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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DER LIEBENDEN AUS DEM STAMME DER 'UDHRA

Einst lebte unter den Banu 'Udhra' ein Mann von vornehmer Art, der keinen einzigen Tag ohne Liebe sein konnte. Es begab sich, daß er von Liebe zu einer schönen Frau seines Stammes ergriffen wurde, und er sandte ihr Botschaften Tag für Tag. Aber sie wies ihn 'spröde zurück, so daß er, überwältigt von Leidenschaft und von der sehnenden Liebe Kraft, schwer erkrankte, sich auf die Kissen legte und den Schlaf zu verscheuchen pflegte. Nun erfuhren die Leute, wie es um ihn stand, und um seiner Liebe willen wurde er überall genannt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 384. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mann sich auf



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die Kissen legte und den Schlaf zu verscheuchen pflegte. Nun erfuhren die Leute, wie es um ihn stand, und um seiner Liebe willen wurde er überall genannt; doch sein Siechtum wuchs immer mehr, und sein Leiden ward so schwer, daß er dem Tode nahe war. Darauf baten die Seinen und die Ihren sie unaufhörlich, ihn zu besuchen; doch sie weigerte sich immernoch, bis er im Sterben lag. Als ihr das mitgeteilt wurde, hatte sie Mitleid mit ihm und schenkte ihm einen Besuch. Und wie er sie erblickte, begannen seine Augen in Tränen auszubrechen, und er hub mit gebrochenem Herzen an diese Verse zu sprechen:

Wenn meine Leiche nun an dir vorüberziehet
Auf einer Bahre, von der Schultern vier getragen,
Willst du -bei deinem Leben! ihr folgen und dein Grabe
Des Toten in der Erde deine Grüfte sagen?

Als sie diese Worte von ihm vernahm, weinte sie bitterlich, und sie sprach zu ihm: ,Bei Allah, ich ahnte nicht, daß der Liebe Macht dich in die Arme des Todes gebracht! Hätte ich das gewußt, so hätte ich mich deiner Not angenommen und wäre nach deinem Wunsche zu dir gekommen.' Doch wie er sie dies sagen hörte, begannen seine Tränen wie ein Regenschauer aus der Wolke hervorzubrechen, und er hub an das Dichterwort zu sprechen:

Sie nahte sich, als schon der Tod uns beide trennte.
Und sie versprach Erhörung, als es nutzlos war.

Dann seufzte er noch einmal auf und verschied. Sie aber warf sich auf ihn und küßte ihn und weinte. So lange weinte sie, bis sie ohnmächtig neben ihm niedersank. Und als sie wieder zu sich kam, trug sie den Ihren auf, sie in seinem Grabe zu bestatten, wenn sie gestorben wäre. Darauf begannen ihre Augen in Tränen auszubrechen, und sie hub an diese beiden Verse zu sprechen:



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Wir lebten auf der Erde ein Leben voller Wonne;
Stamm, Haus und Heimat waren im Stolze auf uns groß.
Da riß der Zeiten Flug uns grausam auseinander:
Das Leichentuch vereint uns nun im Erdenschoß.

Nachdem sie diese Verse gesprochen hatte, begann sie wiederum bitterlich zu weinen; und sie weinte und klagte unaufhörlich, bis sie ohnmächtig niedersank. Drei Tage lang blieb sie in ihrer Ohnmacht liegen; dann starb sie und wurde in seinem Grabe bestattet.

Dies ist eine der wunderbaren Begebenheiten in der Liebe.

Ferner wird erzählt


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