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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT


5. Kapitel: Die Religion

Grundlagen des religiösen Lebens. —Wenn man sich im heutigen Afrika nach einem Volke umsehen will, dessen Privatleben noch von dem Geiste eines Religionssystems durchdrungen sei, wie es bei den Völkern des semitischen Kulturkreises und des klassischen Mittelmeeres der Fall war, so müssen wir als Beispiel dieser Art vor allen Dingen die Joruben in Anspruch nehmen. Unter religiöser Durchdringung des Alltagslebens verstehe ich nicht, daß jedem kleinen Lebenserlebnis, jedem Körperteil, jedem Tages- und Jahresabschnitte, jeder Naturbeobachtung oder Kultushandlung eine Unzahl kleiner Glaubensartikel, Schutz- und Trutzmittel, ängstlicher Wahrung oder berechnender Zeremonien gewidmet werden, daß also ein mehr oder weniger unklares Gebräu von Kleinigkeiten die Hauptkraft des Volkes und Volkslebens absorbierte, ich verstehe das vielmehr in dem Sinne, daß eine mythologisch gereifte, architektonisch klar gegliederte Weltanschauung das Leben des Individuums wie des ganzen Volksorganismus stützt und trägt. Das Lebensgebäude der Joruben, ihre Weltanschauung und Mythologie sind geräumig, weit, tief und hoch, so wenig sympathisch und so abstoßend geradezu auch ihr Charakter sein mag. Sicherlich sind auch zu dem heute bestehenden Orischasysteme und zu dem entsprechenden Anschauungskreise die Göttergestalten aus verschiedenen Phasen und Sphären zusammengetreten, sicherlich weichen die Legenden und Traditionen



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in den verschiedenen Landesteilen voneinander ab, sicherlich schwanken die Vorstellungen unter den Leuten der gleichen Stadt, ja in jedem einzelnen Kopfe, genau so, wie das bei den Griechen und Römern der Fall war, die ägyptische, semitische, lybische und allerhand andere Überlieferungen und Meinungen bald hier, bald dort entnahmen und sich aneigneten, ohne aber dabei den Grundstock älterer Religion merklich zu verändern.

Es ist also kein Zweifel für mich, daß die Religion zu dem einen Gusse, in dem sie uns heute entgegentritt, erst allmählich geworden ist, daß die Einheitlichkeit als Ergebnis einer längeren Entwicklung und Umbildung, des Zusammenfließens von mancherlei Strömungen aus verschiedenen Richtungen anzusehen ist. Aber das ist eben so eigentümlich und so merkwürdig für jeden, der es gewohnt ist, Afrika zu beobachten und im afrikanischen Geiste die Leute verstehen zu lernen, das ist so sehr merkwürdig, so durchaus herausfallend aus allen Parallelerscheinungen, daß uns überhaupt ein System, ein Göttersystem, ein wohldurchdachter, anschaulicher Organismus, genau rhythmisch proportional gebaut, hier bei einem westafrikanischen Volke entgegentritt. Wer hätte uns das noch vor wenigen Dezennien geglaubt, das auch nur zu hoffen gewagt; denn diese Fähigkeit, zu gruppieren und den Kreis der Götter wieder zu einem Wesen zu vereinigen, fehlt eigentlich jenen Menschen, die wir unserer Gewohnheit nach noch als "Neger" bezeichnen, oder aber besser gesagt, sie fehlt dem Begriffe "Neger", wie wir ihn zu verwenden pflegen.

Nun behaupte ich aber ferner: wenn wir das Religionssystem der Joruben, also das Orischasystem, mit dem System des Altertums in Parallele stellen, so erachte ich das Orischasystem der Joruben als reiner und ursprünglicher, als konsequenter und wohlerhaltener, denn irgendeine der Formen, die uns aus dem klassischen Altertume noch bekannt geworden sind. Man darf diese Behauptung nicht etwa auf die Schönheit und Würde der einzelnen Legenden beziehen. Denn mit den klassischen sind die afrikanischen Legenden nicht zu vergleichen. Ich meine auch nicht, daß die religiöse Phantasie im Jorubalande irgendwie poetische Schilderungen schaffen konnte, wie etwa das Altertum. Ich meine das vielmehr hinsichtlich der inneren Ausgleichung sozialer und religiöser Bildungen, die beide hier gemeinsam eine Grundlage, eine unlösbare Einheit, eine Wurzeleinheit sonder Parallele repräsentieren. Im Augenblick kann ich, wie gesagt, nicht einmal aus dem Altertume, also aus dem mythenreichsten Zeitalter der Menschheit, eine Parallele anführen. Denn hier bei den Joruben sind die mythologischen Einzelbildungen und die totemistischen Sozialorgane eins. Im vorhergehenden habe ich schon mancherlei angedeutet; hier nun soll das Ganze in seiner Einheitlichkeit geschildert



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werden, und es wird nötig sein, alles noch einmal zusammenzufassen, wenn dabei auch die eine oder andere Wiederholung notwendig sein wird.

Vergegenwärtigen wir uns nunmehr, ausgehend vom Ende des irdischen Lebens und der damit zusammenhängenden Glaubensäußerungen, das natürliche Wesen dieses mythologischen Systemes.



***
Tod und Egun. —Nachdem wir weiter oben das Gewerbe und die Tätigkeit der jorubischen Schamanen und Subachen kennengelernt haben, können wir den Weg ahnen, den die Familie einschlägt, wenn ein älterer Mann erkrankt. Nachdem man ihm gutes Essen bereitet hat, ihn und seine Kleider mit heißem Wasser gewaschen, neben seinem Lager zur Erwärmung ein Feuer angezündet und ihn zu Bett gebracht hat, wendet man sich an einen Ada-usche. Man trägt ihm die Sachlage vor. Er sagt: "Bringt mir Schaf, Ziege, Palmöl usw.". Die Leute tun es. Darauf macht der kluge Mann erst eine Medizin, die dem Kranken beigebracht wird, sei es durch Eingeben, durch Einreiben oder sonstwie. Dies wird ganz richtig als ärztliche Behandlung angesehen, und nur selten wird schon in diesem Stadium gegen Adje oder sonstige Ungetiere gleich magische Kraft in Anwendung gebracht. Die Joruba behaupten eine große Anzahl medizinischer Mittel zu besitzen. — Es ist übrigens durchaus bemerkenswert, daß der kranke Joruba sich im Krankheitsfalle nicht an seinen Orischa wendet, sondern entweder, um den Ausgang und Verlauf der Sache zu erfahren, erst an Ifa oder gleich an den Ada-usche. Wird der Patient mit dessen Hilfe geheilt, so wendet man auch ihm und nicht etwa dem Orischa die Belege der Dankbarkeit, als da sind Schafe, Kauris usw., zu.

Aber auch die Kunst des Ada-usche vermag dem Würgengel seine Beute natürlich nicht immer zu entreißen. Man sagt dann, Olorun habe das so gewollt, und gegen Olorun könne niemand aufkommen. Nach dem Hinscheiden wird der Körper gewaschen. Vollkommen bekleidet wird er auf dem gewohnten Ruhebett ausgestreckt. Dabei leisten den Männern Männer, den Frauen aber Frauen die letzten Liebesdienste. Der Leichnam heißt Egun; wir werden gleich sehen, inwieweit dies zu wissen von hohem Interesse ist. Kaum ist der Mann - nehmen wir an, es ist ein alter Familienvater -gestorben, so wird nach allen Seiten Botschaft gesandt. Die Familie wird zusammengerufen. Sie wird sich baldmöglichst einstellen. An der Seite des Leichnams erfolgt dann die Egunzeremonie.

Egun heißt Leiche, Egugun Gerippe. Man erzählt sich im Volke allerhand über diese Dinge, hat in einigen Gegenden angeblich sogar einen Orischa Egugun oder Egun gemacht, der aber ebensowenig ein echter Orischa ist wie etwa Ossenj. Es ist dieses religiöse Wesen eben



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aus einem eigenen Anschauungszweige hervorgegangen, der dem Orischasystem wohl nahesteht, es aber nicht unbedingt einschließt. Heutzutage wird eben alles dem in jeder Richtung wuchernden Orischasystem eingegliedert. Von Egugun und Egun erzählt das Volk nun folgendes: Aruku war der Vater, Ere oder Jagon(g) die Mutter Eguguns. Dieser war geboren im Ojolande (und zwar in Old-Ojo). Seine Mutter aber stammt aus Elengbe, das liegt im Tagbagebiet. Die Frau Eguguns hieß Omode. Sie stammt aus Ojo. Der erstgeborene Sohn Eguguns ward wieder Aruku, die nachfolgende Tochter Omode genannt. (Ich gebe diesen Stammbaum nur als Beleg jorubischer Sucht, Stammbäume zu bilden, wieder. Er hat keinen sonderlichen Wert.) Wenn nun jemand sehr krank ist und der Babalawo auf Anfrage antwortet, daß Egun oder Egugun hiervon Ursache sei, so bringt man Egugun oder Egun Speise, Brei, Hühner und Kola als Opfer dar. Zuweilen macht Egun dann wieder gesund. Jedenfalls feiert man alle vierzehn Monate (jorubisch gleich unserm Jahr) für den Egun ein großes Fest, das große Ähnlichkeit mit einem Totenfest hat. —Die Egun- oder Egugunleute sind eine Sippe, in der sich das Gerät, Kenntnis der Zeremonie und Rechte der Ausführung vom Vater auf den Sohn weitervererben.

