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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT

33. Ahun und Onji

Ahun (Schildkröte) ging mit Onji (der Biene). Ahun sagte: "Ich will einen Freund haben, der nicht so laut spricht."Onji sagte: "Glaube mir, ich spreche immer nur leise." Ahun sagte: "Dann wollen wir Freunde sein!" Onji sagte: "Das ist mir recht."Ahun sagte: "Wie gewinnen wir viel Fleisch?"Onji sagte: "Laß uns zusammen eine Grube anlegen, in der sich wilde Tiere fangen. Wir teilen dann die Beute." Ahun sagte: "Es ist gut! Am einen Tag gehört die Beute dem einen, am andern Tage gehört die Beute dem andern."Onji sagte: "Es ist mir recht." Ahun und Onji machten nun ein tiefes Loch im Busche, dann gingen sie wieder nach Hause.

Am andern Tage gingen sie in den Busch zu ihrer Grube. Sie sahen hinein. In der Grube hatte sich eine Etu (kleine Antilopenart) gefangen. Onji blickte hinein und sagte: "Morgen wird sich ein größeres Tier darin fangen." Ahun sagte: "Wir wollen so teilen, daß du heute die Etu nimmst." Onji sagte: "Es ist mir recht. Onji nahm die Etu heraus. Er teilte sie auf. Er nahm das Fleisch mit nach Hause und verkaufte das Fleisch. Am andern Tage gingen sie wieder in den Busch zu ihrer Grube. Sie sahen hinein. In der Grube hatte sich ein großer Effan (wilder Büffel) gefangen. Onji blickte hinein und sagte: "Es ist ein Effan. Den kannst du nun nehmen. Morgen wird sich ein größeres Tier darin fangen." Ahun sagte: "Wir wollen so teilen, daß du heute auch den Effan nimmst!" Onji sagte: "Es ist mir recht." Onji nahm den Effan heraus. Er teilte den Effan auf und nahm das Fleisch mit nach Hause. Er verkaufte das Fleisch und bekam sehr viel Geld dafür. Das Geld lieh er einem Manne. Der Mann mußte ihm dafür eine Farm anlegen, die war groß. Am andern Tage gingen sie wieder in den Busch zu ihrer Grube. Sie sahen hinein. In der Grube hatte sich ein Erri (ein großer Elefant) gefangen. Onji blickte



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hinein und sagte: "Es ist ein Erri. Den kannst du nun nehmen. In den nächsten Tagen wird sich ein Odju Koriri (Augen, noch nicht gesehen! soll so viel andeuten, wie ein Tier, so groß wie es noch kein Auge gesehen hat) darin fangen!" Ahun sagte: "Wir wollen so teilen, daß du heute auch den Erri nimmst!"Onji sagte: "Es ist mir recht."Onji nahm den Erri heraus. Er teilte den Erri auf und schaffte ihn nach Hause. Er verkaufte das Fleisch und bekam sehr viel Geld dafür. Das Geld lieh er zwei Leuten. Die Leute mußten ihm dafür zwei Farmen anlegen, die waren beide groß.

Dann aber nahm Onji alle Knochen des Elefanten zusammen und füllte sie in Säcke. Die Säcke trug er zu der Grube und warf sie hinein. Nach fünf Tagen sagte Ahun zu Onji: "Es wird Zeit, daß wir wieder nach unserer Grube sehen!"Onji sagte: "Es ist recht. Wir wollen morgen früh hingehen." Am andern Morgen gingen sie wieder in den Busch zu ihrer Grube. Sie sahen hinein. In der Grube lagen die Säcke mit den Elefantenknochen. Onji blickte hinein und sagte: "Das ist Odju Koriri! Der kommt dir zu!" Ahun stieg hinein und sah, daß es Säcke waren, die mit Elefantenknochen gefüllt waren. Er kehrte zu Onji zurück und sagte: "Du hast mich betrogen. Das sind Säcke mit den Knochen des Elefanten. Ich habe dir alles Wild und Fleisch gelassen. Du aber gibst mir nur Knochen."Onji sagte: "Du hast stets selbst gewählt!" Ahun sagte: "Diesmal hast du mich gefangen. Ein anderes Mal fange ich dich!"Onji sagte: "Sei nur vorsichtig!" Onji ging. Ahun ging.

