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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT


6. Kapitel: Die heilige Stadt

Die Joruba sind ein fleißiges und erwerbstüchtiges Volk. Landbau und Handel sind ihnen angenehme Berufe und dazu zeigen sie eine entschiedene Neigung, sich das Neue und Einträgliche zu eigen zu machen. Neuerdings haben sie sich auf den Anbau von Kakao geworfen. Den Handel zwischen der Küste und Haussaland haben sie aber ebenfalls in verschiedenen Perioden emsig betrieben. Gerade hierdurch wuchsen ihre Städte zu den gewaltigen Formen an, die sie heute haben. Der Handel zwischen den islamitischen Ländern im (Jorden und der sklavenhandelnde Europäer an der Küste hat natürlich der kulturellen Lehre Ausdehnung, aber nicht Vertiefung gegeben. Die Religiosität nahm ernsten Schaden und es zeugt von echt afrikanisch-konservativem Geist, daß das geräuschvolle Tageund Erwerbsleben nicht schon den ganzen Bestand verschlungen hat.

Das mythologisch-zeremonielle Wesen ist also noch vorhanden, aber es hat sich im allgemeinen doch etwas schämig verkrochen. So in den meisten größeren Orten. Unter diesen Umständen ist es ein unbezahlbarer Gewinn, daß das heilige Centrum des Jorubalandes, die Stadt des "Papstes der Joruba", daß das altehrwürdige Ife sich aus zeremoniellen Gründen bis vor kurzer Zeit mit modernem Handel und Verkehr nicht einlassen wollte, und daß dadurch an dieser Stelle ein Bestand wunderbarer Altertümlichkeit gerettet wurde. — Ein Blick in das Leben und Treiben dieser hocheigenartigen Stätte läßt alles Vorhergesagte und nachher zu Berichtende in seiner Originalität besonders klar erscheinen.



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Die Stadt Ife — Der eigentliche Name der Stadt, in der es uns gelang, die ersten Spuren einer hohen Kultur und höheren Kunstform als Reste eines vorgeschichtlichen Altertums nachzuweisen, ist genau geschrieben: hufe, d. h. nach der Volksetymologie: (hie = Haus) Haus Ifas oder auch Haus der Palmkerne. Das Volk spricht schlechtweg von Ife, was eine Abkürzung sein dürfte, die auf der englischen Generalstabskarte irrtümlich in Ite verwandelt ist. Im übrigen lernte ich noch andere Bezeichnungen kennen. In Ibadan nannte man als heiligen (heilig =osche) Namen der Stadt zunächst Illai, dann Ilioni und endlich Illokun. Die erstere Benennung ist gänzlich zu verwerfen. Die Illai oder besser Illari sind Beamte und Boten des Priesterkönigs, die überallhin ins Land gesandt werden, um die Befehle des hohen Herrn zu überbringen. Daher soll die Bezeichnung Illai kommen, die aber schlecht und auch so gut wie verschwunden ist. Nur alte Leute wissen, daß sie zur Zeit eines jetzt längst verdorrten Johannistriebes aufkam, als man sich scheute, den wahren Namen der Stadt auszusprechen. hlioni oder Ille-oni, d. h. die Stadt des Oni, des Papstes der Joruben, hat mehr Berechtigung, ist aber auch mehr eine Umschreibung, als ein echter Name. Dagegen hat der heilige Name Illokun ein ebensolches Recht wie hufe. hllokun, richtiger Ille-olokun, d. h. "Stadt des Meergottes", ist ein Name, der wohl ebenso alt ist wie hufe oder Ife. Ich hörte ihn nur dreimal: einmal in Atakpame (also in der deutschen Kolonie Togo), einmal in Wagadugu (im Mossilande, in der Mitte des Nigerbogens) und einmal in Lagos. Im eigentlichen Bannkreise der Stadt und in dem weithin über das Land ausgedehnten Wirkungskreis des Oni wird er nicht mehr gehört. Ifa hat den Gott Olokun überwunden, wenigstens dem Namen nach. Ich habe den Eindruck gewonnen, als ob die beiden Namen Ilife und Olokun gleich alt sind. So bietet allein schon der Name der Stadt eine reiche Fülle von Anregungen zum Nachdenken. In ihrer Mannigfaltigkeit spiegelt sich der Wechsel historischer Umformungen und die Kompliziertheit der, wenn auch noch so einheitlichen Auffassung des Weltbildes. Und aus dem bunten Gemenge der Namen erkennen wir eigenartige, historische und geistige Tiefe.

Diese Mannigfaltigkeit der Namen und der daraus erkennbare Wechsel läßt aber noch etwas anderes erkennen: einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Namenswechsel in Westafrika und der Namensstarre der Nordrande des Erdteils. Namen, die in Marokko, Algier und Tunis, in der Cyrenaika und Ägypten schon in der arabischen Zeit leicht verknüpfbar mit klassischen Erbstücken waren, Namen, die dort als solche schon vor der Zeit christlicher Zeitrechnung stammen, sind heute noch lebendig. Wir vermögen deshalb historisch anzuknüpfen, was wir in Westafrika nicht können. Die



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Namen, die die alten Römer und Griechen den Städten dort im Nordlande gaben (oder auch, die sie vorfanden), sind heute noch leicht wiederzuerkennen, und das Alexandria des großen griechischen Stadtgründers hat heute noch bei uns den gleichen Namen und erlitt bei den Arabern die leichte Umwandlung in Iskandria. Weshalb das so ist, vermögen wir leicht zu erkennen. Die kulturgeschichtliche Entwicklung unserer Zeit knüpfte hier eben an die des Altertums unmittelbar an. Es hat in dieser Beziehung nie eine Unterbrechung stattgefunden; wohl haben Herrscher und herrschende Völker gewechselt, wohl haben die leitenden Kulturgedanken und Kulturformen sich in aller möglichen Weise umgewandelt, aber die Beziehung als solche blieb ununterbrochen, und das Fundament der Kultur bedeutet für das Altertum in jenen Ländern dasselbe, was es heute ist.

So sind die nordafrikanischen Orte und Volksnamen durchaus ererbt, starr, historisch greifbar, zeugniskräftig. Und solche Zeugniskraft ist überhaupt charakteristisch für alle Namengebung in allen jenen Nordländern. Hierfür will ich ein Beispiel geben, um den westafrikanischen Gegensatz deutlicher zu machen. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts nannten die Nubier und Ägypter alle Leute, die von Timbuktu oder dem Nigerbogen oder aus den Haussaländern nach Osten kamen, also alle auf diesem Wege nach Mekka befindlichen Pilger Tekrori (oder ähnlich). Heute werden sie Fellata genannt. Ein altes Reich Tekrur bestand im Nigerbogen, südwestlich von Timbuktu, im Anfange des Mittelalters. Es ist schon seit langer, langer Zeit nicht mehr vorhanden. Der Name blieb aber, weil die Beziehung nie aufhörte. Erst als die enorme umwälzende Kraft der Fullani oder Fellata dem westlichen oder zentralen Sudan ein anderes Antlitz gab, begann der neue Name Fellata sich einzubürgern, und heute, nachdem die Fellata keine staatenbildende Rolle mehr spielen, ist er üblich geworden. Das sind Beweise fester, ununterbrochener Beziehung.

Ganz anders in Westafrika. Schon in den Geschichtsbüchern der Araber wechseln die Namen stark. Die rapide vor sich gegangenen Umwälzungen haben keinen Namen bis zu dokumentaler Kraft und traditioneller Festigung kommen lassen. Sie schwanken. Das beweist uns, daß diese Länder lange Zeit hindurch von den Beziehungen zum Mittelmeer und von den Beziehungen zur Ostkultur abgeschnitten waren.



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Die geographische Lage Ilifes ist so bemerkenswert und eigenartig, daß wir aus ihr allein schon die merkwürdige Tatsache verstehen können, daß aus klassischer und vorchristlicher Zeit eine Stadtanlage bis heute absolut die gleiche bleiben konnte. Ilife liegt im Quellgebiet



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des Oniflusses, und zwar westlich einer Hügelkette von Granitköpfen. Am Fuße dieser Kuppe dehnt sich ein schwammiges Land aus, welches eine Unzahl von Quellen und rieselnden Wasseradern, von Sümpfen und Morästen in bunter Abwechslung aufweist. In der Mitte dieser wasserreichen Landschaft liegt auf einer leichten Anhöhe, die nur eine einzige Kuppe (den Elle-sije) aufweist, die heilige Stadt. Als wir von Ibadan nach Ilife kamen, mußten wir einen Damm passieren, der durch ein mehrere Kilometer langes Sumpf- und Queliland geführt war. Will man weiter nach Westen über Modeke marschieren, hat man einen Sumpf zu überschreiten. Sumpfland ist nach Ilescha hin zu kreuzen; in Sumpfland kommt man, wenn man über das Idenaheiligtum hinaus nach Südosten wandert; Sumpf ist im Süden. Also liegt die Stadt ziemlich unverrückbar in Sümpfe eingekeilt. Sie ist aber nicht nur dadurch festgelagert; sie ist für einfache, afrikanische Kriegsverhältnisse so gut wie uneinnehmbar. — Der Fluß Oni aber, der nach Süden durch die Lagunen in das Meer abfließt, hat seinen Namen von der sicheren Lage des Wohnortes seiner Heiligkeit des Oni.

