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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT


9. Kapitel: Edschu und das Weltbild

Unter all den vielen Holzschnitzereien, die wir aus dem Jorubalande mit nach Hause brachten, hatte keine Gruppe das allgemeine Interesse so sehr in Anspruch genommen, wie die der Orakelbretter des Ifadienstes. Es sind dies meist kreisrunde, nur zuweilen viereckige Holzplatten, die einen erhabenen und meist reich beschnitzten breiten Rand haben, so daß sie unseren Brottellern nicht ganz unähnlich sind.

Diese Bretter sind auch den Joruba heiligstes Kultgerät. Denn auf ihnen werden alimorgendlich mit Sonnenaufgang die Würfel geworfen, um von ihrem Fall Auskunft über den Verlauf des Tages zu gewinnen.



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Die Schnitzereien auf dem Rand der Bretter sind sehr mannigfaltig, figürlich wie ornamental. Aber mehreres muß im Vergleich auch ein ungeschulteres Auge bald sehen: am häufigsten wiederholt sich eine gewisse Vierteilung, und diese wird dann wieder oft dargestellt durch vier Tiere: Schildkröte, Krebs, Fisch, Spinne. An einer Seite ist aber stets in prominenter Weise ein Kopf angebracht, manchmal mit Händen rechts und links, so daß es aussieht, als klimme ein Mensch von unten her über den Rand der Schale empor.

Dieser Kopf ist das Abbild des Gottes Edschu. Der Gott Edschu, dessen Bild beim Orakel immer nach Osten gewendet ist, präsidiert dem Ifaorakel. Der ganze Ifadienst ist eigentlich ein Edschudienst. Daher gilt es erst, die Art dieses Edschu verstanden zu haben, uni nachher den Ifadienst in seiner ganzen Bedeutung erfassen zu können.



***
Edschu. Edschu! Die schwarzen und weißen Missionare, welche von der Küste vordringend, den Joruben die Lehre vom erlösenden Heiland bringen, haben den Eingeborenen beigebracht, dieser Edschu sei der Teufel. Überall, wo in Joruba ein Missionar war, spricht das Volk heute von Edschu, dem Teufel. Aber geht man in die Gehöfte, spricht man mit den Leuten in wärmeren Tönen, so hört man: "Ja, Edschu, der hat sehr viele Streiche begangen; Edschu hat oft die Leute untereinander zum Kriege gebracht; Edschu hat den Mond versetzt und die Sonne weggetragen; Edschu hat alle Götter zum Kriege untereinander veranlaßt. Aber Edschu ist nicht schlecht. Edschu hat das Beste gebracht, was es gibt: Edschu brachte das Ifaorakel; Edschu brachte die Sonne. Ohne Edschu können die Felder keine Früchte tragen". — Also wohl oder übel werden wir uns mit Edschu befassen müssen, und werden damit beginnen, daß wir ein für allemal den Gedanken von einem Teufel verbannen. Edschu hat nichts mit einem Teufel zu tun, wie überhaupt jede Vorstellung der Bösartigkeit dieses Gottes im Sinne des Mittelalters absolut fehlt. Edschu ist ein lustiger Kumpan, der Streiche ausführt, etwa wie der Gott Maui in Polynesien; er hat aber vor allen Dingen den Menschen Gutes erwiesen, denn er brachte das Ifaorakel; und die Legenden hierüber will ich in der Form erzählen, in der ich sie von einem Manne, der an der Grenze des Kukurukulandes wohnte, hörte.


***
Edschu bringt das Ifaorakel. — In der Vorzeit hatten die Götter großen Hunger. Sie bekamen von den Söhnen, die auf der Erde wanderten, nicht genügend zu essen. Die Götter waren auch unzufrieden miteinander und stritten sich. Einige Götter gingen hin und wollten jagen. Andere Götter, und vor allem der Meeresgott Olokun,



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Bildliche Darstellungen des Gottes Edschu

(coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



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wollten fischen; aber obgleich eine Antilope und ein Fisch gebracht wurden, so genügte das doch nicht für längere Zeit. Die Nachkommen der Götter hatten aber die Götter vergessen, und die Götter fragten sich, wie sie wieder von den Menschen ihre Nahrung bekommen könnten. Die Menschen verbrannten keine Opfer mehr, und die Götter hungerten. Edschu machte sich auf den Weg. Edschu suchte bei Jemaja ein Ding, mit dem er die Neigung der Menschen wieder gewinnen könne. Jemaja sagte: "Du wirst keinen Erfolg haben. Schankpanna hat die Menschen mit Krankheit gezüchtigt; sie kommen aber doch nicht und opfern ihm. Er wird alle Menschen töten, sie werden ihm aber kein Essen bringen. Schango hat den Menschen den Blitz gesandt. Er hat die Menschen getötet. Die Menschen aber kümmern sich nicht um ihn, sie sterben und bringen ihm keine Opfer dar. Wende dich also lieber einer andern Sache zu. Vor dem Tode fürchten sich die Menschen nicht. Gib ihnen etwas, was so gut ist, daß sie sich danach sehnen und deswegen leben bleiben wollen". Edschu ging weiter. Edschu sagte bei sich: "Was ich nicht von Jemaja bekomme, werde ich von Orugan erhalten". Er ging zu Orugan. Orugan sagte: "Ich weiß, weswegen du kommst. Die sechzehn Götter hungern. Nun müssen die sechzehn Götter etwas haben, was sie erfreut. Ich weiß etwas derartiges. Es gibt eine große Sache, die besteht in sechzehn Palmnüssen. Wenn du die sechzehn Palmnüsse erlangst, und wenn du verstehen lernst, was sie sagen, so wirst du die Menschen wieder gewinnen können". Edschu ging dahin, wo die Palmen standen. Edschu erhielt von den Affen sechzehn Palmkerne. Edschu betrachtete die sechzehn Palmkerne. Edschu wußte aber nicht, was er mit den sechzehn Palmkernen machen sollte. Die Affen sagten zu ihm: "Edschu, du weißt nicht, was du mit den palmkernen machen sollst? Nun wollen wir dir aber einen Rat geben. Mit List hast du die sechzehn Palmkerne gewonnen, nun gehe du um die Welt und frage an jedem Orte nach dem Sinn dieser Palmkerne. An sechzehn Orten mußt du gewesen sein, um zu wissen, was die sechzehn Palmkerne bedeuten. An jedem der sechzehn Orte wirst du sechzehn Sprüche kennen lernen. Nach einem Jahre mußt du sechzehn mal sechzehn Sprüche verstehen. Dann kehre wieder zu den sechzehn Göttern zurück. Lehre die Menschen dein Wissen, und dann werden die Menschen dich auch wieder fürchten lernen". Edschu tat, wie er gehört hatte. Edschu ging an den sechzehn Stellen herum. Edschu kehrte zum Himmel zurück.

Edschu lehrte die Götter, was er gelernt hatte. Die Götter sagten: "Dieses ist gut". Dann lehrten die Götter ihre Nachkommen dies Wissen, und nun konnten die Menschen täglich den Willen der Götter und die Geschicke der Zukunft erfahren. Als die sahen, was alles Böses in der Zukunft liege, und was sie dadurch, daß sie opferten,



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Oben: "Origi", ein mit Topfscherben und Stein besetzter ca. 90 cm hoher Lehmkegel des Ifadienstes für den sakralen Turnus; unten: hölzerner Sockel des Schangodienstes (coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



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vermeiden konnten, begannen sie wieder Tiere zu schlachten und für die Götter zu verbrennen. So brachte Edschu die Ifa (Palmkerne) zu den Menschen. Als er zurückkam, blieb er zusammen mit Okun, Schango und Obatalla, und die vier achteten darauf, was die Menschen mit den Ifakernen machen würden.



***
Der Edschudienst. — Edschu wird besonders von den nördlichen Jorubastämmen verehrt. Bei den südlichen geht er, zumal in der Küstenregion, in die Gestalt Elegbas über, eines phallischen Gottes, dessen Eigenart andern Orts zu besprechen ist. Der Edschu der nördlichen Joruben gilt als ein Gott, der vom Niger kommt, also vom Osten. Einmal erhielt ich die Angabe, Edschu sei mit der Sonne gekommen, einmal die andere Angabe, Edschu habe die Sonne gebracht. Edschu muß in irgendeiner Beziehung zur Sonne stehen. Er hat nicht nur die Sonne gebracht, sondern auch die Ifakerne. In der Ifalegende ist er es gewesen, der zum ersten Male die Olokunglasperlen zugänglich gemacht hat. Er ist also ein "Bringer"!