Das aber war früher das Zeremonial. Wenn damals ein angesehener und wohlhabender Mann starb, so rief man den Alagba, den Priester oder Zeremonienmeister des Egun herbei. Gleichzeitig ging die Mutter des Verstorbenen auf den Markt und kaufte ein feines Leichentuch, einen umfangreichen Stoff, den sogenannten Aschuaka. Der Egunmann verkleidet sich nun. Er h~ingt den Aschuaka um und setzt die heute Irre oder hie oder Irreni (wohl nicht ganz richtig) genannte Maske über. Früher hieß, wie wir sehen werden die Maske anders. Der Leiter der ganzen Trauerzeremonie, der Oloko, nimmt nunmehr die Atori, d. I eine Art Peitsche aus Ästchen des Atoribaumes, die unten mit Kauris besetzt sind. Mit ihr schlägt er dreimal auf die Erde. Dann hält er sie direkt auf die Maske zu nach oben, und wohin der Oloko nun auch geht, muß die Maske immer dem Atori wie ein Eisen dem Magneten folgen. Das ist der Beginn des Tanzes des Egun.

Während nun der Maskierte hinter dem Oloko gleich einem Bären hertanzt, stößt das umstehende Volk Rufe aus, die ungemein belehrend sind. Die Leute rufen nämlich: "Sieh! unser Vater tanzt dort"! Oder: "Jetzt kommt unser Bruder hierher"! Oder: "Mein Mann tanzt! Mein Mann tanzt"! Aber nicht nur lassen der Tanz mit dem Leichentuch, der Name und die Zurufe des Volkes uns das ahnen, sondern das Volk erklärt direkt, ein Egun repräsentiere den Toten selbst. Und zuletzt benimmt sich der Egun auch durchaus in diesem Sinne. Er spricht wie die meisten Maskierten Afrikas in der Fistelstimme.



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Dazu spricht er durchaus im Namen des Verstorbenen, im Ich- und Ihrtone. Er fordert den einen oder andern auf, diese oder jene gefährliche Untugend zu unterlassen, damit er länger leben könne. Er sagt den andern freundliche Worte. Er spricht alles in allem also nochmals als Höherstehender, als der Erde Entrückter zu seinen Leuten, und diese Aussprache wird durchaus mit Ernst angehört und aufgenommen. — Ist der Tanz und die Aussprache vollendet, so geht der Egun fort. Im Hause nimmt er die Holzmaske ab, legt das Leichentuch Aschuaka beiseite und streift das Baumwollkleid, das ihn trikotartig deckt und mit blauen Handschuhen und Fußenden versehen ist, ab. Die Leiche wird dann in die Aschuaka gehüllt. — Für dieses Zeremonial erhielt der Egun vordem einen Hund, vier Ziegen, Kola und 90000 (!) Kauri (also 30 Schillinge).

Ehe wir den Toten nun endgültig zu Grabe bringen, will ich noch die wertvolle Legende wiedergeben, die ich hinsichtlich des Ursprungs der Sitten erhielt. — Auch hier (siehe "Kulturtypen aus dem Westsudan" S. 59 ff.) berichtet das Volk, daß die Egunmasken vordem in den Händen der Frauen und nicht in denen der Männer gewesen wären. Heute dürfen nur Männer damit tanzen und Frauen sie höchstens sehen. Früher, und zwar ganz, ganz früher ging dieses Maskenwesen aber aus der Hand einer Frau in die der Männer über. Diese alte Frau hieß Jagang. Lange Zeit hatte sie das Maskengeheimnis daheim in ihrem Hause und bewahrte es auch darin. Eines Tages aber kam sie als maskierte Frau heraus auf die Straße, urd andere Weiber waren mit ihr. Die Frauen tanzten um die Maske. Die Maske tanzte. Die Maske hieß Ot(o)run-boro, weil sie aus dem Ot(o)runholze gemacht und vorgelegt (= boro) war. Die Männer standen umher und sahen die Jagang. Die Männer sahen zu und sagten: "Was ist das?" Sie standen umher und betrachteten die Kleider. Einer faßte die Kleider an und sagte: "Was ist das?" Dann nahm er sein Messer und schlug zu. Die maskierte Frau stürzte hin und Blut strömte herab. Die Leute riefen: "Was ist das?" Die Leute trugen sie in ein Haus. Die Männer nahmen die Maske ab und sahen, daß es Jagang war. Die Männer pflegten Jagang. Aber Jagang starb. Darauf beschlossen die Männer ein Gesetz. Sie sagten: "Keine Frau dürfe mehr eine Ot(o)run-boro tragen. Das sei in Zukunft Sache der Männer. Kein Weib habe in Zukunft zuzusehen, wenn die Männer die Maske an- oder ablegen."

Diese ganze Sitte zeigt ein klares Gepräge. Auch die Sache ordnet sich selbständig in das sonstige Sittenbild ein. Aber wie gesagt, der Joruba hat aus jeder Sitten- und Anschauungsgruppe einen eigenen Orischa gemacht, und so wurde auch Egun gewissermaßen eine Personifikation des Todes. Die Anhänger der Orischa-Egun, d. h. also die Söhne und Nachkommen Eguns oder Eguguns, haben folgende



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Ew(u)o (tabu): I Jeder Egunmaskierte darf in Gegenwart von Frauen, solange er maskiert ist, nur in der Fistel sprechen. 2. Der Egunmaskierte darf in Frauengegenwart die Maske nicht lüften. 3. Er darf nicht Quequeje, das sind Enten, essen. —Sehr wichtig ist, daß die Mädchen und Frauen der Egungemeinde heute noch eine zeremonielle Leiterin haben, die den Titel Jagang führt -eine wertvolle Reminiszenz. —Kehren wir aber nach dieser Abschweifung zu unserm alten Verstorbenen zurück. Nachdem der Egun seine Bezahlung empfangen hat, wurden früher aus dem Nachlaß des Verstorbenen, ehe er bestattet ward, nach allen möglichen Richtungen kleine Geschenke gemacht. Vor allen Dingen erfolgte ein Umzug, und das ging folgendermaßen vor sich.

Zunächst ward die Leiche eingehüllt. Die Vornehmen und Reichen kamen in einen Sarg (= Bossi), die Ärmeren in ein Mattenpaket, das mit Stöcken im Innern Festigkeit erhielt. Den Sarg pflegte die Familie selbst zu machen. Das Tuch, das darübergedeckt wird, ist ein letztes Geschenk des Schwiegersohnes, und ebenso stellt er auch die zwei (?) Leute, die den Sarg auf den Köpfen tragen. Nun zieht die Familie durch die Straßen soweit wie nur möglich herum, um zu zeigen, was für einen schönen Sarg und welch schöne Decke darüber sie sich leisten können. Die jüngeren Mitglieder gehen mit Kaurimuscheln neben dem Sarge her und werfen diese darüber hin, so daß sie daran abgleiten und zur Erde fallen. Die Leute auf der Straße fallen dann darüber her, um sie emsig aufzuheben. Einige Familienmitglieder haben auch einige Rumfiaschen da und bleiben bald hier, bald da an den Ecken stehen. Sie schenken den Leuten hier und dort einen Becher ein, der dann die Runde macht. Man kann sich den Zulauf leicht vorstellen. Viele Trommler ziehen zudem mit einher, und da früher auch noch heftig mit Büchsen geknallt wurde, so kann man sich leicht einen Eindruck von dem "tiefen Ernst"machen, der über dem Ganzen lag. Es ward eben ein echt afrikanisches Volksfest. — Die eigentliche Leichenbefragung, die sonst wohl in dieses Bild gehört, kennen die zentralen Joruba nicht. Sie sagen, das wäre nur bei den Ewe so. Dagegen und gewissermaßen im Gegensatz zur Leichenbefragungssitte hält die Leiche mit dem ganzen großen Zuge bisweilen da an, wo ein alter Freund des Toten wohnt. Aber nur dem allerbesten Freunde wird diese Ehre zuteil; das soll dann bedeuten, daß der Tote von ihm Abschied nehme.