Infolge dieser Lage ist aber Ilife auch durch Fruchtbarkeit ausgezeichnet. Gewaltige Wälder und herrliche Bananenhaine sind die Zeugen. Weit dehnen sich, zumal nach Ilescha hin, die Felder aus. Es ist von bedeutendem kulturgeschichtlichem Interesse, daß die Ilifeleute sich fast nur von Mais und Bananen nähren, sogar heute, zur Zeit des großen Verkehrs, daß Jams nur selten und teuer, daß Sorghum aber in der Stadt überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Die Ilifer sind ein ausgesprochen maisessendes Volk. —So liegt Ilife an der Nordgrenze der westafrikanischen Küstenländer. Als wir nach Norden, nach Ede, einmarschierten, kamen wir in die Mitte zwischen Ilife und Oschun in die typische Grassteppe, der kein Waldriese mehr angehört. In Ilife besteht die Oberdecke der Dächer noch aus Blättern, in Ede aber lediglich aus Stroh. Anderseits aber bietet Ilife selbst wieder einige gute Symptome der Einwirkung und der Nähe des Steppenlandes: Im Hofe des Königspalastes und an einem Markte stehen wundervolle Boababbäume, Wahrzeichen kultureller Beziehung zum Norden. Es waren die südlichsten, durchaus vereinzelten und augenscheinlich angepflanzten Exemplare ihrer Art, die ich auf dieser Reise kennen lernte.

Das sind die wesentlichsten geographischen Grundlagen, die uns die Lebensdauer dieser Stadt, wenn auch natürlich nicht erklären, so doch wenigstens verständlich machen.



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Das Leben in Ife. — Die heutige Stadt ist gebaut wie alle Städte lider zentralen Joruba. Sie setzt sich zusammen aus einer großen Anzahl Gehöftsanlagen von verschiedener Ausdehnung, die aber



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durchaus die Charakterzüge ererbter Wohihabenheit tragen. Man sieht sowohl die häßlichen Symptome modernen, negerhaften, lagosgeborenen Parvenütums, als auch die Spuren wirklichen Verfalls ganz außerordentlich selten. Hier sind noch nicht die mächtigen Gehöfte alter Patriarchen weggeräumt, um neuen Aufkömmlingen und ihren absurden Affenkäfigen Platz zu machen. Das gewaltige Blätterstrohdach herrscht noch in Ife, und die Stadt hatte im Jahre 1910 nur zwei Wellblechdächer.

Zwei ziemlich parallele Hauptstraßen verlaufen von Modeke nach den Zentren der Stadt. Sie sind breit genug, um dem Getümmel des wirtschaftlichen Lebens Raum zu bieten. Hier und da erweitern sie sich zu Märkten. Aber wenn neben jedem Marktplatze in Ibadan ein oder mehrere Heiligtümer von Orischas gelegen sind, so ist das in Ilife nicht der Fall. Die großen und wichtigen Gottheiten wohnen alle der Stadtmauer nahe, innerhalb der Peripherie.

Wenn der Haupthandelsverkehr an diesen weiten Straßen sich abspielt, so soll damit nicht gesagt werden, daß nicht auch anderweitig gehandelt werde. Kleine Kaufstätten findet man in der Brunnenstraße und an den Wegen nach Ebolokun, dem Idenheiligtume, und an der Ileschastraße. Nur bei einer bedeutenden Anlage wird so gut wie kein Handel getrieben, was sehr vornehm wirkt; das ist der Platz vor dem Onipalast. Vor dem Palaste der fürstlichen Oni darf niemand sitzen; auf dem Platze selbst weiden nur dann und wann die Ochsen Seiner Heiligkeit, und nur da, wo der Ebolokunweg abzweigt, hökern einige alte Weiber.

Die Stadt scheint durchaus nicht ebenmäßig gebaut. Hier und da trifft man auf eine Trümmerstätte, wenn auch viel seltener als in dem den modernen Wirtschaftskrisen unterworfenen Ibadan. Aber die geographische Lage bringt dafür angenehm anzuschauende Abwechslung: hier und da ein Wässerlein, einen Sumpf, einen Bananenhain und höheren Baumwuchs. Am üppigsten entwickelt sich solche tropische Pracht an den beiden Straßen nach Ebolokun und dem Idenaheiligtume. Hier wandert man auf langen Strecken zwischen hohen Blätterwänden und unter mächtigen Palmen und wohlerhaltenen Urwaldruinen. Die "heilige" Palme ragt hier und da empor, und ein aus ihren Kronen gebildetes Blättertor führt dann zu jenen heiligen Nebenstraßen und Plätzen, die ich weiter unten schildern will.

So kann es denn kein Zweifel sein, daß schon diese ganze Anlage und Bauweise der Stadt Ilife den Charakter einer wohltuenden Eigenart verleiht. Und wenn ich das ganze Leben und Treiben, den Gesamteindruck der Götter- und Palmenstadt zusammenfassen soll, so kann ich zwar nicht von etwas Großem und Erhabenem sprechen, das liegt hier zu tief vergraben im Erdreich und Schutt der Jahrhun



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derte, wohl aber von einer träumerischen Vornehmheit, die in dieser Hinsicht durchaus an die Weltfremdheit einer seitab vom großen Tagesleben gelegenen mitteldeutschen Residenzstadt gemahnt.

So das Stadtbild, dessen Wirkung durch die gewaltigen Ruinen des Palastes Seiner Heiligkeit und durch das Bewußtsein traditioneller Vergangenheit noch gehoben wird. So auch die Bewohnerschaft, die ihrem Wesen nach so altertümlich ist, wie sie sich der Kenner des jorubischen Landes nur wünschen kann. Tracht und Gestus wirken hier zusammen. Hier fällt nicht der betriebsame Händlertypus unangenehm auf die Nerven. Hier dominiert die Achtung vor den alten Würdenträgern. Diese Leute sind noch nicht so abgehetzt, daß sie gerade nur noch Zeit zum Schnapsgenuß erübrigen. Hier wird nicht nur vom Geschäft geredet; hier wird vor allem außerordentlich stimmungsvoll, wenn ich auch nicht gerade sagen will, sehr gehaltreich, geschwiegen. Schweigen und Grüßen sind die beiden großen Betätigungen der Vornehmen in Ilife.

Das Schweigen brauche ich nicht besonders zu schildern. Es kann zuletzt an jedem Biertisch einer jeden europäischen Klein- und Großstadt mit der gleichen Würde betrieben werden wie in Ilife. Anders verhält es sich mit dem Gruße, dessen verschiedene Varianten uns allerdings in Europa als etwas sehr Merkwürdiges auffallen würden. Schon andere Jorubastämme müssen als vorbildlich höflich im Gruße, ja nach unserem Begriffe als etwas weitgehend hierin bezeichnet werden. Die Ilifer haben aber in leichter Vanierung eine so sublime, feinnuancierte Art im Zeremoniell geschaffen, daß jeder Kenner, sei er nun fürstlicher Zeremonienmeister oder königlicher Ballettmeister, seine wahre Freude daran haben müßte. Leider bin ich in diesem Fache außerordentlich Laie, und ich kann hier nur vom Effekt sprechen, nicht aber von der feinen Unterscheidungstechnik. Aber wenn eine Iliferin oder ein Ilifer sich begrüßen, sei es durch einfache schlichte Verneigung (die hier die bescheidenste Bewegungsart im Gruße ist), sei es durch Niederknien, sei es durch Sich-auf-den-Grund-werfen, sei es im Stirnbodenkuß, gleichviel, immer liegt eine Gemessenheit, eine Großartigkeit, eine Würde, eine ernste Hingabe darin, die jede Geste, jeden Faltenwurf, die das Ganze als durchaus bedeutungsvolle und wesentliche Sache erkennbar werden läßt. Ohne jede besondere Verschwendung von Aufmerksamkeit muß allein schon hierin jeder Beobachter die ganz auffallende Würde und die Gemessenheit und Wichtigkeit wahrnehmen, die vornehmere wie ärmere Eingeborenen den Verkehrsformen beimessen.

