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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ABU NUWÂS MIT DEN DREI KNABEN UND DEM KALIFEN

Eines Tages war Abu Nuwâs' allein zu Hause, und da rüstete er ein prächtiges Gastmahl; er holte mancherlei Speisen von jeglicher Art heran, wie sie Lippe und Zunge sich nur wünschen kann. Dann ging er aus und schritt dahin, um einen lieben Knaben zu suchen, der eines solchen Mahles würdig wäre, indem er sprach: ,Mein Gott, mein Herr und Gebieter, ich flehe dich an, sende mir einen, der zu dieser Feier paßt und der es wert ist, heute mein Tischgenosse zu sein!' Kaum hatte er diese Worte beendet, da sah er drei Jünglinge, noch frei von Bärten, so schön, als wären sie Knaben aus den Paradiesesgärten;



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ihre Farben waren von verschiedener Art, doch ihre Reize waren gleichmäßig zart. An ihren biegsamen Gestalten wurden die Hoffnungen entzündet, so wie ein Dichter von ihnen kündet:

Ich traf ein bartlos Paar und sagte ihm:
,Ich liebe euch!' Da sprach zu mir das Paar:
,Hast du denn Geld?' ich rief: ,Mit offner Hand.'
Da sprach das Paar: ,Die paart sich uns, fürwahr!'

Nun war Abu Nuwâs solchem Wandel ergeben, und er pflegte mit schönen Knaben in Lust Freuden zuleben; er pflückte die Rose von jeder blühen den Wang, sowie ein Dichter davon sang:

Wie manch alter Graukopf ist voll von Begier
Und liebt noch die Schönen, von Sehnsucht entfacht.
Er war wohl in Mosul. dem Lande so rein.
Und hat dabei nur an Aleppo gedacht.'

Erging also auf jene Jünglinge zu und begrüßte sie voll Freundlichkeit; und sie erwiderten seinen Gruß mit aller Ehrerbietung und Höffichkeit. Sie wandten sich zum Gehen sodann; doch Abu Nuwâs hielt sie zurück und redete sie mit diesen Versen an:

Kommt her zu mir, und geht zu keinem andern!
Mein Haus ist voll von feinstem Proviant.
Ich habe alten Wein von klarer Farbe.
Gekeltert von des Klostermönches Hand.
Auch hab ich feines Fleisch vom jungen Lamme
Und vielerlei Geflügel, das da fleugt.
So eßt davon und trinket von dem Weine,
Dem alten, der die Sorgen uns verscheucht.
Vergnüget euch dann einer an dem andern,
Und laßt auch mich in eurem Kreise wandern.'



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Weil nun die Jünglinge von seinen Versen bezaubert waren, so entschlossen sie sich, seinem Wunsch zu willfahren; und sie antworteten ihm: — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 382. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Jünglinge, weil sie von seinen Versen bezaubert waren, sich entschlossen, seinem Wunsche zu willfahren, und nun dem Abu Nuwâs antworteten: ,Wir hören und gehorchen!' Dann gingen sie mit ihm zu seinem Hause und fanden alles, was er ihnen in seinen Versen beschrieben hatte, zum Mahle bereit. So setzten sie sich denn nieder, aßen und tranken, und waren vergnügt und voll froher Gedanken; dann wandten sie sich an Abu Nuwâs, er möge entscheiden, wer von ihnen der schönste sei an Anmut und Lieblichkeit und der schlankste von des Wuchses Ebenmäßigkeit. Da wies er auf den einen von ihnen, gab ihm zwei Küsse dann und redete ihn mit diesen beiden Versen an:

Mein Leben geb ich für das Mal auf seiner Wange;
Wie könnt ich Geld hingeben für dieses Schönheitsmal?
Preis Ihm, der seine Wange ohne Flaum erschaffen,
Der diesem Male schenkte die Schönheit allzumal.

