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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON UNS EL-WUDSCHÛD UND EL-WARD FIL-AKMÂM

Es lebte in alten Zeiten und längst entschwundenen Vergangenheiten ein König von großer Macht, voll Ruhm und Herrscherpracht. Der hatte einen Wesir, Ibrahîm geheißen; und dieser wiederum hatte eine Tochter von wundersamer Schönheit und Lieblichkeit und von herrlicher Anmut und Vollkommenheit, von überragendem Verstand, und in feiner Bildung gewandt. Doch sie liebte die Gelage und den Wein und die Antlitze in der Schönheit Strahlenschein, die erlesenen von den Gedichten und die seltsamen von den Geschichten; alle Herzen wurden ob der Feinheit ihres Wesens von Liebe durchdrungen, und so hat ein Dichter, der ihresgleichen schildert, von ihr gesungen:

Sie lieb ich; sie bezaubert die Türken und Araber all:
Sie mißt sich mit mir im Recht, in Grammatik und Bildung zumal.'

Ihr Name war el-Ward fil-Akmâm 2; und sie war so benannt wegen ihrer unendlichen Feinheit und ihrer vollendeten Schöns.



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heit. Der König aber liebte es, sie bei seinen Festgelagen zu sehen, um ihrer vollkommenen Bildung willen.

Nun pflegte der König einmal in jedem Jahre die Vornehmen seines Reiches zu versammeln und mit ihnen Schlagball zu spielen. Und als wieder einmal jener Tag kam, an dem die Mannen zum Ballspiele zusammenströmten, setzte sich die Tochter des Wesirs an das Gitterfenster, um zuzuschauen. Während sie beim Spiele waren, fiel ihr Blick auf die Krieger, und sie erschaute unter ihnen einen Jüngling, so schön von Gestalt und so lieblich von Antlitz, wie es keinen anderen gab; mit strahlendem Blick, mit lachendem Munde, mächtig und breit, so stand er da. Immer wieder blickte sie nach ihm hin, ja, sie konnte sich nicht satt an ihm sehen. Und sie sprach zu ihrer Amme: ,Wie heißt der wunderschöne Jüngling, der dort unter den Kriegern ist?' ,Meine Tochter,' erwiderte die Amme, ,alle sind schön. Wen unter ihnen meinst du?' Sie fuhr fort: ,Warte, ich will ihn dir zeigen.' Dann nahm sie einen Apfel und warf ihn dem Jüngling zu. Der hob sein Haupt und erblickte die Tochter des Wesirs am Fenster, als wäre sie der volle Mond, der im Dunkel der Nacht am Himmel thront. Und wie er seinen Blick wieder abwandte, war sein Herz von Liebe zu ihr erfüllt, und er sprach das Dichterwort:

Traf mich ein Schütze oder haben deine Augen
Ein hebend Herz verwundet, als es dich wahrgenommen?
Ist der gekerbte Pfeil zu mir aus weiter Ferne
Von einem Heere oder vom Fenster hergekommen?

Als nun das Spiel beendet war, fragte sie ihre Amme wieder: ,Wie heißt dieser Jüngling, den ich dir gezeigt habe?' Jene erwiderte: ,Er heißt Uns el-Wudschûd'.' Da schüttelte die jungfrau versonnen ihr Haupt und legte sich auf ihr Lager nieder;



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doch ihre Gedanken loderten, und sie begann in Seufzer auszubrechen und hub an diese Verse zusprechen:

Der irrte nicht, der dich Uns el-Wudschûd benannte,
O du, in dem die' Wonne sich mit der Huld' vereint.
Dein Antlitz gleicht dem vollen Monde, dessen Scheibe
In Weltall und Natur mit hellem Glanze scheint.
Ja, du bist einzigartig unter allen Menschen;
,Du bist der Schönheit Herr' ist aller Zeugen Riff.
Und deine Braue gleicht dem Nun', dem schön geschriebnen;
Dem Sâd' dein Augenstern, den der Allgüt'ge schuf
Und ach, dein schlanker Wuchs ist gleich dem frischen Reise,
Das jeden Wunsch gewährt, der sich im Herzen regt.
Du übertriffst die Ritter der Welt an Kraft; du bist es,
Der aller Huld und Wonne und Schönheit Palme trägt.

Nachdem sie diese Verse zu Ende gesprochen hatte, schrieb sie sie auf ein Blatt, hüllte es in ein Stück goldgestickter Seide und legte es unter ihr Kissen. Eine ihrer Kammerfrauen aber hatte das gesehen und ging zu ihr hin, plauderte mit ihr, bis sie einschlief, und zog das Blatt heimlich unter dem Kissen hervor; dann las sie es und erkannte, daß die Jungfrau von Liebe zu Uns el-Wudschûd erfüllt war. Nachdem sie nun das Blatt gelesen hatte, legte sie es wieder an seine Stelle. Und als ihre Herrin el-Ward fil-Akmâm aus dem Schlafe erwachte, sprach sie zu ihr: ,Hohe Herrin, siehe ich bin dir eine treue Beraterin und eine zärtlich besorgte Helferin! Wisse, die Liebe ist ein gestrenger Tyrann, sie, die das Eisen schmelzen kann; ja, wenn sie verborgen wird, bringt sie Krankheiten und große Beschwerden; doch wer die Liebe offenbart, darf nicht getadelt



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werden.' Da erwiderte el-Ward fil-Akmâm ihr: ,Liebe Amme. welche Arznei gibt es denn für die sehnende Liebe?' Jene gab darauf zur Antwort: ,Ihre Arznei ist der Liebenden Vereinigung.' ,Und wie kann die Vereinigung erreicht werden?' fragte die Jungfrau weiter. Die Kammerfrau antwortete: ,Durch Botschaften und Worte zart und durch Grüße von vielerlei Art; dadurch werden die Liebenden zueinander gebracht, dadurch werden die schweren Dinge leicht gemacht. Wenn du nun etwas auf dem Herzen hast, hohe Herrin, so wisse, ich verstehe am besten dein Geheimnis zu bewahren, dir zum Ziel zu verhelfen und deine Botschaften auszurichten.' Als ei-Ward fil-Akmâm diese Worte aus ihrem Munde vernahm, war sie vor Freuden fast wie von Sinnen; dennoch enthielt sie sich der Rede, um zu sehen, wie alles enden würde, und sie dachte bei sich: ,Niemand hat bisher dies Geheimnis von mir erfahren, und ich will es auch dieser Frau nicht eher kundtun, als bis ich sie erprobt habe.' Aber die Kammerfrau fuhr fort: ,Hohe Herrin, ich habe im Traume gesehen, wie ein Mann zu mir kam, der zu mir sprach: ,Deine Herrin und Uns el-Wudschûd lieben einander; drum diene den beiden, richte ihre Botschaften aus, erfülle ihnen ihre Wünsche und bewahre alle ihre Geheimnisse, dann wird dir viel Gutes zuteil werden!' Was ich gesehen, erzählte ich dir; doch die Entscheidung steht bei dir. 'Als el-Ward fil-Akmâm diesen Traum von ihrer Kammerfrau gehört hatte, sprach sie zu ihr: — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 372. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Ward fil-Akmâm, als die Kammerfrau ihr den Traum, den sie geschaut, berichtet hatte, zu ihr sprach: ,Kannst du Geheimnisse behüten,



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meine Amme?' Die erwiderte: ,Wie wäre es möglich, daß ich Geheimnisse nicht behüte? Ich bin doch aller Edelen Blüte!' Darauf nahm die Jungfrau das Blatt hervor, auf das sie die Verse geschrieben hatte, und sprach zur Kammerfrau: ,Trag diese meine Botschaft zu Uns el-Wudschûd und bring mir die Antwort darauf!' Die Alte nahm das Blatt und begab sich mit ihm zu Uns el-Wudschûd. Nachdem sie bei ihm eingetreten war, küßte sie ihm die Hände und begrüßte ihn mit den höflichsten Worten; darauf gab sie ihm das Blatt. Als er es gelesen und seinen Sinn verstanden hatte, schrieb er auf die Rückseite diese Verse:

Ich stille und verberge die Sehnsucht meines Herzens;
Und doch mein Aussehn ist's, das meine Lieb verrät.
,Mein Aug ist wund', sag ich, wenn meine Tränen rinnen,
Daß Tadler nicht erkennen und sehn, wie's um mich steht.
Einst war ich sorgenfrei und wußte nichts von Liebe;
Da ward mein Herz gefesselt von heißer Liebe Band.
Dir künd ich meine Not und klage meine Sehnsucht
Und Schmerzen: hab Erbarmen, reich mir des Mitleids Hand!
Mit meiner Augen Tränen hab ich es aufgeschrieben,
Als Dolmetsch all der Not, die ich durch dich erfahr.
Behüte Gott ein Antlitz, dem Lieblichkeit ein Schleier -
Dem ist der Mond ein Knecht, ihm dient der Sterne Schar.
Ja, in der Schönheit selbst sah ich nie ihresgleichen;
Von ihrem Wuchse lernte der Zweig, wie er sich neigt.
Ich bitte dich, doch ohne dir Ungemach zu bringen:
Gewähr, daß durch dein Kommen des Nahseins Glück sich zeigt!
Ich geb dir meine Seele -nimmst du sie von mir an?
Die Nähe ist mir Himmel, die Trennung Höllenbann!

Darauf faltete er den Brief, küßte ilm, gab um der Alten und sprach zu ihr: Amine, mache mir das Herz deiner Herrin geneigt!', Ich höre und gehorche!' erwiderte sie, nahm das Schreiben von ihm entgegen, kehrte zu ihrer Herrin zurück und gab



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es ihr. Die küßte das Blatt und legte es auf ihr Haupt. Dann öffnete sie es, und nachdem sie es gelesen und seinen Sinn verstanden hatte, schrieb sie darunter diese Verse:

O du, dem meine Schönheit sich tief ins Herz gesenkt,
Geduld; dir wird von mir der Liebe Glück geschenkt!
Da ich nun weiß, daß deine Lieb von lautrer Art,
Und daß dein Herze gleichwie meins getroffen ward,
Möcht ich wohl zu dir gehn, sooft und ach, so gern!
Doch halten mich von dir die Kämmerlinge fern.
Wenn dunkle Nacht uns deckt, wird durch der Liebe Macht
In unsrem Busen tief ein Feuer heiß entfacht;
Dann meidet unser Lager der Schlummer allzumal,
Dann foltert unsren Leib gar oft die bittre Qual.
,Verbirg die Liebe' heißt der Liebe erste Pflicht;
Die Schleier, die uns Schutz verleihn, die lüfte nicht!
Von Liebe zu dem Reh ist jetzt mein Herz entbrannt -
Ach, bliebe es doch nimmer fern von unsrem Land!