Allenthalben gilt Edschu als eine Art Anführer oder Aufseher der Götter, und zwar der sechzehnzähligen Göttergruppe, deren Mutter nach der Küstenlegende Odudua war. Er ist aber nur in dem Sinne der "Götteraufseher", daß er als ihr Anordner und Obermarschall gewissermaßen für die Ordnung auf dem jorubischen Olymp Sorge trägt. Die Edschuverehrer versichern, daß ohne diesen Gott alle andern Orischa nichts auszuführen imstande seien, und da die Nachkommen der andern Götter zu dieser Behauptung schwiegen und kleinlaut zur Seite sahen, so erkannten sie gewissermaßen die Oberhoheit dieses eigentümlichen Gottes an. Dabei ist er aber gar nicht etwa als König der Götter aufzufassen. Vielmehr als Ordnungsmarschall, wie etwa im Parsivalliede der gestrenge Zeremonienmeister der Tafelrunde des Königs Artus. Der Gott Edschu wohnt an jedem Kreuzwege Orita. Kleine Lehmkegel sind hier errichtet. Lehmkegel stehen auch in den Gehöften der großen Priester des Ifadienstes, und um diese Lehmkegel werden in bestimmter Anordnung zu bestimmten Jahreszeiten Tänze und Rundgange aufgeführt. Edschu ist häufig plastisch dargestellt und stets zeigen die Edschubilder, sei es nun auf Türen oder Brettern oder sonst wo, wenn sie nicht nur als Kopf, sondern auch in ganzer Gestalt auftreten, ein bestimmtes Schema: alle Bilder dieser Art sind im Profil dargestellt, was sonst niemals vorkommt. Alle Edschufiguren zeichnen sich durch unverhältnismäßig große Füße aus. Alle Edschufiguren sind unbekleidet, aber geschlechtslos. Alle Edschufiguren haben einen langen Zopf. Alle Edschufiguren haben etwas im Munde oder in der Hand, oft auch eine Keule über der Schulter. Auffallend häufig wird dem Edschu eine Tabakspfeife oder eine Signaipfeife in die Hand gedrückt.



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Wenn er sonst nichts hat, um es in den Mund zu stecken, so ist es wenigstens der eigene Daumen. Außerordentlich bezeichnend sind diejenigen Darstellungen von Edschu, auf denen rechts und links vom Kopfe des Gottes Schlangen herauswachsen, die dann oft in ein Gerinnsel übergehen. Es ist die charaktervollste Götterfigur in der ganzen Darstellungswelt der Joruben.

Die nördlichen Joruben betonen ebenfalls, daß Edschu der wahre Gott der Aufwiegelei und ein ständiger Hetzer sei, der überall Unfrieden und Unruhe stiften müsse. Wo viele Leute zusammenstehen, muß Edschu sich dazwischen drängen, um sie zu entzweien. Sein eigenstes Element ist das Feuer, die Flamme. Wo ein Haus brennt, da hat Edschu seine Hand im Spiele. Seine eigentliche Wohnstätte ist bei einem unterirdischen Ina (d. h. Feuer). Man sagte mir sogar, er wohne in Bergen, die inwendig ein Ihu (d. h. eine Höhle) haben, die mit Feuer gefüllt sei. Von Zeit zu Zeit breche ein Berg auf, und Edschu, der alte Mann - er gilt immer als ein alter Mann -komme in der Flamme heraus. Es scheint fast so, als ob nach diesen Erzählungen eine dunkle Erinnerung an irgendwelche Ausbrüche von Vulkanen noch lebendig sei. Mit dem Feuer steht er auch insofern in Verbindung, als man ihm kein Opfer ohne Feuer darbringen kann. So wird der Platz, an dem Edschu ein Heiligtum errichtet wird, immer erst mit einem Feuerbrand und mit Asche gereinigt. Das ist genau das gleiche, wie im Dienst Oruns, der Sonne, der aber so gut wie ausgestorben ist. Edschu ist vor allen Dingen auch der unruhige, der ewig wandernde Gott. Der heilige Vogel Edschus im Okmelande ist Equo, die Eule. Das Ewuo der Edschufamilie ist Adi, das schwarze Öl, das aus verbrannten Palmkernen gewonnen wird.

Nun vor allen Dingen das Fest! Das große Fest, das zu Ehren Edschus gefeiert wird, das Odu-Edschu, findet statt im Monat Aroadung, das ist also etwa Ende Juni oder Anfang Juli. (Nach dem, was wir gleich hören werden, muß es Ende Juni sein.) Die Hauptzeremonie dieses Festes scheint in der Errichtung einer neuen, holzgeschnitzten Edschustatue zu bestehen. Der Ille-sude, der Oberherr der Stadt, bringt dann die Figur selbst an ihre Stelle, hebt sie mehrmals im zeremoniellen Rhythmus empor und stellt sie dahin, wo die alte Figur inzwischen entfernt wurde. Die neue Edschufigur empfängt ein kleines Beil, über die Schulter gelegt, und einen Kauribehang. Sie ist für ein Jahr höchstes Heiligtum der Familie. Inzwischen wird die entfernte alte Figur des vorigen Jahres irgendeinem neugeborenen Kinde aus angesehener Edschufamilie anvertraut. Die Figur ist für das ganze Leben dieses Menschenkindes sein erstes Heiligtum. Wenn dieses Fest stattgefunden hat, werden die Tage kürzer. Würde das Fest nicht gefeiert, so würde keine Nacht kommen. —Man sieht also, das ist das Fest der Sonnenwende. Von einem Feuer, das bei



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dieser Gelegenheit angezündet wurde, habe ich allerdings nichts gehört, was ich besonders betonen möchte.

Um den Charakter dieses Gottes noch näher kennen zu lernen, wollen wir einige weiteren Legenden von ihm buchen:

Edschus Schandtaten. Olokun (der Gott des Meeres), Orun (der Gott der Sonne) und Oschu (der Gott des Mondes) hatten im Anfange ein jeder seine eigene Wohnstätte. Olokun lebte im Flusse, also im Wasser. Oschu pflegte jeden Abend sein Haus zu verlassen und bald dahin, bald dorthin in die Welt hinauszugehen. Orun aber stieg jeden Morgen hoch über seinem Hause empor und kam abends wieder zurück.

Eines Tages kam Edschu zu Olokun und sagte zu ihm: "Dein Haus ist nicht gut; komm, ich will dir etwas Besseres zeigen". Obkun sagte: "Gut, zeige es mir"! Edschu ging zu Oschu und sagte: "Dein Platz ist nicht gut! Komm, ich will dir einen besseren zeigen". Oschu sagte: "Gut, zeige ihn mir"! Edschu ging zu Oru und sagte: "Dein Platz ist nicht gut! Komm, ich will dir einen besseren zeigen". Oru sagte: "Gut, zeige ihn mir". Edschu brachte Olokun in Oschus Haus, Orun in Olokuns Haus, Oschu in Oruns Haus.

Oschalla war der Oberherr aller Götter. Er lebte auf einem Kreuzwege, auf dem er sein Haus hatte, und an dem er an jedem Tage Orun und in jeder Nacht Oschu vorbeikommen sah. Am andern Tage aber sah Oschalla Oschu vorbeikommen. Oschalla fragte Oschu: "Was ist das? Du kommst am Tage"? Oschu sagte: "Es kam ein alter Mann und veranlaßte das". Oschalla sagte: "Oschu, du gehst sogleich dahin zurück, wohin ich dich gestellt habe, den alten Mann aber schicke mir einmal her". Oschu ging. Als es Nacht war, kam Orun. Oschalla sah und fragte: "Was ist das? Du kommst in der Nacht"? Orun sagte: "Ein alter Mann hat mir gesagt, er wolle mir das Leben wegnehmen, wenn ich nicht diesen neuen Weg gehe". Oschalla sprach noch mit Orun, da kam Olokun dazu. Oschalla fragte Olokun: "Was machst du hier? Warum bist du nicht im Wasser"? Olokun sagte: "Ein alter Mann hat mir gesagt, ich solle diesen Weg gehen". Oschalla sagte: "So, du gehst sogleich zurück in dein Haus und auf den Weg, den ich dir gesagt habe. —Orun, du gehst auch sogleich in dein Haus und tust das Werk, das ich dir gesagt habe". Orun ging nach Hause. Olokun ging in sein Haus. Edschu ging zu Oschu und sagte zu ihm: "Du, Oschu, wenn du heute nicht das tust, was ich will, dann töte ich dich heute. Geh also in Oruns Haus, und damit du keinen Streit mit Oschalla hast, geh um Oschallas Platz im Bogen herum". Oschu sagte: "Wenn du es so willst, muß ich es tun". Oschu machte sich auf den Weg. Er ging um Oschallas Haus herum und kam zu Oruns Platz. Orun sah Oschu



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Gefäße für die heiligen Ifafarben (coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



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kommen und sagte zu ihm: "Wer kommt da? Hast du hier ein Haus"? Oschu sagte: "Weshalb gehst du nicht aus deinem Hause und läßt mir das Haus"? Oschu und Orun stritten miteinander. Edschu kam dazu. Edschu sagte zu Oschu: "Weshalb läßt du dir das gefallen"? Edschu sagte zu Orun: "Weshalb läßt du dir das gefallen"? Orun und Oschu begannen einen harten Streit. Oschalla hörte den Streit. Er ging zu der Stelle hin. Als Edschu ihn kommen hörte, ging er ihm entgegen und sagte: "Ich habe den Streit schon geschlichtet! Geh nur wieder nach Hause"! Oschalla ging.