Dann wies er auf den zweiten, küßte ihm das Lippenpaar und sprach dies Versepaar:

Ein Lieb, auf dessen Wang ein Schönheitsmal sich beut
Wie Moschus, der auf reinen Kampfer hingestreut!
Mein Auge staunte, als es einen Blick erstahl.
,Auf, bete zum Propheten', sagte da das Mal.

Zuletzt wies er auf den dritten, gab ihm zehn Küsse dann und redete ihn mit diesen Versen an:



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Ein Jüngling schmolz das lautre Gold im Silberbecher,
Als ob des Weines Farbe auf seinen Händen sei.
Erreichte mit den Schenken mir einen Becher Weines;
Doch seine Augen reichten mir der Becher zwei.
Ein Schöner, von den Söhnen der Türken, gleich dem Rehe -
Wie zwischen hohen Bergen zieht sein Leib sich hin.'
Und wenn auch meine Seele bei der Krummen wohnet,
So ist doch durch die Lockung zwiegeteilt mein Sinn.
Zum Land von Dijâr-Bekr entführt mich ein Verlangen;
Das andre will am Land der zwei Moscheen hangen.'

Nun hatte jeder der Jünglinge zwei Becher getrunken, und als die Reihe an Abu Nuwâs kam, nahm er den Becher hin und sprach diese beiden Verse:

Trink immer nur den Wein aus Händen eines Schönen,
Zu dem in feiner Rede du sprichst und der so spricht.
Denn nimmer kann der Trinker sich an dem Wein erfreuen,
Zeigt ihm der Schenke nicht ein strahlend Angesicht.

Dann trank er den Becher aus, und der machte von neuem die Runde. Als die Reihe wieder an Abu Nuwâs kam, gewann die Heiterkeit Gewalt über seinen Sinn, und er sprach diese Verse vor sich hin:

Nimm dir zum Freund die Runde der Becher alten Weines,
Und eine neue Runde sei nach ihr gereicht



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Aus eines Schönen Hand, den rote Lippen zieren,
So zart, daß er dem Moschus und den Äpfeln gleicht!
Ja, nur die Hand des Rehes schenk den Wein dir ein;
Ein Kuß auf seine Wange ist süßer noch als Wein.

Als aber die Trunkenheit den Abu Nuwâs übermannte, und er den Unterschied zwischen Hand und Haupt nicht mehr kannte, drang er mit Kuß und Umarmung auf die Jünglinge ein, legte Bein auf Bein, hatte für Sünde und Scham keinen Sinn und sprach diese Verse vor sich hin:

Vollkommne Freude bringet nur ein Jüngling,
Der trinkt in schöner Zechgenossen Kreis.
Der eine singt ein Lied, der andre grüßt ihn,
Wenn er ihn mit dem Becher zu erquicken weiß.
Und hat er dann nach einem Kuß Verlangen,
So reicht ihm jener seine Lippe dar.
Gott segne sie! Schön war mein Tag bei ihnen;
Ein Wunder ist's, wie er so herrlich war!
Nun laßt uns trinken, ob gemischt, ob rein;
Und wer da schläft, soll unsre Beute sein.

Während sie es so trieben, klopfte plötzlich jemand an die Tür; sie riefen ihm zu, er möge eintreten. Aber wer da eintrat, das war der Beherrscher der Gläubigen Harûn er-Raschîd. Alle sprangen vor ihm auf und küßten alsbald den Boden vor ihm; auch Abu Nuwâs erwachte aus seiner Trunkenheit, erschrocken durch den Anblick des Kalifen. Da rief der Beherrscher der Gläubigen: ,Du da, Abu Nuwâs!' Der antwortete: ,Zu Diensten, o Beherrscher der Gläubigen, Allah stärke deine Macht!' ,Was ist das für ein Zustand? fragte der Kalif Und der Dichter erwiderte: ,O Beherrscher der Gläubigen, der Zustand überhebt der Fragen, das ist zweifellos zu sagen!' Der Kalif aber fuhr fort: ,Abu Nuwâs, ich habe Allah den Erhabenen um die rechte Leitung gebeten und dich daraufhin zum Kadi der