Endlich kehrt der Zug heim. Es wird gewöhnlich neben dem Platz, an dem der Tote sein Lager hatte, eine tiefe, sehr tiefe Grube ausgehoben. Einen Seitenkanal kannten die Joruba nicht. An dieser Stelle neben dem Bettplatz, zuweilen auch auf der Veranda,da, wo der Alte tagsüber zu sitzen und Besuch zu empfangen pflegte, oder aber im Impluvium,wird die letzte Ruhestätte zurechtgemacht.Jedenfalls wird



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nun die letzte Zeremonie vollzogen. Der Sarg kommt neben das Grab. Man hebt den Deckel wieder auf oder lockert die Mattenumhüllung, so daß des Toten Antlitz freiliegt. Von da aus begibt sich die Familie zu dem Raum, in dem der Orischa der Sippe wohnt, zur Banga. Dem Orischa wird dann das Opfer gebracht, das ihm am angenehmsten ist, auch gibt man ihm Getränke, soweit das nicht zu seinem Ew(u)o gehört. Die Köpfe aller getöteten Tiere werden zu dem Leichnam gebracht. Man hält sie dem Toten vor das Antlitz, so deutlich und nah, daß er, wenn er lebend wäre, sie unbedingt sehen müßte. Man trägt sie zu dem Grabe und wirft sie da hinein. Nun bitten sie den Orischa, dem Toten einen guten Platz anzuweisen. Nach diesem Gebet wirft man noch die Ebori oder Ibauri des Toten nebst Kauris in die Grube. Hier ist mir ein dunkler Punkt geblieben. Die Ebauri ist ein kleines trichterförmiges Amulett aus Strickwerk, das äußerlich fest aussieht, wie gewisse westafrikanische Flechtwerkklappern auf Kalebassenscheibengrundlage. Anscheinend hat jeder Mann ein solches Ibauri und setzt dieses gelegentlich auf den Kopf. Man sieht darin den Sitz der Seele des Menschen (?).

Nachdem dieses alles in die Grube geworfen ist, schließt man den Sarg und läßt ihn hinab. In alten Zeiten führte man an das Grab der Reichen auch noch Sklaven und Skiavinnen. Sie wurden getötet und mit hinabgeworfen. Man schnitt ihnen aber nicht den Kopf ab, sondern schlug sie mit Stöcken tot. Weiterhin kam das Pferd in das Grab. Vordem sollen diese Völker viel mehr Pferde gehabt und große Reiterscharen sollen die Straßen durchzogen haben. Endlich gab man dem Sarge auch noch die Waffen des Toten bei bis auf sein Gewehr, das erbte der älteste Sohn. Man füllte nicht nur die Grube mit Erde zu, sondern errichtete auch noch einen kleinen Hügel, auf dem dann die gelegentlichen und bestimmten Opfer vorgenommen wurden.

Gleich hinterher nahm die Familie die Erbschaftsteilung vor, Leiter dieser Unternehmung war entweder der Bruder des Verstorbenen oder der älteste Sohn oder, wenn die allgemeine Stimmung solchen natürlichen Fürsorgern nicht traute, irgendein älterer Mann, dem alle Vertrauen entgegenbrachten. Der älteste Sohn bekam das Haus. Die Kinder teilten unter sich den beweglichen Besitz. Die Frauen erhielten nichts. Die Äcker blieben im Besitz der je einen großen geschlossenen Wirtschaftsbesitz ausmachenden Familie, und diese bearbeiteten ihn weiter nach der Verteilung, die das älteste Familienmitglied vornahm.

Von den Toten und ihren Wanderungen erzählen die Leute merkwürdige Sachen. Wenn man auf Wanderschaft weit fortgehe, dann treffe man -sei es in Ife oder aber in Dahome und im Ewelande - Leute auf dem Markte, die daheim gestorben sind und sich hierher



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zurückgezogen haben, um nicht gekannt zu sein. Wenn sie (man nennt sie Akudaja) einen Bekannten der Heimat sehen, so drücken sie sich auch schleunigst beiseite und sorgen, daß man sie nicht wieder sehe. Diesem Doppelgesichtsglauben - der weit verbreitet ist -setzen die Ifeleute eine durchaus klare Vorstellung gegenüber. Sie sagen, der Tote werde in einem Nachkommen des Familienvaters von einer Frau wieder geboren. Sie bleibt in der Sippe der Orischa, und zwar unter Leitung des Orischa selbst. Dieser Glaube schließt den Anschauungskreis so vorzüglich, wie es meine Ibadanalten nicht erklären konnten.

Egun-odin ist das jährliche Opferfest, bei dem vor Beginn der jungen ersten Frühjahrsernte Korn den Toten dargebracht wird. Ehe dieses Opfer nicht gebracht ist, darf von der Frühjahrsernte nichts genossen werden. Die Leute streuen die Körner im Hause aus und sagen: "Der Orischa ißt neues Korn, ehe irgendein anderer davon ißt". Man sieht also, wie weitgehend der Orischa mit den Toten identifiziert wird. Der Orischa ist eben der Sippengeist, von dem alle Fortpflanzung ausgeht und zu dem sie zurückkehrt im Tode. — Im Herbst wird kein solches Opfer dargebracht und die Herbsternte wird ohne vorhergegangenes Totenopfer genossen.

Ein sehr hübsches Fest, das sogenannte Agbaru-bidanu, wird noch den Toten im Oktober gefeiert. Jeder, der seiner Toten gedenken will, läßt aus dem Busche eine große Menge Holz holen, von dem er einiges in das Haus, den größten Teil aber auf den Markt schafft. Wenn es dunkel ist, entzündet jeder vor der Haustür auf der Straße ein Feuerchen. Allenthalben sieht man Feuerchen. Nachher wird das Holz auf dem Marktplatz entzündet und nun bringt jeder auch sein kleines Feuerchen dahin. Im Umkreis der lodernden Flammen wird dann die Nacht hindurchgegessen, getrunken und getanzt. Am Morgen werden aber die Reste des Feuers zur Stadt hinaus und in den Busch getragen.

Die Ibadanleute haben noch eine interessante Legende, die den Ursprung des Todes und den Ursprung der Steinbilder in Ife zum Gegenstand hat. Danach soll in uralter Zeit kein Mensch gestorben sein. Vielmehr wurden die Menschen ungeheuer groß, wenn sie aber älter wurden, schrumpften sie zusammen, so daß sie wieder klein wie Kinder wurden, und dann wurden sie Stein. Es waren nun so viele alte Leute, die herumkrochen, daß die Menschen Olorun baten, sie von dem langen Leben zu befreien. Olorun willfahrte, und so starben denn die ganz Alten. Anfangs starben keine Kinder. Aber eines Tages begannen auch die Kinder zu sterben. Sie fragten Obrun, warum das geschehe. Der sagte, weil die Söhne mit den jungen Frauen der Väter schliefen, weil die Leute einander bestählen, weil die Leute sich umbrächten, kurz, weil Sittenverderbnis eingetreten



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sei. Seitdem sagen die Menschen: "Ikuo ko mo enni ka = der Tod tötet alte und junge Leute".

Nach diesen Beispielen einfacher Mythenbildung nun die Grundlinien dieser Mythologie.

Sippengötter. — Der Grundgedanke des Religionssystems beruht in der Vorstellung, daß jeder Mensch von einer Gottheit abstamme, so daß er Teil oder Repräsentant der Gottheit ist. Die Abstammung richtet sich nach der Vaterlinie. Alle Familienglieder gehören zur Nachkommenschaft der gleichen Gottheit. Sie sind insofern Teile von ihr, als die Sterbenden zu der Gottheit zurückkehren und als jeder Neugeborene die Wiedergeburt eines vordem verstorbenen Gliedes der gleichen Familie darstellt. Ganz konsequenterweise gilt demnach der Orischa, die Gottheit, als erzeugende Kraft bei der Eheverbindung und jede Bestimmung des Erscheinens des Kindes als vom Orischa ausgehend. Die Idee der erzeugenden und befruchtenden Götterkraft ist soweit durchgeführt, daß sie sich nicht auf die Menschen erstreckt, daß vielmehr auch Erstlinge aller Frühjahrsernten, Erstlinge der Viehwirtschaft unbedingt als Anteil von deren eigener Stiftung und als Dankesopfer der Gottheit wieder zufallen. Wie bedeutungsvoll und selbstverständlich die Gottheit selbst aber als die unbedingte Schöpferin aller Nachkommenschaft gilt, geht aus vielem hervor. So gipfeln fast alle Gebete, ja alle Götterdienste der Joruben immer wieder in der Bitte um Fruchtreichtum der Felder, um Kindersegen der Familien und Fortpflanzungshilfe in jeder Form.

Aus dieser Anschauungsweise ergibt sich, daß die Familiengottheit in jedem Gehöfte ihren Sitz, ihren Tempel, Altar und Priester haben muß. Wie diese Tempel und Altäre im allgemeinen angelegt sind, darüber ist später gelegentlich der Architektur zu sprechen. Es sind daraus verschiedene Einzelheiten beizubringen. Hier nun wollen wir einige erklärende Worte dem Priestertume widmen, von dem es ganz folgerichtig zwei Arten gibt, da die Orischa, die Gottheiten, zwei bestimmte Funktionen besitzen.