Als sie diese Verse zu Ende geschrieben hatte, faltete sie das Blatt und gab es der Kammerfrau; die nahm es und verließ das Gemach der Wesirstochter el-Ward fil-Akmâm. Doch da begegnete ihr der Kammerherr und fragte sie: ,Wohin willst du gehen?' ,Ins Bad!' erwiderte sie; doch sie war so heftig vor ihm erschrocken, daß sie das Blatt fallen ließ, als sie in ihrer Verwirrung zur Tür hinausging.

Sehen wir nun, was mit dem Blatte geschah! Einer der Eunuchen fand es am Boden liegen und nahm es an sich; und als dann der Wesir aus dem Harem kam und sich auf sein Lager setzte, kam der Eunuch, der das Blatt aufgelesen hatte, herein. Wie also der Wesir auf seinem Lager saß, siehe, da trat jener Eunuch mit dem Blatte in der Hand an ihn heran und sprach: ,Hoher Herr, ich habe dies Blatt im Hause liegen sehen und an mich genommen.' Der Wesir nahm es aus seiner Hand entgegen,



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gefaltet, wie es war, öffnete es und sah darin die Verse, die schon berichtet wurden. Nachdem er sie gelesen und ihren Sinn verstanden hatte, betrachtete er die Handschrift und entdeckte, daß es die Schrift seiner Tochter war. Alsbald begab er sich zu ihrer Mutter, indem er so bitterlich weinte, daß sein Bart von den Tränen benetzt ward. Seine Gemahlin fragte ihn: ,Was ist dir, mein Gebieter, daß du weinst?' ,Nimm dies Blatt,' erwiderte er ihr, ,und sieh, was darauf steht!' Da nahm sie das Blatt und las es und entdeckte, daß es einen Liebesbrief ihrer Tochter el-Ward fil-Akmâm an Uns el-Wudschûd enthielt. Auch ihr wollten die Zähren in die Augen treten, aber sie bezwang sich und hielt ihre Tränen zurück, indem sie zum Wesir sprach: ,Mein Gebieter, das Weinen fruchtet nichts; das Richtige ist allein, daß wir uns nach einem Wege umsehen, deine Ehre zu wahren und die Sache deiner Tochter zu verbergen!' Dann tröstete sie ihn und suchte seine Trauer zu lindern. Doch er sprach zu ihr: ,Ich fürchte für meine Tochter um der Liebe willen. Weißt du nicht, daß der Sultan große Zuneigung zu Uns el-Wudschûd hat? Meine Furcht in dieser Sache hat zweierlei Gründe: der erste betrifft mich, weil das Mädchen meine Tochter ist; der zweite aber betrifft den Sultan, da Uns el-Wudschûd in hoher Gunst bei ihm steht. Vielleicht wird aus alledem großes Unheil kommen. Wie denkst du nun hierüber?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 373. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Gemahlin des Wesirs. als er ihr von der Sache mit seiner Tochter berichtet und sie gefragt hatte, wie sie darüber denke, ihm zur Antwort gab: ,Warte, bis ich das Gebet um die rechte Leitung verrichtet habe!'



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Darauf betete sie zwei Rak'as' gemäß der Vorschrift für die Bitte um die rechte Leitung; und als sie das Gebet beendet hatte, sprach sie zu ihrem Gatten: ,Mitten im Meere von el-Kunûz' liegt ein Berg, der Dschebel eth-Thakla' genannt wird - warum er so heißt, wird später erzählt werden -, und zu jenem Berge kann niemand gelangen, es sei denn unter großer Mühsal; dort bereite ihr eine Stätte!' Nun kam der Wesir mit seiner Gemahlin überein, dort ein unzugängliches Schloß zu erbauen; in das wollte er seine Tochter bringen, und er wollte Jahr Jahr Vorrat zum Lebensunterhalt zu ihr schaffen lassen; auch wollte er ihr Leute zur Gesellschaft und zur Bedienung mitgeben. Darauf ließ er die Zimmerleute, Maurer und Baumeister kommen und entsandte sie zu jenem Berge; und diese Männer erbauten für Jungfrau eine unzugängliche Burg, deren gleichen noch nie ein Auge gesehen hatte. Dann rüstete er die Wegzehrung und eine Karawane, begab sich bei Nacht zu seiner Tochter und befahl ihr, sich aufzumachen. Da ahnte ihr Herz die Trennung, und als sie hinaustrat und die Reise gerüstet sah, begann sie bitterlich zu weinen, und sie schrieb an die Tür, um Uns el-Wudschûd kundzutun, welch großes Leid ihr widerfahren war, ein Leid, das die Haut erschaudern machte und den härtesten Felsen zum Schmelzen brachte, und das die Tränen rinnen ließ; was sie aber schrieb, war dies:

Bei Gott, o Haus, wenn früh mein Lieb vorübergehet
Und grüßend Zeichen winkt in treuem Freundessinn,
So schenk von mir ihm Grüfte von reinem, süßem Dufte;



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Denn ach, er weiß ja nicht, an welchem Ort ich bin.
Auch ich weiß nichts davon, wohin der Weg mich führet;
Denn jetzt sind sie zu schnellem und flinkem Marsch bereit,
Zur Nachtzeit, wenn im Walde die Vöglein auf den Ästen
Sich kauern, leise klagend um unser bittres Leid.
Und eine hohle Stimme von Geistern klagte: Wehe
Dem treuen Liebespaare ob solcher Trennungsnot!
Als ich den Kelch des Scheidens gefüllt vor mir erblickte
Und das Geschick uns seinen Wein gewaltsam bot,
Da mischte ich ihn zagend mit treuen Harrens Pflicht -
Doch ach, das Harren tröstet mich über dich jetzt nicht.

Nachdem sie diese Verse zu Ende geschrieben hatte, saß sie auf, und ihre Begleiter ritten mit ihr davon; sie durchquerten Steppen und Wüsten ohne Ende, Ebenen und rauhes Berggelände, bis sie zum Meere von el-Kunûz kamen. Dort schlugen sie die Zelte am Ufer auf und bauten für die Jungfrau ein großes Schiff; in das sie mit ihr und ihrem Gefolge hineinstiegen. Der Wesir hatte ihnen aber befohlen, sie sollten, wenn sie bei dem Berge angekommen wären und seine Tochter mit ihren Leuten in die Burg gebracht hätten, mit dem Schiffe zurückkehren und es dann, wenn sie es wieder verlassen hätten, abbrechen. So zogen sie denn aus und taten alles, was er ihnen geboten hatte; dann kehrten sie heim, mit Tränen im Auge wegen dessen, was geschehen war.

Wenden wir uns nun von ihnen wieder zu Uns el-Wudschûd! Der erhob sich von seinem Schlummer und sprach das Frühgebet; dann bestieg er sein Roß und begab sich zu seinem Dienste beim Sultan. Als er aber wie gewöhnlich bei dem Hause des Wesirs vorbeiging, um etwa jemanden von den Leuten des Hausherrn zu sehen, die er sonst zu erblicken pflegte, und als er auf die Tür schaute, fand er die Verse dort angeschrieben, von denen soeben berichtet wurde. Kaum hatte er die



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gesehen, da ward er fast wie von Sinnen, ein Feuer loderte in seinem Busen auf, und er kehrte nach Hause zurück; aber er fand dort keine Ruh, und Geduld sagte ihm nicht zu. In quälender Unrast verbrachte er den Tag, bis die Nacht über ilm kam. Da verkleidete er sich und machte sich unkenntlich und wanderte im Dunkel der Nacht verstört dahin, aufs Geratewohl, ohne zu wissen, wohin er ging. Die ganze Nacht hindurch ging er weiter, ja, auch am nächsten Tage, bis daß die Glut der Sonne drückend ward und die Berge brannten und der Durst ihn peinigte. Nun erblickte er einen Baum, und neben ihm entdeckte er ein Rinnsal fließenden Wassers. Er ging auf jenen Baum zu, setzte sich in seinen Schatten am Ufer jenes Bächleins und wollte trinken; aber er fand, daß in seinem Munde das Wasser keinen Geschmack mehr hatte; seine Farbe war verwandelt, sein Antlitz war bleich geworden, und seine Füße waren von der mühseligen Wanderung geschwollen. Da weinte er bitterlich und begann in Tränen auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Ach, er, der liebt, ward trunken durch Liebe zur Geliebten.
Wenn stets die Leidenschaft so heiß sein Herz durchwühlt;
Er ist verstört durch Liebe, er irrt umher voll Sehnsucht.
Kein Obdach hat er mehr, kein Trank ist, der ihn kühlt.
Wie kann dem Lieberfüllten das Leben Freude bringen
Fern von dem trauten Lieb? Das wäre wunderbar!
Ich schwinde, seit die Sehnsucht nach ihr so heiß erglühte,
Und auf die Wangen fließen die Tränen immerdar.
Seh ich sie jemals wieder, oder kommt ein Mann
Der Ihren, der mein trauernd Herze heilen kann?