Dann ging Edschu in das Wasser zu Olokun und sagte: "Komm heraus, sonst nehme ich dir das Leben". Olokun sagte: "Du hast mir das Leben nicht gegeben". Edschu sagte: "Komm oder ich nehme dir das Leben"! Olokun kam heraus. Edschu zeigte ihm den Weg in den Busch. Oschalla hörte, daß Olokun aus dem Wasser in den Busch gekommen war. Oschalla gab Schankpanna einen Grashalm und sagte: "Geh zu Olokun. Olokun ist gegen meinen Willen in den Busch gegangen. Sage Olokun, er solle und dürfe nicht wieder in das Wasser zurückkehren; denn er war nicht bei mir, als er das Wasser, das ich ihm als Wohnstätte gab, verließ."Schankpanna nahm den Grashalm. Er ging damit zu Olokun und sagte: "Oschalla sendet dir diesen Grashalm. Du hast gegen seinen Willen das Wasser verlassen. Verwandle dich in einen Oke (Hügel)". Olokun verwandelte sich in einen Hügel. Danach kamen alle Kinder Olokuns aus dem Wasser, um Olokun auf dem Hügel aufzusuchen. Edschu traf sie auf dem Wege. Edschu sagte zu ihnen: "Geht durch den Busch zu eurem Vater. Geht nicht bei Oschalla vorüber". Oschalla hörte es. Oschalla sah, daß Olokuns Kinder um ihn herumgegangen waren. Oschalla verwandelte alle Kinder Olokuns in Affen. Seitdem hüpfen Olokuns Kinder als Affen herum.

Oschalla rief nun aber Schankpanna und sagte ihm: "Bringe mir Edschu"! Schankpanna machte sich auf den Weg. Er kam an einen Kreuzweg und fragte: "Wo ist Edschu"? Die Leute sagten: "Edschu ist auf dem Markte". Schankpanna nahm sein Auwo (Binsenbesen zu Zeremonialzwecken) zur Hand und ging damit auf den Markt, auf dem den Angaben nach Edschu sein mußte. Schankpanna traf Edschu. Schankpanna sagte: "Oschalla hat mich hergesandt, um dich zu strafen". Schankpanna nahm seinen Binsenbesen und begann, auf Edschu einzuschlagen. Edschu aber nahm sein Ogo (d. i. Schulterstock). Damit wehrte er die Schläge Schankpannas ab und schlug auf Schankpanna. Orun hörte die Schläge und das Reden der Streitenden. Orun sagte: "Schankpanna ficht mit Edschu. Ich muß unbedingt Schankpanna helfen". Orun kam zu den Streitenden. Orun sagte zu Schankpanna: "Wenn ich meine Augen aufmache, kann Edschu nicht sehen. Das will ich also zuerst machen". Schankpanna



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sagte: "Es ist gut. Tue das"! Orun ging auf Edschu zu. Oruri öffnete seine Augen. Edschu war blind. Schankpanna schlug mit seinem Besen auf Edschu ein. Edschu konnte sich nicht wehren. Oschalla sah das. Oschalla sagte: "Alle kleinen Kinder sollen zu Schankpanna und Orun gehen und jubeln, weil Schankpanna Edschu besiegt hat". Alle kleinen Kinder gingen hin und sagten: "Schankpanna ist stark im Kampfe". Schankpanna schlug inzwischen immer auf Edschu ein. Alle Schläge Schankpannas hinterließen auf dem Körper Edschus Wunden (Striemen). Edschu lief zum Flusse, um sich zu baden. Edschu badete sich. Als Edschu im Wasser war, sagte er: "Nun sollen die Schläge Schankpannas durch das Wasser auf alle Menschen, die in diesem Wasser baden, übergehen, und sie sollen alle Leute wie Feuer brennen. Wer nachher in dem Wasser, in dem Edschu die Striemen Schankpannas gewaschen hat, badet, bekommt die Pocken und die Pockennarben". So ging Edschus Rache auf die Menschen über und ist unter ihnen lebendig geblieben. —

Während in dieser Mythe kosmogonische Züge überwiegen, und der Streit sich unter den Göttern abspielt, so gibt es doch eine ganze Reihe von Erzählungen, in dem die Freude am Geschichtenerzählen sich des schönen Stoffes bemächtigt hat, um möglichst variantenreiche Schilderungen der Bosheit des Gottes zu produzieren. Aus Ojo stammt folgende Geschichte Edschus, in welcher sich ein Zug findet, den wir später als sehr wesentlich erkennen werden.

In alter Zeit machte Olorun erst Enja, den Menschen, dann erst Edschu, den Gott. —Zwei Menschen waren einmal Freunde. Wenn sie ausgingen, trugen sie immer gleiche Kleidung. Alle Leute sagten: "Das sind die besten Freunde". Edschu sah es. Edschu sagte: "Diese beiden sind die besten Freunde. Diese beiden werde ich auseinanderbringen, und damit wird ein guter Anfang für ein ganz großes Idja (ein Rechtsfall, ein Palaver) gegeben sein". Die beiden Freunde hatten ihre Felder nebeneinander. Ein Weg führte zwischen beiden hindurch. Auf dem Wege pflegte Edschu morgens einherzugehen, und zwar hatte er dann eine schwarze Filla (Mütze) auf.

Als Edschu nun den Streit beginnen wollte, machte er sich eine Mütze aus grünem, schwarzem, rotem und weißem Stoff, so daß sie von jeder Seite betrachtet eine besondere Farbe zeigte. Diese Mütze setzte er eines Morgens auf, als er sich auf den Weg durch die Felder machte. Dann nahm er seine Tabakspfeife, aber nicht so wie gewöhnlich in den Mund, sondern er steckte sie in den Nacken, als ob er mit dem Hinterkopfe rauche. Endlich nahm er noch, wie stets, einen Stock, aber er trug ihn ebenfalls umgekehrt, so nämlich, daß er nicht vorn über der Brust, sondern hinten über die Schulter hing. Beide Freunde arbeiteten auf ihren Feldern. Sie sahen einen Augenblick



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auf. Edschu rief ihnen einen Gruß zu. Die Freunde antworteten und arbeiteten dann sogleich weiter.

Nachher gingen die beiden Freunde gemeinsam nach Hause. Der eine sagte zum andern: "Der alte Mann (Edschu) ging heute in anderer Richtung als sonst den Weg zwischen den Feldern. Ich sah es an seiner Pfeife und an seinem Stock". Der andere Freund sagte: "Du irrst dich; er ging in derselben Richtung wie sonst, ich sah es an seinen Schritten". Der erste sagte: "Es ist nicht wahr; ich habe die Pfeife und den Stock zu deutlich gesehen. Auch hatte er heute nicht eine schwarze, sondern eine weiße Kappe auf". Der andere sagte: "Du mußt blind sein oder du hast geschlafen; er hatte eine rote Kappe auf". Der erste sagte: "Du mußt heute morgen schon Palinwein getrunken haben, daß du weder die Farbe, noch die Richtung gesehen hast". Der andere sagte: "Ich habe heute noch keinen Palmwein gesehen. Du scheinst mir aber verrückt zu sein"! Der erste sagte: "Das lügst du alles, um mich zu kränken". Der andere sagte: "Du bist ein Lügner! Ich habe es schon sonst gesehen"! Der eine zog sein Messer und schlug auf den andern ein. Der andere bekam eine Wunde. Er zog sein Messer und schlug es dem einen über den Kopf. Beide liefen fort. Beide bluteten, als sie in der Stadt ankamen. Die Leute sahen es. Die Leute sagten: "Die beiden Freunde sind überfallen worden, es kommt Krieg"! Der eine sagte: "Nein, der Lügner ist nicht mein Freund"! Der andere sagte: "Glaubt dem Lügner nur kein Wort. Wenn er den Mund auftut, fliegen die Lügen heraus".