Eine so auffallende Würde, eine Art, das Kleid und den Schal und den Rock zu bewegen und zu werfen, eine Kunst in der Gestaltung ihrer Bewegungssilhouette haben diese Menschen, daß der Zuschauer



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zunächst mit Recht zu der Überzeugung kommt: diese Menschen müssen ungemein viel Zeit übrig haben. Und einmal bei solchem Gedankengang angelangt, fragen wir weiter, wie denn das ganze Leben aussieht, das hinter dieser schönen und durchaus einmütigen Maskerade sich abspielt. Das ist meist eine schwierige Frage, aber sie ist im vorliegenden Falle nicht unschwer zu beantworten. In den vorhergehenden Kapiteln habe ich die von der alten Kultur zeugenden Geisteseigenschaften und Verwertung des Intellekts der Joruben ja schon als sehr hochstehend geschildert. Die Ilifer sind durchaus Joruben, und als solche den andern im allgemeinen auch gleichgeartet. Aber ebensogut wie die Bürger einer europäischen, seitab der Verkehrstraße gelegenen Provinzialstadt von den Bewohnern der Riesenstädte desselben Landes abweichen, ebenso die Ilifer von den Ibadanern oder Lagosern. Das Ifevolk ist, um es besonders auszusprechen, als Volks- und Rassentypus im allgemeinen der Bürgerschaft anderer Jorubastädte als gleichbedeutend zur Seite zustellen, seiner Erziehung und Ausbildung nach aber jedenfalls zurückgebliebener, interessenärmer, reaktionärer und hinterwäldlerischer zu bezeichnen. Anderseits sind die Ilifer fraglos ausgeglichener, charakteristischer und insofern auch dem Typus und Wesen nach vollendeter.

Es liegt im Typus der Ilifer etwas Starres und als charakteristische Eigenschaft ist mir immer wieder die innere Armut der Leute erschienen. Das ist natürlich für den Kulturhistoriker ungemein auffallend und mag zunächst befremdend und unverständlich erscheinen, wenn man bedenkt, daß Ilife der religiöse Mittelpunkt, oder wie die Bewohner selbst sagen, der "Nabel" des sozial-religiösen Lebens der Joruben, die Stadt des Priesterherrschers, das eigentliche Rom des ganzen Jorubalandes ist. Das klingt widerspruchsvoll; denn reaktionär war die Priesterschaft manchen Volkes, aber gedankenarm ist sie doch wohl selten. Gerade das erschien mir aber besonders wesentlich. Hier liegt der Kernpunkt des Rätsels, das diese eigenartige Stadt Afrikas bietet, klar zutage; diese Menschen verwalten ein Erbgut, dessen Entstehung nichts mehr mit der ihnen heute eigenen Art zu tun hat. Das Ilifer Volk lagert wie ein schläfriger Drachen über dem Golde der vorgeschichtlichen Prunkkammer. Gedankenarm, weil verständnislos, hüten sie die alte Stätte, die ihnen Ansehen, hoheitsvolle Stellung und religiöse Vormacht im Jorubareiche verleiht, einfach, weil sie die alte Stätte bewohnen, weil das Blut ihrer ersten Gründer und Schöpfer in ihrer Masse aufgegangen und verdunstet ist, nicht aber, weil das heute noch vorhandene Wesen etwas anderes als nur Äußerliches aus dem Bereiche des Altertums und der Periode geistiger Schöpfungskraft Stammendes herübergerettet hat. Es ist ganz erstaunlich, welchen Stumpfsinn die Leute



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bei ihrer "Auslegung" den ihnen überall sich aufdrängenden Resten aus alter Zeit entgegenbringen; es ist notorisch, daß die Ilifer in den religiösen Dingen die ärmsten geworden sind, weil Steine und Terrakottafiguren ihrem verständnislosen Auslegebedürfnis Starrheit verliehen und die Beweglichkeit raubten, jene Beweglichkeit, die beim Beobachten und Bedenken selbstgemachter, vergänglicher und oft zu erneuernder Holzbildnisse eigener Produktion vermehrt, variiert und vielleicht sogar entwickelt wird.

Also erstarrt und verarmt, weil Inhalt und Form hierbei im Zwiespalt liegen. Die Form des Altertums blieb bestehen; aber um den Inhalt lebendig zu erhalten, dazu reicht das eingeimpfte Blut nicht aus; die Symptome des Negertums überwucherten die fremden Pflanzen allzu üppig. Wir werden das in den kurzen, geschichtlichen Notizen, die ich zu gewinnen vermochte, abgespiegelt finden. Die Ilifer bieten jedenfalls unter allen mir bekannt gewordenen Afrikanern, sogar die isolierten Bergstämme nicht ausgenommen, das typische Beispiel geistiger Inzucht infolge mangelnden Kampfes ums Dasein und um die Erhaltung und Förderung ihres geistigen Besitztums. Sie wurden immer gleichmäßig als Besitzer der ältesten Monumente geehrt und geachtet und geschätzt. Alle Joruben waren darin einig, daß Ife als heilige Stadt geschützt werden müsse. So floß ihnen kein neues Blut zu. So wurden sie nie erweckt zu einer tatkräftigen Handlung. So verkümmerten sie geistig in der gleichen Weise wie alle irdischen und kulturellen Wesen, die mühsam vor Betätigung geschützt werden, und deshalb, weil derart geschützt, verweichlichen, atrophieren und verkümmern.

Wir haben versucht, in die Seele dieser Menschen zu blicken. Nun dürfen wir fragen, ob das im inneren Wesen und an den Werken Beobachtete auch irgendwie aus Physiognomien und Kulturbildung spricht. Ich gebe den andern Joruben vor meiner eigenen Ansicht den Vortritt. Diese pflegen von den Ilifern zu sagen: "Die Ilifer sind so gelb wie die Kukuruku; sie sind nicht so schwarz wie die andern Joruben". Ich kann das nicht entscheiden, einmal, weil auch die andern Joruben einen ungemein starken Zusatz von gelben Elementen haben, und zwar dies ganz besonders im Adel, so daß man die Joruben unmöglich als "schwarz" bezeichnen kann, dann auch, weil die Ilifer ebenfalls einen recht beträchtlichen Teil dunkler Leute unter sich haben. Also ist die Ansicht der Eingeborenen, wie meist in solchem Falle, verallgemeinert und übertrieben. Aber das eine stimmt als richtige Beobachtung: die Zahl der gelben Menschen ist unter den ufern eine auffallend hohe. Unter "gelb" muß man hier die Hautfarbe der Malaien verstehen, nicht etwa die der Chinesen. Diese auffallend extreme helle Farbe konnte ich nun in der Umgebung des Oni unter hundert Leuten bei fünf, bei Versammlungen



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der Vornehmen ganz genau entsprechend unter zwanzig bei je einem Individuum feststellen.

Es ist nicht schwer, die Familien der Adligen bei den Ilifern zu erkennen: Diese sind entweder gänzlich ohne Ziernarben, was in Westafrika sehr auffallen muß, oder aber sie haben nur eine Linie unter jedem Auge, die dann vom Lid zur Backe verläuft. Nur den Angehörigen solcher Familien, die gar keine oder diese eine Narbenverzierung haben, ist es in Ilife gestattet, die alten heiligen Plätze zu besuchen. Besonders im Bereiche der ersteren trifft man sehr viele gelbe, wirklich auffallend gelbe Leute. Arriens hat eine Skizze einer alten Frau entworfen, die ganz ungemein charakteristisch und gut in Farbe und Form getroffen ist; man würde diese Alte nie als Afrikanerin, weit eher als eine Eingeborene von Sumatra oder Borneo ansprechen.

Ferner sagen die Joruben: "Die Ilifer reden nicht unsere Sprache". Auch das ist übertrieben und sogar falsch. Die ufer sind, linguistisch genommen, so waschechte Joruben, wie nur irgendein verwandter Stamm. Sie verstehen sich untereinander so vollständig, wie das bei Abweichungen nur möglich ist. Dennoch hört man manchen recht fremdartigen Ausdruck. Ich stelle hier wenigstens einige wenige einander gegenüber.

Es heißt: In Ibadan In Ilife
Mein Freund Oremi Onukumi
Was ist das? Etiché? Kini?
Gib mir Befumi! Mukomi!