Zum ersten ist jede Gottheit der Stammvater der Familie. Es ist ganz gleichgültig, ob es die Gottheit des Gewitters ist oder der Schmiede oder eines Flusses oder der Erde oder des Himmels oder sonst einer Kraft oder Wirkung. Jede Gottheit hat eben ihre Nachkommen und besitzt dieser Nachkommenschaft gegenüber die Kraft, sich in den Kindern fortzupflanzen. Zum zweiten hat aber, wie gesagt, jede Gottheit auch ihre besondere und eigene Funktion. Wir haben z. B. einen Gott des Gewitters, welcher für den befruchtenden Regen sorgt. Wir haben den Gott des Eisens, der dem Schmiede das Metall gibt. Wir haben den Gott der Pocken, welcher die Menschen



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mit der furchtbaren Krankheit züchtigt. Wenn irgendwie Regen benötigt wird, so wendet sich die betreffende Gemeinde, gleichgültig, von welchem Orischa die einzelnen Familien abstammen, gemeinsam an den Gewittergott. Bricht ein Krieg aus, so wendet sich die Gemeinde, ganz gleich welchem Orischa jeder einzelne Familienvater angehört, an den Gott des Eisens, der auch hier derjenige der Kriegsgeschicke ist. Wenn die Pocken eine Landschaft überfallen, so wendet sich die Gemeinde, gleichviel von welchem Orischa die einzelnen Familien der gezüchtigten Ortschaft abstammen, mit der Bitte um Gnade an den grausamen Herrn dieser Krankheit. Dementsprechend muß in jedem Gehöft ein Altar des Familiengottes stehen, wo ein Vermittler und Fürsorger, ein Familienpriester den Dienst verrichtet. Zum zweiten benötigt aber jede Stadtgemeinde für jeden großen Gott, dessen Wirkung etwa in Frage kommt, eines Tempels, eines Heiligtums, in dem die großen Feste, die Zeremonien durch einen entsprechenden Hauptpriester vollzogen werden. Diese beiden Arten von Priestern haben logischerweise verschiedene Namen. Das zelebrierende Glied der Familie heißt "Aboscha", der Gemeindepriester "Adje".

Bezeichnend für den Beruf, zumal des ersteren, ist seine Berufung. Wenn ein Aboscha gestorben ist, tritt die ganze Familie zum Zwecke einer Neuwahl zusammen. Es ist wichtig, daß ein Adje nicht hinzugezogen wird. Die Familie naht mit einer gefüllten Wasserschale und zwei Kolanüssen dem Altar. Nach volibrachtem Opfer der Kolanüsse und des Wassers bitten die Leute, auf den Knien liegend und mit der Stirn den Boden berührend, den Orischa, unter ihnen einen neuen Aboscha des Hauses und Gehöftes zu erwählen, der von nun ab die Opfer leiten und den Festen vorstehen solle. Die zwei Kolanüsse werden in ihre natürlichen Abschnitte zerbrochen, so daß sie also in acht Stücke zerfallen. Diese acht Abschnitte werden auf die Erde geworfen und gleichzeitig unter Nennung eines angesehenen Familienmitgliedes, also des N. N. gefragt: "Willst du den N. N. zu deinem Aboscha"? Fallen nun von den acht Schnitten vier auf die flache Innenseite, vier auf die konvexe Außenseite, so ist der genannte N. N. vom Orischa als Aboscha angenommen. Fallen die Abschnitte aber in irgendeiner andern Verteilung, so daß von einer Lageart mehr als von der andern sind, so bedeuted das eine Ablehnung des N. N., und das Orakeispiel wird unter Namensnennung eines andern Familienmitgliedes wiederholt und das solange, bis die gleiche Zahl der nach oben und nach unten gewendeten Bruchstücke die Zustimmung des Orischa andeutet. Es ist die gleiche Losform, die wir bei Besprechung des Ogbonizeremonials schon kennenlernten, und die beweist, daß man hier dem Orischa unbedingt das Selbstbestimmungsrecht überlassen will.



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Mancherlei Betätigung des Aboscha lernten wir schon bei der Besprechung des Lebenslaufes der Joruben kennen. Sie setzt bei der Geburts- und Benennungszeremonie ein und schließt mit dem Lebensende eines Familiengliedes ab. Seine wichtigste Betätigung aber setzt ein zur Zeit der großen Feste, im Winter beginn, gelegentlich der Ebo-dung. Dann bittet der Herr des Gehöftes, also d~r Bale des Anwesens (ebenso wie es einen Bale der Stadt gibt, gibt es auch einen Bale jeder Gehöftsgemeinschaft), den Aboscha, die Opferzeremonien vorzunehmen. Der Aboscha ist natürlich hierzu gern bereit. Die ganze Familie, also alle Mitglieder des hier herrschenden Orischa, versammeln sich vor dem Altar. Ausgeschlossen sind selbstverständlich die eingeheirateten Frauen, die nach exogamischen Gesetzen einem andern Orischa entsprungen sein müssen. Der Aboscha bringt vor versammelter Gemeinde als Opfer wiederum Wasser und Obi (Kolanüsse) dar. Wie oben geschildert, werden deren zwei aufgebrochen; dann reicht sie der Aboscha auf der flachen Hand gegen den Altar dem Orischa hin und sagt: "Sieh hier!" zieht danach die Hand zurück und fragt: "Wird aus diesem Hause in diesem Jahre jemand sterben ?" Dann wirft er die Kolaabschnitte auf den Boden und liest genau wie oben aus der Lagerung der acht Abschnitte bei gleichmäßiger Verteilung der Lage einen günstigen, bei ungleicher einen ungünstigen Bescheid ab. In letzterem Falle nimmt man an, daß hier irgendeine widrige Kraft wirke, die besänftigt werden müsse, damit der Orischa von der Verhängung eines Unglücks Abstand nehme. Worin diese "widrige Kraft"liegt, konnte mir nicht erklärt werden, aber nach logischer Schlußfolgerung und auch nach deutlichen Angaben glaube ich annehmen zu dürfen, daß man jedem Orischa persönliche Verstimmungen zutraut, so etwa, wie seinerzeit Poseidon sie den leidenden Odysseus fühlen ließ. Es liegt nahe, anzunehmen, daß dann und wann ein Mitglied der Familie das Ewuo, das Speiseverbot des Gottes, übertreten hat, und das würde selbstverständlich den Zorn Gottes erregen. Der Orischa muß also besänftigt werden, und deshalb widmet man ihm Opfer, so große und so zahlreiche und so wertvolle wie nur möglich. Sind diese vollzogen, so wirft der Aboscha die Kolaabschnitte von neuem und wiederholt das solange, bis in genauer Verteilung vier Abschnitte auf der konvexen Seite und vier sich auf der flachen Innenseite lagern. Eventuell muß bei mehrfachem unglücklichem Niederfallen der Kolaabschnitte das Sühneopfer ebenfalls wiederholt werden.

Liegen nun endlich die Abschnitte in der erwünschten Lage, ist also damit erwiesen, daß die Gottheit keinerlei Zorn mehr hegt, daß dementsprechend, wenn nicht durch irgendeine neue Verschuldung inder nächsten Zeit der Zorn des Gottes erregt wird, für dieses Jahr keines Familiengliedes Leben dem Machtgebot des göttlichen Ahnherrn



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zum Opfer fallen wird, dann wird das eigentliche Fest eingeleitet und mit großer Freude begangen. Freilich, der Aboscha muß den ganzen Tag hindurch andächtig vor dem Altar des Orischa sitzen; die andern aber kochen und braten nun die Opfertiere. Sehr bemerkenswert ist es, daß bei den Joruben (und ebenso soll es, als das Orischasystem der Südnupe noch nicht zerstört war, auch bei diesen gewesen sein) alle Opfertiere den Orischas als Brandopfer dargebracht wurden. Kein Sudanvolk und kein Volk des Kongobeckens pflegte diese Sitte, die im höchsten Grade bedeutungsvoll ist. Nachdem das Opfertier geschlachtet ist, bespritzt man erst mit dem Blute das Bildnis und Heiligtum des Gottes und verbrennt danach das Fell nebst einem wenigen vom Fleische. Das übrige Blut wird in einem Topfe aufgefangen. Die Nieren (Egba oder Equa) und die Leber (Ado) werden herausgetrennt, betrachtet und dann nebst Salz ohne Hinzufügung von Wasser in dem Blute gekocht. Leider konnte ich nicht erfahren, welcher Art die Gesichtspunkte bei Betrachtung dieser Innenteile waren, und das ist um so bedauerlicher, als wir nachher sehen werden, daß gerade die Leber als Betrachtungsobjekt hier wie bei andern Völkern eine große Rolle spielt. Von dem so hergestellten Gerichte wird ein Teil dem Orischa gegeben und dazu gesagt: "Hier ist dein Asun" (d. I Opferasche). Den Rest verzehren dann die Opfernden selbst. Nur einem Orischa scheint man früher kein Brandopfer dargebracht zu haben, nämlich dem Orischa Gwalu oder Gbalu, der Gottheit des Regens. Dies ist aber auch logisch. Wir werden im Verfolg der mythologischen Idee finden, daß die eigentlichen Regengötter durch Feuer in ihrer Betätigung behindert werden.