Edschu war inzwischen zum Könige der Stadt gegangen. Er sagte zum Könige: "Frage doch nur einmal die beiden Freunde, was sie haben! Sie haben sich die Köpfe mit Messern blutig geschlagen". Der König sagte: "Was, diese beiden Freunde, die immer die gleichen Kleider trugen, haben sich geschlagen? Ruft sie"! Die beiden Freunde wurden gerufen. Die beiden Freunde kamen. Der König fragte sie: "Ihr seid beide in einem schlechten Zustande. Wie seid ihr in Streit geraten"? Die beiden sagten: "Wir sind darüber in Streit geraten, was den Weg zwischen unseren Feldern hingegangen ist." Der König fragte: "Wieviel Leute gingen denn über euren Feldweg"? "Es war ein Mann, der alle Tage denselben Weg geht. Erging heute in einer andern Richtung und hatte statt einer schwarzen Kappe eine weiße auf", sagte der eine Freund. Der andere rief: "Er lügt! Der alte Mann hatte eine rote Kappe auf und ging in derselben Richtung wie sonst"! Der König fragte: "Wer kennt den alten Mann"? Edschu sagte: "Ich bin es selbst gewesen. Die beiden streiten sich nur, wie ich es wollte". Edschu zog seine Mütze hervor und sagte: "Ich habe diese Mütze aufgesetzt. Sie ist auf der einen Seite rot, auf der andern weiß. Vorn grün, hinten schwarz. Jeder sah mich



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Geräte des Ifadienstes;

links: Orakeischnüre (Oquelle), rechts: Tasche für die Würfel (cou. L. Frobenius; C. Arriens del.)



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auf seiner Seite anders. Ich steckte meine Pfeife in den Nacken. So gingen meine Schritte nach der einen Seite, mein Anblick aber nach der andern Seite. Die beiden Freunde mußten sich streiten. Das habe ich getan! Streit verbreiten ist meine größte Freude".

Der König hörte Edschu. Der König sagte: "Fangt diesen Mann; bindet ihn; er ist ein Hetzer"! Die Leute wollten Edschu binden. Aber Edschu lief sehr schnell auf einen benachbarten Hügel. Dort schlug er Steine gegeneinander. Er wiederholte das, bis das trockene Gras Feuer fing. Das brennende Gras warf er hinab auf die Stadt. Das Gras fiel auf die Dächer. Die Dächer begannen zu brennen. Edschu warf hierhin Feuer, er warf dorthin Feuer. Er brannte hier ein Haus ab, er brannte dort ein Haus ab. Alle Leute rannten durcheinander. Darauf kam Edschu wieder in die Stadt. Er sah, daß jeder aus den Häusern heraus retten wollte, was er konnte. Der eine trug einen Korb heraus. Der andere trug einen Sack heraus. Der dritte trug Kalebassen heraus. Der vierte trug Töpfe heraus.

Edschu ging unter die Leute. Er sprang zu und nahm die Lasten ab. Wem er die Lasten abnahm, der sah nicht, wem er sie gab; er sprang zurück in das brennende Haus, um noch mehr herauszuholen. Edschu aber trug die Lasten mit den Töpfen zu den Sachen dessen, dem die Lasten mit den Kalebassen zukamen. Die Lasten mit den Kalebassen trug er zu dem, dem die Lasten mit den Körben zukam. Die Last mit den Körben trug er zu dem, dem die Last mit den Säcken zukam. Die Last mit den Säcken trug er zu dem, dem die Last mit den Töpfen zukam. Das Feuer brannte herab. Viele Häuser waren niedergebrannt.

Nach dem Feuer suchte ein jeder seine Sachen zusammen. Der Mann, dem die Kalebassen gehörten, fand sie bei dem Korbmanne. Da sagte er zu dem Korbmanne: "Du bist ein Dieb! Du hast die Verwirrung dazu benützt, meine Lasten zu stehlen"! Der Korbmann selbst sagte: "Die andern sind Diebe"! Der Mann, dem die Töpfe zukamen, sagte zu dem, bei dem er sie fand: "Nun habe ich doch den Dieb! Ich habe schon lange gedacht, daß du ein Dieb bist". In der Wut nahmen alle Stöcke. Sie schlugen aufeinander ein. Sie trafen auf die Kalebassen und Töpfe. Die Töpfe und Kalebassen wurden zerbrochen. Der Mann der Töpfe und der der Kalebassen wurde noch zorniger. Beide begannen mit der Stoßkeule der Frauenmörser aufeinander loszuschlagen. Was das Feuer nicht vernichtet hatte, das zerstörte jetzt die Wut der Menschen. Auch wurden einige Menschen totgeschlagen.

Der König ließ die Wütenden auseinanderbringen. Er fragte sie: "Was ist hier geschehen"? Ein jeder rief immer vom andern: "Das ist ein Dieb! Er hat mich bestohlen, als es brannte". Die andern schrien: "Nein, jener hat mich bestohlen, als es brannte". Die Leute



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schrien alle durcheinander. Der König fragte: "Sind denn alle meine Leute Diebe"? Edschu kam und sagte: "Nein, mein König! Deine Leute sind keine Diebe. Sie sind nur dumm. Ich habe mit ihnen nur gespielt, und sie haben es sehr gut gemacht. Wenn ich wieder einmal sehr lachen will, komme ich wieder hierher". Edschu lief fort. Niemand konnte ihn fangen. —

Nachdem somit ein allgemeines Bild von der mythologischen Eigenart Edschus gegeben ist, soll dem Ifadienst die gebotene Beachtung zuteil werden.



***
Einiführung in den Ifadienst. Kultusgerdt. — Wir wollen uns nun die allgemeinen Handlungen und Sitten des Ifaorakels vergegenwärtigen und dann die ursprüngliche Bedeutung des Systems zu verstehen suchen. Ich betonte schon, daß Ifa eigentlich nur "Palmkerne" heißt, daß Ifa jedenfalls nicht als Gott entstanden ist, sondern mehr ein Orischasystem oder die Grundlage eines Orischasystems darstellt. Nach dem Gesagten kann es nicht auffallen, daß Ifa auch nicht an der Spitze eines totemistischen Klans steht. Ifa hat nicht etwa wie Schango oder Schankpanna oder Oja oder sonst eine Gottheit eine Nachkommenschaft. Vielmehr kann sich dem Ifadienste jeder Mann widmen, ohne daß diese Verehrungsform in irgendeiner Beziehung zu einem der Götter zu bringen ist. Leute, die vollkommen eingeweiht sind in die Geheimnisse dieses Dienstes, nennt man deswegen auch nicht Omo-Ifa (d. h. Sohn des Ifa), sondern Babalawo (Vater des Geheimnisses). Jeder Mensch kann Babalawo werden, wenn er die nötigen Mittel an Geld und Verstand und außerdem die gehörige Ausdauer besitzt. Verfolgen wir den Eintritt eines Jünglings in die Genossenschaft der Babalawo.

Der Novize hat zunächst folgende Ingredienzien zu besorgen: I Ikode, das sind Papageienschwanzfedern; 2. den Fisch Boli; 3. eine Ekete; 4. eine Eku (Maus); 5. die Wurzel Kanka, mitder man wäscht. Der Lehrling hat einen Babalawo gebeten, sein Lehrer zu sein und ihn in die Geheimnisse einzuführen. Seinen Lehrer redet er an mit: Oluwo. Oluwo ist im allgemeinen der oberste Priester des Ifa; aber jeder Novize redet auch seinen Lehrer mit diesem ersten Titel an. Der Oluwo führt den Schüler der die fünf Gegenstände zusammenpackt und auf den Kopf genommen hat, zum nächsten Flusse, in Ibadan zum Oschun. Priester und Novize sind beide ganz weiß gekleidet. Der Priester führt sein heiliges Gerät bei sich. Am Flusse legen sie ihre Dinge nieder, und der Babalawo wäscht den Neuling. Danach wenden sie sich in den Busch. Im Busche befindet sich eine heilige Stelle, welche aus drei aufeinander folgenden breiten Plätzen besteht. Den ersten dürfen alle Leute betreten. Auf dem zweiten findet die erste Einführung des Novizen statt, den dritten, das Allerheiligste,



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darf nur der Priester betreten. Das Zeremoniell beginnt mit einem Mahle. Boli, Ekete und Eku werden gekocht, ein gutes Gericht daraus bereitet und verspeist. Dabei sind anwesend: nur der Priester, der Novize, dem es um Einführung in die Wahrheit zu tun ist, und als Zeuge ein Mitglied aus dessen Familie.