Als er diese Verse zu Ende gesprochen hatte, weinte er, bis seine Tränen den Boden netzten. Dann erhob er sich rasch und verließ jene Stätte. Doch während er so durch die Wüsten und Steppen dahin wanderte, stürzte plötzlich ein Löwe auf ihn zu;



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der hatte eine Mähne, daß sein Hals fast darin erstickte, sein Kopf war so groß wie eine Kuppel, sein Maul so weit wie ein Tor, und seine Zähne glichen den Zähnen eines Elefanten. Als Uns el-Wudschûd ihn erblickte, sah er den sicheren Tod vor Augen; er wandte sich in die Richtung der heiligen Stadt und bereitete sich auf den Tod vor. Nun hatte er aber in den Büchern gelesen, daß der Löwe sich durch den, der ihm schmeichelt, betrügen läßt, da er durch freundliche Worte getäuscht und durch Lobsprüche besänftigt werden kann. So hub er denn an zu sprechen: ,O Löwe des Dickichts, du Leu der weiten Flur, du stolzer Held, du Meister der Ritter, du Sultan der Tiere des Feldes, siehe, ich bin ein Liebender, verzehrt von der Sehnsucht Macht, von Liebe und Trennungsleid dem Tode nahe gebracht! Mein Lieb ging von hinnen, und seitdem bin ich wie von Sinnen. Drum hör auf das, was ich sage, und hab Erbarmen mit den Leiden der Sehnsucht, die ich trage!' Als der Löwe seine Worte vernahm, wich er vor ihm zurück, setzte sich nieder auf seine Hinterbeine, hob seinen Kopf zu ihm empor und begann mit dem Schwanze zu wedeln und mit den Pfoten zu winken. Als Uns el-Wudschûd sah, daß er sich so zu bewegen begann, redete er ihn mit diesen Versen an:

Du Leu der Wüste, willst du mich jetzt zu Tode bringen,
Eh ich noch die gefunden, die Lieb in mir entfacht?
Ich bin doch nicht ein Wild, ich hab kein Fett am Leibe;
Daß ich mein Lieb verlor, hat mich so krank gemacht.
Die Ferne der Geliebten verzehrte meine Kräfte;
Ich bin wie eine Leiche, bedeckt vom Totenkleid.
O hoher König Nobel', du Leu des Kampfgetümmels,
Laß doch den Tadler nicht sich freun ob meinem Leid!
Ich liebe, und mich decken die Tränenströme zu;



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Die Ferne der Geliebten läßt mir keine Ruh.
Und wenn ich ihrer denke in finstrer Mitternacht,
So werd ich durch die Liebe um den Verstand gebracht.

Als er diese Verse zu Ende gesprochen hatte, erhob sich der Löwe und kam auf ilm zu. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 374. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Löwe, als Uns el-Wudschûd seine Verse zu Ende gesprochen hatte, sich erhob und langsam auf um zukam, während ihm die Augen von Tränen rannen. Wie er dann dicht vor ihm stand, leckte er ihn mit seiner Zunge und schritt vor ihm her, als wolle er ihm andeuten: ,Folge mir!' Da folgte der Jüngling ihm und ging immer weiter hinter ihm her, eine ganze Weile lang, bis der Löwe ilm auf ein Gebirge führte; und als das Tier ihn auf der anderen Seite der Höhe wieder hinuntergeleitet hatte, sah er Fußspuren in der Steppe. Sofort erkannte er, daß dies die Spuren der Leute sein mußten, die el-Ward fil-Akmâm fortgeführt hatten; deshalb folgte er der Spur und ging ihr nach. Doch als der Löwe sah, wie er der Fährte nachging und erkannt hatte, daß die Leute mit seiner Geliebten auf ihr dahingezogen waren, kehrte er um und ging seiner Wege.

Uns el-Wudschûd aber wanderte immer weiter den Spuren nach, Tage und Nächte, und schließlich kam er zu einem brandenden Meer, das von Wogen gepeitscht war rings umher. Dort lief die Spur bis zur Küste des Meeres, aber dann verlor sie sich. Nun wußte er, daß die Leute in See gefahren und zu Wasser ihre Fahrt fortgesetzt hatten. An jener Stätte gab er alle Hoffnung auf; und er begann in Tränen auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:



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Das Heiligtum ist fern und die Geduld geschwunden.
Wie kann ich zu ihr kommen wohl übers tiefe Meer?
Wie kann ich harren, wenn die Lieb mein Herz gebrochen,
Und wenn ich ohne Schlummer in Unruh mich verzehr?
Seit jenem Tag, da sie das Heim verließ und fortzog,
Und als mein Herz entbrannte - o welche heiße Glut -,
Sind Oxus und Jaxartes die Tränen, wie der Euphrat;
Ja, Sintflut, Regenschauer sind nicht wie ihre Flut.
Die Lider sind entzündet vom ew'gen Strom der Tränen,
Von Feuern und von Funken ist mir das Herz verbrannt.
Jetzt stürmen auf mich Heere von heißen Leidenschaften;
Der Hoffnung Heer, besiegt, hat sich von mir gewandt.
Mein Leben setzt ich ein um ihrer Liebe willen:
Das Leben einzusetzen wurde mir gar leicht.
Nie strafe Gott um Sunde ein Auge, das da schaute
Auf jene Schönheit, die dem hellen Monde gleicht!
Ich bin dahingestreckt durch Augen, weit und offen,
Von denen ohne Sehne ein Pfeil ins Herz mir flog.
Sie hat mich hingerafft durch zarten Wuchs des Leibes,
Der wie die weichen Zweige am Weidenbaum sich bog.
Ich wollte zu ihr eilen und so mir Hilfe suchen
In meinem Liebesschmerze, im Kummer und im Gram.
Da wurde ich durch sie, wie ich jetzt bin, gebrochen,
Seit alle meine Not vom Zauberblicke kam.

Nachdem er diese Verse geendet hatte, weinte er, bis er in Ohnmacht sank; und lange Zeit blieb er ohnmächtig liegen. Als er dann wieder zu sich kam, wandte er sich nach rechts und nach links: und da er in der Wüste keinen Menschen entdeckte, fürchtete er für sein Leben um der wilden Tiere willen und stieg auf einen hohen Berg. Während er nun oben auf jenem Berge stand, hörte er plötzlich die Stimme eines menschlichen Wesens. das in einer Höhle redete. Er horchte hin, und siehe, es war ein frommer Mann, der die Welt verlassen und sich der Anbetung Gottes geweiht hatte. Dreimal pochte er an die Tür



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der Höhle, aber der Einsiedler gab ihm keine Antwort und kam auch nicht zu ihm heraus. Da stiegen Seufzer in ihm empor, und er trug diese Verse vor:

Welchen Weg hab ich zu gehen, bis ich einst zum Ziel gelang
Und mich von der Not befreie, all dem Gram und Kummer bang?
Aller Schreck der Schrecken brachte jetzo mir das graue Haar
Auf mein Haupt und in mein Herze, ob ich gleich ein Jüngling war.
Ach, ich fand ja keinen Helfer in der Liebessehnsucht Qual,
Keinen Freund, der mich befreite von der Pein und Mühe all.
Und wieviel muß ich ertragen in des Sehnens heißer Pein!
Ja, es ist, als stürmte immer alles Unglück auf mich ein.
Habt Erbarmen mit dem Armen, der da liebt mit banger Brust,
Der den bittren Kelch der Trennung und des Scheidens trinken mußt!
Feuer glüht in meinem Herzen, und mein Innres ist verbrannt;
Und der heiße Schmerz des Abschieds raubte gar mir den Verstand.
Ach, wie trüb war jener Tag mir! Kaum war ich dem Hause nah,
Als ich schon an seinem Tore jene Schrift geschrieben sah.
Und ich weinte, bis die Erde sich mit meinem Gram erfüllt;
Doch ich hab vor allen Leuten, nah und fern, mein Leid verhüllt.
O der Fromme, der in seiner Höhle eingeschlossen wohnt,
Hat vielleicht die Lieb gekostet und blieb nicht von ihr verschont.
Und wenn jetzt nach alle diesem dies das letzte Ende ist,
So bin ich am Ziel, auf daß mein Herz die Not und Müh vergißt.

Kaum hatte er diese Verse zu Ende gesprochen, so öffnete sich plötzlich die Höhlentür, und er hörte eine Stimme rufen: ,Weh! welch ein Jammer!' Da trat er durch die Tür ein und grüßte den Einsiedler. Der erwiderte seinen Gruß und fragte ihn dann: ,Wie heißt du?' ,Uns el-Wudschûd'. antwortete der Jüngling. Weiter fragte der Alte: ,Aus welchem. Grunde bist du an diese Stätte gekommen?' Und nun erzählte Uns el-Wudschûd ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende und tat ihm alles kund, was ihm widerfahren war. Da weinte der Einsiedler und sprach: ,Wisse, Uns el-Wudschûd, obgleich ich schon zwanzig Jahre lang an dieser Stätte wohne,



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so habe ich doch bis gestern noch nie einen Menschen hier gesehen; da aber hörte ich Weinen und Lärmen, und als ich nach der Richtung schaute, aus der die Laute kamen, sah ich viel Volks und Zelte, die an der Meeresküste aufgeschlagen waren; die Leute bauten ein Schiff und einige von ihnen stiegen hinein und gingen in See. Darauf kehrte ein Teil von denen, die das Schiff bestiegen hatten, mit ihm wieder zurück und zerbrach es, und zuletzt zogen alle ihres Weges. Ich glaube, daß die Leute, die auf dem Rücken des Meeres dahingefahren und nicht wiedergekehrt sind, gerade die sind, nach denen du suchest, Uns el-Wudschûd. Dann ist wirklich dein Kummer groß, und man kann dich verstehen; doch einen Liebenden, der nicht alle Leiden zu kosten hätte, gibt es nicht.' Und dann sprach der Einsiedler dies Gedicht:

O du, Uns el-Wudschad, du glaubst mich frei von Sorgen,
Wo doch der Sehnsucht Leid mir Tod und Leben bringt!
Ich hab die Macht der Liebe gekannt seit meiner Jugend,
Seit ich ein Knäblein war, das von der Mutter trinkt.
Ich hab sie lang erprobt, bis daß ich sie erkannte;
Und wenn du nach mir fragst, dann weiß sie, wer ich bin.
Ich trank den Liebeskelch, verzehrt von heißen Gluten,
Und bin wie tot geworden; so schwand mein Leib dahin.
Ich war ein starker Mann, doch meine Kraft versagte;
Der Blicke Schwerter haben der Hoffnung Heer besiegt.
Drum hoffe in der Liebe auf Glück nicht ohne Qualen,
Da bei dem Glücke gleich das Unglück immer liegt.
Die Liebe hat bestimmt für ihrer jünger Scharen:
Als Ketzerei verboten ist's, sie nicht treu zu wahren.

Nachdem der Einsiedler seine Verse zu Ende gesprochen hatte, trat er an Uns el-Wudschûd heran und umarmte ihn. — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 375. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß der Einsiedler, nachdem er seine Verse zu Ende gesprochen hatte, an Uns el-Wudschûd herantrat und ihn umarmte: und dann weinten die beiden, daß die Berge von ihren Klagen widerhallten, und sie weinten so lange, bis sie beide in Ohnmacht sanken. Als sie aber wieder zu sich gekommen waren, schworen sie einander Brüderschaft vor Allah dem Erhabenen. Dann sprach der Einsiedler zu Uns el-Wudschûd: ,Heute nacht will ich beten und zu Allah flehen, daß er mich das Rechte erkennen lasse, das du zu tun hast.' ,Ich höre und füge mich!' antwortete der Jüngling.