Ist so das Blut über den Altar und die heiligen Insignien hingeflossen, so läßt man gewisse Trommler kommen, die zum Tanze aufspielen müssen, und dann durchjubelt die Familie eine Woche lang Tag und Nacht. Sieben Tage lang hindurch währte früher und währt noch heute vielfach das Ebo-dung. Am letzten Tage pflegt dann jedes Mitglied den Orischa durch den Aboscha nach dem nächstjährigen Verlaufe des eigenen Lebens zu fragen. Der betreffende (sei es Mann oder Frau) opfert dabei seinem toten Vater oder seiner verstorbenen Mutter. Es werden wieder die beiden Kolanüsse gespalten und in bekannter Weise die acht Abschnitte geworfen. Dieses Kolaorakel soll den bezeichnenden Namen "Aqua-bi-sofa", d. I also "für den Orischa Kola zerbrechen", haben. Die Fragen über den persönlichen nächstjährigen Lebensverlauf werden hierbei immer an einen verstorbenen Altvorderen, sei es Vater, Mutter, Großvater usw., also an längst oder kürzlich Verstorbene, gerichtet. Dies ist sehr bezeichnend. Während die Gesamtheit der Familie sich, wie ich oben geschildert habe, an den Orischa selbst, d. h.



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die Familiengottheit, den Quell der Familienlebenskraft, die Summe der Abgeschiedenen und im Orischa wieder Vereinigten, wendet, während hier diese Zusammenfassung in einem Gotte zum Ausdruck kommt, löst sich für den einzelnen bei der Einzelbefragung die manistische Grundlage wieder in ihre Teile auf, und an Stelle des Kollektivbegriffs tritt wieder der einzelne Verstorbene in Tätigkeit. Es kommt also bei den einzelnen die persönliche Beziehung zu einem Verstorbenen und göttlichen Ahnherrn zur Geltung.

Mit dieser persönlichen Orakelbefragung ist das Ebo-dung und die wichtigste Betätigung des Aboscha abgeschlossen. Aber außer dieser heiligen Gesamtfestzeit am Jahresende hat der Aboscha noch in jeder Woche einmal dem Kultus sich zu widmen und um das verständlich zu machen, muß ich ziemlich weit ausholen. Die meisten Götter der Joruba hatten in der fünftägigen Woche dieser Stämme ihren besonderen Festtag. Die Einleitung ist in Ibadan folgende:

1. Odjo-awo, der Tag des Geheimnisses, also Ifas. An diesem sollen auch Osenj und Osun ihre Festtage haben.

2. Odjo-ogun(g), der Tag des Schmiede- und Kriegsgottes Ogung.

3. Odjo-jakuta, der Tag des Steinschleuderers, also Sangos, an dem auch Oranja und Jemoja, seine Eltern, ihre heilige Zeit haben.

4. Odjo-ose-osalla (oder Odjo-Obatalla), der "heilige"Tag Osallas, d. h. des Himmelgottes Obatallas, an dem gleichzeitig alle Götter gefeiert werden, deren Symbol eine weiße Haisperikette, das Tschetschefung ist. Das sollen sein: Obatalla, Oginjang, Edschu, Olufa, Iko oder Isa-Iko, Arun und Bambo.

5. Odjo-ose, d. h. einfach heiliger Tag, weil an diesem Tag alle Götter, auch die bisher nicht aufgeführten, feierten. Ausgenommen sind hiervon zwei Götter, einmal Öko, der angeblich gar nicht gefeiert wird und Olorun, der früher auch keinen Feiertag hatte, dessen man aber in jüngerer Zeit dem Islam entsprechend, an jedem Freitag zu gedenken sich gewöhnt hat.

Es möge gleich hier die Aufstellung der Tagesnamen eingeschaltet werden, die mir Leute aus Ife gaben.

I Odjafe (Ifas Tag)
2. Aje badju (Sangos Tag)
3. Iremo (Osallas Tag)
4. Nikogun (Oguns Tag)
5. Aje ose (der heilige Tag).

Diese Aufstellung der "Arun ose", der heiligen Woche, scheint nun im wesentlichen überall gleich zu sein, wenn sie an mehreren Stellen auch Schwankungen unterworfen sind. An diesen "heiligen" Tagen, die uns nicht energisch genug daran erinnern können, daß sogar noch heute in romanischen und germanischen Wochennamen die alten Götternamen nachklingen, fällt dem Aboscha wieder Arbeit



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zu. An diesem Tage werden die Tempeiplätze gereinigt, wird in die Töpfe neues Wasser gefüllt. Dann kommt bald dieser, bald jener aus dem Gehöft, der sich mit seinem Stammvater = Gott irgendwie auseinandersetzen will. Er bringt Kolanüsse, Kaurimuscheln, eingeborene oder europäische Getränke und Speisen, die diesem Gott ganz besonders genehm sind. Ist die Gottheit von Osallas Tag, so hat der Aboscha ein weißes Kleid an, das Tschetschefung um den Hals, die Adja (heilige Glocke) in der Hand. Ist er von anderer Abstammung, so trägt er andere Tracht usw. — Soweit die Tätigkeit des Aboscha, des Familienpriesters.

Außer den Aboschas gibt es aber die Adje. Die Aboschas dienen im Gehöfte dem Gotte in seiner Eigenschaft als Familiengott. Die Adje dienen dem Gotte in seiner Betätigung als Naturgott, als Beherrscher einer ganz bestimmten Wirkungssphäre. Sie stehen den großen Tempeln vor, die den ganzen Gemeinden bei dem großen Opferfeste dienen, und sind die Mittler und Festleiter der Gemeinde der Naturgottheit gegenüber. In alter Zeit bezeichnete man nach Angabe der Leute als Adje nur die Priester der Oschalla-Feiertagsgruppe. Heutzutage wurde mir gegenüber diese Bezeichnung aber häufig für alle Gemeindepriester angewendet, so daß wir ein Recht zu der Verallgemeinerung um so mehr haben, als die nördlichen Joruben andere Benennungen für Gemeindepriester nicht zu besitzen scheinen. Aber jeder einzelne Gott hat seinen Gemeindepriester, der dann auch wieder seinen eigenen Namen hat. Ich füge hier die Namen einiger derartiger Kultusverweser vor:

Mokwa oder Mogba, das ist der erste hohe Priester Schangos, neben dem noch der Bambeke steht (siehe weiter unten!),

Ajorumbo ist der Name des höchsten Priesters des fürchterlichen Pockengottes "Schankpanna",

Oluwo ist der Name des Hohen Priesters des gewöhnlich "Ifa" genannten Gottes. Wenn einige ihn als "Arabo" bezeichnen, so ist das nur eine Nebenbenennung, welche so viel bedeutet, als "der Höchste". Ebenso irrtümlich ist es, ihn "Baba-Lawo" zu nennen, d. h. "Vater des Geheimnisses". Denn mit diesem Titel werden alle bedacht, welche überhaupt eine priesterliche Tätigkeit im Ifadienste ausüben.

Adje wird eine Spezies der Oberpriester des Gottes Obatalla genannt.

Bale war vordem der Priester der Göttin Oja, neben dem als Gehilfen Otun und Osi (also zu jeder Seite einer) stehen. Mit dem Niedergange der Göttin Oja sind diese Priester mehr und mehr der Vergessenheit anheimgefallen.

Quetu-Oschin war früher der Titel des obersten Priesters des Ogundienstes, welcher ebenfalls im Niedergange begriffen ist.



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In Ibadan z. B. ist diese Stellung nicht wieder voll besetzt worden. Man findet diese Oberpriester nur noch in wenigen Orten.

Andere Götter, wie z. B. Oschun, sollen nie Priesterkategorien besessen haben, was nicht unwahrscheinlich klingt. Olorun, der oberste und vornehmste, der mächtigste Himmelsgott des oberen Jenseits hatte niemals weder einen Priester noch eine Familie. Dieser Gott war viel zu erhaben, viel zu entfernt, zu hoch, zu erdfremd, um irgendwie eine Beziehung zum Menschengeschlecht unterhalten zu können. Im übrigen können wir aber von den Adjes als den Gemeindepriestern im Gegensatz zu den Aboschas als den Familienpriestern sprechen. Die Adjes sind untereinander nicht nur durch die Namen und verschiedenen Kultusverrichtungen, sondern auch durch ihre Abzeichen unterschieden. So tragen z. B. die Priester, die am Wochentage des Gottes Oschalla zelebrieren, das Tschetschefung, ein Halsband von weißen Perlen, diejenigen des Schango das Kelle-Schango, eine Mischung roter und weißer Perlen usw. Ich muß bemerken, daß das Tragen dieser Peribänder in den verschiedenen Orten verschieden ist. Ferner werden wir sehen, welche merkwürdige Bedeutung die alten Perlen bei diesen alten Völkern haben.

Als fernere Abzeichen wurden mir im übrigen angegeben:

Jde, Halsperlketten verschiedenster Farbenmischung für den Ifadienst.

Malodjo, rote Perlen als Abzeichen Ojas, anscheinend auch um den Arm.

Kelle-Sango, eine Mischung roter und weißer Perlen als Abzeichen Sangos.

In, ein Armband, und Engua-eri, eine Halskette aus Eisen als Abzeichen für die beiden Götter Ogun(g) und Oranjan(g).

Inja, Perlenband in fünf verschiedenen Farben als Abzeichen Jemojas oder Jemodjas.

Lagidiba, Halskette aus Palmkernscheibchen schwarzer Farbe für Schankpanna.

Owo-buruku, Armband aus weißen, ganz kleinen Kauris für Buruku.