Die Leute, die Onjis Farm bestellten, waren fleißig gewesen. Das Korn ging auf. Das Guineakorn stand hoch, aber es war noch nicht reif genug, um geschnitten zu werden. Onji ging durch die Farmen und sah sein Korn an. Ahun kam ihm entgegen. Ahun sagte: "Weißt du, daß morgen der Osi kommen wird? Weißt du, daß er jedem den Kopf abschlagen lassen will, dessen Korn noch auf den Feldern steht?"Onji sagte: "Nein, das wüßte ich nicht! Aber mein Korn ist noch nicht reif. Es würde verderben, wenn ich es abschlage." Ahun sagte: "Ich meine, besser das Korn weggeschlagen, als den Kopf abgeschnitten."Onji sagte: "Das ist wahr! Komm! Hilf mir beim Umschlagen!" Ahun sagte: "Sehr gerne!" Dann gingen Ahun und Onji an die Arbeit und schlugen Onjis gesamtes Korn um. Ahun ging nach Hause. Nachher ging Onji durch die Farmen derandern Leute. Onji sah, daß alles Korn der andern Leute noch stand. Onji sagte: "Diesmal hat mich Ahun gefangen. Ahun wird mir dafür viel zahlen müssen."

Eines Tages versteckte Onji seine alte Mutter auf dem Boden



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seines Hauses. Er sagte zu ihr: "Mache nur alles so, wie ich es unten sage. Hier hast du alle meine Perlen, Stoffe und Sklaven."Dann ging Onji hinaus und sagte zu allem Volke: "Meine alte Mutter ist gestorben! Meine alte Mutter ist gestorben! Meine alte Mutter ist gestorben!" Die Leute kamen, um die Leiche zu begrüßen und um Onjis Mutter zu feiern. Onji ging zu Ahun und sagte: "Meine alte Mutter ist gestorben. Komme zu mir und begrüße sie."Ahun sagte: "Natürlich werde ich kommen!" Es kamen viele, viele Leute, um Onjis Mutter zu begrüßen, denn Onji war reich geworden. Es wurde sehr viel gegessen und getrunken und es gab von allerhand Speise. Nach dem Essen sagte Onji: "Ich habe die Leiche meiner alten Mutter auf dem Zwischenboden hier über uns gestellt." — Dann begrüßte Onji die Leiche seiner Mutter und sagte: "Meine alte tote Mutter! Wenn ich jetzt so um dich weine, so wirf mir Perlen herunter!" Alle Leute begannen zu weinen. Darauf fielen von oben viele Perlen herab, die Onji in Kalebassen aufsammelte und beiseite stellte. — Nach einiger Zeit begrüßte Onji wieder die Leiche seiner Mutter und sagte: "Meine alte tote Mutter! Wenn ich jetzt so um dich weine, so schicke mir einige Sklaven herunter!" Alle Leute begannen zu weinen. Darauf kamen von oben viele Sklaven herunter, die ließ Onji in Eisen legen und auf den Hof führen. —Nach einiger Zeit begrüßte Onji wieder die Leiche seiner Mutter und sagte: "Meine alte, tote Mutter! Wenn ich jetzt so um dich weine, so wirf mir einige hübsche Stoffe herunter." Alle Leute begannen zu weinen. Darauf fielen von oben viele Stoffe herab, die ließ Onji zusammenlegen.

Ahun sah das. Ahun sah, daß die Perlen herabfielen. Ahun sah wie die Sklaven herabkamen. Ahun sah, wie die Stoffe herabgeworfen wurden. Ahun stand auf und ging zu Onji. Ahun sagte: "Ich kann nicht lange bei dir bleiben, denn meine eigene Mutter ist recht krank und sie kann jeden Augenblick sterben!"Onji sagte: "Wenn sie stirbt, sage es mir, daß ich dir auch helfe um sie zu weinen!" Ahun ging. Ahun ging nach Hause. Ahun ging zu seiner Mutter. Ahun sagte zu seiner Mutter: "Was willst du hier noch? Weshalb stirbst du nicht?" Die Mutter sagte: "Wenn Ahun mich nicht tötet, kann ich nicht sterben." Ahun sagte: "Wenn Ahun dich auch nicht tötet, mußt du doch heute sterben. Onjis Mutter ist gestorben. Da mußt du auch sterben. Onjis Mutter hat Onji nach ihrem Tode Perlen, Sklaven und Stoffe geschenkt. Du sollst mir nun auch schenken." Ahun suchte einen dicken Stock. Ahun faßte den Stock an und schlug seine Mutter tot.



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Dann ging Ahun heraus und sagte zu allem Volke: "Meine alte Mutter ist gestorben! Meine alte Mutter ist gestorben! Meine alte Mutter ist gestorben!" Die Leute kamen, um die Leiche zu begrüßen und um Ahuns alte Mutter zu feiern. Ahun ging zu Onji und sagte: "Meine alte Mutter ist gestorben! Komme zu mir und begrüße sie!" Onji sagte: "Natürlich werde ich kommen!" Es kamen viele Leute, um Ahuns Mutter zu begrüßen. Es wurde gegessen und getrunken. Nach dem Essen sagte Ahun: "Ich habe die Leiche meiner Mutter hier auf den Zwischenboden über uns gestellt." Dann begrüßte Ahun die Leiche seiner Mutter und sagte: "Meine alte, tote Mutter! Wenn ich jetzt so um dich weine, so wirf mir Perlen herunter!" Alle Leute begannen zu weinen. Darauf fielen aber keine Perlen herunter. Ahun wartete. Es fielen keine Perlen herunter. —Nach einiger Zeit begrüßte Ahun seine Mutter und sagte: "Meine alte tote Mutter! Wenn ich jetzt so um dich weine, so schicke mir einige Sklaven herunter!" Alle Leute begannen zu weinen. Darauf kamen aber keine Sklaven herunter. Ahun wartete. Es kamen keine Sklaven herunter. —Nach einiger Zeit begrüßte Ahun seine Mutter und sagte: "Meine alte tote Mutter! Wenn ich jetzt so um dich weine, so wirf mir einige Stoffe herunter!" Alle Leute begannen zu weinen. Darauf fielen keine Stoffe herunter. Ahun wartete. Es kamen keine Stoffe herunter. Ahun schrie: "Nun habe ich keine alte Mutter, die für mich kocht, und keine Perlen und keine Sklaven und keine Stoffe!" Alle Leute gingen auseinander.

Am andern Tage ging Ahun aus. Er ging über den Markt. Als er vom Markte zu Onjis Haus kam, saß da Onjis alte Mutter. Onjis alte Mutter spann. Ahun schrie Onji an: "Ah! Ist denn deine Mutter nicht gestorben?"Onji sagte: "Nein, meine Mutter lebt und kocht mir alle Tage gute Speise." Ahun sagte: "Du sagtest mir, daß deine Mutter gestorben sei und dir viele Perlen, Sklaven und Stoffe schenkte. Dann schlug ich meine Mutter auch tot. Sie gab mir nichts. Nun habe ich keine alte Mutter, die für mich kocht, keine Perlen und keine Sklaven und keine Stoffe! Daran bist du schuld."Onji sagte: "Ich sagte dir da: ,Sei nur vorsichtig!" Ahun ging. Ahun sagte sich: "Ich werde doch noch Onji fangen!"

Ahun wollte eines Tages zu seinem Schwiegervater gehen. (Wie aus dem späteren Text hervorgeht, war er mit der Tochter dieses Mannes noch nicht eigentlich verheiratet. Diese seine Frau war noch Mädchen und nicht so weit entwickelt, daß Ahun sie hätte wirklich ehelichen können.) Ahun ging zu Onji und sagte: "Komm mit mir,



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wir wollen meinen Ana (Schwiegervater) begrüßen."Onji sagte: "Es ist gut!" Beide machten sich auf den Weg. Unterwegs kamen sie an einen breiten Fluß. Als Onji den Fluß sah, sagte er: "Ich will lieber heimkehren! Da kann ich nicht hinüber."Ahun sagte: "Ich muß zu meinem Ana gehen, begleite mich! Ich will dich über das Wasser hinübertragen." Onji sagte: "Ich will aber nicht getragen werden."Ahun sagte: "Ich will dich auch gern auf dem Kopfe tragen."Onji sagte: "Ich will mich nicht auf dem Kopfe tragen lassen."Ahun sagte: "Ich will dich auf meinem Rücken tragen."Onji sagte: "Ich will mich aber nicht tragen lassen." Ahun sagte: "Wie soll ich dich denn hinüberbringen bringen?"Onji sagte: "Nimm mich in deine Nase!"Ahun sagte: "Es ist mir recht."Onji schlüpfte in Ahuns Nase.

