben den Mann, der den Vogel Orisas getötet hat." Sie packten ihn. Man schnitt Ahun in ganz kleine Stücke.

Die kleinen Stücke Ahuns lagen umher. Das Fleisch sagte: "Packt mich zusammen!" Ein Mann, der vorbei ging, sagte: "Das kann ich machen." Er legte das Fleisch auf einen Haufen. —Seitdem ist die Schale Ahuns so gegliedert. Früher war sie glatt.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt