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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT

45. Der Elefant als Opfer auf dem Königsgrab

Oba (Herr, Fürst) von Odjege war der Herr einer sehr wohlhabenden und guten Stadt. In der Stadt waren alle Leute reich. Jeder Mann, jede Frau, jeder Bursche, jedes Mädchen, jedes Kind hatte Geld. Der Oba wurde sehr alt. Er wurde sehr, sehr alt. Sie setzten



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ihn zuletzt in die Sonne. Denn er fror immer, so alt war er. Endlich starb der Oba. Die Leute kamen zusammen. Die Leute sagten: "Dieser Oba war so gut, daß wir auf seinem Grabe einen Elefanten schlachten müssen!" Alle Leute kamen zusammen. Alle Leute sagten: "Ja, dieser Oba war so gut, daß wir auf seinem Grabe einen Elefanten schlachten müssen! Wir wollen in den Busch schicken und einen Elefanten fangen lassen."

Es wurden zwanzig gute Jäger ausgewählt, die gingen in den Wald und suchten einen Elefanten zu fangen. Sie blieben tagelang im Walde, dann kehrten sie unverrichteter Sache zurück. —Es wurden andere. zwanzig gute Jäger ausgewählt, die gingen in den Wald und suchten einen Elefanten zu fangen. Sie blieben neun Tage im Walde, dann kehrten sie unverrichteter Sache zurück. — Es wurden fünfundzwanzig alte Jäger ausgewählt, die gingen in den Wald und suchten einen Elefanten zu fangen. Sie blieben sieben Tage im Walde, dann kehrten sie unverrichteter Sache zurück. — Es wurden dreizehn Sklaven ausgesandt, die gingen in den Wald und suchten einen Elefanten zu fangen. Sie blieben neun Tage im Walde, dann kehrten sie unverrichteter Sache zurück. — Es wurden sechs alte erfahrene Männer in den Wald gesandt, um einen Elefanten zu fangen. Sie bemühten sich vier Tage, dann kehrten sie unverrichteter Sache zurück.

Die Leute von Odjege wurden traurig. Ahun kam vorbei. Er fragte: "Was ist euch? Ihr seid ja so traurig!" Die Leute von Odjege sagten: "Unser ausgezeichneter alter Oba ist gestorben. Wir haben versprochen, einen lebenden Elefanten auf seinem Grabe zu opfern, denn er hat jeden Mann in dieser Stadt wohlhabend gemacht. Wir haben die besten Jäger, die geschicktesten Leute ausgesandt, einen Elefanten lebend zu fangen. Es ist aber nicht gelungen. Wir wissen nun nicht, wie wir unser Versprechen erfüllen sollen!"Ahun sagte: "Was? Ihr alle, die ihr so viele Pfeile habt, ihr solltet nicht imstande sein, einen Elefanten zu fangen, was bei uns alle Leute können?" Die Leute sagten: "Nein, wir können das nicht."Ahun sagte: "Gut, so will ich das euch sogleich vormachen. Es ist keine große Sache!"

Ahun sagte dann: "Macht hier unter der Veranda des Osi-Hauses eine Grube! Macht sie zwölf Fuß tief; macht sie zwölf Fuß lang; macht sie zwölf Fuß breit! Bringt alle Erde aus der Stadt, so daß man keine Unreinlichkeit sieht. Dann deckt die Grube mit einer feinen Matte zu, die für einen Oba gut ist." Die Leute sagten: "Es ist gut. Das werden wir machen." Die Leute bauten die Grube. Sie



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trugen alle Erde fort. Sie breiteten eine Matte darüber aus. Ahun sagte: "Nun bereitet mir viel guten Eko! Macht den besten Eko! Macht so viel, als zehn Männer tragen können. Gebt mir zehn Männer, die den Eko tragen; dann gebt mir drei sehr gute Trommeln!" Die Leute sagten: "Wir wollen den Eko machen. Wir wollen dir die Trommeln und die zehn Mann geben!" Die Leute machten den besten Eko. Sie machten zehn große Körbe voll Eko.

Dann ging Ahun mit den Leuten, die den Eko trugen, und mit drei Trommeln in den Busch. Im Busche ging er an einen Platz, an dem sich ein alter Elefant aufhielt. Als er in einiger Entfernung von dem Elefanten angelangt war, warf er sich grüßend vor ihm nieder und bedeckte das Gesicht mit den Händen. (Also begrüßte er ihn wie einen Fürsten oder Orischa.) Ahun sagte: "Mein Herr! Du bist mein Herr! Mögest du lange leben, mein Herr! Wie geht es dir, mein Herr?" Der Elefant sah Ahun. Der Elefant sah die Trommler. Der Elefant sah die Träger mit den Speiselasten. Der Elefant hörte Ahun und sagte: "Was soll das alles bedeuten?"