Ahun trug Onji bis in die Mitte des Flusses und sagte: "Wir sind über dem Flusse. Du kannst nun wieder herauskommen."Onji sagte: "Nein, ich will noch nicht herauskommen."Ahun trug Onji wieder ein Stück weiter, dann sagte er: "Wir sind über den Fluß. Du kannst wieder herauskommen."Onji sagte: "Nein, ich will hier immer bleiben." Ahun mußte Onji über den Fluß tragen. Ahun mußte Onji bis zu seines Schwiegervaters Dorf tragen. Onji blieb immer in Ahuns Nase. Ahun sagte: "Nun komm aber heraus. Wir sind in meines Schwiegervaters Dorf!" Onji sagte: "Ich mag nicht."Ahun sagte: "Ich will jetzt aber, daß du herauskommst." Da stach Onji Ahun und sagte: "Sei still!" Ahun war still.

Der Schwiegervater begrüßte Ahun und sagte: "Setze dich auf eine Matte!"Ahun setzte sich und sagte zu Onji: "Willst du nun herauskommen ?"Onji stach Ahun. Ahun sagte nichts. Nach einiger Zeit sagte Onji zu Ahun: "Nun sage deinem Schwiegervater, daß du hungrig bist und Essen haben willst." Ahun sagte: "Das mag ich nicht!" (Weil das nämlich für den Ankommenden, auch besonders für den Schwiegersohn, sehr ungezogen ist.) Onji stach Ahun. Ahun sagte zu seinem Schwiegervater: "Ich bin hungrig, gib mir zu essen!"Onji sagte zu Ahun: "Sage deinem Schwiegervater, daß du deine Frau sehen willst. Sie soll dich begrüßen."Ahun sagte: "Meine Frau (eigentlich Braut) ist aber noch ganz klein!"(Auch ist es sehr unschicklich, die Anverlobte zu zitieren.) Onji stach Ahun so, daß er blutete. Ahun sagte zu seinem Schwiegervater: "Ich will meine Frau sehen! Schicke sie mir!" Der Schwiegervater schickte die (kleine) Frau. Onji sagte zu Ahun: "Sage deinem Schwiegervater, daß du heim willst."Ahun sagte: "Nein, das sage ich nicht, das ist unschicklich."Onji stach Ahun, daß er blutete. Ahun sagte zu seinem Schwiegervater: "Ich



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will wieder heimgehen!" Der Schwiegervater sagte: "Was? Du willst schon wieder heimgehen?" Onji sagte zu Ahun: "Sage deinem Schwiegervater, daß du deine junge Frau mitnehmen willst!" Ahun sagte: "Das kann ich nicht sagen. Sie ist noch ein Kind!"Onji stach Ahun, daß er blutete. Ahun sagte zu seinem Schwiegervater: "Ich will meine kleine Frau mit heimnehmen." Der Schwiegervater sagte: "Was? Du willst jetzt schon deine kleine Frau mit heimnehmen?" Ahun nahm seine kleine Frau mit. Nach einiger Zeit sagte Onji zu Ahun: "Nun töte deine kleine Frau!" Ahun sagte: "Was soll ich?" Onji stach Ahun, daß er sehr stark blutete. Ahun tötete seine kleine Frau.

Die Leute fingen Ahun. Der Schwiegervater brachte Ahun zum Osi. Der Schwiegervater sagte: "Ahun hat meine Tochter, seine kleine Frau getötet." Der Osi fragte: "Warum hast du das getan?" Ahun sagte: "Onji befahl es mir." Der Schwiegervater und seine Leute sagten: "Das ist nicht wahr. Es war niemand dabei."Darauf schnitt man Ahun die Füße ab. Onji flog aus Ahuns Nase heraus und sagte: "Das Schlechte, das du mir einmal angetan hast, das will ich jetzt vergelten!" Onji sang: "Oro (Gift) odami (hast mir gegeben) modeisang (habe vergolten) !" Ahun ward umgebracht und das war alles, weil er einmal die Ernte Onjis verdorben hatte.

Die Biene summt aber heute noch: "Oro odami modeisang!"


Copyright: arpa, 2015.

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