Mit Absicht stelle ich gerade diese paar Worte auf, weil sie noch eine andere Sache zur Erinnerung bringen. Die Ausdrücke, die ich hier als Ilifedialekt angebe, wird man nämlich in ganz gleicher Aussprache und Bedeutung im Dialekte der Joruben im deutschen Atakpamelande wiederfinden, und zwar aus dem Munde von Leuten aus Dume, Kamina, Tschetiquo usw. In der Tat scheinen diese Dialekte bis in auffallende Kleinigkeiten hinein sich zu gleichen, und in dieser Übereinstimmung der Hauptgruppe der Jorubadialekte gegenüberzustehen. Diese Übereinstimmung zwischen Ilifern und Atakpamern ist aber auch in andern Dingen zu bemerken. So werden wir gleich die eigenartige Form der Strohmitra der alten Patriarchen kennen lernen. Das gleiche Bild wiederum in Ife und Atakpame. Dann herrschen hüben und drüben auch schon jene Familien mit dem einen Längsschnitt vom Augenlid zum Backenknochen, und endlich nun, um die Sache zum Schlusse zu bringen, geben die deutschen Joruben an, aus Ilife oder Ife zu stammen. Und als Beleg hierfür legen sie auch jene schönen und eigenartig langen Glasperlen vor, die man im englischen Jorubalande angeblich nur im Heiligtume Olokuns, in Ebolokun, findet, die aber auch in einer bestimmten Gegend des deutschen Togolandes ausgegraben werden können.



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Der Oni und sein Palast. — Das, was jedem Besucher des heutigen Ilife am meisten auffallen muß, ist der Palast des Oni, dessen massige Mauern, von welcher Seite man auch kommen mag, einem entgegenblicken. Besonders die Front mit dem schönen, davor ausgebreiteten Platze bietet auch heute noch in ihrer Ruinenhaftigkeit einen imposanten Anblick. Das Mauerwerk der Fassade ist leidlich erhalten. Aber es ist abgespült, ausgewaschen, haltlos. Es sind gewaltige Mauern, unten über einen Meter stark und über fünf Meter hoch. Von dem weit überragenden Dachgerüst und der Verandadeckung sind nur noch klobige Stützbalken, kümmerliches Sparrenwerk und Bambuslatten erhalten. Noch einige Regenzeiten, und das Gerüstwerk ist zusammengebrochen; noch einige Dezennien, und die hochstrebenden Mauern sind ebenso eingestürzt wie die Wälle an den andern Seiten. Man steigt über Trümmer älterer Mauern und über den Schutt vergangener Jahrhunderte die Stufen zum Tore hinauf. Man findet die mächtige Eingangspforte durch einen schönen geschnitzten Türflügel geschlossen, aber - wie bezeichnend! — er ist verkehrt eingehängt. Seit zwanzig und vielleicht mehr Jahren stehen die Figuren der Schnitzereien auf dem Kopf! Wer sieht es? Wen stört es? Stumpfsinn verwaltet eben in [life den ererbten Reichtum!

Ein schmaler Vorhof führt auf einen großen Platz, auf dem, wie in alten, so in der letzten der verschiedenen verflossenen Glanzperioden der heilige Fürst Hof hielt. Galerieartige Veranden und Gänge laufen rund herum, und dem Eintretenden gerade gegenüber liegt der Thronplatz des kirchlichen Fürsten. Die Macht und Bedeutung des Oni sind heute so gering, daß er zu seinen pomphaften Festen dieses mächtigen Platzes nicht mehr bedarf. Ein kleiner Raum genügt dem Bedürfnis.

Wir überqueren den großen, alten Zeremonienplatz, gehen durch Tor, durch Gänge und betreten den ersten von den drei kleinen Höfen, die sich nach links hinziehen. Im äußersten, am meisten nach links zu gelegenen thront jetzt der Fürst, dem diese enge Stätte zur Hofhaltung heutzutage gerade paßt. Von da aus führt der Weg in die Privaträume des hohen Herrn, die nicht mehr allzuviel Platz einnehmen; leider ist sogar ein moderner Bau im Küstenstil darunter. Dieser steht aber nicht, wie die andern Teile des Palastes, auf altem, vordem, wie aus allem hervorgeht, aus Brandziegeln gemauertem Fundament.

Das ist jetzt alles! Der Stil entspricht dem allgemeinen Jorubastil, der aus Tembenbau und Satteldachschutz mit Verandenvorbau besteht, und der auch hier mehrere Impluvialanlagen gezeitigt hat. Bei den meisten der Gebäude des Onipalastes kann man sehen, daß auch ältere Mauern schon auf ganz alten, sehr schweren und festgemauerten



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Fundamenten neu aufgekleistert sind. Daß die ganze Anlage sich in der Neuzeit besonders geändert habe, ist nicht wahrscheinlich. Eine stürzende Mauer wurde immer wieder durch neue Lehmwände ersetzt. Aber das Ganze ist auf diesem Grundbau eingeschrumpft und außerdem jämmerlich verkommen. Daß einst das Riesengehöft mit Bauwerken vollkommen ausgefüllt war, ist leicht zu sehen. An den Innenseiten der großen Umfassungsmauer erkennt man noch die Löcher, in welche die Tragbalken eingelegt waren; galerieartig umgaben hier Ställe und Gesindehäuser auf der einen Seite, Frauengemächer auf der andern die Höfe und Rüstkammern, von denen heute nicht mehr als einige Trümmer aus dem hohen Unkraut und Gestrüpp aufragen, und an die der Fuß der königlichen Prinzen manchmal stoßen mag, wenn sie die heutige Bestimmung des internen Palasthofes erfüllen, nämlich, ihre Bedürfnisse darauf zu erledigen. Einst ragte hier ein pomphaftes Gebäude aus richtigen gebrannten Ziegeln, geschmückt mit Ziegelkacheln und allerhand Ornamenten empor! Einst stampften hier Rosse, einst dampften hier Rauchopfer empor, und manches Menschenleben ist hier unter den. Gebeten der höchsten Priester dieses merkwürdigen Landes hingeschlachtet worden.

Andere Zeiten, andere Bilder! Sehen wir erst, was der Oni heute ist, besuchen wir einige seiner Audienzen!

Wir durchschreiten die drei kleinen Impluvialhöfe, die wir nach dem Passieren des alten großen Empfangsplatzes erreicht haben, nach links hin und werden am Ende des letzten unter dem baldachinartigen Verandavorbau zum Sitzen aufgefordert. Vor uns erhebt sich nun eine Nische, die in der Mitte eine geschnitzte Türe aufweist, und zu der zwei hohe, an der ganzen Wand sich hinziehende Stufen emporführen. Nachdem wir uns niedergelassen haben, erscheint ein lilari, der dadurch als solcher charakterisiert ist, daß sein Oberkörper entblößt, höchstens mit einem Umschlagtuch, nie aber mit einer Tobe bedeckt, und daß sein Kopf auf der einen Seite glatt geschoren ist, während auf der andern die Haare einen Zentimeter hoch bürstenartig emporstehen. Der lilari teilt uns mit, daß der Oni sogleich erscheinen werde.

In der Tat deutet das auch das Auftreten zweier anderer Diener an (man muß sich diese lilari oder Diener ebenso wie diejenigen der Mossi, Dagomba, Kotokolli als etwa zwanzig bis dreißig Jahre alte Männer, nicht aber als junge Burschen vorstellen), deren einer mit einem Besen die Mittelteile der Stufen reinfegt, während der andere davor auf dem Boden eine Matte ausbreitet. Ein dritter lilari bringt ein dickes Lederpolster, das vor die Stufen hingelegt wird, und auf dem Seine Heiligkeit nachher Platz nimmt.

Darauf erscheinen schon einige alte Männer, jeder mit einem runden



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Feilfächer, der meist mit aufgelegten Mustern bedeckt und entsprechend der Längsrichtung des Stieles diagonal zu einem Halbmonde zusammengeklappt werden kann. Dieser Fächer wird als Unterlage vor die unteren Stufen auf der linken Seite neben dem Onikissen hingelegt, und der Alte setzt sich nieder. Diese Alten auf der linken Seite des Kirchenfürsten sind nicht eigentlich derart hohe Herren, wie die nachher kommenden, sondern nur angesehene Familienälteste. Nach ihnen kommt aber aus den geheimen Gebäuden des Hintergrundes der Zug der eigentlichen Prälaten, der Egarefe. Sie sind alle mit einer eigenartigen, mitraähnlichen, feinen, strohgeflochtenen Mütze geschmückt. Sie sind sehr alt, treten in Gemeinsamkeit und sehr feierlich auf und lassen sich auf der rechten Seite des Onisitzes vor den Stufen nieder, nachdem sie ihre Fächer untergelegt haben. Eine längere Pause verstreicht, und dann endlich erscheint Seine Heiligkeit. Vor der Öffentlichkeit ist der Oni stets in reiche, bunt gemusterte, aus europäischen Seidenstoffen hergestellte Toben gekleidet, und trägt auf dem Kopfe eine Mitra aus ähnlichem Stoffe und reich mit Goldborte besetzt. Im Privatleben ist er wie jeder Ilifer in eine Toga gehüllt.