Onide, rötliche, ganz kleine Perlen in Haisgehänge und Idequiqua, Gelbgußarmbänder in größerer Anzahl als Abzeichen Osuns.

Efung, d. h. weiße Flecken auf der Stirne, mit Erdfarbe für Olufan und andere.

Ob diese Abzeichen der Gemeindepriester als Ausdruck ihrer Verehrungszugehörigkeit an allen Orten ganz gleich oder schwankend sind, kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen, da letzteres mir aus verschiedenen Berichten der Leute hervorzugehen schien, ersteres aber an sich wahrscheinlicher ist. Sicher dagegen ist, daß die Stellung aller dieser Priester eine erbliche war. Sie ging eo ipso vom älteren



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auf den jüngeren Bruder über. Danach erst kam die nächste Generation der Söhne an die Reihe. Stirbt eine Priesterfamilie aus, so treten die Ältesten der Familie des betreffenden Orischa zusammen, um eine Neuwahl vorzunehmen. Ausschlaggebend ist der Aqua-bifosa, das Orakel der Kolanüsse. Hat eine Familie so die Priesterwürde erhalten, so erbt sie sich in ihr fort, bis der letzte direkte Sproß in Bruder- und Sohneslinie ausstirbt.

Die Aufgaben des Adjes sind ganz verschiedene, kommen aber in zwei Punkten überein; sie haben die Heiligtümer der Götter zu verwalten, die Ordnung zu wahren, sie zu mehren und reinlich zu erhalten und den Verkehr mit den Göttern weiterzuführen. Ferner haben sie in der Novemberzeit die großen Zeremonien für ihre Gemeinden zu leiten. Über die Feste und Zeremonien werden wir noch manches kennenlernen, zunächst will ich nur eine ganz allgemeine Schilderung der Tempel und Altäre bringen.

Bei dem Tempel des nördlichen Joruba hat man zwei verschiedene Formen zu unterscheiden: das eine ist die Banga, d. I eine Kammer, ein kubischer Raum, der in das Hauptgebäude der großen Gehöfte eingebaut ist. Der schönste dieser Art, den ich gesehen habe, war der des Gottes Schango in Ibadan. Die offene Seite war hier durch tragende Säulen im Sinne der Stützpfeiler des Tembenbaues geschmückt. Hinter ihnen lag der Altar. Ein Aufbau von Töpfen, die als Altarorakel verwendet waren, dann Holzfiguren mit "Donnerkeil", dann übergehängte Stoffe, die zum Teil den Ascho Ogun, den Amulettgewändern der Schamanen glichen, an die Wände gehängte Taschen usw. Auf dem Altar dieser rechteckigen Bangatempel findet man allerhand nicht Zusammengehöriges durcheinander aufgestellt, moderne Schnapsflaschen, alte Geibgüsse, verzierte Eisenstäbe, jede Art von Kopfschmuck und Amulett, alte Krüge, Reste alter Steinbauten usw., alles in moderner Sinnlosigkeit, sowohl das ganz bedeutungslose Neue, als das mißverstandene Altehrwürdige. An verschiedenen deutlichen Resten und nach emsigem Suchen kann man aber erkennen, daß früher hier eine Symbolik geherrscht hat, die reich und bedeutungsvoll gewesen ist, daß dagegen heute diese äußeren Zeichen einer verweltlichenden Durcheinanderwürfelei anheimgefallen sind, einer Wirrnis, die durchaus kritiklos ist. Man sieht im Schangotempel Ifaschalen, auf Jemajaaltären Schangorasseln, in den Heiligtümern Ojas Schankpannaspiele u. dgl. Es war kein leichtes Stück Arbeit, obgleich doch eine ziemliche Übung im Entwirren nun schon gewonnen war, diese alten Geräte zu gliedern und eine klarverständliche Sammlung aufzubringen, die wenigstens der schweren Sinnfehler bar ist.

Außer diesen eingebauten rechteckigen Tempeln kommen noch runde Einzelgebäude vor, die im Architekturbilde dieses Teiles des



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Jorubalandes um so wunderlicher wirken, als hier doch durchweg die gerade Mauer, das Satteldach und das Tembensystem im Wohnbereiche allein herrschen. Hier und da gewahrt man nun auf breiten Straßen und großen Höfen, so wie in heiligen Hainen außerhalb der Städte, regelrechte Rundhütten mit Kegeldach, das entweder von einem Kreise hölzerner Stützen oder Lehmsäulchen getragen wird. Durch den Abstand der runden Wand von den das Dach tragenden Stützen entsteht eine Veranda, in der gewöhnlich die dem Kultusdienste dienenden Trommeln aufbewahrt werden. Das Innere dieser runden Tempel pflegt, im Gegensatz zu den heiligen Tembengemächern, den Bangas, ziemlich leer zu sein. Keinerlei Figuren, nur ein Topf mit Wasser, einige Kolanüsse, einige Schnecken, das ist alles, was dem Beschauer hier auffällt. Diese kleinen Tempel scheinen selten oder nie dem Orischa des Hausherrn gewidmet zu sein. Der Hauptorischa des Gehöftes hat anscheinend stets seinen Bangaraum. Diese Tempel sind von den in die Familien eingeheirateten Frauen errichtet, und zwar meist solchen Frauen, die im Hause besondere Macht gewonnen haben; oder aber sie stehen auf der Straße, und dann haben sie irgendeine Beziehung zu der Örtlichkeit und stehen nicht dem Gehöfts-, sondern dem Hauptpriester zur Verfügung. Ich sah sodann an einer Stelle außerhalb eines Gehöfts, das dem Gotte Oschun geweiht war, einen kleinen runden Tempel errichtet, der dem Schango gewidmet war; der Gehöftsherr hatte ihn durch den Schangopriester aufbauen lassen, nachdem einmal der Blitz in sein Haupthaus eingeschlagen war. Meist sind die runden, kleinen Tempel anscheinend dem Gotte Oschalla gewidmet. Ich könnte hierin falsch unterrichtet sein; sicher aber ist, daß in den runden, symbolarmen Tempelchen ebensoviele Opfer dargebracht werden, wie in den pompösen Bangas.

Drittens aber müssen die Tempel oder Weihestätten unter freiem Himmel erwähnt werden, die Igbodu. Sowohl (wenn auch seltener) innerhalb der Städte, wie besonders draußen vor den Toren sind heilige Haine gelegen, die aus wenige Meter hohem Buschwerk bestehen, über dem hohe Baumwollbäume und Rotholzbäume ihre Kronen ausbreiten. In diese Buschwerke nun sind nach ganz bestimmter Anordnung Gebet- und Opferplätze, eben die Igbodu, geschnitten. Von der Hauptstraße zu ihnen hinein führt ein schmales Wegstück, über das Palmblätter hängen und gewissermaßen das Tor bilden. Unter ihnen hindurch gelangt man in einen viereckig geschnittenen, mit Paudanus umzäunten größeren Waldplatz, durch einen zweiten Torgang in einen etwas kleineren, durch einen dritten in einen verhältnismäßig sehr kleinen, auf dem seitlich oder auch der Mitte zu irgendein großer Baum zu stehen pflegt. So sind immer diese drei Räume in gleicher Anordnung. Den ersten darf alles



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Volk betreten, den zweiten nur die Priester und die Gesippung des Gottes, dem das Heiligtum gewidmet ist, und den dritten nur der Hohe Priester und die von ihm geweihten Hüter der Tempelstätte. Diese Tempel mit ihrem Allerheiligsten sind also genau angelegt wie die der alten Israeliten usw. und wie die älteren griechischen auf Sizilien. Im Allerheiligsten werden die größeren Zeremonien vollzogen und hier liegen auch meist Scherben und Heiligtümer aus vergangener Zeit. Von diesen Tempeln sagte man mir, daß "Edschu auf ihrer linken Seite wohne". Im übrigen scheinen hier ebensogut wie im Tempelgebäude und in der Altarnische im Hause Opfer dargebracht zu werden.

Dies führt mich zu der allgemeinen Besprechung der Orischas und ihrer Lebensformen selbst. Ich habe geschildert, wie heute alle möglichen Gegenstände auf dem Altar angesammelt sind. Oben schon habe ich von den schön geschnitzten Türen gesprochen, mit denen die größten Tempel und heiligen Gehöfte geschmückt sind. Wir haben dagegen gesehen, daß die kleinen Tempelchen, die an der Straße und inmitten der Gehöfte stehen, fast gänzlich leer sind. Später werden wir erkennen, daß die Figuren und sonstigen Darstellungen und Symbole niemals eigentliche Bilder der Götter sind, sondern vielmehr die Priester und Menschen repräsentieren, welche gerade diesem oder jenem Gotte ein Opfer oder eine Zeremonie darbringen. Ich weiß nur von wenigen Bildnissen, die den Gott wirklich selbst darstellen. In den meisten Fällen hat der Eingeborene jedenfalls unrecht, wenn er eine Darstellung als die eines Gottes in Anspruch nimmt. Nur der Gott Edschu ist immer klar erkennbar, Schango sehr selten dargestellt. Dagegen bringen alle diese Schnitzwerke immer die Tracht und bestimmte Symbole zur Anschauung, die den betreffenden Göttern geweiht sind.