Wenden wir uns nun von Uns el-Wudschûd wieder zu el-Ward fil-Akmâm! Als sie von ihrem Gefolge zu dem Berge gebracht und in das Schloß geführt war und sich nun darin umschaute und sah, wie schön es eingerichtet war, da sprach sie unter Tränen: ,Bei Allah, du bist eine schöne Stätte, nur daß dir die Gegenwart des Geliebten fehlt!' Und da sie Vögel auf jener Insel entdeckte, so gebot sie einem ihrer Leute, Schlingen für sie aufzustellen und sie zu fangen und alle gefangenen Vögel im Schlosse in Käfigen aufzuhängen; und der Mann führte ihren Befehl aus. Sie aber setzte sich an das Fenster des Schlosses und gedachte alles dessen, was ihr widerfahren war; da wuchsen in ihr die Leidenschaft und der sehnenden Liebe Kraft, sie begann in Tränen auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Wem soll ich all mein Sehnen, das mich erfüllet, klagen
Und meinen Kummer, fern von dem Geliebten traut?
In meinem Busen glüht ein Feuer, aber dennoch
Zeig ich es nicht, auf daß der Späher es nicht schaut!
Ich bin so dürr geworden gleichwie der Zähne Stocher
Durch Fernsein und durch Klagen und Glut, die an mir frißt.
Wo ist das Aug des Liebsten, daß er auf mich schaue,
Wie ich jetzt einem gleiche, der von Sinnen ist?



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Sie waren hart zu mir, als sie mich eingeschlossen
An einem Ort, zu dem mein Liebster niemals dringt.
Die Sonne bitte ich, ihm tausendfache Grüfte
Zu bringen, wenn sie aufgeht, und wenn sie wieder sinkt,
Dem Liebsten, dessen Glanz den vollen Mond beschämet.
Wenn er erscheint, und der das schlanke Reis besiegt.
So seiner Wange sich die Rose gleicher, sag ich:
Du gleichst ihm nicht, wenn nicht in dir mein Schicksal liegt.
Und seiner Lippen Tau ist wie das klare Wasser,
Das, wenn die Feuersglut mich quälet, Kühlung gibt.
Wie könnt ich ihn vergessen? Er ist mein Herz, mein Leben;
Er macht mich krank und siech, er. der mich heilt und liebt.

Und als sie umgeben war von finstrer Nacht, da wuchs noch in ihr der Sehnsucht Macht; sie gedachte der Vergangenheit und klagte in diesen Versen ihr Leid:

Es sinkt die Nacht; die Liebe mit ihren Schmerzen regt sich,
Und Sehnsucht rüttelt grausam an allem meinem Leid.
Die bittre Qual der Trennung wohnt jetzt in meinem Busen,
Und all die schwere Sorge macht mich zum Tod bereit.
Die Liebe raubt den Schlaf, und mich verbrennt die Sehnsucht;
Die Tränen künden an, was heimlich in mir weilt.
Ich kenne keinen Weg in meinem Liebesleiden,
Der mich von meiner Schwäche, von Krankheit, Siechtum heut.
In meinem Herzen glüht ein grimmig Höllenfeuer,
Und seine heiße Glut bringt meiner Brust den Tod.
Ich konnte mich nicht zwingen, ihm Lebewohl zu sagen
Am Trennungstag. O Reue! O meine bittre Not!
O du, der du ihm meldest, was mich genugsam quälet:
Was mir vorherbestimmt, das trag ich in Geduld.
Bei Gott. ich war ihm nie in meiner Liebe untreu;
Und unverbrüchlich ist ein Schwur bei Liebeshuld!
Nun grüß mein Lieb, o Nacht, kund ihm im fernen Land,
Bezeug dein Wissen, daß ich in dir nie Schlummer fand.

Sehen wir nun, wie es Uns el-Wudschûd inzwischen erging! Der Einsiedler sprach zu ihm: ,Geh ins Tal hinab und bring



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mir Fasern von den Palmstämmen!' Da ging er hin und brachte die Fasern: der Einsiedler aber nahm sie und drehte sie zu Stricken und machte ein Tragnetz daraus, wie man es braucht, um Häcksel zutragen. Dann sagte er: ,Uns el-Wudschûd, mitten im Tale gibt es einen Kürbis, der aufschießt und über den Wurzeln austrocknet. Geh dorthin und fülle dies Netz mit seinen Früchten; dann binde es zu, wirf es ins Meer und setz dich darauf! Fahre auf ihm mitten ins Meer hinaus, vielleicht wirst du dein Ziel erreichen; denn wer nicht wagt, kommt nicht ans Ziel.' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Jüngling; dann nahm er Abschied von ihm und verließ ihn, um zu tun, wie der fromme Mann ihm befohlen, nachdem er den Segen des Himmels auf ihn herabgewünscht hatte. Uns el-Wudschûd ging also unverweilt zur Sohle des Tales hinab und tat nach dem Befehle des Einsiedlers. Nachdem er aber auf dem Netze mitten ins Meer gelangt war, erhob sich ein Wind über ihm und trieb ihn mit dem Netz dahin, bis er den Augen des Einsiedlers entschwand. Und dann schwamm er immer weiter über das tiefe Meer, getragen von den auf und nieder wogenden Wellen, und er lernte die Wunder und die Schrecken des Meeres kennen. Schließlich jedoch, nach drei Tagen, warf das Geschick um gegen den Dschebel eth-Thakla, und er taumelte an Land wie ein schwindeliges Huhn, erschöpft von Hunger und Durst. Dort fand er rieselnde Bäche und Vögel, die auf den Zweigen ihre Weisen schlugen, und Bäume, die Früchte trugen, bald allein und bald im Hain; und er aß von den Früchten und trank aus den Bächen. Wie er dann weiterging, sah er plötzlich in der Ferne einen weißen Schein; und er schritt in seiner Richtung dahin, bis er in die Nähe kam und entdeckte, daß es eine feste und unzugängliche Burg war. Alsbald ging er zum Tore hinauf; aber er fand, daß es geschlossen war, und so



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setzte er sich nieder und blieb drei Tagelang dort sitzen. Während er noch dasaß, wurde das Schloßtor plötzlich geöffnet, und einer von den Eunuchen kam heraus. Als der Uns el-Wudschûd dort sitzen sah, fragte er ihn: ,Woher kommst du, und wer hat dich hierher gebracht?' Der Jüngling gab ihm zur Antwort: ,Aus Jspahan; ich fuhr mit einer Warenladung über das Meer, aber das Fahrzeug, auf dem ich mich befand, erlitt Schiffbruch, und da warfen mich die Wellen an den Strand dieser Insel.' Da hub der Eunuch an zu weinen, umarmte ihn und sprach zu ihm: ,Gott erhalte dich, du Freundesantlitz! Wisse, Jspahan ist meine Heimat, und ich habe dort eine Base, der ich seit meiner Kindheit in herzlicher Liebe zugetan bin; aber ein Volk, das stärker war als wir, machte einen Raubzug gegen uns, und mit anderer Beute schleppten sie auch mich fort, als ich noch ein kleiner Knabe war, und entmannten mich. Dann verkauften sie mich als Eunuchen. und nun bin ich als solcher hier.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 366. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Eunuch, der aus dem Schlosse der Jungfrau el-Ward fil-Akmâm herauskam, dem Jüngling Uns el-Wudschûd alles erzählte, was ihm begegnet war, und mit den Worten schloß: ,Die Krieger, die mich wegschleppten, entmannten mich und verkauften mich als Eunuchen, und nun bin ich als solcher hier.' Und nachdem er ihn herzlich begrüßt und willkommen geheißen hatte, führte er ihn in den Schloßhof. Dort im Innern erblickte Uns el-Wudschûd einen großen Teich, rings umgeben von Bäumen und an deren Zweigen Vögel in silbernen Käfigen mit Türen aus Gold. Jene Käfige hingen an den Zweigen, und die Vögel



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darin sangen und priesen den Herrn, der über alle richtet. Wie er nun zu dem ersten Käfig herantrat, schaute er genauer hin und sah, daß dort eine Turteltaube war; doch als der Vogel ihn erblickte, erhob er seine Stimme und rief: .O Gütereicher !'Da sank Uns el-Wudschûd in Ohnmacht. und als er wieder zu sich kam, begann er in Seufzer auszubrechen und hub an diese Verse zusprechen:

Bist du, o Turteltaube, wie ich von Lieb verstöret,
So sing ,o Gütereicher' und fleh den Herren an!
Sag mir, ist dieses Gurren von dir ein Freudezeichen?
Ist's Liebesschmerz, der sich vom Herz nicht trennen kann?
Wenn du in Liebe seufzest nach entschwundnen Freuden,
Von denen du jetzt fern in Not und Kummer bist,
Wenn du wie ich des Freundes in Treuen denkst, so wisse,
Daß Fernesein ein Künder von alter Liebe ist.
Mög Gott dem treuen Freunde seinen Schutz verleihn,
Den nimmer ich vergeß, zerfällt auch mein Gebein!

Als er diese Verse gesprochen hatte, weinte er, bis er von neuem in Ohnmacht sank. Doch als er wieder zum Bewußtsein kam, ging er weiter zum zweiten Käfig. In ihm fand er eine Ringeltaube, und wie die ihn erblickte, sang sie die Worte: ,O Ewiger, ich danke dir!' Da begann Uns el-Wudschûd in Seufzer auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Die Ringeltaube hört ich, wie sie klagend sagte:
Dir, Ewiger, sei Dank für diese meine Not!
Nun möge Allah mich mit meinem Lieb vereinen
Auf dieser meiner Fahrt, durch seiner Huld Gebot.
Oft kam zu mir ihr Bild mit roten Honiglippen
Und häufte Liebe mir auf meine Liebesqual.
Und wenn die Feuergluten in meinem Herzen brannten
Und dann mein ganzes Wesen entflammte allzumal,
Und wenn die Tränen flossen wie Tropfen roten Blutes
Und sich auf meine Wange ergossen, sagte ich:



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Nie ist ein sterblich Wesen noch ohne Leid geblieben;
So trage ich denn immer mein Leid geduldiglich.
So wahr mir Allah helfe, wenn Er mit meiner Herrin
Mich einst vereinen wird am Tag der Seligkeit,
Dann schenke ich mein Gut dem Volke. das da liebet.
Dem Volke, das wie ich dem gleichen Dienst sich weiht;
Dann laß ich diese Vögel aus ihrer Haft von dannen,
Dann will ich meine Trauer durch meine Freude bannen.