Der derzeitige Oni ist jung, etwa zwischen zwanzig bis dreißig Jahre alt, etwas fett und schwerfällig, ein an sich gutmütiger Mensch, seit der Mitte des Jahres 1910 auf dem Throne und dementsprechend noch etwas schüchtern und leicht verlegen. Gleich den Mossiherrschern hat er an sich und von sich aus nicht viel zu sagen, und somit ist es alles in allem kein Wunder, wenn er nicht sehr sicher auftritt, vielmehr zurückhaltend und etwas scheu ist. Dieser kirchliche Fürst tritt zusammen mit seinen lilari auf, die zwei Reihen hinter ihm in der Nische Platz nehmen und die ihm, nachdem er sich auf dem Lederkissen niedergelassen hat, Wind zufächeln oder die weite Tobe auf und nieder wehen, so daß sie ihm Kühlung gewährt.

Der Oni sitzt nun ziemlich steif da. Jeder Anwesende oder noch Ankommende wirft sich zum Gruße auf die Knie nieder und berührt die Erde erst mit der Mitte der Stirn, dann mit der linken, endlich mit der rechten Schläfe. Das wird dreimal wiederholt. Der Fürst dankt durch ein leises Gemurmel und unmerkliche Kopfbewegung. Nach morgenländischer Art sitzt er möglichst gleichgültig da, und das mag ja einem aufgeweckten, erfahrenen und energischen, will sagen einem verhältnismäßig selbständigen Herrscher nach afrikanischer Art ganz wohl anstehen. Der gegenwärtige Oni ist aber weder aufgeweckt noch erfahren, noch energisch, noch, im geringsten selbständig. Und so kann seine Gleichgültigkeit und das vorsichtige Hinäugen nach den Alten nicht gerade sehr imposant wirken. Das läßt sich besonders bei jeder Wendung der Unterhaltung und Besprechung bemerken. Der Oni ist in seiner Stellung viel



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zu vorsichtig, um irgendeine direkte Zusage oder Ablehnung auszusprechen. Wird ihm etwas vorgeschlagen, so sieht er dem alten Sprecher in die Augen, läßt sich das Wünschenswerte einflüstern, betont dann und wann bei passenden Gelegenheiten die Güte und Vortrefflichkeit der gegenwärtigen Prälaten und Patriarchen und hat im übrigen, wie ich aus seinem eigenen Munde gehört habe, eine heilige Angst davor, daß seine Geschäftsführung den gestrengen Alten mißfallen könnte, und diese ihn demnach mit kräftigen Mitteln aus dem Wege schaffen könnten. Der Oni ist Puppe in den Händen der so harmlos dreinschauenden Alten, genau so, wie so mancher andere Sudanfürst, zu dem die ihn umgebende Greisenschaft ostentativ ergeben und unterwürfig aufschaut, solange andere anwesend sind, und den sie doch in jeder wichtigen Sache so beeinflußt, wie es ihr paßt. Dieses Spiel finden wir immer wieder, ganz besonders hier im Onipalast. Man braucht nur über die Reihen der an den Thronstufen entlang bockenden Alten hinzuschauen, um auf den ersten Blick zwar nur den Ausdruck der ehrerbietigsten Ergebenheit wahrzunehmen, die man kaum anders als wie mit dem häßlichen Worte "Speichelleckerei" bezeichnen kann. Beobachtet man aber dann länger und eindringlicher, dann nimmt man eine ganz entgegengesetzte Tendenz wahr; man sieht, daß diese Greise ununterbrochen scharf aufpassen, was der hohe Herr nun wohl sagen und tun werde; und an dem gelegentlichen Winken mit den Augen erkennt man, wie eifersüchtig sie über der Aufrechterhaltung und Durchführung ihres Willens wachen.

Geht somit vom Oni selbst keinerlei Kraft im produktiven Sinne aus, so gilt das von seinem Prälatenstab noch viel mehr. Alle diese Leute kleben lediglich am Alten, am Ererbten, an Privilegien und Ansprüchen und dem sorgfältigen Innehalten von Zeremonien und Zelebrationen, welche beiden letzteren aber durchaus unverstanden bleiben und nur immer wieder äffisch nachgeahmt werden. Dabei sind sie augenscheinlich von ständiger Eifersucht geplagt. Jeder beobachtet aufs schärfste den Nachbarn und die andern Greise und ist offensichtlich darauf bedacht, daß nicht etwa ein anderer einen größeren Machteinfluß auf den Herrscher gewinne als er selbst. Es ist ein ungemein kleinliches Spiel, ein widerliches Haschen um die kleinsten Erfolge des Einflusses, ein beständiges Abwiegen der Bedeutung der eigenen Person und der eigenen Familie gegenüber den andern.

Ich will hier die Schilderung des Hofhaltes damit abschließen, daß ich die Prälaten und Patriarchen aufzähle, und zwar werde ich bei ihnen gleichzeitig die Götter angeben, die sie heute verehren. Man zählt im ganzen siebzehn Kirchenfürsten, von denen ich die ersten acht wohl besser als "Prälaten", die andern neun als "Patriarchen" bezeichnen kann.



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I. Igia-rua J 4. 3. 2. Arode Aguro Djaran Prälaten (Egarefe) 5. Gjagu-osin 6. Arunto 7. Abadjo 8. Balorun 9. Oba-Lara 10. Oba-Lejugbe 11. Balea 12. Oba-Lasse Patriarchen 13. 13. 14. 15. 16. 17. (Agbafe) Oba-Uarra Okogun Olokere Oba-dio Awa-okun diese fünf verehren die gleiche Gottheit wie der Oni selbst, also den Orischa Lajamisan Osun Orimfe Omitoto Obalufan Orise-teko t seinen verehrt Leuten mit allen den Orischa (La) Orischa Olu-orogbo Elefan Oroninyan Abagede Oba-dio Olokun

Es war recht schwierig, über die soziale Stellung dieser siebzehn Herren etwas Spezielles zu vernehmen. Ich will hier versuchen, das wiederzugeben, was aus den Traditionen noch zu erkennen ist. Die Machtstellung und die historische Vergangenheit der Ämter scheint eine recht verschiedene zu sein. Die ersten fünf Herren sind aus dem eigenen Klan der jetzigen Onidynastie, und der Oni darf nichts ohne sie unternehmen. Diese hohen Herren, deren Stellung wie die aller andern erblich ist, pflegen alimorgendlich im Palaste zu einer ersten Begrüßung anzutreten und mit dem Oni alles zu besprechen; da sie sich auch stets untereinander einigen, so ist er immer informiert über den Willen seiner "Ratgeber". Daß sie bei solcher Audienz sehr unterwürfig tun, ändert nichts an der Tatsache, daß sie die eigentlichen Herren der Stadt und des Staates sind.

Während die ersten fünf heute zum Klan des Oni gehören, haben die andern zwölf ein jeder seinen eigenen Orischa. Sie sind Vorstände von Stadtteilen, die früher mit der Einteilung in Klansiedelungen identisch waren. Die Söhne siedeln sich immer beim Vater, die Brüder aber durchweg nebeneinander an. Wenn nun diese Aufstellung der Fürsten im Reiche der alten Verhältnisse entsprechend war, so müßten demnach um den einen Wohnsitz des Oni herum zwölf andere Klane gebildet und angesiedelt gewesen sein. Das ist aber nicht so. Der Tradition nach besteht Ife in alter Zeit eben aus siebzehn Stadtteilen, d. h. einem zentralen, vier nach den vier Himmelsrichtungen gelegenen, und zwölf zu je drei dazwischen geschobenen. Die Zahl ist also in der Gesamtzahl der Prälaten und Patriarchen wohl erhalten, dagegen die Gruppierung und Verehrung der Götter eine veränderte. Wir wollen zunächst daran festhalten,



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daß also Ife in alter Zeit in siebzehn Gebiete zerfiel, vergessen dabei aber nicht, daß die Verehrung der Klangruppe sich, den Angaben der Eingeborenen entsprechend, seit der alten Zeit stark verschoben hat. Ich werde auf diese Tatsache zurückkommen.