Ein Orischa kann nun ebensogut auf einem pompösen, bilderreichen Altare, wie in einem leeren, kleinen Hüttchen wohnen. Das Bild und der Altar sind nicht selbst der Orischa. Er wohnt nur darin und lebt darin ebensogut wie in der Betätigung der Naturkraft, in der die Gottheit der mythologischen Vorstellung nach heimisch ist. Der Gott eines Stromes ist nicht der Strom selbst; er belebt ihn nur, er wirkt darin und kommt aus ihm heraus. Und der Gott der Sonne ist auch nicht die Sonne selbst, diese Gottheit wohnt in der Sonne. Jeder Orischa hat in der Naturerscheinung, in der man ihn denkt, seinen Wohnsitz genommen, und er kann, wenn er will, aus diesem Wohnsitz hervortreten, kann sich in der Familie bewegen und dort Segen und Nachkommenschaft pflanzen. Genau so, wie er auch im Besonderen bestimmte Menschen inspirieren, d. h. sie in Besitz nehmen kann, so daß sie wie besessen sind. Soweit der Kultus und die Grundlage des sozial-religiösen Systems.



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Zusammenfassung. Die soweit aufgefundenen Grundlinien scheinen mir so wichtig, daß ich sie hier noch einmal zusammenfassen möchte.

1. Wir fanden das ganze Volk der Joruben totemistisch gegliedert in viele Klane, an deren jeder Spitze ein Gott steht, von dem alle Mitglieder des Klans abstammen. Dieser Gottheit sind einige Tiere widrig; deswegen müssen sie von den Nachkommen vermieden werden und veranlassen somit die echt totemistischen Ewuo-Speiseverbote. Diese Ewuo werden vom Gott-Stammvater in väterlicher Linie bis zu den jüngsten Nachkommen fortgepflanzt. Die Gesetze bedingen Exogamie, d. h. niemals sollen sich Nachkommen der gleichen Gottheit ehelich verbinden. Und wenn sie auch der Familie nach so weit voneinander abgezweigt sind, daß sich keiner mehr erinnern kann, von einer Beziehung zu den Vätern der andern Linie etwas gehört zu haben, so müssen sich zwei junge Menschen, die dieselben Speiseverbote haben, einander meiden, weil sie als blutsverwandt gelten.

2. Die einzelnen Klane stammen aus verschiedenen Gegenden; der eine Gott kam von Norden in seinen Klan, ein zweiter von Osten, ein dritter von Westen usw. Sie sind der Sage nach im Laufe der Zeit mehr und mehr durcheinander geflossen: je nachdem hier und da das politische Übergewicht den Führern dieses oder jenes Klans zufiel. Im Laufe der Zeit mag so der eine Klan aus schwacher Wurzel zu großer Bedeutung und derart sein Gott zu eminenter Macht gekommen sein, während ein anderer, früher sehr einflußreicher von der Hoheit herniederstieg. Als Klan, der alle Zeiten hindurch die siegreiche Oberhand behalten hat, können wir z. B. die Schangosippe anführen, während der Klan Oduduas herabgekommen und dem Aussterben sehr nahe ist. Und ebenso wie Odudua ist es dem Meergotte Olokun gegangen, dessen Nachkommenschaft auch deshalb schon an Bedeutung einbüßte, weil das Interessengebiet dieser Völker schon lange vor Beginn des Mittelalters sich mehr und mehr von der Küste dem Inlande zu verschob.

3. Jeder Gott hat seine Machtsphäre und seine eigenen Kräfte, und insofern wird er nicht nur von seinen Nachkommen, den Mitgliedern des Klans, die sich seine "Kinder" nennen, sondern auch von solchen, die seiner Hilfe gerade bedürfen, jeweilig verehrt. In Gewitternot wendet sich ein jeder Jorube, nicht nur ein Sohn des Schango, an den gewaltigen Donnerer. Wenn eine Pockenepidemie ausbricht, so wenden sich die Bitten aller an den gewaltigen Schankpanna. Dennoch ist aber ein Grundsatz immer festzuhalten: Nie wird ein Mensch aus seinem Klanverbande treten können, um etwa die Vater: und Urahnenschaft eines andern Orischa zu gewinnen. So oft ich die Leute in verschiedenem Sinne nach solchen Möglichkeiten fragte, lachten sie jedesmal über den Unsinn, welcher nach



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jorubischer Ansicht in so törichter Fragestellung liegen muß. Denn diesen Klanverband kann nicht einmal ein Mann verlassen, wenn er Ismalit oder Christ wird. Ein alter Schwarzer, den ich in dieser Richtung interpellierte, klärte mich sehr einfach auf. Er sagte zu mir: "Du hast einen Vater und eine Mutter. Du sollst diesen Vater und diese Mutter ehren. Du kannst diesen Vater und diese Mutter aber auch beschimpfen. Du wirst aber niemals den Vater und die Mutter verstoßen und dir einen andern Vater oder eine andere Mutter wählen können. Jeder Mensch stammt von einem Elternpaare ab, und das kann er nicht ändern. Es ist nun nur die Frage, ob er sie verehrt oder beschimpft. So ist es auch mit den Orischas".

Ist in diesen drei Abschnitten das Wesentlichste gegeben, soweit es die Struktur des Sozialsystems angeht, so will ich im folgenden in aller Kürze auch angeben, inwieweit die Götter untereinander zusammenhängen oder nicht. An der Spitze des ganzen Göttersystems steht Olorun. Er wird weder verehrt, noch irgendwie beachtet, sondern führt ein absolut mythologisch-platonisches Leben. Es gibt aber noch einen zweiten Himmeisgott, und das ist der Obatalla, auch kurzweg Oschalla genannt. Der alten Sage nach war dieser Himmeisgott ein Gott des Meeres und außerdem, der Küstenmythe zufolge, auch der Gatte der schwarzen Erde. Odudua, die schwarze Erde, wird im Innern aber als Mann angesehen, und so bemerken wir, daß diese ursprüngliche Ehe von Himmel und Erde in diesen Gegenden fast in Vergessenheit geraten ist. Ein zweites Götterpaar stellen Aganju und Jemaja dar, die trockene und die feuchte Erde. Sie hatten einen Sohn, der Oranja oder Orungan heißt, und dieser Sohn liebte seine eigene Mutter über alle Maßen. Jemaja wurde nachher Mutter von sechzehn Göttern. Diese sechzehn Götter sind von der verschiedensten Art. Einige sind gewaltige Herrscher, wie Schango, der Donnergott, Olokun, der Meergott, Öko, der Gott des Ackerbaues, Ogun, der Herr des Eisens, Schankpanna - der Pockengott, dann die Sonne und der Mond; andere aber, und zumal die Göttinnen, sind Flüsse und entsprechen mehr den unsterblichen Damen, die auch in der griechischen Mythologie die Flüsse beleben. Im großen und ganzen ist dieses Grundgerippe der Mythologie in den Küstenländern recht hübsch klar erhalten. Doch kommt es auch diesen Mythen erzählenden Menschen nicht darauf an, einmal alles kunterbunt durcheinander zu werfen, und gerade ihr Poseidon, der Olokun, wird teilweise als das mächtige Himmelsmeer angesehen, aus dem der Himmeisgott geboren wird, teilweise aber auch unter Verschiebung seiner Entstehung um drei Generationen als Sohn der Jemaja hingestellt. Nicht zu bezweifeln ist es außerdem, daß in einer Unsumme von Lokalerdichtungen die Götter umgedeutet und in ihren Beziehungen zum mythologischen Grundgerippe verschoben werden.



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Immerhin ist dieser Vorgang bei weitem noch nicht so wild und wirr, wie etwa im klassischen Altertume. Und vor allen Dingen haben die großen Gottheiten bis auf eine einzige Ausnahme ihre Stellung und Macht dem Gesamtsystem nach beibehalten. Nur auf eine Erscheinung muß ich gleich von vornherein aufmerksam machen. Sie darf nicht aus dem Auge verloren werden. Ich meine die Erscheinung der Wucherformen.

Es gibt eine ganze Reihe von mythologischen Erscheinungen, die nicht als Götter, heute aber hier und da als Orischas verehrt werden. Da ist z. B. Oro, den ich oben geschildert habe. Es ist weiter nichts als das Geräusch, das die verstorbenen Ahnen hervorrufen, wenn sie zur Erde zurückkommen, Speise verlangen und die Weiber in die Hütten verjagen. Eine zweite solche Form ist Egun oder Egugun. Egun ist zuerst eine Maske. Wenn ein Mensch gestorben ist und zum Grabe begleitet wird, nimmt man vor der letzten Bergung der Leiche noch einmal das Tuch von dem verstorbenen Körper. Man hat eine hölzerne Maske geschnitzt, die legt nun ein Mann an und nimmt dann das Leichentuch um sich. So tanzt er und spricht in der Fistelstimme im Namen des Toten, den er in der Maske und in dem Leichentuche repräsentiert, zu den Verwandten, tröstet sie, ermahnt sie und verhandelt mit ihnen über die Arbeiten und dergleichen. Den Eguntänzer betrachtet man direkt als eine Personifikation des Toten. Will man diesem z. B. ein Opfer darbringen, so stellt man die Maske auf und nimmt an, daß die Opfer, die nun vor der Maske dargebracht werden, von dem Toten selber in Empfang genommen werden (vgl. oben!). Auch diese Egunfigur wird vielfach als Orischa betrachtet, ohne aber auch nur im geringsten ein Anrecht auf diesen hohen Titel beanspruchen zu können, da sie ja als die Personifikation des Toten eigentlich nichts ist als ein kleiner Bruchteil des Orischa.

