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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES WESIRS VON JEMEN UND SEINES JUNGEN BRUDERS

Der Herr Badr ed-Dîn, der Wesir von Jemen, hatte einen Bruder von wunderbarer Schönheit, den er eifersüchtig hütete. Und als er nach einem Lehrer für ihn suchte, fand er einen Scheich, der ehrfurchtgebietend und würdig aussah und einen keuschen und frommen Lebenswandel führte; den ließ er in dem Hause neben dem seinen wohnen. Eine geraume Zeit lang pflegte so der Scheich täglich aus seinem Hause in das des Herrn Badr ed-Dîn zu kommen, um dessen Bruder zu unterrichten, und darauf in seine Wohnung zurückzukehren. Doch dann entbrannte sein Herz in Liebe zu jenem Jüngling, die Sehnsucht überwältigte ihn, und sein Sinn fand keine Ruhe mehr. Da klagte er eines Tages dem Jünglinge seine Not; der erwiderte ihm: ,Was kann ich tun, da ich mich Tag und Nacht nicht von meinem Bruder trennen darf und er mich immer bewacht, wie du selber siehst?' Doch der Scheich sprach: ,Mein Haus ist neben dem euren. Du kannst, wenn dein Bruder schläft, aufstehen und dich ins Kämmerlein begeben; dann



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wird es so aussehen, als ob du auch schliefest. Du aber komm zur Brustwehr der Dachterrasse, und ich werde dich auf der anderen Seite der Mauer empfangen. Nur einen Augenblick sollst du bei mir sitzen; dann magst du zurückkehren, ohne daß dein Bruder es merkt.' ,Ich höre und gehorche!' antwortete der Jüngling; und der Scheich begann Geschenke zu rüsten, wie sie seinem Range entsprachen.

Sehen wir nun weiter, was der Jüngling tat! Er ging in das Kämmerlein und wartete, bis sein Bruder sich auf sein Lager niederlegte; nachdem aber eine Weile der Nacht vorübergegangen und sein Bruder in tiefen Schlaf versunken war, erhob er sich und begab sich zur Brustwehr der Dachterrasse. Dort fand er den Scheich stehen und auf ihn warten; rasch reichte jener ihm die Hand, zog ihn zu sich herüber und führte ihn in den Saal. Nun schien in jener Nacht der Vollmond; und wie die beiden dort beim Mahle saßen und die Becher bei ihnen kreisten und der Scheich zu singen begann, warf der Mond sein helles Licht auf sie. Während sie sich so vergnügten in Lust und Fröhlichkeit, in Wonne und Seligkeit, in einem Glück, das den Verstand und das Auge zu verwirren begann, so schön, daß keine Zunge es beschreiben kann, da erwachte plötzlich der Herr Badr ed-Dîn aus seinem Schlafe. Als er seinen Bruder nicht fand, sprang er erschrocken auf; die Tür sah er offen stehen, und so eilte er durch sie hinaus. Schon hörte er den Klang der Stimmen, und er sprang über die Brustwehr zur Dachterrasse des Nebenhauses. Als er dort aus dem Zimmer einen Lichtschein hervorleuchten sah, spähte er hinter der Mauer hinab und gewahrte die beiden, wieder Becher bei ihnen kreiste. Doch der Scheich bemerkte ihn, und nun begann er, den Becher in der Hand, zu singen und ließ dies Lied erklingen:



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Ergab mir den Wein seiner Lippen zu trinken;
Mit Zierde des Wangenflaums trank er mir zu.
Und Wange an Wange, in meiner Umarmung,
Ging heute der Schönste der Menschen zur Ruh.
Der leuchtende Vollmond schien auf uns hernieder;
Nun bittet ihn: Sag es dein Bruder nicht wieder!

Die Güte des Herrn Badr ed-Dîn aber zeigte sich dadurch, daß er, als er diese Verse vernahm, ausrief: ,Bei Allah, ich will euch nicht verraten!' und fortging, indem er die beiden ihren Freuden überließ.

Ferner wird erzählt


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