Nachdem er diese Verse gesprochen hatte, schritt er zu dem dritten Käfig, und da fand er eine Spottdrossel; die begann bei seinem Anblick zurufen; und als er das hörte, sprach er diese Verse:

Die Drossel lob ich mir, mit ihrer zarten Stimme;
Sie gleicht dem Klagen eines, den Liebesglut durchloht.
Der Liebe Volk -welch Jammer! Wie viele müssen wachen
Bei Nacht in ihrer Sehnsucht und Leidenschaft und Not!
Es ist, als wären sie in ihrem großen Sehnen
Geschaffen ohne Morgen, zur Qual, und ohne Schlaf
Und als ich durch mein Lieb bezaubert ward, da band mich
An ihn die Leidenschaft. Als mich die Fessel traf
Da standen meine Augen in Tränen, und ich sagte:
Das Kettenband der Tränen ward lang und band mich fest.
Das Sehnen wuchs, die Trennung ward lang, der Hoffnung Schätze
Verschwanden, seit die Größe der Pein mich sterben laßt.
Wenn das Geschick gerecht ist und mich mit dem Geliebten
Vereint, und wenn der Himmel uns seinen Schutz gewährt,
Leg ich die Kleider ab, auf daß mein Lieb erkenne,
Wie Abschied, Fernsein, Trennung mir meinen Leib verzehrt.

Als er auch diese Verse gesprochen hatte, schritt er weiter zu dem vierten Käfig. In ihm fand er eine Nachtigall, und die klagte und sang beim Anblicke des Jünglings Uns el-Wudschûd. Wie er ihren Gesang hörte, begann er in Tränen auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Das Lied der Nachtigall ist, wenn der Morgen dämmert,
Für ihn, der liebt, noch süßer als der Saiten Klang.



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Nun klagt Uns el-Wudschûd in seiner heißen Liebe
Ob einer Leidenschaft, durch die sein Herz zersprang.
Wie manchen Liederklang vernahm ich, der vor Freuden
Das harte Eisen gar und Stein zergehen macht!
Des jungen Morgens Zephir fächelt mir die Grüfte
Von blütenreichen Gärten mit ihrer Blumenpracht.
Der Vöglein heller Schall, der süße Duft des Zephirs
Erweckt in meinem Herzen am Morgen frohen Mut;
Und als ich an mein fernes Lieb in Treuen dachte,
Gleich Bächen, gleich dem Regen rann da die Tränenflut.
Und eine Feuerflamme erglüht in meinem Busen
Gleich einem Kohlenmeiler, aus dem die Funken sprühn.
Nun mög der treuen Liebe im trautesten Vereine
Durch frohes Wiedersehen Allahs Lohn erblühn!
Das Volk der Liebe kann ein Mittel wohl verstehen;
Dies eine Mittel ist, daß sie sich wiedersehen.

Nach diesen Versen ging er ein wenig weiter und sah einen Käfig, der schöner war als alle anderen dort; und als er sich ihm näherte, sah er in ihm eine Waldtaube, jene wilde Taube, die in der Vögel Schar von jeher die berühmteste war, deren Klage die Liebessehnsucht offenbart, und die um ihren Hals ein Juwelenband trägt von herrlicher Art. Er blickte sie eine Weile an und bemerkte, daß sie tief in sich versunken in ihrem Käfig saß. Als er sie in diesem Zustande sah, begann er in Tränen auszubrechen und hub an diese Verse zusprechen:

Ich grüße dich, du Taube, die du vom Walde kamest,
Du Schwester von dem Volke der Sehnsucht. das da liebt!
Ich lieb ein schlankes Reh, das mit dem Blick der Augen
Mir einen Hieb noch schärfer als Schwertesschneide gibt.
Von heißer Liebe brennen mein Herze und mein Busen,
Und dürres Siechtum hat mir meinen Leib verzehrt.
Der Speisen Wohlgeschmack hab ich nun abgeschworen;
So hab ich auch dem Auge den süßen Schlaf verwehrt.
Mein Hoffen und mein Trost sind von mir fortgezogen,
Und herbe Liebespein hat sich mir eingestellt.



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Wie kann mir ohne sie das Leben Freude bringen?
Sie ist mein Ziel, ,nein Sehnen, mein Alles in der Welt!

Als Uns el-Wudschûd diese Verse zu Ende gesprochen hatte -—« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 377. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Waldtaube, als Uns el-Wudschûd diese Verse zu Ende gesprochen hatte, längst aus ihrer Versunkenheit erwacht war und seinen Worten lauschte. Und nun rief sie und sang in klagenden Tönen und begann immer lauter zu schluchzen und zu stöhnen, bis schließlich ihr Gurren wie menschliche Rede klang, und da schien es, als ob eine Geisterstimme aus ihr sang:

O du, der Liebe Knecht, du hast mich jetzt erinnert
An jene Zeit, da mir die Kraft der Jugend schwand,
Und den geliebten Freund; von Wuchse war er herrlich,
Und seine hohe Schönheit verwirrte den Verstand.
Ach, wenn er in den Zweigen dort auf dem Hügel gurrte,
Dann galt die traute Stimme mir mehr als die Schalmei.
Allein der Vogler stellte ein Netz, und der Gefangne
Hub an und klagte laut: O, ließ er mich doch frei!
Ich hoffte wohl, er sei ein Mann, der milden Sinnes
Beim Anblick meiner Liebe mit mir Erbarmen kennt.
Doch möge Gott den Mann erschlagen, da er grausam
Von dem geliebten Wesen auf ewig mich getrennt!
Nun wird in mir die Sehnsucht nach ihm noch immer größer,
Mich hat der Trennungsschmerz mit Feuersglut durchwühlt.
O Gott, behüte jeden, der fest in seiner Treue
Mit seiner Liebe ringt und meinen Kummer fühlt!
Und sieht er mich gefangen hier in dem Käfig mein,
So mög er für den Freund aus Mitleid mich befrein!

Darauf wandte Uns el-Wudschûd sich zu seinem Gefährten, dem Manne aus Jspahan, und fragte ihn: ,Was ist dies für ein



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Schloß? Was gibt's in ihm? Und wer hat es bauen lassen?' Jener gab ihm zur Antwort: ,Der Wesir des Königs Soundso hat es für seine Tochter erbauen lassen aus Furcht vor den Wechselfällen der Zeit und des Geschickes Veränderlichkeit; und er hat sie mit ihrem Gefolge hierher gebracht. Nur einmal im Jahre öffnen wir die Burg, wenn die Vorräte für uns kommen.' Da sprach Uns el-Wudschûd in seiner Seele: ,Jetzt habe ich mein Ziel erreicht; doch ich muß noch lange warten.'

Sehen wir nun, wie es um el-Ward fil-Akmâm stand! Ihr war so zumute gewesen, daß sie weder an Trank noch an Speise, weder am Sitzen noch am Schlafen Freude hatte; denn in ihr wuchsen der Sehnsucht Kraft und die heftigste Leidenschaft. Und sie hatte sich erhoben und war in allen Winkeln des Schlosses umhergewandert. Da sie aber keinen Ausweg fand, so begann sie in Tränen auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Sie zerrten mich grausam hinweg vom Geliebten
Und reichten im Kerker mir hangende Pein.
Sie brannten das Herz mir mit Feuern der Liebe
Und raubten den Liebsten dem Anblicke mein.
Sie sperrten mich ein hier in ragende Schlösser,
Auf Bergen erbaut in dem wogenden Meer;
Doch wenn sie nun wollen, ich sollt ihn vergessen,
So wächst meine Not nur in heißem Begehr.
Wie kann ich vergessen, da doch all mein Leiden
Allein durch den Blick auf sein Antlitz entfacht?
Der ganze Tag bringt mir nichts andres als Kummer;
Im Denken an ihn nur verbring ich die Nacht.
Mein Trost in der Einsamkeit ist, sein gedenken,
Wenn traurig mein Aug seines Anblicks entbehrt.
Ich möchte wohl wissen, ob nach alle diesem
Das Schicksal den Wunsch meines Herzens gewährt!

Als sie diese Verse gesprochen hatte, stieg sie zur Dachterrasse des Schlosses hinauf, nahm einige Kleider aus Baalbeker Stoffen',



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band sich damit fest und ließ sich hinab, bis sie den Erdboden erreichte; sie trug aber die prächtigsten Gewänder, die sie besaß, und um ihren Hals lag eine Kette aus Edelsteinen. Dann wanderte sie in jenem wüsten und öden Gelände weiter, bis sie zur Küste des Meeres gelangte. Dort erblickte sie einen Fischer, der in einem Schifflein auf dem Meere hinundher fuhr. um Fische zu fangen, und den der Wind zu jener Insel verschlagen hatte. Der Mann schaute gerade auf und sah nun el-Ward fil-Akmâm auf der Insel. Als er ihrer gewahr wurde, erschrak er und lenkte sein Boot fort, um vor ihr zu fliehen. Doch sie rief ihn und machte ihm viele Zeichen und ließ diese Verse sein Ohr erreichen:

Du Fischer dort, du brauchst Gefahren nicht zu fürchten:
Ich bin ein Menschenkind wie alles Fleisch und Blut.
Ich bitte dich, erfüll mir meinen Wunsch und höre
Auf das, was meine Rede dir nun zu wissen tut.
Gott schütze dich! Hab Mitleid mit meiner heißen Liebe!
Sag an, hat wohl dein Auge mein fernes Lieb erblickt?
Ich liebe einen Jüngling von wunderschönem Antlitz,
Das mehr als Mond und Sonne von hellem Glanz geschmückt.
Und wenn das Reh auf seine Blicke sieht, so ruft es:
,Fürwahr, ich bin sein Knecht!' und gibt sich rasch besiegt.
Die Schönheit selber schrieb auf seine Wange Zeichen,
In denen aller Inbegriff der Schönheit liegt.
Denn wer das Licht der Liebe erblickt, ist recht geleitet;
Doch wer es nicht sieht, irrt und ist ein Ketzer gar.
Und willst du mich erquicken durch ihn, o welche Freude!
Ja, stets wenn ich ihn seh, bring ich dir Schätze dar,
Rubinen und viel andre von schönen Edelsteinen,
Auch silberweiße Perlen, Kleinode wundersam.
Mein Freund, ich bitte dich, erfülle meine Wünsche;
Denn sieh, mein Herz vergeht und schmilzt im Liebesgram.



