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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



Atlantis Bd_10-000.4 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT

14. Die Gute und die Schlechte

Meine Geschichte handelt von einer Frau, die war ganz arm. Sie hatte keinen Stoff, um sich ein Kleid daraus zu machen. Sie ging mit Bananenblättern. Sie hatte ein Kind; sie ging in den Busch; sie hatte Bananenblätter um den Leib, in denen trug sie das Kind. Im Busche ging sie umher, um Blätter zu sammeln, die sie auf dem Markte verkaufen wollte. Sie legte das Kind unter einen Busch und



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ging dann umher, um Blätter und Wurzeln zu suchen. Als sie sich suchend ein wenig von der Stelle entfernt hatte, schoß ein großer Vogel vom Himmel herab und ergriff das kleine Kind. Der Vogel nahm das Kind mit empor in die Luft.

Nach einiger Zeit kam die Frau zu der Stelle zurück, an der sie das Kind zurückgelassen hatte. Sie fand das Kind nicht. Sie blickte empor. Sie sah den Vogel ganz oben in der Luft. Er hatte das Kind in dem Schnabel. Sie sah, daß der Vogel das Kind forttrug. Die Frau schrie; die Frau rief: "Ich bin eine arme Frau! Ich habe nichts als das Kind! Warum nimmst du mir alles, was ich habe!" Der Vogel schrie: "In sieben Tagen sei wieder an dieser Stelle, dann werde ich dir dein Kind zurückgeben!" Die Frau ging nach Hause. Sie weinte alle Tage.

Nach sieben Tagen ging die Frau zurück zu der Stelle, an der ihr Kind von dem großen Vogel gestohlen worden war. Sie kam an den Ort. An dem Orte lag ein Ballen von Stoff. Die Frau öffnete den Ballen. Da waren erst schöne Stoffe, dann lagen da Perlen von mehrerer Art. In dem Ballen war das Kind und um es herum waren sehr viele schöne Stoffe aufge~schichtet. Als die Frau das sah, nahm die Frau das Kind heraus und drückte es und hielt es hoch. Danach warf die Frau die Blätter weg. Sie setzte dem Kind eine kleine Mütze auf. Sie wickelte das Kind in ein schönes Tuch, das band sie sich um. Die Frau legte sich eine schöne Perlenkette um und wickelte sich in sehr schöne Kleider. Dann ging die Frau nach Hause. Als die Frau nach Hause kam, wollte sie den andern etwas schenken. Sie reichte der einen zweihundert Kauri und der andern zweihundert Kauri. Die andern Frauen sahen erstaunt und neidisch auf die schöne Kleidung und sagten: "Du besitzt ja nichts!" Die andern Frauen blickten auf die eine Frau, die vorher so arm gewesen war und jetzt so schöne Sachen besaß, sehr böse.

Die erste Frau sagte zu der Frau, die früher so arm war: "Wie kommst du zu den Sachen?" Die Frau sagte: "Ich war im Busch, um wie immer Kräuter für den Marktverkauf zu suchen. Ich legte mein Kind unter den Busch; ich ging umher und suchte. Da kam ein großer Vogel und nahm mein Kind empor und mit sich fort. Als ich kam, war der Vogel schon oben in der Luft. Ich schrie dem Vogel zu, daß ich arm und daß das Kind mein einziger Besitz sei. Der Vogel rief, daß er mir das Kind in sieben Tagen wiederbringen wolle. Als ich sieben Tage nachher an den Ort kam, fand ich mein Kind in schöne Stoffe gewickelt und mit Perlen verziert. So bin ich zu den



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Stoffen und zu den Perlen gekommen." Die erste Frau sagte: "Es ist gut!"

Am andern Tage legte die erste Frau ihre guten Kleider, die sie sonst trug, ab. Sie band wie die arme Frau Blätter vor und legte Bananenblätter um, in die sie ihr Kind steckte, wie die arme Frau. Sie ging mit dem Kinde bis zu der Stelle, die ihr die arme Frau genannt hatte. Dort legte sie ihr Kind unter einen Baum und wartete, ob der große Vogel nicht kommen würde, ihr Kind zu nehmen. Nach einiger Zeit kam der große Vogel. Er flog aber über den Busch hin. Die erste Frau aber rief jedoch: "Nimm doch mein Kind. Nimm doch mein Kind." Der Vogel antwortete: "Nein, dein Kind nehme ich nicht!" Die Frau schrie: "Nimm doch mein Kind! Nimm doch mein Kind! Du kannst es mir dann ja in sieben Tagen wiederbringen." Darauf kam der große Vogel herab, er nahm das Kind und sagte: "Also in sieben Tagen kannst du es wiederbekommen!"Er nahm das Kind und flog damit von dannen. Die Frau ging nach Hause.

Nach sieben Tagen ging die Frau an den gleichen Platz, um zu sehen, ob der Vogel die schönen Stoffe und Perlen hingelegt hatte wie für die andere Frau. Sie fand unter dem Busche auch einen alten Sack. Sie öffnete den Sack und fand die Knochen ihres Kindes darin. Der große Vogel hatte das Kind aufgefressen. Er hatte die Knochen in den alten Sack gelegt. Sonst nichts. Als die Frau die Knochen ihres Kindes sah, schrie sie! Sie rief: "Was soll ich dem Vater des Kindes sagen, wenn er heimkommt!" Die Frau ging nach Hause. Sie weinte. Sie sagte: "Ich war über den Fluß gegangen. Ich hatte dein Kind bei mir. Der Fluß riß uns fort. Ein fremder Mann zog mich heraus. Das Kind konnten wir nicht finden. Das Wasser nahm es fort." Der Vater sagte seinen Leuten: "Geht an den Fluß, geht den Fluß hinab; seht, wo er die Leiche des Kindes hingelegt hat." Die Leute gingen. Sie gingen den Fluß hinab. Sie suchten lange. Sie konnten aber die Leiche des Kindes nicht finden. Sie gingen heim. Sie sagten dem Vater: "Wir konnten die Leiche des Kindes nicht finden." Der Vater sagte zu der Mutter des Kindes: "Ich werde mit dir schlafen. Du kannst mir ein anderes Kind geben. Wenn dann aber das Wasser wieder geschwollen ist, gehe mir nicht wieder an den Fluß mit dem Kinde."


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