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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT

53. Tischlein deck dich

Es war keine Speise auf der Erde. Es war keine Speise im Himmel. Kein Mensch hatte Speise. Alle Welt hungerte. Ahun hatte Hunger. Er stieg auf einen Palmbaum. Die Früchte waren noch nicht reif. Sie waren noch weiß (also Aban genannt). Die Palme stand neben einem Flusse. Ahun schlug mit seinem Messer ein Fruchtbündel ab. Es glitt aber aus seinen Händen, fiel in den Fluß und sank gleich unter.

Als die Aban in den Fluß fielen, war da gerade ein Omo-Olokun (ein Sohn des Jorubischen Poseidon). Der Omo-Olokun nahm die Aban und trug sie in das Haus seines Vaters. Ahun sah das. Er lief hinterher und kam am Haus Olokuns an. Olokun stand vor der Haustür. Ahun warf sich vor Olokun nieder. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und sagte: "Ida!" Das heißt so viel, wie ich bitte euch um Gnade. Es ist das ein durchaus üblicher Unterwürfigkeitsgruß gegenüber Persönlichkeiten, die viel höher stehen und gewissermaßen als Omnigotunse erachtet werden, dargebracht wird. Olokun sagte: "Das ist gut so! (So viel wie: Das ist auch ganz in der Ordnung.) Sonst würde ich dich mit einem langen Messer köpfen lassen. — Was willst du von mir ?"

Ahun sagte: "Niemand im Himmel hat Speise. Niemand auf der Erde hat Speise. Ich stieg auf einen Palmbaum, um mir Aban zu schlagen. Ich schlug ein Fruchtbündel ab. Es fiel in den Fluß. Einer deiner Söhne nahm es und trug es nach Hause."Olokun sagte: "Komm!" Olokun führte Ahun hinter sein Haus. Da wuchsen viele Kürbiskalebassen von der Ebakoart (Flaschenkürbisse), aus denen man durch Längsteilung je zwei Löffel schneidet. Olokun sagte: "Schneide dir einen Kürbis ab!" Ahun schnitt sich einen Kürbis ab. Olokun sagte zu ihm: "Nun frage ihn, wie er heißt."Ahun fragte ihn: "Wie heißt du ?" Da antwortete die Kalebasse: "Akonjal'L* Dann füllte sich die Ebako bis oben hin mit sehr guter Speise, so daß



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Ahun sich sogleich satt essen konnte. (Der Erzähler spricht es nicht aus, daß Ahun an Ort und Stelle sogleich ein entsprechendes Gefäß aus dem Kürbis geschnitzt hat. Es geht das aber aus dem Inhalte der Erzählung deutlich hervor.) Als Ahun alles aufgegessen hatte, fragte er noch einmal: "Wie heißt du ?" Der Kalebassenteil antwortete: "Ich heiße Akonja! Wenn der Brei auch noch so heiß ist, kratze ich ihn doch aus dem Topfe zusammen." Dann füllte er sich wieder bis oben hin. Als er gefüllt war, nahm ihn Ahun unter sein Kleid und ging damit heim.

Als er daheim ankam, aß er wieder von dem Brei. Dann stellte er die Akonja in ein Zimmer und sagte zu seiner Frau: "Geh auch in dieses Zimmer, dann frage die Kalebassenschale, wie sie heißt." Ahun ging hinaus. Er machte die Tür zu. Die Frau Ahuns hieß Enjibo. Sie fragte die Kalebassenscherbe: "Wie heißt du ?"Die Kalebasse sagte: "Ich heiße Akonja!" Dann füllte sie sich bis oben hin mit Speise. Die Frau Ahuns aß alles auf. Als sie fertig war, kam Ahun herein und nahm die Kalebassenscherbe mit.

Ahun nahm die Kalebassenscherbe und ging damit zum Osi und sagte: "Laß alle Leute zusammenkommen. Ich habe sehr viel zu essen."Der König ließ alle Leute zusammenrufen. Als alle da waren, legte Ahun die Kalebassenscherbe hin und sagte zum Osi: "Frage diese Kalebasse, wie sie heißt!" Der Osi fragte: "Wie heißt du?" Die Kalebasse antwortete: "Ich heiße Akonja!"Sogleich fing sie an sich zu füllen und Speise hervorzubringen. Der Osi begann sogleich zu essen. Wie das die andern Leute sahen, fragten sie auch: "Wie heißt du?" Darauf sagte sie: "Ich heiße Akonja! Ich heiße Akonja! Ich heiße Akonja!" Die Speise kam hervor, immer mehr, immer mehr. Alle Leute aßen und aßen, und je mehr kamen und fragten: "Wie heißt du?" desto öfter antwortete sie: "Ich heiße Akonja!" und immer mehr Brei kam heraus, bis alle, alle Leute gegessen hatten und satt waren und keiner mehr fragte.

Als aber alle Leute gegessen hatten, da zerbrach sie Ahun und fragte sie noch einmal: "Wie heißt du ?" Die zerbrochene Kalebasse gab keine Antwort und es kam auch kein Brei mehr heraus. Da sagte Ahun: "Meine Akonja ist zerbrochen, sie gibt keinen Brei mehr."Der Osi sagte: "Ja, die Akonja ist zerbrochen und gibt keinen Brei mehr." Alle Leute sagten: "Die Akonja ist zerbrochen und gibt keinen Brei mehr." Ahun ging nach Hause.

