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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT

1. Der gute Mann

Ein alter Mann hatte draußen seine Farm. Wenn er jemandem begegnete, pflegte er den Gruß zu wechseln: , ,Otscherre-Osche furae; botschere-Osche furae (Soll bedeuten: Wenn man gut handelt, fällt es auf einen zurück; wenn man nicht gut handelt, tut man es auch für sich selber.) Der alte Mann erhob sich jeden Morgen schon um fünf Uhr. Dann kochte er Maisspeise; dann kochte er Jamsspeise; dann bereitete er Bohnenkuchen. Er nahm Maisspeise und Jamsspeise und Bohnenkuchen mit sich. Er hängte seine Tasche um, in die steckte er Tabak und eine Tabakspfeife. Er rief seinen Jungen, dem gab er einen großen Wassertopf, den füllte er, so daß er mit viel Wasser, vieler Speise, vielem Tabak jeden Morgen auf seine Farm ging.

Auf seiner Farm stellte er das Essen beiseite, stellte er das Wasser beiseite und hängte er die Tasche mit Tabak und Pfeife hin. Wenn nun irgend jemand an seiner Farm vorüber ging, so begrüßte er ihn erst mit seinem Gruß und sagte dann: "Wenn du etwas Speise haben willst, dort steht welche! Wenn du etwas zu trinken wünschst, dort steht Wasser! Wenn du rauchen willst, dort liegen Pfeife und Tabak in der Tasche!"Jedermann in der Stadt und im Land kannte Otscheere und jeder wußte, daß Otsche-ere das tat um Gutes zu tun. Deshalb hatte er einen sehr guten Namen.

Eines Tages gingen zwei Brüder an Otsche-eres Farm vorüber. Sie waren auf dem Wege zu der Farm ihres Vaters. Der jüngere Bruder ging voran. Der ältere folgte. Der jüngere ging an einer giftigen Schlange vorüber, ohne sie zu sehen. Der ältere sah sie, hob sie, ohne daß der andere etwas davon sah, auf und steckte sie in die Tasche. Sie kamen an Otsche-ere vorüber. Otsche-ere begrüßte sie. Otsche-ere sagte dann: "Wenn ihr etwas Speise haben wollt, da steht welche, wenn ihr etwas zu trinken wünscht, da steht Wasser, wenn ihr etwas rauchen wollt, da stecken Tabak und Pfeife in der Tasche." Der ältere Bruder sagte: "Ich möchte etwas Jamsbrei essen!" Otsche-ere sagte: "Dort steht er! Nimm du nur!" Der jüngere Bruder sagte: "Ich möchte



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eine Pfeife Tabak rauchen!" Otsche-ere sagte: "Dort hängt die Tasche mit Pfeife und Tabak. Nimm dir!"

Der ältere Bruder ging hin und nahm von dem Jamsbrei. Er aß. Der jüngere Bruder ging hin, füllte sich eine Pfeife mit Tabak und rauchte sie. Der Otsche-ere sagte: "Ist mein Name unter den Leuten gut?" Der jüngere Bruder sagte: "Dein Name ist besser, als der aller andern Leute in der Stadt." Der ältere Bruder ärgerte sich hierüber und sagte: "Ich werde den Namen dieses Mannes vernichten." Der jüngere Bruder rauchte die Pfeife aus und steckte sie in den Sack. Der ältere Bruder aß seinen Jams auf und sagte: "Ich möchte noch eine Pfeife mit Tabak rauchen." Otsche-ere sagte: "Dort hängen Pfeife und Tabak in der Tasche. Nimm dir!" Der ältere Bruder nahm sich. Er rauchte; dann steckte er die Pfeife wieder in die Tasche. Dazu legte er aber die giftige Schlange, die er vordem gefangen hatte. Der jüngere Bruder sah es nicht. Otsche-ere konnte es nicht sehen. Er war vom Alter fast blind. Dann gingen die beiden Brüder zu ihrer Arbeit auf ihre Farm.