Ahun warf sich wieder vor ihm nieder und sagte dann: "Mein Herr! Du bist mein Herr! Du sollst unser aller Herr werden! Der Oba von Odjege ist gestorben. Es war ein sehr großer Oba. Er war ein sehr guter Oba. Er hatte alle Leute in der Stadt reich gemacht. Wir haben einen gleichen Oba in der Stadt gesucht. Keiner ist in der Stadt so gut und so mächtig. Wir haben nachgedacht, wer wohl sonst in der Stadt ein gleich guter Oba sein könne. Wir haben beschlossen, dich zu bitten, unser Oba zu sein. Wir haben dich tagelang gesucht. Nun haben wir dich gefunden. Nun bitten wir dich: Komm und sei unser Oba! Mein Herr! Mögest du lange leben, mein Herr!" Der Elefant sah Ahun. Der Elefant hörte Ahun. Der Elefant sagte: "Du lügst!"

Ahun warf sich vor dem Elefanten wieder nieder und sagte: "Mein Herr! Du bist mein Herr! Die Stadt sendet dir als ersten Gruß zehn Körbe voll Eko. Verzehre sie in guter Gesundheit, mein Herr!" Der Elefant sah den Eko. Die zehn Leute stellten den Eko vor ihm nieder. Der Elefant nahm den ersten Korb, führte den Eko zum Munde und fraß ihn samt den Korb auf. Ahun klatschte in die Hände und sang: "Unser großer Oba ißt! Unser Herr ißt! Mögest du lange leben, unser Herr!" Die Trommler trommelten. Die Leute sangen: "Unser großer Oba ißt. Unser Herr ißt. Mögest du lange leben, unser Herr!" Der Elefant nahm einen zweiten Korb und fraß ihn mit dem Eko auf. Er nahm einen dritten Korb und fraß ihn mit dem Eko auf. Die



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Trommler trommelten, Ahun und die Leute sangen, der Elefant aß alles Eko mitsamt den Körben auf (Körbe =Agban).

Als der Elefant alles aufgegessen hatte, begann Ahun vor dem Elefanten her zu tanzen. Er tanzte nach der Stadt zu. Die Trommler trommelten und folgen ihm. Ahun und die Leute sangen: "Erri geht in sein Haus in Odjege. Erri (der Elefant), der neue Oba von Odjege, kommt. Erri, unser Herr! Der neue König von Odjege kommt!" Ahun tanzte voraus. Die Trommler trommelten und gingen hinter ihm. Ahun und die Leute sangen. Der Elefant begann (nach Elefantenart) hin und her zu schwanken und tanzend (schaukelnd) Ahun und den Trommiern zu folgen.

Sie kamen an die Stadt. Sie kamen an das Stadttor. Sie kamen in die Stadt. Ahun tanzte voran und sang: "Erri geht in sein Haus in Odjege. Erri, der neue Oba von Odjege, kommt. Erri, unser Herr! Der neue König von Odjege kommt!" Ahun tanzte voran. Die Trommler trommelten und gingen hinter ihm. Ahun und die Leute sangen. Der Elefant tanzte gehend. Er ging tanzend durch das Tor in die Stadt. — Alle Leute von Odjege jubelten und sangen: "Erri geht in sein Haus in Odjege. Erri, der neue Oba von Odjege, kommt. Erri, unser Herr! Der neue König von Odjege kommt!"Alle Leute liefen hinter Erri her und sangen.

Ahun ging auf das Haus zu, in dem die Grube gemacht war. Alles sang, trommelte und schrie. Der Elefant tanzte hinter her. Ahun warf sich neben der Matte, die über die Grube ausgebreitet war, auf die Erde und begrüßte den Erri und sagte: "Mein Herr! Du bist mein Herr! Unser Oba! Setze dich hier auf diese Matte nieder. Es ist die Matte des Königs. Wir wollen dich als König begrüßen!"Der Elefant ging über den Rand der Grube. Die Matte zerriß. Der Elefant stürzte in die Grube. Ahun sagte zu den Alten von Odjege: "Hier ist euer Elefant!"

Die Leute von Odjege schlachteten den Elefanten. Sie gossen sein Blut auf das Grab des verstorbenen Oba. Am andern Tage rief Ahun alle Leute von Odjege zusammen und sagte zu ihnen: "Ihr sucht einen neuen Oba! Sucht den neuen Oba nicht unter den besonders großen und starken Leuten. Wenn der Mann einen klugen Kopf hat, ist er der beste Oba." Die Leute von Odjege dankten Ahun für den Elefanten. Sie schenkten ihm einen Rock, der nie alt wird und noch gut ist, wenn der Mann, der ihn sein ganzes Leben lang getragen hat, stirbt. Deshalb bleibt nach Ahuns Tode immer die Schale übrig.


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