Alsdann öffnet der Priester seine Tasche, eine Ledertasche, deren Rand meistens mit Kauri besetzt ist. Er entnimmt ihr zunächst die sechzehn Palmkerne, die das wichtigste, das fundamentale Gerät bei der Prozedur sind. Ferner birgt die Tasche noch das Oqua-Ifa, das Ifabrett, auf dessen freien Mitteiraum feines Holzmehl gestreut wird. Hier, vor den Augen des Novizen, wird nun einmal das Ifaorakel in der Weise gelesen, wie ich es nachher schildern werde. Aus dem geraden oder ungeraden Fall der geworfenen und aufgegriffenen Kerne ergibt sich eine Reihe von paarweisen oder einzelnen Strichen, von denen immer vier einen Odu ergeben, und nun kommt es darauf an, ob die in dem weißen Mehl des Ifabrettes sich bildenden Zeichen den Willen der Odu verkünden, daß der Jüngling aufgenommen werden soll. Ist die Frage von den Odu bejaht, so ist für heute die Hauptsache erledigt. Hat der Jüngling nun noch irgendeine Frage auf dem Herzen, so kann er sie bei dieser Gelegenheit vorbringen und kann nun zum ersten Male sehen, wie der Babalawo Tages- und Schicksalsfragen aufwirft und die Antwort darauf erhält. Jedenfalls hat damit - um den Ausdruck der Joruben zu wiederholen -"der Herr seinen Knecht gnädig angesehen". Dieser Herr ist aber nicht etwa ein Gott, ein Orischa, um das noch einmal zu betonen, sondern einer der Odu, der Köpfe, die aus dem Zeichen der Palmkernlage sprechen. Danach reibt der Priester dem Jünglinge die Haare weiß ein, bindet ihm die Papageienfedern um und legt ihm das Oquelle (siehe weiter unten) so an, daß die Mitte über die Schulter fällt und die Enden vorn herunterhängen. Er gibt dem jungen Mann sechzehn Palmkerne und sagt zu ihm: "Dies ist dein Ifa".

Sie gehen heim. Der Priester voran. Der Priester trägt das Messer, an dem unten die Glocke ist, voran. Sie treten in das Haus des Priesters und an seine Orakelstelle. Wenn der Neuling die Schwelle überschreitet, streut der Priester weißes Mehl, und heißt ihn damit in dem Hause und im Namen des Ifa willkommen. Denn alles, was weiß ist, und demnach auch das weiße Mehl, ist Ifa heilig. Andere Babalawos kommen nun dazu. Alle begrüßen den Neuling, alle sprechen mit ihm, sie reden von der Tiefe der Weisheit Ifas und der Ehrwürdigkeit dieses Kultus. Und damit befindet er sich in der neuen Gemeinschaft der Babalawo, die viele, viele Leute umfaßt, die dem Ifa ihre Reverenz erweisen, täglich sein Orakel legen und allmorgendlich den Ifa begrüßen.



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Ifabretter; das obere 24 cm, das untere 29 cm im Durchmesser (coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



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Die Einführung in die Orakelkunst geht sehr langsam vor sich Sie währt im allgemeinen drei Jahre. Im ersten Jahre hat der Neuling nichts anderes zu tun, als die Namen der Odu zu lernen. Im zweiten Jahre prägt er sich die heiligen Wahrheiten, soweit er sie versteht und sein Gedächtnis dafür ausreicht, ein. Im dritten Jahre endlich bemüht er sich, die eigentliche Praxis, die Verwertung zu erlernen. Wer es nur darauf abgesehen hat, ein einfacher Babalawo zu werden, ein Mann des einfachen Grades der in drei Klassen gegliederten Weisheitslehrer des Ifadienstes, hat nach diesen drei Jahren das Studium erledigt, und ist nun imstande, jeden Morgen für den Hausbedarf aus dem Fallen des Oquelle oder der Ifakerne Sinn und Wesen des Tages zu erkennen. Wer als Priester den Ifadienst als eigentlichen Beruf erwählt, muß noch einige Jahre studieren, um höheres Ansehen und noch intimere Kenntnis der Weisheiten und Wahrheiten, der Bedeutung der Odus zu erlangen. Als Priester kommt er dann in die zweite Klasse. Den höchsten Grad erreicht nur der Oberpriester, von dem wir nachher sprechen werden. Infolge der vielen Wahrheiten und Weisheitssprüche, die mit jedem Odu verbunden sind, erlernt sich die Orakelkunst Ifas sehr schwer. Die einfache Grundlage der Weisheitssprüche soll allein nicht weniger als 1680 Weisheiten für jeden der 4096 verschiedenen Odus betragen. Es ist natürlich, daß kein Mensch diese immense Summe in seinem Kopfe haben kann, und da es noch immer auf die Auffassung und Anwendung des betreffenden Spruches im Verhältnis der Lage der verschiedenen Odus ankommt, so ist der Auslegung freier Raum gelassen, und dieses Orakel ist ebenso geheimnisvoll wie das einer Pythia oder eines Ammon. Allabendlich geht der Novize zu seinem neuen Lehrmeister. Mit Eintritt der Dunkelheit versenkt er sich täglich in die göttliche Weisheit. Er begleitet den Lehrer hierhin und dorthin und sieht aufmerksam zu, wie der Meister sein Werk betreibt und aus dem Wurfe der Palmkerne oder der Palmkernkette das Orakel liest. Es versteht sich von selbst, daß solcher Unterricht nicht umsonst erteilt wird, und daß ein gutes Einkommen dem Hause des Priesters zufließt.

Der Schüler kauft sich nun ein Adjelle-Ifa, abgekürzt Adjelefa genannt, das ist eine Schale, die von einer Figur getragen wird (siehe "Und Afrika sprach" 1 Abbildungen S. 259-265). Diese Ifaschalen sind von erstaunlicher Mannigfaltigkeit. Einige sind nur mit durchbrochenen ornamentalen Füßen versehen, andere zeigen Tauben, Antilopen, Hühner mit Schlangen im Schnabel, Fische usw. Sehr hübsch sind die Formen, die einen bewaffneten Reiter als Träger haben; diese sind zum Teil mit Speeren, teilweise mit altertümlichen Flinten bewaffnet. Einer hat auf seine Lanze ein Kind aufgespießt, hält aber mit der andern Hand eine Pfeife, die vom Munde bis zum



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Boden reicht, das Bild des ausgebildeten Gemütsmenschen. Ganze Gruppen angesehener Männer und Frauen und Trommler tragen solche Schälchen. Am beliebtesten sind aber Darstellungen aus dem Frauenleben. Bald sitzen zwei Freundinnen nebeneinander; bald nährt eine Frau ein Kind, bald bietet die Frau eine Schale dar, bald sitzt eine Frau am Webstuhl, bald trägt sie in landesüblicher Weise das Kind auf dem Rücken. Eine unendliche Lebensfrische spricht aus dem allen. Vielleicht tritt weniger monumentale Götterdarstellung dabei hervor, desto mehr aber Beobachtung des menschlichen Lebens. Es sind hübsche, kleine Schnitzereien, die, wenn wir nicht wüßten, um was es sich handelt, eher in die Kategorie afrikanischer Frauenstühlchen als in die würdiger Heiligenschreine gerechnet werden müßten.

Außer diesen Schalen, in denen diese sechzehn Kerne liegen, die beiliegende Opfer aus Nußöl und Maismehl mit Wasser empfangen, muß als zweiter, wesentlicher Bestandteil das schon erwähnte Oqua-Ifa, ein Brett, beschafft werden, das dem Süden zu mehr eine viereckige, dem Norden zu vorzüglich eine kreisrunde Form zu haben pflegt. Solche Bretter könnte man mit Brottellern Mitteldeutschlands vergleichen. Diese Bretter sind von ganz außerordentlicher ornamentaler Schönheit und fallen ebenso wie die Osche-Schango aus dem Rahmen der afrikanischen Schnitzformen heraus. Es muß ein tiefer Sinn in diesen Dingen liegen.

Daß dies der Fall ist, geht schon aus der Anordnung hervor. Wohl stets ist oben im Ifabrett ein dominierendes, zum Teil tief in das Brett hineinragendes Antlitz geschnitzt, das wie ein Wächter über der kahlen Innenfläche thront, auf die das Holzmehl gestreut wird und die Zeichen dann mit den Fingern gemalt werden. Dies Antlitz ist zuweilen seitlich mit Händen oder mit Schlangenohren oder mit einfachen Ornamenten abgegrenzt. Dem Antlitz gegenüber oder in genauer Vierteilung auch noch rechts und links finden wir abermals eine Teilung des Raumes, sei es durch einfache Ornamente, stärker betonte Erhabenheiten oder aber Wiederholung von Gesichtern, so daß das ganze gleichsam nach den vier Himmelsrichtungen in vier Abschnitte gegliedert ist, die nun zuweilen mit vornehmer, flacher, feinerer, bald mit einfacherer ornamentaler Musterung bedeckt, bald mit Tieren, Ereignissen aus dem Leben oder sonstigen plastischen Skulpturen ausgefüllt sind. Diese erinnern mehr an mittelamerikanische, streng ornamentale Raumgliederung, als an afrikanische Unmäßigkeit im Phantasiespiel. Es sind eben die schönsten Produkte westafrikanischen alten Kunstgewerbes, und besonders diejenigen Stücke, die dem eigentlichen Oluwo dienen, zeichnen sich durch besondere Schönheit aus. Gelangt ein Babalawo zu der höchsten Stelle eines Oluwo, so erhält er aus dem alten Familienbesitze meist das



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schönste Brett. Und wenn der Babalawo gestorben ist, so wurde ihm in alter Zeit dieses Brett als Unterlage mit in das Grab gegeben. Aus den alten Gräbern haben wir verschiedene derartige Bretter erhalten. Sie sind die schönsten, die von uns aufzutreiben waren. Wenn es überhaupt möglich ist, die Grundlage und die Entstehungsgeschichte des Ifadienstes verstehen zu lernen, so werden wir die Symbolik dieser Bretter studieren und deswegen nachher auf ihren Sinn und ihre Bedeutung zurückkommen müssen.