Die Stellung der Patriarchen und Prälaten ist erblich. Jeder von ihnen hat Rechtsprechung, Gebührenerhebung und Verwaltung eines Stadtteiles und somit Quartiervorherrschaft. Dabei geben die Leute selbst an, daß das Zusammenwohnen nach bestimmten Klanen durchaus nicht mehr so gesetzmäßig ist wie früher. In alter Zeit war das Stadtrund verschiedenen Orischas zugeteilt. Heute wohnen die verschiedenen Göttersöhne ohne bestimmte Ordnung durcheinander. Feststellen konnte ich, daß, genau dem alten Gehöftverteilungssystem entsprechend, die Agbafe heute noch bei Audienzen und öffentlichen Sitzungen links vom Herrscher, die Egarefe aber rechts von seinem Sitz Platz zu nehmen haben. Weiterhin erinnerte sich mein alter Schamane noch der Angabe eines Greises, derzufolge sowohl die Agbafe, als auch die Egarefe je acht gewesen sind, daß der neunte Agbafe aber der Nachkomme einer inzwischen verdrängten Onidynastie sei.

Das Auftreten der Egarefe ist ganz besonders feierlich. Wenn solch ein alter Mann mit seiner Strohmitra über die Straße schreitet, gehen kleine Buben vor ihm her, die eine eiserne Glocke schlagen, so daß die Ankunft des hohen Herrn und Würdenträgers immer sehr weit voraus bekannt gegeben wird.

Das wichtige und wesentliche der Oniherrschaft besteht darin, daß der Fürst als Besitzer aller alten Heiligtümer des Landes und als Papst aller Joruben gilt. Das ist eine Stellung, die ihm niemand bestreitet, wenn auch der Anspruch auf Macht ein recht schwach fundierter ist. In Wahrheit ist der Fürst nur noch der Tradition nach der kirchliche Fürst; und zwar deshalb, weil die Dynastie des jetzigen Oni die eines Usurpators ist. Der Oni ist nicht mehr ein Nachkomme derjenigen Gottheit, die hier eigentlich herrschen soll. Den meisten Eingeborenen ist dies nicht mehr bekannt. Wohl aber hat sich die Erinnerung an solche Verschiebung noch vielfach in der Provinz erhalten. Eingeborene Ojos und Oschogbos sagten mir, daß aus diesem Grunde die Fürsten der andern Jorubastädte sich auch nur noch nominell vom Oni bestätigen ließen. Irgendwie in die Staatsgeschäfte anderer Fürsten hineinzureden, darf der Oni heute nicht mehr wagen. Und die Tradition hat mehrere Geschichtsperioden vermerkt, in denen der Oni von seinen Weltfürsten arg gedemütigt und seine Macht von ihnen gebrochen wurde. Wir werden das aus den Bruchstücken der Überlieferung, soweit ich diese sammeln konnte, erkennen und werden dann auf die Stellung des Oni zu seinen Prälaten und Patriarchen zurückkommen.



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Schöpfungssagen und Geschichte Ifes. — An die Spitze dieses Ab~Jschnitts mag die Erinnerung an den Bericht gesetzt werden, den 1894 der vorzügliche englische Forscher A. B. Ellis mitgeteilt hat, und der an der Küste gesammelten Mitteilungen entsprang. Danach verfiel der Orischasohn aus Geschwisterehe einer rasenden Leidenschaft zu seiner Mutter. Aus den gewaltsamen Vorgängen entstand die Geburt der Welt. Der göttliche Leib Jemajas, der Mutter aller Feuchtigkeit, zerbarst und gab sechzehn Göttern das Leben; an ihrer Spitze stand nach einer von zwei abweichenden Auffassungen Obkun, der Gott des Meeres. Die Stätte, an der sich das abgespielt haben soll, wird Ife, die "heilige Stadt" genannt.

Diese Legende war weder in Ibadan, noch in Ilife bekannt, ihr Vorhandensein wurde mir aber von Leuten aus Bagdagry bestätigt. Wie schon im Verlaufe unserer Darlegungen auseinander gesetzt, weicht die Darstellung der Ilifer und Ibadaner hiervon stark ab, und ich werde nachfolgend darauf hinzuweisen haben, daß Odudua nicht, wie an der Küste, als eine Göttin, sondern als ein Gott, als der Gott der Erde, bekannt und verehrt war. Von der eigentlichen Schöpfungssage der Ilifer will ich hier einige Versionen geben:

Erste Version der Schöpfungssage:

Vordem gab es keine Erde. Es gab nur Okun (Olokun) das Meer, ein Wasser, das unten überall ausgebreitet war. Oben war Olorun. Olorun (der Orischa des Himmels) und Olokun (der Orischa des Meeres) waren gleich alt. Sie hatten alles inne (oder besaßen alles). Olorun hatte zwei Söhne. Der ältere hieß Orischala (gleich Obatalla, der hier auch einfach Orischa genannt wird), der jüngere Odudua. Olorun rief Orischa. Er gab ihm Erde. Er gab ihm ein Huhn mit fünf Fingern (Adje-alesse-manu). Er sagte zu ihm: "Steige hinab (gleich gehe hinunter zur Erde), und mache auf dem Okun die Erde". Orischa ging. Unterwegs fand Orischa Palmwein. Orischa begann davon zu trinken und betrank sich. Dann schlief er ein. Olorun sah das. Da rief Olorun Odudua und sagte zu ihm: "Dein älterer Bruder hat sich auf dem Wege nach dort unten betrunken. Gehe du, nimm den Sand und das Huhn mit den fünf Fingern und mache die Erde auf dem Okun". Odudua ging. Er nahm den Sand. Er ging hinab und legte ihn auf das Meer. Er setzte das Huhn mit den fünf Fingern darauf. Das Huhn begann zu scharren und dehnte den Sand aus und drängte das Wasser beiseite. Die Stelle, wo das geschah, war Ilife, um das zuerst noch das Meer floß. Odudua herrschte als erster König über dem Lande Ilife. Das Olokunmeer wurde kleiner und kleiner und rann durch ein kleines Loch von dannen, durch ein Loch, aus dem man heute noch das Gotteswasser nehmen kann, sehr viel, ohne daß es versiegt. Man nennt es Oscha. Orischa aber war erzürnt darüber, daß er die Erdschöpfung nicht ausgeführt hatte, er



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begann einen Krieg gegen Odudua. Sie kämpften lange miteinander, danach aber schlossen sie Frieden. Sie gingen später beide in die Erde, und man sah sie nicht wieder. —

Zweite Version der Schöpfungssage:

Im Anfange gab es keine Erde. Es gab nur Wasser. Olorun sandte Oschalla hinab. Er gab ihm einen Ballen Sand mit. Er sagte: "Breite das auf dem Wasser aus". Oschalla ging. Unterwegs griff Oschalla eine Flasche mit Palmwein auf. Er versuchte und sagte: "Das ist gut"! —Er ging und trank. Er trank immer, wenn er durstig war, einen Schluck. Er trank sehr früh schon den ersten Schluck. Er wurde dann müde, schlief ein und vergaß, was Olorun ihm übertragen hatte. — Darauf nahmen die andern Orischas einen Spiegel (Awo-aje), sahen hinein und erkannten, daß Oschalla unten getrunken hatte, eingeschlafen war und vergessen hatte, was Olorun ihm aufgetragen hatte. Danach sandte Olorun Odudua und sagte zu ihm: "Tue das, was ich Oschalla gesagt hatte". Odudua war ein starker Mann. Er nahm einen Erdballen mit. Er ging hinab. Er machte die Erde und drückte das Wasser zur Seite, Olorun gab dem Odudua ein Huhn, das war Adje alesse manu genannt, es war ein Huhn mit fünf Fingern, das trieb das Wasser zurück, so daß es zum Meere ward. Als Odudua und Oschalla ihr Werk vollendet hatten, gingen sie in Ilife, wo sie ihre Arbeit angefangen hatten, in die Erde und wurden zu Steinen. Seitdem verehren die Menschen diese Steine. Oba-diu ist der oberste Priester Oschallas. Odudua ist sehr gefürchtet. Ehe die Leute in Ife den Namen Odudua aussprechen können, müssen sie ein Schaf schlachten und sein Blut trinken, so stark ist diese Gottheit!

Außer diesen empfing ich noch eine andere Schöpfungslegende, welche sich auf Ife bezieht, mir aber von einem Priester aus Offa mitgeteilt wurde.

Diese lautet:

Dritte Schöpfungssage.

