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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT

52. Drei erfüllte Wünsche und Ahun

Eine Frau hatte drei Söhne. Alle drei Söhne gingen jeden Tag auf die Farm und verrichteten da ihre Arbeit. Der Osi (König) des Landes hatte zweihundert Frauen, zweihundert Stück Rindvieh und zweihundert Pferde. Eines Tages waren die drei Söhne auf der Farm bei der Arbeit. Der Älteste sagte: "Wenn der König mir die schönste Frau aus seinem Hause schenkte, würde ich einen Pfeil bis in den Himmel schießen." Der zweite sagte: "Wenn der König mir sein bestes Pferd schenkte, würde ich über Okun (das Meer) hin und zurück schwimmen." Der dritte sagte: "Wenn der König mir seine beste Kuh schenkte, würde ich auf die höchste Palme bis an die Spitze klettern!" Ahun war in der Nähe. Ahun hörte das.

Ahun ging zum Osi und sagte: "Ich sah heute drei Männer, von denen sagte der erste: ,Wenn der König mir die schönste Frau aus seinem Hause schenkte, würde ich einen Pfeil bis in den Himmel schießen.' Von denen sagte der zweite: ,Wenn der König mir sein bestes Pferd schenkte, würde ich über den Okun und zurück schwimmen.' Von denen sagte der dritte: ,Wenn der König mir seine beste Kuh schenkte, würde ich auf die höchste Palme bis auf die Spitze klettern." Der Osi sagte: "Bringe mir die .drei Leute, wir wollen sehen, was daran ist!"Ahun rief die drei Burschen. Der Osi rief alles Volk zusammen.

Als die drei Burschen gekommen waren, sagte der Osi: "Wenn der erste von euch bis in den Himmel schießt, will ich ihm die schönste von meinen Frauen schenken. Wenn der zweite von euch über das Meer hin und zurück schwimmt, will ich ihm mein bestes Pferd schenken. Wenn der dritte von euch auf die höchste Palmspitze klettert, will ich ihm meine beste Kuh schenken." Der dritte Bursche begann. Er legte sich einen Kletterring an, kletterte bis an die höchste Spitze der höchsten Palme und kam wieder herab. Der Osi sagte: "Das ist richtig gemacht." Der Osi gab ihm eine Kuh. Der zweite



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Bursche kam. Er begann. Er sprang am Morgen in das Meer. Er schwamm bis zum Mittag hinüber und kam wieder zurück. Als er wieder zurückkam, sagte der Osi: "Das ist richtig gemacht."Der Osi gab ihm sein bestes Pferd. Der Osi sagte: "Nun soll der erste Bursche in den Himmel schießen!"

Der erste Bursche wurde herangerufen. Der Osi sagte: "Gebt ihm sieben Pfeile! Mit einem dieser Pfeile muß er den Himmel treffen." Der Bursche trat mit dem Bogen heran. Er nahm die sieben Pfeile. Er schoß den ersten Pfeil ab. Der Pfeil traf nicht; er kam wieder herab. Der Bursche schoß den zweiten Pfeil. Der Pfeil traf nicht. Er kam wieder herab. Der Bursche schoß den dritten Pfeil. Der Pfeil traf nicht. Er kam wieder herab. Der Bursche schoß den vierten Pfeil. Der Pfeil traf nicht. Er kam wieder herab. Der Bursche schoß den fünften Pfeil. Der Pfeil traf nicht. Er kam wieder herab. Der Bursche schoß den sechsten Pfeil. Auch der sechste Pfeil traf den Himmel nicht. Auch der sechste Pfeil kam wieder herab.

Der Bursche nahm den siebenten Pfeil. Der Bursche sagte: "Das ist mein letzter Pfeil. Mein zweiter Bruder hat das beste Pferd des Osi gewonnen. Mein dritter Bruder hat die beste Kuh des Königs gewonnen. Mein letzter Pfeil muß mir die schönste Frau des Königs gewinnen. Olorun (Gott), hilf mir dazu!" Der Bursche legte den siebenten Pfeil auf die Sehne und sang: "Olorun, hilf mir! Hilf meinem Pfeil!" Der Bursche schoß. Der Pfeil flog zum Himmel, er traf den Himmel. Er blieb im Himmel sitzen. Der Pfeil kam nicht wieder. Als der Osi das sah, sagte er: "Das ist auch richtig gemacht! Sucht die schönste Frau in meinem Hause heraus und gebt sie dem Burschen." Die Leute brachten dem Burschen die schönste Frau aus dem Hause des Osi. Der Pfeil aber, den der Bursche in den Himmel abgeschossen hatte, wurde die Sonne. —