Als weiteres Ausstattungsstück des Ifadienstes ist das Iroke zu erwähnen. Es ist eine Klapper, ursprünglich wohl aus den Stoßzähnen der Elefanten hergestellt, wie ich nicht nur der ganzen Form, sondern auch der Tatsache entnehme, daß heute noch eine große Reihe aus diesem Material hergestellt wird, und daß auch die in Holz geschnitzten in der vorderen Zuspitzung, in der Krümmung und in der hinteren Aushöhlung so genau den Elfenbeinvorbildern nachgeformt sind, daß oft ein scharfes Hinsehen dazu gehört, um das Holzmaterial des Stückes zu erkennen. In der hinteren, bei Elfenbeinzähnen von Natur vorhandenen trichterförmigen Öffnung ist häufig ein kleiner Schwengel oder Klöppel angebracht, so daß, wenn die Hand das Mittelteil hält, und mit der Spitze gegen das Ifabrett klopft, ein Holzglockengeklapper hervorgerufen wird. Die Mitte des hinteren Teiles des Iroke ist meist in sehr geschmackvoller Weise, sei es mit einfachen Ornamenten, sei es mit einem Kopfe oder einer Figur geschmückt. Mit diesem Iroke klopft der Babalawo jeden Morgen um die Zeit, wenn die Sonne aufgeht, gegen das Ifabrett und begrüßt damit die über dem Ifa thronende Gottheit Edschu.

Ganz besonders wohlhabende Leute haben zudem noch ein Okwong-Ifa, eine Art Koffer mit mehreren inneren Einteilungen. Diese Koffer haben zum Teil und in der Idee eine außerordentliche Ähnlichkeit mit den Mungerri, den schön geschnitzten Holzbüchsen der Bakuba.

Im Zentrum der Innenteilung befindet sich eine Aushöhlung, in der die Ifakerne zu liegen pflegen. Der umgebende Raum zwischen dem mittleren und dem Rande ist in den weitaus meisten Fällen in vier Abteilungen gegliedert, und zwar enthalten diese vier Aushöhlungen der Reihe nach: Lehm, Holzkohle, Kalk und Rotholzfarbe. An Stelle des Lehms ist bei ganz wohlhabenden Leuten auch Emi-Orun (d. h. Exkremente der Sonne), das ist Schwefel, aufbewahrt. Auf die Bedeutung dieser vier Schalenfüllungen werde ich nachher zurückkommen. Außen sind diese Koffer meist sehr hübsch geschmückt mit einer eingeschnittenen oder erhabenen Verzierung. Oft befindet sich dabei ein Kopf, der häufig von Schlangen umgeben ist. Dann finden wir aber auch das Bild einer Schildkröte oder einer Varanus oder eines Kriegers, der einen Gefangenen gepackt hält. In



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Ifabretter; das obere 41 cm breit, das untere 30 cm hoch (coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



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der Mitte hat der Deckel meist einen Knopf, der dem sog. "Nabel" der Mungerri der Bakuba entspricht. Ich erhielt als Bezeichnung fur diese Griffknöpfe "Ischiguang".

Zuletzt sei das Oquelle erwähnt. Das ist eine Schnur, an der acht halbe Palmkerne befestigt sind und die den Enden zu meist in ein zierliches Perlenornament ausläuft. Der Oberpriester in Ife hat ein solches Oquelle, welches mit gelben Nußstücken statt der halben Palmkerne versehen war, und Schüler, die sich in der Kunst des Orakelns übten, verwandten meistenteils eine Oquelle, bei dein die Palmnußkerne durch Kalebassenstücke ersetzt sind. Derjenige, der das Orakel mit dem Oquelle befragen will, ergreift die Schnur in der Mitte, so daß nach den beiden Seiten je vier halbe Palmkerne herabhängen. Beim Hinwerfen der Schnur kommt es nur darauf an, welche von den Palmkernen mit der konvexen, welche mit der konkaven Seite nach oben fallen. Hieraus allein entsteht schon ein Odu oder eine Figur.

Das eigentliche Orakellesen findet nun, je nach dem Zweck, in ganz verschiedener Form statt. Allmorgendlich wirft jeder Babalawo, d. h. also jeder Mann, der überhaupt in die Geheimnisse des Ifakultus eingeweiht ist, das Oquelle. Und die entsprechende Auskunft, die die Odu ihm geben, beziehen sich dann auf das Privatleben und auf die Ereignisse des Tages. Dagegen wird bei allen großen Unternehmungen der Gemeinde oder Ortschaft der Hauptpriester herangezogen. Jeder Herrscher, sei es der Alafin oder der Oni oder einfache Fürstlichkeiten, wie der Bale, haben ihre eigenen Priester, welche vielfach mit dem Titel Araba bezeichnet werden. Dies Wort Araba hat nun aber nichts mit den Arabern zu tun, wie dies hier und da eigentümlicherweise behauptet wird. Als Araba bezeichnet der Jorube jeden hervorragenden Gegenstand. Stehen mehrere Baumwollbäume beieinander, so wird der höchste als Araba bezeichnet Aber Araba ist auch kein eigentlicher Titel des Oberpriesters. Die Priesterherrschaft besteht vielmehr aus folgenden Beamten:

I Der oberste Babalawo oder Oluwo. Oluwo ist der Oberpriester der Gemeinde, aber jeder Zögling redet auch seinen Lehrer so an.

2. Der Stellvertreter des Gemeindeoluwo ist der Odofin. Ist der Oluwo in irgendeiner Weise behindert, so tritt der Odofin an seine Stelle.

3. Der Stellvertreter des Odofin wird als Aro bezeichnet, und dieser nimmt die priesterliche Amtshandlung vor, wenn Oluwo und Odofin gehindert sind.

Weiterhin hat ein jeder Oluwo, Odofin und Aro seinen Gehilfen, welcher als Adjigbona bezeichnet wird. Als Boten, Diener, Pagen fungieren die sog. Asare-Pawo, die wiederum unter sich die Asawo haben. Unter sich sind die Priester auch wieder eingeteilt in Oluwo-



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Ifabretter;

das obere 41 cm, das untere 32,5 cm im Durchmesser (coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



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Otun-Awo und Oluwo-Osi-Awo, denen,,sich der Olopon-Ekeji anschließt. Da Otun und Osi nun "rechter und linker Hand"bedeuten, sehen wir auch hier wieder dieselbe Gliederung, die wir seinerzeit bei der Anordnung des Balestaates der Jegbe- und Egbegruppierungen fanden.

Diese Priester nun lesen das Orakel, und zwar wird die Zeremonie des Palmkernwerfens in folgender Weise vorgenommen: Die sechzehn Palmnüsse heißen Iki oder Aki. Außer ihnen wird noch eine siebzehnte Figur zu Hilfe genommen, die Oduso heißt und in Elfenbein geschnitzt ist. Sie heißt auch Iki, hat aber keine runde oder schalenförmige Gestalt, sondern stellt einen Kopf, und zwar den Kopf des Edschu, dar, was man an dem hinten lang herunterhängenden Zopf erkennen kann. Die Figur steht neben dem Ifabrett und hält gewissermaßen die Wache über die Handlung des Babalawo und den Fall der sechzehn Iki. Der Babalawo bestreut das Ifabrett mit weißem Mehl. Er nimmt die sechzehn Ifakerne und wirft sie in die Luft, der linken Hand zu. Die linke Hand greift sie. Nun kommt es darauf an, ob die Zahl der gefangenen Kerne eine gerade oder ungerade ist. Wenn die linke Hand eine ungerade Zahl faßt, so werden zwei senkrechte Striche gezogen (II). War die Zahl eine gerade, so ergibt sich ein einzelner Strich, der mit dem Finger der rechten Hand auf dem Brette ausgeführt wird (1). Viermal wird geworfen und die Zeichen untereinander geschrieben. Die so entstehende Figur aus vier Zeichen wird als "Medji" oder "Paar" bezeichnet. Achtmal wird dies Verfahren wiederholt, und zwar werden immer zwei Medji nebeneinander, also viermal zwei untereinander, gezeichnet. Die niedergeschriebenen Zahlen sind die Odus, die dem Tagesorakel vorstehen. Abgelesen wird das auf dem Brette in das Mehl gemalte Bild von rechts nach links. Jedes dieser Medji repräsentiert ein Odu, von welchem man annimmt, daß es aus sechzehn Odus besteht, von denen jedes wieder aus sechzehn Odus zusammengesetzt ist usw. Die Odus sind nun die eigentlichen geistigen Faktoren in dem Orakelwesen. Ganz gleichgültig ist es fürs erste, welche Wahrheiten und Weisheiten mit jedem Odu verbunden sind. Für die Erkenntnis des Ursprungs und der Bedeutung des Ganzen ist vor allen Dingen von Wert, festzustellen, welche Bedeutung diese Dinge ursprünglich hatten.