Im Anfange war alles ein Wasser. Es war aber in der Mitte eine Insel (Illa-odo). Darüber irrten die ersten Häuptlinge umher und wußten nicht, was sie tun sollten. Nach längerer Zeit kam Olorun vom Himmel. Der setzte sich mitten auf die Insel. Mit ihm kamen die andern Götter. Olorun sagte: "Edschu setze dich hinter mich, Schango setze dich vor mich. Ogu, setze dich zu meiner Rechten, Obatalle, setze dich zu meiner Linken. Ihr andern Götter, setzt euch rund herum. Olorun rief die Häuptlinge und sagte zu ihnen: "Ihr seht, was hier ist. Nun merkt wohl auf. Diese Stadt soll in Zukunft Ife heißen. Der Hügel, auf dem ich sitze, wird drei Palmen tragen. Besser als an einem andern Orte können die Babalawos hier die Odus erkennen. Mit mir sind sechzehn Götter gekommen. Diese werden



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Kinder haben, und sie werden um euch herumwohnen. So wird Ife reich bevölkert werden. Du aber, Oni, du sollst hier herrschen und sollst den Alafinen sagen, was die Götter wollen".

Olorun ging. So entstand die Stadt Ife, in der einst die sechzehn Götter wohnten.

Die letzte Überlieferung läßt nichts zu wünschen übrig. Jetzt ist nur noch die Frage, in welcher Beziehung die siebzehn Patriarchen und Prälaten zu der Ursprungslegende aus Offa stehen. In Ife trat ich in nähere Beziehung zu einem alten Ada-usche. Er war der einzige, dessen Angaben sich stets als zuverlässig erwiesen haben. Der Alte wies verschiedentlich darauf hin, daß er als Schamane ja außerhalb der Streitereien, der Neidereien der einzelnen Klane stehe, und dies war sicher richtig. Der alte Wahrsager sagte mir: Viele von den andern werfen sich gegenseitig vor, ihre Orischas gestohlen zu haben, also gar nicht von dem Gotte abzustammen, von dem sie ja abzuhängen behaupten. Er sagte: Viele hätten absolut nicht ein Anrecht auf die Herkunftsangabe, denn in früheren kriegerischen Zeiten wäre oftmals alles durcheinander gekommen. Die beiden Klane des Orischa Olokun und die des Orischa Odudua gäbe es überhaupt kaum mehr. Und wer heute sich nach diesen Göttern benenne, der lüge. Am schlimmsten sei es aber mit dem Onistamme selbst. Ein Vorfahre des jetzigen Oni sei ein Mann aus dem Westen gewesen, der eines Tages in seiner Farm ein Steinbild fand, dasselbe als Orischa Lajamisan ausgab, ein Orischa, den man vorher gar nicht gekannt hatte (?) und ihn auch zu seinem Orischavater gemacht habe. Danach hätte der schlaue Mann den Oni eines Tages gestürzt und sich selbst auf dem Oke-Ado (dem Hügel der Krönung) die Onimitra aufsetzen lassen.

Diese Angabe macht durchaus den Eindruck ehrlicher Meinung, so daß ich sie schon damals glaubte annehmen zu können. Sie ist aber insofern außerordentlich wichtig, als sie uns die Art der Klanbildung in Ilife gründlich kennen lehrt. Ich habe dann in späteren Zeiten mich noch eingehender erkundigt, in welcher Beziehung denn überhaupt die Klane zu den Götternamen ständen. Ich glaube folgende Beobachtung als Grundsatz aufstellen zu können: Jeder Orischa der Joruben hat nicht nur seinen eigenen Namen, sondern auch die verschiedensten Beiworte. So heißt Schango auch "Steinwerfer", "Feuerhaucher", "der im Gewitter Spaltende", "der Befruchtende" usw. Aber nicht nur dadurch wird der Name variiert, sondern jede Gottheit empfängt auch noch nach den verschiedenen Plätzen, an denen sie sich ganz besonders kräftig erwiesen hat, ein Beiwort. Wenn z. B. eines Tages in Ilescha im Schankpannaheiligtum irgend jemand eine ganz besondere Gnade erfährt und seine Gebete in ganz besonders reicher Weise erfüllt sieht, so werden die Leute aus den umgebenden Orten ebenfalls dieses Heiligtum aufsuchen,



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und dann wird der "Schankpanna von Ilescha" sehr einflußreich werden und auch die Schankpannaleute von Oschogbo werden z. B. ein Opfer in Ilescha einem Opfer in Oschogbo vorziehen, wenn ihnen etwas ganz besonders am Herzen liegt. Dann sagt das Volk: "Der Schankpanna von Ilescha ist stärker als der Schankpanna von Oschogbo". Ganz ähnlich verhält es sich nun mit den Denkmälern. Die Bildnisse erhalten bestimmte Beiworte. Wenn z. B. auf einem Grundstück, das Olokun heilig ist, ein Kopf gefunden wird, der sich durch seine Schönheit auszeichnet, so wird der Kopf z. B. "der Schöne"genannt. Er wird angesehen als ein Olokun, wird aber bezeichnet als "der Schöne". Fernerhin, und das ist die Hauptsache, kann aber dieser Kopf auch nach dem betreffenden Finder genannt werden. Findet z. B. ein Mann mit Namen Adeke einen Olokunkopf, so wird dieser als Olokun Adekes bezeichnet. Olokun fällt schließlich fort und er heißt nur Adeke! Einen solchen Fall erlebte ich mit einer Frau, die Alaja hieß. An einer Stelle ward ein Kopf ausgegraben, von dem niemand wußte, welchem Gott er heilig war. Als ich nach dem Namen fragte, wurde mir gesagt, der Kopf hieße Alaja. Ich erkundigte mich nach einem entsprechenden Orischa Alaja und erfuhr, daß es einen solchen nicht gäbe. Aber eine alte Frau mit diesem Namen habe gesagt, von ihrem Vater gehört zu haben, daß an dieser Stelle ein altes Bildnis vorhanden sein müsse. Auf diese Angabe der Alaja hätten sie nachgegraben, und da sie durch die Tatsache bestätigt worden sei, so hieße der aufgefundene Kopf eben Alaja.

In dieser Weise haben sich aber nicht nur Namen in Ife verschoben, sondern haben ganz bedeutende Umwälzungen sozialer Natur die Zusammensetzung der Klane geändert. Der Oni selbst sagte, daß einige der Patriarchenfamilien ausgestorben seien, und daß daraufhin andere an ihre Stelle getreten wären. Vor allen Dingen hat aber ein alter Oni in einer Periode, welche sehr weit zurückliegen muß, einmal unter seinen Prälaten und Patriarchen energisch aufgeräumt. Er hat einige Familien ganz vertrieben und andere bis auf das kleinste Kind töten lassen. Die vertriebenen Familien flohen zum größten Teil nach Ojo, und deren Nachkommen haben von diesem Gewaltakt Bericht erstattet, den Bürger aus Ilife später bestätigten. Vor allen Dingen hat dieser Oni, der sich offenbar von der Übermacht seiner Fürsten hat befreien wollen, aus seiner eigenen Familie heraus die Vertreter der vier obersten Plätze erwählt. Als Namen dieser vier neuen Klanfürsten nannte mir mein Ojoberichterstatter klipp und klar Igaru, Agoru, Arotte, Djarra. Ich bitte, diese vier Namen mit der auf Seite 107 angegebenen Liste der Fürsten des Oni zu vergleichen. Fernerhin sagte mir der gleiche Berichterstatter, daß der Oni selber den Namen Rojamisa gehabt hätte. Wir sehen



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also die Mitteilung des Schamanen in Ife bestätigt. Ein Usurpator, mit Namen Lajamisan, hat eben einmal gründlich aufgeräumt, hat die schlimmsten Gegner vollkommen ausgerottet und Anhänger seiner eigenen Familie eingesetzt. Aber er hat doch noch ein anderes getan. Nach der Angabe des Schamanen hat er zwar den vorhergehenden Oni getötet, hat aber dessen Sohn den Stadtteil in der Mitte von Ife überwiesen, und ein Nachkomme dieses so neukreierten Stadtbezirkes ist der neunte Agbafe.

Wir erkennen also ganz klar, daß Ife in seinem Mittelpunkte, dem berühmten Hügel, auf dem die drei Palmen stehen, in alter Zeit der Mittelpunkt der jorubischen Weltanschauung gewesen ist. In den sechzehn alten Himmelsrichtungen müssen die sechzehn Nachkommenschaften der sechzehn Götter gewohnt haben, während die Mitte eingenommen wurde von dem Palaste des Oni, der als Mittelpunkt der Welt galt. Durch gewalttätige Umwälzungen, durch allerhand Verschiebungen in Benennung der Götter, Vertreibung ihrer Nachkommen und Ersetzung durch neue Familien wurde die alte Klarheit um ein weniges gestört; bis heute ist sie aber noch in den Fundamenten nachweisbar. Das, was an diesem Ergebnis so sehr wichtig ist, soll besonders hier noch betont werden.