Später ging der ältere Bruder wieder heim. Er hatte seine Arbeit vollendet. Der jüngere Bruder blieb noch im Busch, um Feuerholz aufzusammeln. Auf dem Heimweg kam der ältere Bruder an Otsche-eres Farm vorbei. Otsche-ere fragte ihn: "Wenn du etwas Speise willst, dort steht solche; wenn du etwas zu trinken willst, dort steht Wasser; wenn du rauchen willst, dort stecken Pfeife und Tabak in der Tasche." Der ältere Bruder sagte: "Ich möchte nur etwas Wasser trinken."Otsche-ere sagte: "So schöpfe dir aus dem Kruge!" Der ältere Bruder schöpfte sich Wasser, trank es und ging dann weiter nach Hause. Inzwischen hatte auch der jüngere Bruder seine Arbeit im Busch beendet. Er kam mit einem Bündel Feuerholz auf dem Kopfe an der Farm Otsche-eres vorbei. Otsche-ere sagte zu ihm: "Wenn du etwas Speise haben willst, dort steht solche; wenn du etwas zu trinken wünschst, dort steht Wasser; wenn du rauchen willst, dort stecken Pfeife und Tabak in der Tasche!" Der jüngere Bruder sagte: "Ja, gib mir ein wenig Tabak und eine Pfeife." Otsche-ere sagte: "Nimm dir nur!" Der jüngere Bruder legte am Wege seine Holzlast ab und kam auf die Farm. Er ging dahin, wo die Tasche hing, dann griff er hinein, um Pfeife und Tabak zu nehmen.

Als er aber in die Tasche griff, biß ihn die kleine giftige Schlange, die der Bruder heute früh hineingesteckt hatte, so daß der jüngere Bruder sogleich starb. Als der Bursche starb, schrie er. Auf den Schrei hin kamen Menschen herbei. Die Menschen sahen, daß der



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Junge tot war und daß ihn eine kleine Schlange gebissen hatte. Die Leute fragten: "Was ist hier geschehen?" Der alte Otsche-ere sagte: "Dieser junge Mensch wollte gerne eine Pfeife Tabak bei mir rauchen. Ich zeigte ihm die Tasche, in der der Tabak war. Er ging hin, er schrie und ist tot." Die Leute sahen in die Tasche. Sie fanden die Schlange. Die Leute sagten: "Du bist schuld an dem Tode dieses Burschen, denn du hast eine giftige Schlange in deiner Tasche!"

Die Leute brachten Otsche-ere vor den Osi. Sie sagten dem Osi alles. Alle Leute kamen bei dem Osi zusammen und sprachen über die Sache. Der Osi sagte endlich: "Ich werde dich töten lassen müssen." Die Leute des Königs standen da und schliffen die Messer. Man wollte Otsche-ere töten, da trat der ältere Bruder in die Mitte und sagte: "Ich will etwas sagen!" Die Leute waren alle still. Der ältere Bruder sagte: "Laßt diesen Otsche-ere leben. Er ist ein guter Mann, der jedem immer das beste gegeben hat, was er hatte. Ich war ärgerlich darüber, daß alle Leute von diesem guten Manne soviel Aufhebens machten. Er sprach mit meinem Bruder über seinen guten Namen. Das ärgerte mich noch mehr. Ich hatte die kleine giftige Schlange in meinem Kleid. Ich steckte sie im Ärger in seine Tasche. Nachher wollte mein Bruder aus dieser Tasche Tabak und Pfeife herausnehmen und ward von der Schlange, die ich hineingesteckt hatte, so gebissen, daß er starb. Otsche-ere ist aber nicht schuld daran, ich bin schuld daran. Otsche-ere sagte selbst immer: "Handle gut, dann wird es dir vergolten; handle nicht gut und es wird dir vergolten. Ich habe schlecht gehandelt."

Der Osi sagte: "Dieser Otsche-ere ist ein sehr guter Mann." Der Osi schenkte ihm viele gute Sachen. Den älteren Bruder gab man seiner Familie, damit die ihn strafe.


Copyright: arpa, 2015.

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