Das Ifabrett und die Himmelsrichtungen. — Um den ursprünglichen Sinn zu erkennen, der diesem komplizierten System des Orakels das Leben gegeben hat, werden wir die einzelnen Tatsachen miteinander vergleichen müssen. Auf den vorhergehenden Seiten habe ich die sechzehn Grundfiguren, die Odus, die Hauptköpfe erwähnt. Jeder dieser Köpfe hat seinen Namen, jeder sein symbolisches Zeichen. Weiterhin habe ich oben die Ifabretter geschildert und gesagt,



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daß auf ihnen fast stets die vier Himmelsrichtungen in irgendeiner Weise betont sind, nicht selten durch vier das ganze in vier Teile gliedernde Köpfe. Der Priester, der das Orakel liest, wendet sich stets mit dem Gesicht nach Osten und legt das Brett immer in derselben Weise vor sich auf den Boden. Zum mindesten ist auf jedem Brette ein Antlitz dargestellt. Auf dieses Antlitz schaut der betende Priester, so daß er es zwischen sich und der Sonne hat. Dieses Antlitz nun heißt Edschu-ogbe. Es entspricht ganz genau dem Odu Nr. I Auf Brettern, die mit vier Gesichtern verziert sind, entspricht das dem Edschu-ogbe gegenüberliegende, also mit der Stirne dem Betenden zugekehrte, dem Zeichen Ojako-Medji, das, welches der Babalawo rechts hat, dem Evori-Medji, das, welches der Babalawo links hat, dem Odi-Medji. Wir haben also eine vollkommen klare Gliederung, welche auch den Babalawos noch allgemein bekannt zu sein scheint. Wenigstens habe ich diese grundlegende Erklärung sowohl in Ibadan als in Ife, als auch bei den Joruben in Lokoja erhalten. Hinsichtlich weiterer Mitteilungen versagten meine Mitarbeiter so gut wie ganz. Nur ein alter Babalawo in Lokoja konnte mir noch hinsichtlich der vier Köpfe sagen: "Als in alter, alter Zeit einmal alles durcheinandergemengt und jung und alt gestorben war, da rief der Olodu-mare (= Gott) Edschu-ogbe und sagte: "Du, ordne die Gegend im Sonnenaufgang". Er sagte zu Ojako-Medji: "Du, ordne die Gegend um Sonnenuntergang". Darauf machte am Morgen Edschu-ogbe die Gegend im Osten gut, und am Abend Ojako-Medji diejenige im Westen". —Damit hört die Legende auf und mit dem wirklichen Wissen des alten Babalawo war es zu Ende. Als ich nun über die Tätigkeit des Evori-Medji Nachricht einziehen wollte, sagte er, daß er eine Gegend von Sonnenaufgang bis Abend geordnet habe und daß Odi-Medji ihm dabei helfe. Letzteres kam sehr zögernd heraus, der Mann war offenbar unsicher. Dann faselte er noch einigen Unsinn und war am Ende.

In Wahrheit ist für uns die Sache nicht ganz so schwierig zu erklären, wie es im ersten Augenblick scheint. Nachdem wir einmal erkannt haben, daß die vier Himmelsrichtungen auf den Brettern dargestellt sind und nachdem die vier Himmelsrichtungen mit den wichtigsten vier Odus identifiziert sind, nachdem sich ergeben hat, daß das Brett immer in derselben Weise gehalten und abgelesen werden muß, können wir verschiedene Dinge in Parallele setzen. Der Priester, der mir die Einteilung des Brettes in vier Glieder erklärte, malte in den Sand das Bild, welches ich neben dem Ifabrett auf S. XIV abgebildet habe. Er stellte als die vier Zeichen für Osten und Westen, Norden und Süden gleichsam die Hügel zu einem Kreuz zusammen, so daß Edschu-ogbe nach Ojako-Medji überging und Evori-Medji nach Odi-Medji. Er bezeichnete dann die von Osten



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nach Westen verlaufende Linie als den "Hauptweg" und die von Süden nach Norden gezeichnete als "den zweiten Weg". Über die Bedeutung der Wege befragt, sagte er, auf dem Hauptwege besuche Edschu den Schango, und auf dem zweiten Wege besuche Obatalla den Ogun. Es ist also ganz klar, daß dem Osten der Gott Edschu, dem Westen der Gott Schango, dem Süden der Gott Obatalla und dem Norden der Gott Ogun vorsteht. Wenn irgendwelche Zweifel über die Ursprünglichkeit dieser Angaben bestehen, so können diese leicht zerstört werden.

Ich erwähnte oben die Koffer der Ifaleute, welche in der Mitte die sechzehn Ifakerne und in vier Schalen, die nach den vier Himmelsrichtungen geordnet sind, vier verschiedene Stoffe enthalten. In Ifa erklärte mir nun ein Oluwo, daß die mit Schwefel oder Lehm gefüllte Schale das Opfer für Edschu aufnehme, die mit Kohlen gefüllte das für Schango und die mit Kalk gefüllte das für Obatalla, die mit Rotholz gefüllte dasjenige für Ogun. Daraus ergibt sich, daß in der Tat die Richtungslage der Götter damit ganz genau übereinstimmt. Wir finden auch hier wieder, genau wie in der Angabe über den Weg, Obatalla den Ogun gegenübergestellt (auf dem zweiten Wege) und Edschu dem Schango (auf dem Hauptwege). Dazu können wir noch eine dritte Angabe heranziehen, die sich ganz harmlos in eine der vorhergehenden Edschulegenden eingeschlichen hat. Als Edschu nämlich den Streit unter die Leute bringen will, geht er zwischen den Feldern der beiden Freunde hin. Er geht wohlgemerkt in umgekehrter Richtung seinem Schritte nach. Er hat eine Mütze auf, die vier verschiedene Farben hat. Es steht ausdrücklich in der Legende, daß die Mütze vorn grün, hinten schwarz, demnach auf der linken Seite rot, auf der rechten weiß war. Grün ist hier gleich zu setzen mit Gelb. Dann haben wir aber das Bild, daß der Gott, auf der Hauptstraße umgekehrter Richtung gehend, gelb dem Osten, schwarz dem Westen und die beiden Farben Obatallas und Oguns nach den beiden Enden des zweiten Weges (Norden und Süden) den herrschenden Göttern zuwendet. Also haben wir in dieser Legende das Bild der Wanderung über den Hauptweg, und zwar einer umgekehrt gerichteten Hauptwanderung (in der Umkehrung liegt der Grund des Streites), beschrieben. Es würde demnach also zu folgern sein, daß die vier Himmelsrichtungen, nach denen die sich kreuzenden beiden Weltwege sich wenden, von vier Göttern beherrscht werden. Es handelt sich nun um die Frage, ob wir vielleicht nicht noch anderes Beweismaterial für die Richtigkeit dieser verschiedenen, soweit untereinander glänzend übereinstimmenden Angaben finden.

Das ist nun in der Tat so.



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Ifabretter;

das obere 41 cm hoch, das untere 54 cm breit (coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



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Die Götter der Woche und der Jahreszeiten. — Die entsprechende Parallele finden wir in der Gliederung der Jorubawoche. Die Joruben haben fünf Wochentage, welche ihrem Zeremoniell nach folgendermaßen geordnet sind:

I Odjo-awo, das ist der Tag des Geheimnisses, also der Tag Ifas.

2. Odjo-Ogun, das ist der Tag des Schmiede-, Schwert-und Kriegsgottes Ogun.

3. Odjo-Jakuta. Jakuta bedeutet so viel wie Steinschleuderer und bezieht sich stets auf den Gott Schango, welcher eben die Donnerkeile zur Erde sendet.

