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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT

25. Der König der Tiere

Alle Tiere im Busch wählten Keneun (den Löwen; Haussa: saki; Nupe: gaba) zum König. Keneun sagte: "Ich will euer König



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sein; es darf mir aber niemand zu nahe kommen." Keneun ward König. Das war für die Tiere sehr schlecht. Er schlug alle, die ihm nahe kamen, tot. Es konnte ihm keiner über seine Wanderungen, über Kriege und über den Handel berichten. Keneun tötete jeden, der ihm nahe kam. Da wählten die Tiere Ekun, den Leoparden, zum König. Ekun sagte: "Ich kann aber tagsüber nicht herauskommen. Ich gehe nur nachts aus. Die Tiere (eraku; Haussa: namandaji; Nupe: ujekunji) waren wieder nicht zufrieden. Auch Ekun fiel über die Tiere her und tötete sie.

Die Tiere hatten nichts zu trinken. An dem Bache, aus dem sie tranken, wohnte Keneun, der nicht mehr König war. Niemand ging zum Bach Wasser zu holen. Alle fürchteten Keneun. Die Tiere sagten: "Wer dreimal hingeht und aus dem Bache Wasser holt, den machen wir zum König." Ahun sagte: "Wollt ihr mir jeder eine Kalebasse bringen? Wollt ihr mir jeder eine Glocke bringen? (Glocke in Joruba agogo; Haussa: kule; Nupe: eku.) Dann will ich euch Wasser geben." Die Tiere sagten: "Das wollen wir tun."Jeder brachte eine Kalebasse und eine Glocke. Ahun hing sich alle Glocken und alle Kalebassen um.

Als es nachts ein Uhr war (die Stunde heißt in Joruba adje-oru; Haussa: sakamdere; Nupe: sadu) ging Ahun mit allen Kalebassen und Glocken zum Bache herab. Ahun sang: "Wenn Erri am Wasser ist, werde ich ihn töten. Dann werde ich seinen Rüssel essen. Wenn ich Effan am Wege treffe, werde ich ihn töten und sein Gehirn essen." Ahun nahm eine Kalebasse und warf sie gegen den Boden. Sie zersprang. Er klapperte mit allen Glocken und Kalebassen. Er kam zum Bache herab. Er nahm Wasser in eine Kalebasse. Er ging zurück. Keneun sah ihn. Keneun sagte: "Was ist das für ein Tier? Was singt so? Was ist stärker als Erri und Effan? Weshalb erschrak ich?"

Ahun brachte das Wasser zu den Tieren. Ahun sagte: "Nun bin ich euer König!" Die Tiere sagten: "Du mußt noch zweimal Wasser holen. Dann machen wir dich zum König!" Ahun sagte: "Es ist gut!" Ahun band wieder alle Kalebassen und Glocken um und machte sich auf den Weg. Ahun kam zum Bache. Ahun warf seine Kalebasse hin. Sie zersprang. Ahun klapperte mit allen Glocken und Kalebassen. Ahun sang: "Wenn Erri am Wasser ist, werde ich ihn töten. Dann werde ich seinen Rüssel essen. Wenn ich Effan am Wege treffe, werde ich ihn töten und sein Gehirn essen!"

Keneun hörte Ahun. Keneun sah Ahun. Er schlich heran. Er



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sprang auf Ahun. Er zerbrach die Glocken und Kalebassen. Er warf die Glocken und Kalebassen nach allen Seiten auseinander. Er sah Ahun. Er sagte: "Was, das bist du, Ahun? Du, Ahun, wagst das?" Ahun sagte: "Töte mich nicht. Ich will dir alles sagen. Ich will dein Sklave sein." Keneun sagte: "Es ist gut! Komm mit in mein Haus und koche für meine Kinder." Keneun nahm Ahun mit auf den Berg in sein Haus. Es war eine tiefe Höhle in den Steinen. Keneun ging nun alle Tage in den Busch. Er brachte die Tiere heim. Ahun bereitete die Speise und setzte sie Keneuns Kindern vor.

Eines Tages hatte Ahun wieder Speise für Keneuns Kinder gemacht. Ahun roch daran. Das Essen war sehr gut. Ahun gab das Essen nicht den Kindern Keneuns. Er aß alles selbst auf. Darauf tötete Ahun alle Kinder Keneuns. Ahun zog ihnen das Fell ab und fraß sie auf. Dann füllte Ahun das Fell der jungen Löwen mit Sand und legte sie auf die Erde. Er schloß die Tür, daß sie von außen nicht aufzumachen war.

Nach einiger Zeit kam Keneun heim. Er rief in sein Haus hinein: "Zeige mir meine Kinder!" Ahun sagte: "Ich kann die Tür nicht öffnen!" Keneun sagte: "Das macht nichts." Er sprang über die Felsen in seine Höhle. Er sagte: "Wo sind meine Kinder?!"Ahun sagte: "Die Kinder sind krank!" Keneun ging und sah. Keneun sagte: "Das ist ja nur Fell und Sand!" Keneun sprang auf Ahun zu. Ahun schlüpfte unter einen Felsen. Keneun wollte ihm nachspringen. Der Spalt war zu eng. Keneun warf die Felsen nach rechts und nach links auseinander. Er konnte nicht zu Ahun gelangen. Ahun rief aus seinem Winkel: "Du kannst mir hier nichts tun!"