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Kuppler ernannt.' Darauf antwortete der Dichter: ,Wünschest du denn dies Amt für mich, o Beherrscher der Gläubigen?' ,Jawohl', erwiderte jener. Nun fragte Abu Nuwâs: ,O Beherrscher der Gläubigen, hast du mir vielleicht eine Sache vorzutragen?' Darüber ergrimmte der Kalif, und er wandte sich alsbald um und verließ die Leute. von Groll erfüllt. Als es Abend ward, legte er sich nieder und verbrachte die Nacht in heftigem Zorn wider Abu Nuwâs. Der aber verlebte eine der schönsten Nächte in Heiterkeit und Frohsinn. Als der Morgen sich einstellte und sein Gestirn die Welt mit seinem Licht erhellte, beschloß er das Gelage, entließ die Jünglinge, legte sein Staatsgewand an und ging aus seinem Hause hinaus auf dem Wege zum Beherrscher der Gläubigen. Nun war es die Gewohnheit des Kaufen, wenn die Staatsversammlung aufgelöst war, sich in den Saal, in dem er auszuruhen pflegte, zurückzuziehen und dort die Dichter, Tischgenossen und Lautenspieler zu versammeln; von diesen hatte ein jeder seinen Platz, den er nicht verlassen durfte. Es traf sich, daß er auch an jenem Tage aus der Regierungs halle in den Saal gegangen war und seine Tafelgenossen versammelt und ihnen ihre Plätze angewiesen hatte. Als aber Abu Nuwâs kam und sich auf seinen Platz setzen wollte, rief der Beherrscher der Gläubigen Masrûr, den Träger des Schwertes, und befahl ihm, er solle dem Abu Nuwâs die Kleider herunterreißen, ihm den Packsattel eines Esels auf den Rücken binden, eine Halfter um seinen Kopf und einen Schwanzriemen um sein Gesäß legen und ihn so umherführen in den Gemächern der Sklavinnen - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 383. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Beherrscher



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der Gläubigen Masrûr, dem Träger des Schwertes, befahl, er solle dem Abu Nuwâs seine Kleider herunterreißen, ihm den Packsattel eines Esels auf den Rücken binden, eine Halfter um seinen Kopf und einen Schwanzriemen um sein Gesäß legen, und ihn so umherführen in den Gemächern der Sklavinnen. den Zimmern der Frauen und den anderen Räumen, damit alle ihn verspotten könnten; danach solle er ihm das Haupt abschlagen und es ihm bringen. ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Masrûr und begann den Befehl des Kaufen auszuführen; und er führte den Dichter umher in allen Räumen, deren Zahl so groß war wie die Zahl der Tage des Jahres. Abu Nuwâs aber machte überall Scherze, und jeder, der ihn sah, gab ihm etwas Geld, so daß er mit vollen Taschen zurückkehrte. Als er nun so wieder ankam, trat plötzlich Dscha'far der Barmekide zum Kalifen ein, der in einer wichtigen Angelegenheit für den Beherrscher der Gläubigen fern gewesen war. Wie der den Abu Nuwâs in diesem Zustande sah und ihn erkannte, rief er: ,Du da, Abu Nuwâs!' ,Zu Diensten, mein Gebieter!' antwortete der. Jener fuhr fort: ,Was hast du verbrochen, daß dir eine solche Strafe zuteil geworden ist?' Abu Nuwâs berichtete: ,Ich habe nichts verbrochen; ich habe nur unserem Herrn und Kalifen meine schönsten Verse als Geschenk dargebracht, und da hat er mir sein schönstes Gewand geschenkt.' Wie der Beherrscher der Gläubigen das hörte, brach er in ein Gelächter aus, das aus zornerfülltem Herzen dennoch hervorkam; und er verzieh dem Dichter und verlieh ihm obendrein zehntausend Dirhems.

Und ferner erzählt man


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