4. Odjo-Osche-Oschalla. Dies ist der heilige Tag des Himmeisgottes Oschalla oder Obatalla. Das ist gleichzeitig der heilige Tag für alle Götter, welche eine weiße Perlenkette, das Tschedsche-feng, um den Hals zu tragen pflegen.

5. Endlich haben wir den Odjo-Osche, das ist der heilige Tag, an dem die sämtlichen Götter in der Weise verehrt werden, daß ihre Tempel gereinigt und gewissermaßen sonntäglich geschmückt werden.

In Ife heißen die betreffenden Tage: der erste Odjafe (Ifas Tag), der zweite Aje-badju (Schangos Tag), der dritte Iremo (Oschallas Tag), der vierte Nikogun (Oguns Tag), der fünfte Aje-Osche (der heilige Tag). Die Woche als solche heißt Arun-Osche, d. h. die heilige Woche. Die Gliederung findet sich noch bei verschiedenen Stämmen der Westküste, während sonst im allgemeinen im großen südwestlichen Kassai- und Kongobecken die viertägige Woche und im Sudan die sieben- und neuntägige Woche vorherrscht. Die Woche gliedert sich also demnach in zwei verschiedene Teile, von denen der erste Teil die vier den bestimmten Göttern geweihten Tage enthält, während der zweite einen heiligen Tag hat, der gewissermaßen in der Mitte steht. Sehr wichtig ist nun die Angabe, die ich von einem Manne aus Alt-Ojo erhielt, der zufolge nämlich an allen vier Tagen vordem nicht je einer, sondern vier Götter verehrt werden, dies also zusammen eine Verehrung von sechzehn Hauptgöttern ergab.

Vergleichen wir nun den einen Teil der Woche, so sehen wir sich einander folgen: I die Verehrung des im Osten wohnenden Edschu, 2. die Verehrung des im Norden wohnenden Ogun, 3. die Verehrung des im Westen wohnenden Schango, 4. die Verehrung des im Süden wohnenden Obatalla. Daraus folgt, daß diese Gliederung genau dem Bilde entspricht, das wir von der Stellung der vier Haupt-Odu gewonnen haben. Aber wir sind in der Lage, noch ein anderes Vergleichsmoment heranzuziehen. Bei Ilescha gab es in alter Zeit einen Hügel, der als ganz besonders heilig galt und um den herum dementsprechend eine Stadt gegründet war. In der Mitte des Hügels war der Beschreibung nach ein Denkmal errichtet, das vier nach den



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verschiedenen Himmelsrichtungen gewandte Köpfe zeigte. Diese vier Köpfe mußten in regelmäßigen Zeitabständen viermal im Jahre beopfert werden, und zwar ward jedesmal ein kleines Kind dargebracht. Als Opfertage wurden mir angegeben: Im Juni ein Opfer für den nach Osten gewandten Kopf, im September ein Opfer für den nach Norden gewandten Kopf, im Dezember ein Opfer für den nach Westen gewandten Kopf, im März ein Opfer für den nach Süden gewandten Kopf. Dazu bemerke ich, daß der Priester, wenn er mit seinen Anhängern um den im Hofe des Edschuheiligtums errichteten kleinen Erdhügel den zeremoniellen Tanz aufführt, zuerst auf der Ostseite ein Opfer darbringt und dann nach Norden, Westen und Süden herumschreitet. Vergleichen wir damit unsere andern Angaben, so sehen wir, daß genau ebenso den vier Köpfen auf den Hügeln bei Ilescha in den vier Vierteln des Jahres geopfert wurde, und daß in genau derselben Reihenfolge die Wochentage heilig sind, nämlich der erste dem im Osten wohnenden Edschu, der zweite dem im Norden wohnenden Ogun, der dritte dem im Westen wohnenden Schango, der vierte dem im Süden wohnenden Obatalla. Eine größere Übereinstimmung ist unmöglich. Die Reihenfolge der Gebete (der sakrale Turnus), die Bedeutung der Formen des Kuitgerätes, die Reihenfolge der Wochentage, die Reihenfolge der Jahreszeitenopfer und die Umwendung beim Gebete (der sakrale Turnus also) entsprechen einander ganz haarscharf.

Aber noch mehr. In der Legende, in welcher erzählt wird, wie Edschu seinerzeit in den Besitz der Ifakerne gekommen ist, wurde angegeben, daß der Gott die Geheimnisse und die Wahrheiten der Würfel auf einer Wanderung, und zwar im Verlaufe eines Jahres an sechzehn Stellen in Erfahrung bringen müsse. Also treffen wir hier wieder die sechzehn Götter, die dem viermalviergliedrigen Systeme genau entsprechen, die sechzehn Götter, von denen die Ursprungslegende sagt, daß sie einstmals gleichzeitig von Jemaja in Ife geboren worden seien, die sechzehn Götter, die genau den sechzehn Odus des ganzen Orakelsystems entsprechen.

Wir haben also ein System, das in einem Hauptwege, der Sonnenfahrt entsprechend, den Osten mit dem Westen und auf dem zweiten Wege den Süden mit dem Norden verbindet. Ein System, welches das Weitrund im Kreislauf von Osten über Norden gehend umschreibt. Die Mütze auf Edschus Haupt, die vier Köpfe auf den Ifabrettern, der Inhalt der Kofferausschalungen entsprechen einander ganz genau. Wir haben also nicht eine Gruppe zusammengewürfelter Einzelheiten vor uns, sondern ein großes System, eine Weltauffassung, deren Zusammengehörigkeit heute den Eingeborenen zwar nicht mehr bekannt ist, aber aus den Einzelheiten noch mit großer Leichtigkeit rekonstruiert werden kann. In diesem Systeme ist uns der



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Grund geboten, weswegen das System der Götter sowie jede Einrichtung des politischen und des sozialen Lebens von einem Rechts und einem Links ausgeht, da eben die Welt, entsprechend der Direktion der Hauptstraße, auch in ein Rechts und Links zerfällt.

Verbreitung der Welt bildidee in Westafrika. —Ehe wir die Schilderung des Weltbildes der Joruben abschließen, ist es aber wichtig, die Frage aufzuwerfen, ob diese Vorstellung der Vierteilung der Welt in Afrika allein bei den Joruben heimisch ist oder auch bei andern Afrikanern. Da muß ich sagen, daß ich außerhalb des eigentlichen Nigergebietes bisher nichts Entsprechendes gefunden habe. Dagegen vermag ich auf zwei Anschauungen hinzuweisen, welche eine gewisse Verwandtschaft mit solchen Ideen belegen. Schon eine bei den Songai, von denen ich bei Mopti folgende Erklärung in bezug auf die Weltanschauung gewann: Im Himmel gibt es acht Wesen, welche den Regen auf die Erde senden. Zwei heißen Gala und wohnen im Osten, zwei heißen Sala und wohnen im Westen, zwei heißen Arba und wohnen im Norden, zwei heißen Mika und wohnen im Süden. Je nach dem Vorherrschen der entsprechenden Paare gibt es Regen oder Trockenheit. Im allgemeinen gilt als Anführer Gala, und zwar Gala-Babila. Welchen Gegenden die einzelnen Götter vorstehen, haben wir gesehen, welchen Jahreszeiten, das vermochte ich nicht mehr festzustellen.

Ferner fand ich ein ähnliches System bei den Mande, und zwar dasselbe, an das wir oben gelegentlich des Gewittergottes erinnert wurden (vgl. Bd. VIII). Saga-djigi, Tulluguri, Kunato und Fianto heißen hier die vier Himmeisgötter. Von diesen wohnt Saga-djigi, der Gewitterwidder, im Westen, also wie bei den Joruben, während an den drei andern eine entsprechende Verteilung nach den drei Himmelsrichtungen den verschiedenen Angaben nach schwankt. Ähnliche Anschauungen haben auch die Mahnke. Wir sehen also, daß von Senegambien aus eine gleiche Vorstellung bis über den mittleren Niger hinaus bei den Völkern, die nahe am Strome wohnen, noch heimisch ist, daß sie sich aber am unteren Niger bei den Joruben in vollkommenster Ausbildung erhalten hat. Ich werde Gelegenheit haben, über diese Verteilung im letzten Bande zu sprechen, betone aber hier, daß für die Beurteilung der afrikanischen Heimat oder des Einzuges in Afrika wesentlich sein muß, Ausläufer in Nachbargebieten zu finden.

Die größte und wichtigste Frage ist nun für uns die, ob wir irgendwo in der alten Kulturwelt ein annähernd gleiches Weltbild wieder finden. Im ersten Kapitel dieses Bandes ist die Antwort ausgedrückt.


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