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Als der Fischer diese Worte aus ihrem Munde vernahm, begann er zu weinen und zu stöhnen und zu klagen, und er gedachte der Tage seiner Jugendzeit, als er sich noch dem Dienste der Liebe geweiht; und da ward mächtig in ihm der sehnenden Liebe Kraft, und es wuchs in ihm die heftige Leidenschaft, die Feuer der Empfindungen lohten in ihm empor, und er trug diese Verse vor:

Welch klare Zeichen deuten meine Sehnsucht,
Der Glieder Siechtum und der Tränen Flut,
Die wachen Augen in der Nächte Dunkel,
Ein Herze brennend wie von Feuers Glut!
Die Liebe spürt ich schon in meiner Jugend,
Da schied ich Echtes von dem falschen Schein.
Und in der Lieb verkauft ich meine Seele,
Um meiner fernen Liebsten nah zu sein.
Dann machte ich mein Leben wohl zum Einsatz
Und hoffte, daß ich bei dem Kauf gewinn.
Der Liebe Satzung kündet: Für den Käufer
Ist Liebesglück noch höher als Gewinn.

Nachdem er diese Verse gesprochen hatte, band er sein Fahrzeug an den Strand und sprach zu der Jungfrau: ,Steig ins Boot, auf daß ich dorthin fahre, wohin du nur willst!' Da stieg sie in das Schiff, und er fuhr mit ihr fort. Kaum hatten sie sich aber nur eine kurze Strecke vom Lande entfernt, da erhob sich ein Wind hinter dem Schiffe, und es trieb rasch dahin, bis Land außer Sicht war. Nun wußte der Fischer nicht mehr, wohin er fuhr. Der starke Wind hielt drei Tagelang an; dann aber legte er sich nach dem Gebote Allahs des Erhabenen. und darauf fuhr das Schiff mit ihnen immer weiter, bis es zu einer Stadt am Meeresufer gelangte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 378. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß der Fischer, als das Boot mit ihm und el-Ward fil-Akmâm die Stadt an der Meeresküste erreichte, sich entschloß, bei jener Stadt anzulegen. Dort herrschte ein König von großer Macht, Dirbâs' geheißen; der saß damals gerade mit seinem Sohne im Schlosse seiner Herrschaft, und beide blickten durchs Fenster nach dem Meere hin. Da sahen sie jenes Boot, und als sie genauer hinschauten, entdeckten sie in ihm eine Jungfrau, die so schön war wie der Vollmond am Himmelsrande; an ihren Ohren hingen Geschmeide aus kostbaren Ballasrubinen, während um ihren Hals Juwelenketten herrlich schienen. Der König erkannte alsbald, daß sie zu den Töchtern der Vornehmen oder gar der Könige gehören mußte; darum stieg er aus seinem Schlosse hinab, ging hinaus durch die Meerespforte und sah, wie das Boot bereits am Ufer angelegt hatte. Die Jungfrau schlief; doch der Fischer war bei der Arbeit, das Fahrzeug festzubinden. Nun weckte der König sie aus ihrem Schlafe; und als sie aufgewacht war und zu weinen begann, fragte er sie: ,Woher kommst du? Wessen Tochter bist du? Und was führt dich hierher?' Da gab el-Ward fil-Akmâm ihm zur Antwort: ,Ich bin die Tochter Ibrahîms, des Wesirs von König Schâmich. Was mich hierher führt, ist wunderbar und seltsam gar.' Darauf erzählte sie ihm ihre ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende und verbarg ihm nichts. Dann begann sie in Seufzer auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Mein Aug ist wund von Zähren, und die erregen Wunder
Ob Schmerzen, die ihm solche Tränenftuten leihn
Um eines Freundes willen, der stets im Herz mir wohnet;
Nie ward mein Wunsch erfüllt, in Lieb ihm nah zu sein.
Er hat ein Antlitz, lieblich, in reiner Schöne strahlend;



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Kein Araber, kein Türke ist ihm an Anmut gleich.
Die Sonne wie der Mond verneigt sich, wenn er nahet;
Sie grüßen ihn in Liebe und an Verehrung reich.
In seinem dunklen Blick ruht wundersamer Zauber:
Er zeigt dir einen Bogen, zum Schuß des Pfeils bereit.
O du, dem ich mein Leid geklaget, hab Erbarmen;
Versteh ein hebend Herz, gequält von Sehnsuchtsleid!
Die Liebe hat mich jetzt an euren Strand geworfen,
Mich Arme: eurem Schutze vertraue ich mich an.
Und wer dein Land der Edlen sich hilfesuchend nahet,
Der weiß, daß er auf Schutz der Ehre hoffen kann.
O meine Hoffnung du, beschütze sie, die lieben!
Vereine sie, o Herr, die lang sich fern geblieben!

Als sie diese Verse gesprochen hatte, erzählte sie dem König ihre Geschichte noch einmal von Anfang bis zu Ende. Dann begann sie wieder in Tränen auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Wir lebten, und wir sahen ein Wunder in der Liebe:
Dir sei ein jeder Monat gleichwie ein Festesmond!
Ist's denn nicht wunderbar, daß seit dem Trennungsmorgen,
Am Tränenstrom entzündet, mir Glut im Herzen wohnt?
Daß meiner Augen Lider Tropfen Blutes regnen?
Und daß auf meiner weißen Wange Gold ersproß,
Als wäre, was auf ihr an Rot und Gelb sich einet,
Wie Josephs Kleid, auf dem das Blut zum Scheine floß?

Als der König diese Worte von ihr vernommen hatte, da ward er von ihrem Leid und ihrer Sehnsucht überzeugt, und Mitleid mit ihr ergriff ihn. Dann sprach er zu ihr: ,Fürchte dich nicht! Verzage nicht! Du hast dein Ziel erreicht; denn ich werde dir sicher deinen Wunsch erfüllen und dein Verlangen danach stillen. Nun höre diese Worte von mir!' Da sprach er diese Verse vor ihr:

Du Tochter edler Eltern hast Ziel und Wunsch erreichet:
Dein wartet frohe Botschaft; drum fürchte hier kein Leid.



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Noch heute bring ich Schätze und sende sie zu Schâmich
Mit edler Männer Schar und Rittern zum Geleit.
Brokat will ich ihm schicken und Säcke voll von Moschus.
Und weißes Silber auch und Gold send ich ihm hin.
Ja, und ein Brief von mir soll ihm die Meldung bringen:
Mich ihm als Schwäher zu verbinden ist mein Sinn.
Mit allem Eifer will ich dir heute Hilfe leihen,
Bis dir Erfüllung dessen, was du erstrebest, naht.
Auch ich hab einst die Liebe gekostet, und ich kenn sie;
Und ich versteh den, der den Trunk der Liebe tat.'

Und als er seine Verse beendet hatte, ging er zu seinen Kriegern und berief seinen Wesir; den ließ er zahllose Schätze aufladen und damit zu König Schâmich ziehen, indem er ihm sagte: ,Du mußt mir einen Jüngling bringen, der bei ihm ist und der Uns el-Wudschûd heißt. Und sprich zum König: ,Mein Herr will sich mit dir dadurch verbinden, daß er seine Tochter mit Uns el-Wudschûd, deinem Gefolgsmanne, vermählt. Darum mußt du ihn mit mir senden, auf daß wir seine Vermählung mit ihr im Reiche ihres Vaters vollziehen!' Dann schrieb König Dirbâs einen Brief dieses Inhaltes an König Schâmich und gab ihn seinem Wesir; und noch einmal machte er ihm zur Pflicht, Uns el-Wudschûd zubringen, indem er zu ihm sprach: ,Wenn du nicht mit ihm zu mir kommst, so bist du deines Amtes entsetzt.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Wesir und begab sich darauf mit den Geschenken zu König Schâmich. Als er bei ihm eintraf, brachte er ihm den Gruß von König Dirbâs und überreichte ihm das Schreiben und die Geschenke, die er bei sich hatte. Doch wie der König sie erblickt und den Brief gelesen und darin den Namen Uns el-Wudschûd gesehen hatte, weinte er bitterlich und sprach zu dem Minister, der zu ihm gesandt war: ,Wo ist denn Uns el-Wudschûd? Ach, er ist fort!.



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gezogen, und wir kennen seine Stätte nicht. Bring ihn zu uns, so will ich dir das Zwiefache geben von dem, was du an Geschenken gebracht hast!' Dann begann er zu weinen und zu seufzen und zu klagen und in Tränen auszubrechen, und erhub an diese Verse zu sprechen:

Gebet meinen Freund mir wieder!
Ich verlange nicht nach Geld.
Gaben, Perlen und Juwelen,
Sind es nicht, was mir gefällt.
Ach, er war für mich ein Mond am
Schönheitshimmel hell und klar,
Er. den Geist und Anmut zierten,
Dem kein Reh vergleichbar war.
Schlank gewachsen wie die Weide,
Mit der Reize Frucht geschmückt;
Doch die Weide hat die Art nicht.
Die der Menschen Sinn berückt.
Schon als Knaben in der Wiege
Habe ich ihn treu gehegt.
Jetzo muß ich um ihn trauern,
Und mein Sinn ist schmerzbewegt.