Es ist nämlich der Beweis erbracht, daß in der Zeit, der die Herstellung der Terrakotten und Steinbildnisse angehört, in diesen Ländern schon dasselbe Weltbild lebendig gewesen ist, welches heute noch im ganzen Jorubalande den Ifadienst regelt.

Es erscheint aber wünschenswert, aus der Entwickelungsgeschichte der Stadt noch dasjenige zu erzählen, was wir als historische Wahrheit feststellen können, und einer solchen Darlegung will ich den letzten Abschnitt widmen.



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Ife in historischer Zeit. — Ein anderes Unheil hat diesen Verflachungs-, Erstarrungs- und Untergangsprozeß noch gefördert und beschleunigt, das kam von Modeke. Mit diesem Gemeindewesen hat es seine eigene Bewandtnis. Wann und von wo aus die Gründung erfolgte, vermochte ich nicht zu erfahren, wahrscheinlich, weil sie unmerklich emporwuchs. Jedenfalls traten in irgendeinem Zeitpunkte, den wir in dem vergangenen Zeitraum von hundert und zweihundert Jahren suchen müssen, in Ilife einige Leute aus dem Ojogeschlecht auf, einige Verwandte des Alafin. Weshalb ich den Zeitpunkt so weit zurücklege, ist: die Gründung soll erfolgt sein, als die Residenz Ojo noch im Norden lag (Old-Ojo der englischen Generalstabskarte) und ehe der Alafin nach Süden floh.

Diese Leute wurden im Westen der Stadt angesiedelt. Es ist mir unverständlich geblieben, wie die englische Generalstabskarte den Ort "Modakale" (d. i Modeke) beinahe südlich von Ilife angeben



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konnte. Ich fand die sehr wohlerhaltenen Ruinen im Westen und Nordwesten.

Mit dem Auftauchen dieser eigenartigen Nachbarn trat für Ilife ein Umschwung in die Verhältnisse ein. Die Modekeleute zahlten ihre Abgaben - was sehr bezeichnend ist -nicht an das Ilifeoberhaupt, das ihnen Gastrecht gewährte, sondern an den Ojoherrscher, den sie bis zuletzt als ihren Herrn ansahen. Sie nahmen also schon äußerlich eine isolierte Stellung ein, die dadurch mehr Bedeutung gewann, daß die Ojo-Modekeleute in ständigem Zusammenhang mit der Außenwelt blieben. Der alte Ada-usche sagte: "Die Ojoleute führten Schango wieder ein, der vorher von Ifeleuten verjagt war". Sie übten also ihren Einfluß auf die wesentlichsten intern-religiösen Angelegenheiten aus. Viele Ilifeleute begannen denn auch wieder den alten Schangodienst aufzunehmen.

So hat offenbar von Anfang an das frische Element dem Erstarrten gegenüber die anregende Oberhand gewonnen. Dem entsprach der Konflikt. Die Modekeleute baten eines Tages um die Erlaubnis, auch in Ilife ein großes Schangofest zu feiern. Der Oni und seine alten Berater schlugen es ab. Die Folge war, daß eine große Zahl von Ifefamilien nach Modeke auszog. Das war der Anfang der Streitigkeiten. Die Modekeleute sollten das Weichbild der Stadt verlassen, erklärten die Prälaten. Die Modekeleute sagten, das fiele ihnen gar nicht ein; sie fühlten sich den Alteingesessenen entschieden gewachsen. Die Ilifer wollten ihre entwichenen Bürger mit Gewalt zurückholen. Es kam zum Kriege. Die Ilifer wurden geschlagen. Der Oni und seine Leute verschanzten sich im Palaste. Nur eine gewisse gläubige Furcht der Siegenden vor dem Heiligen und dem Heiligtume seiner Burg bewahrten ihn und seine Patriarchen und Prälaten damals wie später vor der Vernichtung. Diese selbe Furcht, die traditionelle Pietät gegenüber diesem Uralten hat überhaupt Ilife vor der völligen Zerstörung wohl manchesmal schon geschützt.

Es wurde ein Friede geschlossen, der aber durchaus faul war. Modekes Macht stieg. Ilife wurde offenbar (wenn die Erzähler das auch naturgemäß nicht betonten) durch den Blutegel Modeke geschwächt. Die Modekeleute schielten nun aber nach der Quelle, aus der der Reichtum Ilifes floß, nach Ebolokun, das nordöstlich von der Stadt lag (siehe nächsten Abschnitt). Der Zeitpunkt der zweiten Periode von Streitigkeiten, die im Gedächtnis der Leute geblieben ist, wird festgestellt. Ein Ilifemann, der mir in Ibadan alles dieses im großen und ganzen bestätigt hat, sagte: "In dem Jahre, in dem die Fulbe form einnahmen, begann der Krieg der Leute von Modeke und Ilife".

Dadurch, daß im fernen Norden die Fulbe die Jorubaherrschaft vernichteten, wurden die Modeke eingeschüchtert. Dadurch ward das Ringen in die Länge gezogen. Ein Babalawo soll damals in Ife



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geweissagt haben, daß die Ilifer durch weiße Leute von den Plagegeistern, genannt Modeke, befreit werden würden. Man glaubte damals, daß das die Fulbe seien. "Wir haben uns geirrt", sagen sie, "das sind die Europäer (Engländer) gewesen". Aber wie dem auch sei, wie lange der Streit auch währte, die Ilifer wurden geschlagen und die Modeke beschlagnahmten Ebolokun. Sie sollen es gewesen sein, die die meisten der Schächte gruben, die Ebolokun aufgewühlt haben. Die Ilifeleute haben dann nie wieder gegraben, aber sie haben den Modekeleuten, als sie vertrieben wurden, alle Perlen abgenommen, die sie in der Besitzperiode gewonnen hatten.

Jedenfalls wurden die Modeker nun also reich. Sie hatten nun die psychische, physische und wirtschaftliche Obergewalt. Sie regierten die wunderliche Zwillingsstadt, ohne aber die Oniherrschaft, äußerlich genommen, anzutasten. Aber sie gewannen in dieser Zeit eine große Anzahl von Steinbildnissen, und da an diesen der Hauch der Heiligkeit hängt, kamen sie nachgerade auch in ein religiös-archaistisches Fahrwasser, so daß sie sich in dieser Zeit sogar in recht dünkelhafter Weise dem Alafin gegenüber benommen haben sollen.

Dann traten die kriegerischen Wirren ein, die am Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Jorubaländer arg in Aufregung versetzten. In diesem Kriege haben die Ilifeleute, wie Ellis berichtet, eine schiefe Stellung zwischen denen Modeke-Ibadans einerseits und denen Ilescha-Ekitis anderseits eingenommen. Natürlich haben die Ilifeleute uns das gegenüber bestritten. Sie sagen, sie hätten nie eine Freundschaft mit den Ibadanern geheuchelt, sondern wären immer für Ilescha eingetreten. Jedenfalls war das Ende vom Liede, daß in diesem Kriege Ilife überfallen und zerstört wurde, daß alle Ilifer auf dem Wege nach Ilescha flohen, dann aber bald zurückkehrten. Ein großer Teil der Stadt war verbrannt, und das ist der Grund, weshalb meine Sammlungsstücke angekohlt sind. Sie sind unter den Trümmern hervorgezogen worden.

Im Jahre 1886 ward unter Vermittlung des Gouverneurs von Lagos der Friede geschlossen. Dieser Vertrag bedingte vor allem, daß Ilife den Ilifern zurückgegeben und Modeke weiter weg zwischen Oschun und Oba zu verlegen sei. Damit war dem ferneren Streite ein Ende gemacht. Aber die Modeker waren damit gar nicht zufrieden. Mit ihrem Fortzuge fiel Ilife wieder dem starren Schlafe anheim, der es seit Jahrhunderten umfängt, und aus dem es durch diesen Streit und die Einmischung der fremden, frischen Elemente nur für kurze Zeit erweckt war. Es wurde wieder die bewegungslose, religiösunfruchtbare, dumpfe Kleinstadt, als die wir es kennen lernten.

Die Prälaten und Patriarchen hocken wieder stumpfsinnig und unbeirrt im Stumpfsinn auf den Denkmälern, die sie aus vorhistorischer Zeit ererbten, ohne sie zu verstehen.


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