Keneun ging. Keneun rief alle Tiere zusammen. Alle Tiere kamen. Keneun sagte: "Ich will keinem von euch etwas tun. Sagt mir nur, wer mit Ahun Freund ist." Alle Tiere sagten: "Ich bin nicht Freund mit Ahun."Adja (der Hund) sagte: "Ich bin Freund mit Ahun. Ich weiß nicht, wo er wohnt. Wir treffen uns aber immer auf dem Kreuz-Wege." Keneun sagte: "Wenn du mir Ahun hierher schaffen willst, werde ich dir Gutes tun."Adja sagte: "Gib mir erst Essen!"Keneun gab Adja Essen. Adja aß. Adja sagte: "Nun werde ich ihn treffen."

Adja ging auf den Kreuzweg (Joruba: ori-ta; Haussa: magamihanja; Nupe: jekokeschi). Nach einiger Zeit kam Ahun auch auf den Kreuzweg. Adja sagte: "Ich habe dich lange nicht gesehen." Ahun sagte: "Alle Tiere im Busche verfolgen mich und wollen mich töten."Adja sagte: "Es ist gut; so komm doch mit mir in das Haus meiner Schwiegermutter; da werde ich mit dir mein Essen teilen."



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Ahun sagte: "Das ist mir recht. Wir wollen gute Freunde bleiben." Adja sagte: "Schlüpfe in den Korb, den ich hier auf dem Kopfe trage. Damit dich der Zollwächter des Königs (Wegsteuereinnehmer Joruba: ennebode; Haussa: serki-nkoffa; Nupe: bwamisun-kose) nicht sieht und fängt!" Ahun sagte: "Es ist gut!" Dann kroch Ahun in Adjas Korb und Adja nahm den Korb auf und ging mit ihm von dannen.

Nach einiger Zeit kam Ahun mit seinem Korbe zum Ennebode. Der Steuereinnehmer war Ekun. Ekun sagte zu Adja: "Zahle mir den Wegzoll."Adja sagte: "Ich besitze gar nichts!" Ekun sagte: "Wie kannst du behaupten, daß du gar nichts besitzt! Bist du verrückt?!" Adja sagte: "Ich bin nicht verrückt. Verrückt ist nur die Last auf meinem Kopfe!" Ekun sagte: "Sonst bist du nicht schlecht gewesen. Darum will ich dir heute deine Ungezogenheit hingehen lassen. Mach also, daß du weiter kommst."Adja lief mit Ahun auf dem Kopfe von dannen.

Adja lief mit Ahun auf dem Kopfe in das Haus seiner Schwiegermutter. Im Hause nahm er Ahun heraus. Die Schwiegermutter brachte Essen. Adja und Ahun aßen alle Speise auf. Ahun fragte Adja: "Was hast du auf dem Wege für einen Streit angefangen?" Adja sagte: "Ich war es nicht. Der Steuereinnehmer begann Streit mit mir." Als sie gegessen hatten, sagte Adja: "Nun wollen wir wieder zurückgehen. Krieche wieder in den Korb!" Ahun kroch wieder in den Korb. Adja nahm Ahun auf den Kopf und ging mit Ahun den Weg wieder zurück.

Nach einiger Zeit kam Adja dahin, wo Ekun am Wege stand. Adja ging an ihm vorüber, ohne ihn zu grüßen. Ekun rief: "Was, du gehst hier vorbei, ohne mich zu grüßen? Hast du keinen Verstand (Gehirn) im Kopfe?"Adja sagte: "Ich habe schon Gehirn (Joruba: kokoro; Haussa: kaiba-gida; Nupe: jtio-dom-boa) im Kopfe. Aber meine Last hat kein Gehirn im Kopfe!" Ekun wollte auf Adja springen. Adja warf seine Last hin und sprang in den Busch. Ahun kroch aus dem hingeworfenen Korbe heraus. Ekun sah Ahun. Er lief nicht Adja nach. Ekun sagte: "Was, bist du das? Du, Ahun, den der König solange sucht? Da werde ich den Adja laufen lassen und dich mitnehmen." Ekun packte Ahun.

Adja lief inzwischen zum Mesi. Er sagte zu Keneun: "Ich fing Ahun und übergab ihn Ekun." Nach einiger Zeit kam Ekun und sagte: "Hier ist Ahun!" Keneun sagte zu Adja: "Geh du zu den Menschen und bleibe bei ihnen." Keneun sagte zu Ekun: "Ich bin



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Mesi; dich will ich zu meinem Bale machen. Du sollst über alle andern nach mir Herr sein. Zuerst zieh mir aber Ahun aus seiner Schale."

Ekun kratzte mit seinen Krallen über Ahuns Schale hin. So entstanden die Schrammen, die heute noch Ahun hat. Dann sagte Keneun: "Mach' ein Loch hinein, so daß ich eine Kette hindurchziehen kann, die ich an einem Baume befestigen will. Danach soll dann Ahun nichts Böses mehr tun."


Copyright: arpa, 2015.

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