Darauf wandte er sich zu dem Wesir. der die Geschenke und die Botschaft gebracht hatte, und sprach zu ihm: ,Geh zu deinem Herrn und melde ihm, daß Uns el-Wudschûd seit einem Jahre verschwunden ist und daß sein Herr nicht weiß, wo er ist und keine Kunde von ihm hat!' ,Mein Gebieter.' antwortete der Wesir, ,wisse, mein Herr hat mir gesagt, wenn ich ihn nicht brächte, so sei ich meines Amtes entsetzt und dürfe seine Stadt nicht wieder betreten. Wie kann ich ohne ihn heimkehren?' Da sprach König Schâmich zu seinem Wesir Ibrahim: ,Zieh mit ihm aus, begleitet von einer Kriegerschar! Suchet nach Uns el-Wudschûd an allen Orten!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Ibrahîm, nahm eine Schar von seinen



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Gefolgsleuten mit sich und zog gemeinsam mit dem Wesir des Königs Dirbâs fort. Und sie begannen nach Uns el-Wudschûd zu suchen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 379. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibrahîm, der Wesir des Königs Schâmich, eine Schar von seinen Gefolgsleuten mit sich nahm und gemeinsam mit dem Wesir des Königs Dirbâs fortzog, und daß sie nach Uns el-Wudschûd zu suchen begannen. Sooft sie an einem Araberstamme oder an anderem Volke vorbeizogen, fragten sie dort nach dem Jüngling, indem sie sprachen: ,Ist euch ein Jüngling begegnet, der so heißt und der so und so aussieht?' Aber alle erwiderten: ,Den kennen wir nicht.' Dennoch hörten sie nicht auf, nach ihm in den Städten und Dörfern zu fragen; sie forschten nach ihm in Ebenen und steinigem Bergesland, in Steppen und im Wüstensand, bis sie schließlich zur Meeresküste kamen. Dort suchten sie sich ein Boot, stiegen hinein und fuhren dahin, bis sie zum Dschebel eth-Thakla' kamen. Da sprach der Wesir des Königs Dirbâs zum Wesir des Königs Schâmich: ,Warum hat dieser Berg einen solchen Namen?' Jener gab ihm zur Antwort: ,In alter Zeit hat sich eine Dämonin auf ihm niedergelassen; jene Dämonin gehörte zur Geisterwelt von China, und sie liebte einen sterblichen Menschen. Heiße Sorge um ihn erfüllte ihr Herz, und sie fürchtete Gefahr für ihr Leben von ihrem eigenen Volke. Wie nun ihre Sorge immer größer ward, suchte sie auf Erden nach einer Stätte, an der sie ihn vor den Ihren verbergen könnte. Da fand sie diesen Berg, der den Menschen und den Dämonen unzugänglich war, da keiner von den Sterblichen



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und den Geistern den Weg zu ihm kannte. So entführte sie denn ihren Geliebten und brachte ihn dorthin. Dann aber flog sie heimlich hin und her zwischen den Ihren und dem Geliebten: das tat sie eine lange Weile, bis sie ihm auf dem Berge dort eine Anzahl von Kindern geboren hatte. Und wenn dann die Kaufleute auf ihren Fahrten über See an dem Berge vorbeikamen, so hörten sie das Weinen der Kinder, und das klang, wie wenn eine Frau weinte, die ihrer Kinder beraubt ist. Dabei sagten sie sich: ,Hier ist wohl eine Mutter, die ihr Kind verloren hat?' Über diese Erzählung war der Wesir des Königs Dirbâs erstaunt. Darauf gingen die beiden weiter, bis sie zum Schlosse kamen, und klopften an das Tor. Es ward geöffnet, und ein Eunuch trat heraus zu ihnen. Der erkannte Ibrahîm, den Wesir des Königs Schâmich, und küßte ihm die Hände. Nun trat der Minister in das Schloß ein und fand dort auf dem Hof unter den Dienern einen Derwischmann; das war aber Uns el-Wudschûd. Da fragte der Wesir die Leute: ,Woher kommt der da?' Sie antworteten: ,Das ist ein Kaufmann, der seine Waren auf See verloren, aber sein Leben gerettet hat; jetzt ist sein Geist zu Gott entrückt.' So ließ er ihn denn stehen und begab sich in das Schloß hinein; als er jedoch von seiner Tochter keine Spur fand, fragte er die Dienerinnen, die dort waren, und die erwiderten ihm; ,Wir wissen nicht, wie sie von dannen gegangen ist; sie ist nur kurze Zeit bei uns geblieben.' Da begann er in Tränen auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

O Haus, in dem die Vögel lustig sangen!
Im Stolze konnten seine Schwellen prangen.
Doch klagend kam der Mann in Liebesbanden
Und sah die Tore, wie sie offen standen.
O wüßt ich, wo mein Lieb verborgen weilt,
Beim Haus hier, dessen Herrin fortgeeilt!



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Von schönen Dingen pflegt es voll zu sein;
Und Pförtner standen hoch in langen Reihn.
Es war mit Decken aus Brokat behängt.
Ach, wohin hat mein Lieb den Schritt gelenkt!

Als er diese Verse gesprochen hatte, begann er zu weinen und Seufzer mit Klagen zu vereinen, und er sprach: ,Vor dem Ratschlusse Gottes kann keiner sich schützen, und niemand kann dem entrinnen, was Er beschlossen und bestimmt hat!' Dann stieg er zum Dache des Schlosses empor und fand die Kleider aus Baalbeker Stoffen, die in Streifen an die Zinnen des Schlosses gebunden waren und bis zur Erde niederhingen; daran erkannte er, daß sie dort hinabgestiegen war und fortgegangen, wie betört und verstört von Liebesverlangen. Wie er sich nun umwandte, sah erdort zwei Vögel, einen Raben und eine Eule; und da er in ihnen ein böses Vorzeichen erkannte', begann er in Seufzer auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Ich kaum zum Haus der Freunde, und ich hoffte dorten,
Mein Leid und meine Schmerzen würden bald gestillt.
Allein ich fand die Freunde nicht; was ich entdeckte,
War nur des Raben und der Eule Unheilsbild.
Da sprach die Geisterstimme: Weh, du hast gefrevelt!
Du hast der treuen Freunde Vereinigung verwehrt.
Drum koste jetzt den Liebesschmerz, den sie gekostet,
Und leb in Gram, bald weinend und bald glutverzehrt!

Darauf stieg er weinend von dem Dache der Burg hinunter und befahl den Dienern, hinauszuziehen und den ganzen Berg nach ihrer Herrin zu durchforschen; sie taten es, aber sie fanden sie nicht.



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Wenden wir uns nun wieder zu Uns el-Wudschûd! Als der sich überzeugt hatte, daß el-Ward fil-Akmâm fortgegangen war, da hatte er laut aufgeschrien und war in Ohnmacht gesunken. Lange war er besinnungslos liegen geblieben, und die Leute glaubten, sein Geist sei durch den Barmherzigen entrückt, und er sei durch die Betrachtung der ehrfurchtgebietenden Herrlichkeit des Allvergelters verzückt. Nun aber verzweifelte man schließlich daran, Uns el-Wudschûd zu finden; das Herz des Wesirs Ibrahîm war durch den Verlust seiner Tochter el-Ward fil-Akmâm tiefbetrübt, und der Wesir des Königs Dirbâs entschloß sich, in sein Land heimzukehren, obgleich er das Ziel seiner Fahrt nicht erreicht hatte. Dieser also nahm Abschied vom Wesir Ibrahîm, dem Vater von el-Ward fil-Akmâm, und sprach zu ihm: ,Ich möchte diesen Derwisch mit mir nehmen; vielleicht wird Allah der Erhabene mir durch seinen Segen das Herz des Königs geneigt machen; denn er ist ein Heiliger. Dann will ich ihn nach dem Lande von Jspahan zurücksenden; das liegt dicht bei unserem Lande.' ,Tu, wie du willst', erwiderte Ibrahîm, und darauf kehrte ein jeder von ihnen um und zog seiner Heimat entgegen, indem der Wesir des Königs Dirbâs den Jüngling Uns el-Wudschûd mit sich nahm. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 380. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir des Königs Dirbâs den Jüngling Uns el-Wudschûd mit sich nahm, der geistesentrückt war. Drei Tage lang zog er mit ihm dahin, wahrend der Jüngling regungslos auf dem Rücken eines Maultieres lag, ohne zu wissen, ob er getragen wurde oder nicht. Als dieser dann aber wieder zu sich kam, fragte er: ,Wo bin ich?' ,Du



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bist bei dem Wesir des Königs Dirbâs', wurde ihm geantwortet; dann gingen die Leute zu dem Minister und berichteten ihm, daß der Jüngling wieder zu sich gekommen war. Alsbald schickte der Wesir ihm Rosenwasser und Zuckerscherbett; man gab ihm zu trinken, und er kam wieder zu Kräften. Dann zogen sie immer weiter, bis sie in die Nähe der Hauptstadt des Königs Dirbâs kamen. Dort meldete ein Bote, vom König entsandt. dem Minister: ,Wenn Uns el-Wudschûd nicht bei dir ist, so sollst du nie wieder zu mir kommen!' Als jener die königliche Botschaft gelesen hatte, ward er sehr traurig darüber. Nun wußte er aber nicht, daß el-Ward fil-Akmâm beim König war, noch auch hatte er den Grund erfahren, weshalb der König ihn ausgesandt hatte, Uns el-Wudschûd zu bringen, und weshalb er die Verbindung wünschte. Und andererseits wußte Uns el-Wudschûd nicht, wohin er geführt wurde, noch auch, daß der Wesir ausgesandt war, um ihn zu holen. Und ferner ahnte der Wesir nicht, daß jener Jüngling Uns el-Wudschûd selber war. Als daher der Minister sah, daß Uns el-Wudschûd wieder zu sich gekommen war, sprach er zu ihm: ,Wisse, der König hatte mich mit einem Auftrage entsandt, der nicht erfüllt werden konnte. Und als er nun von meiner Rückkehr erfuhr, sandte er mir ein Schreiben des Inhaltes: ,Wenn der Auftrag nicht erfüllt ist, so sollst du meine Stadt nicht betreten!' 'Wie lautet denn der Auftrag des Königs?' fragte der Jüngling; und da erzählte der Wesir ihm die ganze Geschichte. Doch Uns el-Wudschûd sprach zu ihm: ,Fürchte dich nicht! Geh zum König und nimm mich mit dir; ich bürge dir dafür, daß Uns el-Wudschûd kommt!' Darüber war der Wesir erfreut, und er rief aus: ,Ist das wahr, was du sagst?' ,Jawohl', erwiderte der Jüngling. Da saß der Wesir auf, nahm um mit sich und führte ihn zum König Dirbâs. Als beide vor ihm standen, fragte der



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König: ,Wo ist Uns el-Wudschûd?' Der Jüngling hub an: ,O König, ich weiß, wo er ist!' Nun rief der König ihn zu sich und fragte ihn: ,An welcher Stätte weilt er?' Uns el-Wudschûd gab zur Antwort: ,An einer Stätte, die sehr nah ist. Doch tu mir zuvor kund, was du von ihm willst; so werde ich ihn zu dir fuhren!' ,Herzlich gern,' erwiderte der König, ,doch diese Sache erfordert Heimlichkeit.' Darauf befahl er den Anwesenden fortzugehn und begab sich selbst mit dein Jüngling in ein Gemach. Dort erzählte der König ihm die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende, und nun bat Uns el-Wudschûd: ,Laß mir prächtige Gewänder bringen und kleide mich darein; so will ich alsbald Uns el-Wudschûd zu dir führen.' Da ward ihm ein prächtiges Gewand gebracht, erlegte es an und rief aus: ,Uns el-Wudschûd bin ich genannt, dem Neider als Ärgernis bekannt!' Mit den Blicken zog er alle Herzen in seinen Bann, und er hub diese Verse zu sprechen an:

Mein Trost in Einsamkeit war, an mein Lieb zu denken;
Dann war ich nicht verlassen, weilt ich auch fern von ihr.
Mein Aug war allezeit voll Tränen; doch sie machten,
Wenn sie vom Auge flossen, das Seufzen leicht in mir.
Die Sehnsucht brannte heiß; ihr gleich ward nichts gefunden.
Ein wundersames Ding war mir die Liebespein.
Die Nacht verbracht ich wachen Lids, und nimmer schlief ich;
Ach, zwischen Höll und Himmel ließ mich die Liebe sein.
Schön war in mir Geduld; ich hatte sie verloren,
Nur Qual des Leidens wuchs in mir mit Allgewalt.
Die Trennungsschmerzen hatten mir meinen Leib verzehret,
Die Sehnsuchtsnöte raubten mir Ansehn und Gestalt.
Des Auges Lider waren mir wund vom vielen Weinen;
Den Tränenstrom zu dämmen vermochte ich nicht mehr.
Dahin war meine Kraft; den Mut hatt ich verloren,
Und Kummer über Kummer kam über mich daher.
Mein Haupthaar wurde grau, grau auch mein Herz vor Trauer
Um eine hohe Herrin, der Schönen schönste Maid.



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Ach, wider ihren Willen hat Trennung uns geschieden;
Mir nah zu sein war doch ihr Wunsch zu jeder Zeit.
Ob mich wohl nach der Trennung und nach dem langen Fernsein
Das Schicksal durch Verein mit meinem Lieb erfreut?
Ob sich das Buch der Trennung, das aufgeschlagne, schließet
Und durch das Glück der Nähe mich von der Qual befreit?
Wird wohl mein Lieb daheim mein Trautgeselle sein?
Und wird zur Herzensfreude dann alle meine Pein?

Als er diese Verse gesprochen hatte, rief der König: ,Bei Allah, ihr seid wahrlich ein treues Liebespaar und am Himmel der Schönheit ein leuchtendes Sternenpaar; euer Erlebnis ist wunderbar und eure Geschichte seltsam gar!' Dann erzählte er dem Jüngling die Geschichte von el-Ward fil-Akmâm bis zu Ende. Der aber fragte ihn: ,Wo ist sie denn, o größter König unserer Zeit?' Der König antwortete: ,Sie ist jetzt bei mir', und er ließ den Kadi und die Zeugen kommen, ließ die Eheurkunde für ihn und die Jungfrau schreiben und erwies ihm hohe Gunst und Ehre. Danach sandte König Dirbâs zu König Schâmich und ließ ihm alles berichten, was er mit Uns el-Wudschûd und el-Ward fil-Akmâm erlebt hatte. König Schâmich war darüber hoch erfreut und sandte nun einen Brief zurück des Inhalts: ,Dieweil die Eheurkunde bei dir vollzogen ist, geziemt es sich, daß die Hochzeit und die Brautnacht bei mir gefeiert werden.' Alsbald rüstete er Kamele, Rosse und Mannen und entsandte sie, um das Paar einzuholen. Und als die Gesandtschaft bei König Dirbâs eingetroffen war, schenkte er den beiden große Schätze und entsandte sie, begleitet von einer Schar seiner Krieger. Die zogen mit ihnen dahin, bis die beiden in ihre eigene Heimatstadt zurückkamen. Und das war ein denkwürdiger Tag; nie hat es einen herrlicheren gegeben als diesen. König Schâmich ließ alle Sängerinnen und Lautenspielerinnen zusammenkommen und veranstaltete Feste, die sieben Tage



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dauerten; an jedem Tage verlieh er den Leuten kostbare Ehrengewänder und teilte Gaben an sie aus. Dann ging Uns el-Wudschûd zu el-Ward fil-Akmâm ein und umarmte sie; nun saßen die beiden da, weinend vor übergroßer Freude und Seligkeit, und diese Verse sprach die Maid:

Die Freude kam und scheuchte Sorg und Not von dannen;
Wir sind vereint und haben den Neid zuschand gemacht.
Des Wiedersehens Lufthauch weht mit zartem Dufte,
Hat Herz und Brust und Leib zum Leben neu entfacht.
Des Glückes Schönheit ist erschienen, herrlich duftend,
Und unsre Freudenbotschaft klang allüberall.
Drum glaubet nicht, daß wir jetzt noch vor Trauer weinen;
Nein, nur aus großer Freude kam unser Tränenschwall.
Was haben wir an Schrecken erlebt, die nun geschwunden!
Wie haben wir erduldet, was uns so bang erregt!
In einer Glückesstunde hab ich die Not vergessen,
Die uns auf unser Haupt einst graues Haar gelegt.

Als sie diese Verse gesprochen hatte, umarmten sie sich von neuem, und so blieben sie eng umschlungen, bis sie ohnmächtig niedersanken. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 381. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Uns el-Wudschûd und el-Ward fil-Akmâm sich umarmten, als sie einander wiedergefunden hatten, und daß sie eng umschlungen blieben, bis sie ohnmächtig niedersanken aus Freude über die Wiedervereinigung. Doch als sie wieder zu sich kamen, sprach Uns el-Wudschûd diese Verse:

Wie süß sind doch die lieben Nächte der Erfüllung,
Da mir mein Lieb gehalten, was es versprochen hat,
Und da die harte Trennung uns nun ganz verlassen,
Doch die Vereinigung in allem uns genaht!



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Jetzt kommt uns das Geschick mit offnem Arm entgegen,
Nachdem es einst gewichen und sich von uns gewandt.
Jetzt hat das Glück für uns sein Banner aufgerichtet;
Der Wonne Becher tranken wir nun aus seiner Hand.
Wir klagten wohl vereint einander unsre Leiden,
Die trüben Nächte auch, die uns so hart gequält.
Jetzt haben wir, o Herrin, Vergangenes vergessen;
Und der Erbarmer möge verzeihn, was einst gefehlt.
Wie ist das Leben schön und aller Wonnen Zier!
Doch das Vereintsein mehrt die Leidenschaft in mir.

Nachdem er diese Verse gesprochen hatte, umarmten sie sich wieder; und dann ließen sie sich in ihrem Gemach auf ihr Lager nieder. Sie tranken und unterhielten sich mit Gedichten, heiteren Geschichten und Berichten, bis sie im Meere der Leidenschaft versanken. So vergingen sieben Tage, und sie unterschieden nicht die Nacht vom Tageslicht im Übermaße der Wonne und Fröhlichkeit, der lauteren Freude und Seligkeit. Und es war ihnen, als ob die sieben Tage nur ein einziger Tag wären, dem kein zweiter folgte. Und sie erkannten auch den siebenten Tag' nur daran, daß die Sängerinnen kamen. Da begann el- Ward fil-Akmâm in große Verwunderung auszubrechen, und sie hub an diese Verse zu sprechen:

Was wir vom Lieb uns wünschten, ward erfüllet
Dem Späher und den Neidern all zum Leide.
Wir krönten das Vereintsein durch Umarmung
Auf Kissen von Brokat und feiner Seide
Und einem Bett aus Leder, das gefüllt ist
Mit Vogeldaunen wundersamer Art.
Den Trunk des Weines ließ mich gern entbehren
Der Liebeslippentau wie Honig zart.
In Liebesfreuden haben wir vergessen,
Ob fern die Zeiten waren oder nah.



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Der Nächte sieben gingen uns vorüber,
Wir ahnten's nicht-ein Wunder, wie's geschah!
Wünscht Glück zum siebten Tag und sprecht zu mir:
Gott geb in Lieb ein langes Leben dir!

Nachdem sie ihre Verse geendet hatte, küßte Uns el-Wudschûd sie Hunderte von Malen auf den Mund, und dann tat er seine Freude in diesen Versen kund:

O Tag der Freude und der Glückeswünsche:
Die Liebste kam und stillte meine Pein!
Sie freute mich im trauten Beieinander
Und sprach mit mir in Worten zart und fein.
Sie gab den Wein der Liebe mir zu trinken,
Bis daß mein Sinn von solchem Trank berauscht.
Wir ruhten froh und selig, und wir haben
Den Wein getrunken und dem Lied gelauscht.
Im höchsten Glück vergaßen wir die Tage,
Ob erster oder zweiter uns entschwand.
Glück dem, der liebt, beim frohen Wiedersehen:
Erfinde Freude so, wie ich sie fand!
Er koste nie der Trennung Bitterkeit,
Und Gott erfreu ihn, wie Er mich erfreut!

Nach diesen Versen erhoben sich die beiden und verließen ihr Gemach. Sie verteilten Gaben an das Volk. Geld und Kleider. und machten reiche Geschenke. Darauf gab el-Ward fil-Akmâm Befehl, ihr das Bad zu räumen, und sie sprach zu Uns el-Wudschûd: ,Du mein Augentrost, es verlangt mich, dich im Bade zu sehen; und wir wollen dort ganz allein sein.' Übergroße Freude erfüllte ihren Sinn, und sie sprach diese Verse vor sich hin:

Du, der seit alter Zeit mein Herz gewann -
Das Alte geht im Neuen nicht verloren.
O du, der du mein Alles in der Welt.
Ich habe keinen Freund als dich erkoren.
Komm mit ins Bad, o du mein Augenlicht;



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Laß uns den Himmel in der Hölle' sehen.
Wir lassen Aloe und Nadd' erglühn,
Bis uns die Düfte überall umwehen.
Verziehen sei dem Schicksal alle Schuld.
Gepriesen des barmherz'gen Herren Huld!
Ich rufe dann, seh ich dich dort vor mir:
Glückauf, mein Lieb, und Segen sei mit dir!'

Darauf erhoben sie sich, begaben sich ins Bad und hatten dort ihre Freude; dann kehrten sie in ihr Schloß zurück und lebten dort in aller Herrlichkeit, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt, und der die Freundesbande zerreißt. Preis sei Ihm, der unwandelbar besteht, der nie vergeht, zu dem alles heimkehrt, ein jeglich Ding, groß und gering!

Ferner wird erzählt


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