Ahun nahm sein Grasmesser. Er ging zu der Palme am Fluß. Er stieg auf die Palme. Er schlug ein Abanbündel ab und warf das herunter



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in den Fluß. Das Abanbündel fiel herab, es ging unter. Unten war gerade ein Omo-Olokun. Als der das Abanbündel Ahuns sah, nahm er es und warf es zurück an das Ufer. Als Ahun das sah, nahm er es und warf es zurück. Er sagte zu dem Omo-Olokun: "Behalte es doch! Ich bitte dich!" Der Omo-Olokun sagte: "Wie du willst!" Dann tauchte der Omo-Olokun mit dem Abanbündel unter und ging zum Hause seines Vaters.

Ahun ging auch in das Wasser. Er lief hinter Omo-Olokun her und kam am Hause Olokuns an. Olokun stand vor der Haustür. Ahun warf sich vor Olokun nieder. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und sagte: "Ida!" Olokun sagte: "Das ist gut so! Sonst würde ich dich mit einem Ida köpfen lassen. Was willst du von mir ?" Ahun sagte: "Niemand im Himmel hat Speise. Niemand auf der Erde hat Speise. Ich stieg auf einen Palmbaum, um mir Aban zu schlagen. Ich schlug ein Fruchtbündel ab. Es fiel in den Fluß. Einer deiner Söhne nahm es und trug es nach Hause."Olokun sagte: "Komm!" Olokun führte Ahun auf einen Hof. Auf dem Hofe lagen viele Lagbas (Peitschen). Olokun sagte: "Nimm eine Lagba auf!" Ahun nahm eine Peitsche auf. Olokun sagte zu Ahun: "Nun frage deine Lagba, wie sie heißt." Ahun fragte: "Wie heißt du?"Die Lagba sagte: "Afuma-bioje (d. h. ich mache fest oder starr wie Kälte; oje =Kälte). Ana maligwedu (d. h. ich schlage wie auf eine Trommel; igwedu heißt die Königspauke)." Darauf fuhr die Peitsche aus Ahuns Hand und schlug und schlug auf ihn ein. Er wollte weglaufen, aber die Peitsche lief immer hinter ihm her, bis sie endlich wieder in seine Hand kam.

Als Ahun die Lagba wieder in der Hand hatte, hielt er sie ganz fest und ging so schnell wie möglich damit heim. Daheim sagte er zu seiner Frau Enjenibo: "Ich habe heute etwas mitgebracht! Komm schnell mit in das Zimmer!" Die Frau kam herein. Ahun reichte ihr die Peitsche hin und sagte: "Frage diese Lagba, wie sie heißt!"Dann machte er die Tür von außen schnell zu und verschloß sie noch. Enjenibo fragte: "Wie heißt du?" Darauf sagte die Peitsche: "Afuma-bioje! Ana maligwedu!" Sie fuhr ihr aus der Hand und schlug ununterbrochen auf ihren Rücken ein. Die Frau schrie Ahun zu: "Tschikumi !"(Mach die Tür auf!) Ahun rief: "Tigbaibai!"(Mach zu! halt zu!) Die Peitsche schlug. Die Frau schrie: "Tschikumi!" Ahun sagte: "Tigbeibei!" Endlich war die Peitsche fertig und kehrte in Enjenibos Hand zurück. Ahun machte die Tür auf. Enjenibo warf die Peitsche weit weg zur Tür hinaus.



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Ahun nahm die Peitsche auf. Er ging damit zum Osi und sagte: "Laß alle Leute zusammenkommen. Ich habe eine neue Sache!" Der König ließ alle Leute zusammenkommen. Als alle beisammen waren, sagte Ahun: "Ich habe Leibweh vom vielen Essen und muß schnell in den Busch laufen. Fragt nur die Peitsche, wie sie heißt!" Ahun lief fort, so schnell er konnte. Der Osi sagte: "Er hat sich daran überessen. Nun wollen wir aber auch satt werden." Alle Leute drängten sich dicht um den Osi. Der Osi fragte schnell: "Wie heißt du?" Alle Leute schrien: "Wie heißt du? Wie heißt du?" Die Peitsche sagte: "Afuma-bioje! Ana maligwedu! Afuma-bioje! Ana maligwedu!" Sie fuhr herum und schlug dem Osi die Ade (Königsmütze) vom Kopfe und dann ihm und allen Leuten auf den Rücken. Einer nach dem andern wollte, wie er das sah, weglaufen, aber einer fiel über den andern, und wie sie alle so auf der Erde herumlagen, prügelte die Peitsche alle, die gefragt hatten, einen nach dem andern ganz gründlich und schnell durch. Als jeder seine Schläge bekommen hatte, blieb sie in der Hand des Osi. Der Osi setzte seine Ade wieder auf.

Der Osi sagte: "Diesen Ahun müssen wir töten. Er bringt uns ja sonst noch den Krieg in die Stadt." Sie fingen Ahun und töteten ihn. — Seitdem soll man langsam essen.

Und so kam die Peitsche zu den Menschen. Einen Akonja bekamen sie nicht wieder, aber die Peitsche wurden sie nicht wieder los.


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