Ahun sagte bei sich: "Ich war es, der diesen Burschen das beste Pferd des Osi und die beste Kuh des Königs besorgt hat. Warum geben mir diese kein Geschenk? Sollten sie mir nicht ein Geschenk geben? Sicher werden sie mir ein Geschenk geben. Ich werde einmal mit ihnen zu tun haben."*

Ahun ging zu dem Manne, der die Kuh gewonnen hatte. Er sagte:



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"Schau, deine Kuh ist krank. Du mußt ihr ein Medikament geben." Der Mann sagte: "Bist du sicher, daß die Kuh krank ist?" Ahun sagte: "Siehst du nicht, daß, wenn ich hier drücke, ein weißer Saft herauskommt (die Milch aus dem Euter)!" Der Bursche sagte: "Es ist wahr! Die Kuh muß sehr krank sein. Sie wird sterben!" Ahun sagte: "Es ist sicher, daß die Kuh sterben wird!" Der Bursche sagte: "Wir wollen das Euter lieber abschneiden!" Ahun sagte: "Es wird jedenfalls schneller mit der Krankheit gehen!" Der Bursche sagte: "Ich habe kein Messer!" Ahun sagte: "Ich habe hier eins!" Der Bursche sagte: "Leih mir das Messer, damit ich das Euter abschneide." Ahun gab sein Messer. Der Bursche schnitt der Kuh das Euter ab. Die Kuh starb.

Die Kuh war gestorben. Der Bursche sagte: "Die Kuh ist doch gestorben." Ahun sagte: "Ja, die Kuh ist doch gestorben." Der Bursche sagte: "Wir wollen sie nun gleich schlachten. Gib mir das Messer!" Ahun sagte: "Ich will dir helfen und mein Messer leihen, wenn alles Fleisch, das ,que' macht, mir gehört. Du kannst alles behalten, was ,bum' macht (also schwer auf die Erde fällt)." Der Bursche sagte: "Es ist gut!" Sie teilten die Kuh auf. Alles Fleisch machte beim Niederfallen que. Das nahm Ahun. Nur die Hörner machten bum. Ahun nahm alles Fleisch und ging damit nach Hause. Ahun sagte: "Der eine Bursche hat mir für den Dienst gut bezahlt."

Ahun ging zu dem Manne, der das Pferd gewonnen hatte. Er sagte zu ihm: "Hast du Lust, mit mir in mein Land zu reisen? Für dich ist das nicht schwer, denn du hast ja nun ein Pferd. Du kannst nun reiten." Der Bursche sagte: "Es ist mir recht." Ahun und der Bursche machten sich auf den Weg. Ahun ging zu Fuß. Der Bursche ritt auf dem Pferde. Der Bursche sagte: "Weshalb willst du gehen? Komm, sitze hinter mir auf dem Pferde auf!"Ahun setzte sich hinter dem Pferdebesitzer auf das Pferd. So ritten sie sieben Tage weit.

Als sie nahe der Stadt angelangt waren, sagte Ahun zu dem Burschen: "Wir wollen hier andere Namen annehmen. Ich werde mich Aledjo (Fremder) nennen. Nenne du dich Ale-idjo (weggejagt beim Tanz)." Der Bursche sagte: "Es ist gut." Sie ritten in die Stadt. Sie begrüßten die Leute der Stadt. Sie nannten ihre Namen. Nachher sandten die Leute die Speise. Der Mann, der die Speise brachte, sagte: "Das ist für Aledjo!" (für den Fremden). Ahun sagte: "Das ist für mich." Er aß alles auf. Der Bursche fragte: "Ist für Ale-idjo kein Essen da?" Die Leute sagten: "Nein, es ist kein Essen für Ale-idjo da!" Am andern Tage war es ebenso. Ahun bekam alle Tage Speise.



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Er brachte aber keine Speise für den Burschen. Der Bursche hungerte. Eines Tages starb der Bursche. Da nahm Ahun das Pferd und ritt nach Hause. Er sagte: "Der andere Bursche hat mich für den Dienst auch gut bezahlt." So bekam Ahun das Pferd des einen Burschen und aß die Kuh des andern auf. Seit damals ist aber die Sonne am Himmel.


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