Ein anderes Beispiel: In dem großen Flusse lebt ein großer Fisch, "der hat Brüste und ein Gesicht wie ein Mensch". Er heißt Esse. Wenn die Leute den Esse jagen wollen, so befestigen sie an ihrer Ofa (Stechlanze) vorn ein Ogu, ein magisches Mittel. Drei Tage, nachdem der Jäger zugestoßen hat, kommt Esse dann zum Vorschein. Man verteilt sein Fleisch nach Belieben, die Knochen aber erhält der Schamane. Zuweilen wird der Esse auch an einer Meeresstelle gefangen, wenn er "ans Ufer steigt, um zu grasen". Von diesem Esse heißt es, daß er zuweilen auch als Orischa verehrt worden ist. Eines Tages aber überwarfen sich die Menschen mit ihm aus Mißverständnis, und seitdem sehen ihn die Joruben wie jeden andern Fisch an und töten ihn, wo sie können. Soviel aber wissen die Leute: Vordem war ein Esse der Mensch, und zwar im Lande Lubu, wo Enjille beginnt. Dort in Lobu oder im Lande Lubu ist eine Familie, die den Esse noch jetzt verehrt. Im eigentlichen Jorubalande fehlt aber



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heute der Orischa Esse. — Ich bin diesem Orischa dann noch nachgegangen und habe gefunden, daß es sich um nichts anderes handelt, als um den Manatus, den Ma der Mande, den Adju der Haussa. Die Legenden, die die Mande- und Fulbestämme von ihm erzählen, haben auch Joruba im Norden gestreift, und so dämmerte am Horizonte des Volkes ein neuer Orischa herauf. So, wie hier aus einer Legende ein Orischa herausgebildet wird, ist es mit vielen andern Erscheinungen. Da hört man z. B. von einem Orischa Adja und ist alsbald erstaunt über die Vielseitigkeit der kleinen Wesen, die sich in diesem Gotte vereinigt haben sollen. Zuletzt stellen sie sich als kleine Wichtelmännchen heraus, von denen auch die Bewohner Senegambiens und Mossi allerhand zu erzählen wissen.

So kommt es denn den Joruben absolut nicht darauf an, aus jeder ihr Interessengebiet in mythischer Hinsicht streifenden Sache einen Orischa zu machen, und ihn, wenn auch nicht dem Gesamtsysteme, so doch der allgemeinen Glaubenswelt einzugliedern.

Das bezeichnendste Beispiel von der Umbildung eines Orischa ist aber Ifa, über den ich im zwölften Kapitel eingehender berichten werde. Außer diesem Ifa gibt es nun noch eine hervorragende Gestalt, die vielfach als Orischa aufgefaßt wird, doch niemals mit einem wirklichen Orischa etwas gemeinsam hat, das ist Ossenj: eine Erscheinung, die bei der Betrachtung des sozial-mythischen Systems der Joruben auf keinen Fall vergessen werden darf.



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Das Ossenj. Schamanen, Vampyre. —Wie so viele Völker Afrikas, so glauben auch die Joruben an gefährliche, schwer faßbare, überirdische Kräfte, über welche nur einige bestimmte Geschöpfe infolge besonderer Vererbung verfügen. Es sind die heimlichen Geister, die nachts umziehen, die imstande sind, die Menschen krank zu machen, ihre Seelen zu vernichten und zu verderben und so die Körper zu töten. Die Menschen, die solche Eigenschaften haben, wohnen mitten unter dem Volke, sie sind schwer zu erkennen; noch schwerer aber ist es, sich vor ihrem unheimlichen Tun zu schützen. Nur eine einzige Art von Menschen vermag dies und ist imstande den Kampf gegen diese Nachtgeschöpfe zu führen, das sind die Schamanen, die bei den Joruben "Ada-usche" heißen.

Der Ada-usche ist seiner gewöhnlichen Lebensstellung nach zunächst ein Mediziner, ein Arzt, der über eine ganze Reihe pharmazeutischer Kenntnisse verfügt. Man kann aber ein solcher Arzt nur werden, wenn man vom Ossenj oder Ossei nicht sowohl abstammt, als vielmehr auf Grund seiner Abstammung begeistert wird. Wenn nun diese Beziehung zu dem Ossenj auch Voraussetzung ist, so muß doch die Kunst des Ada-usche regelrecht gelernt und studiert werden. Wenn demnach ein bejahrter Ada-usche das Alter allzu drückend



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empfindet und von den ersten Todesahnungen geplagt wird, so beginnt er seinen Sohn zu belehren, auf daß er ihm dann später an Kunstfertigkeit und Kenntnissen gleichkomme. Doch auch durch solche Schulung wird der junge oder auch schon ältere Mann noch lange nicht Ada-usche. Nach der Einführung durch den eigenen Vater muß er sich aufmachen und auf die Wanderschaft gehen. Und zwar dieses für mehrere Jahre. Er sucht berühmte Vertreter des väterlichen Standes auf, spricht mit ihnen, zahlt für die Lehre und den Unterricht und zieht dann weiter. Hat er an mehreren Orten derart studiert, so kehrt er heim und kann sich nunmehr niederlassen.

Die Lehrzeit des Mannes ist aber nicht nur mit Diskussionen, medizinischen Studien usw. ausgefüllt. Der Ada-usche wird direkt beeinflußt von der einflußreichsten Kraft, die den Menschen zuteil werden kann. Das ist das Ossenj. Nur ein Om-Ossenj kann Adausche werden. Und zwar erhält er von der Gottheit die magischen Mittel, die ihn zum Schamanen erster Ordnung stempeln. Nun ist aber auch jeder Orischapriester auf den Ada-usche angewiesen, denn nur von Ossenj geht die magische Kraft der Belebung der Götter wie der Menschen aus. Wenn der Schangodiener am heiligen Tage mit dem Feuer tanzt, so holt er sich vorher die schützende Kraft von einem Ada-usche. Neben dem heiligen Gerät eines jeden Babalawo stehen inspirierende Eisenstäbe, die im wesentlichen genau den gleichen Formen der Agema der Bassariten und andern Stämmen entsprechen und nur breiter ausgebildet sind. Diese Ossenjstäbe geben dem Ifadienste die vermittelnde Kraft und sind deshalb vom Ada-usche geweiht. Der Schamane selbst hat diese hie (d. h. Haus) genannten Eisenstäbe daheim als Träger seiner göttlichen Inspiration stehen.

Daß die Ada-usche im ganzen Orischasystem eine von den Göttern und Priestern unabhängige Stellung einnehmen und unabhängig von diesen wirken, geht schon daraus hervor, daß diese Schamanen kein ausgesprochenes Speiseverbot haben, daß nicht jeder Sohn eines Ada-usche vom Ossenj begeistert werden kann, und daß diese Segnung mit der magischen Kraft von der persönlichen Auswahl des Ossenj abhängt.

Wenn wir von der medizinischen Tätigkeit des Ada-usche absehen, so erkennen wir seine Wirkung als Schamane auf vielen Gebieten. Ossenj selbst bedeutet soviel wie "magische Kraft". Die magischen Kräfte und magischen Hilfsmittel stellen aber das Rüstzeug dar, mit dem die Joruben überhaupt sich in aktiver oder passiver Hinsicht in ihrem Verhältnis zu den überirdischen Kräften wappnen. Im alltäglichen Leben benutzt der Jorube hierzu die Ogu, die Amulette. Es ist selbstverständlich, daß kein Mensch außer dem



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Ada-usche Ogus verfertigen kann, weil niemand außer dem Adausche ihnen die Ossenjkraft verleihen kann. Wenn solche magische Kraft als selbständiges Zentralorgan übersinnlicher Wirkungen überhaupt angenommen wird, wie dies im ganzen Schamanendienste der Fall zu sein scheint, so ist es ganz logisch, wenn dieser Schamane als Inspirator, als Diener und Instrument des Ossenj allein imstande ist, Zaubermittel anzufertigen. Ebenso, wie es ja logisch ist, daß von diesem Ossenj selbst der Wirkungsinhalt, die Wirkungsabsicht des Ogu ausgefüllt werden könne. Also wenn erstens die Joruben überreich an Amuletten sind, so nehmen sie diesen Reichtum von den Ada-usche, die die Instrumente mit Hilfe des Ossenj herstellen. Und wenn zum zweiten die Götter eine den Menschen verständliche Außerungsform annehmen wollen, so gewinnen sie ebenfalls wieder die Kraft von niemand anderem als von dem Ossenj.

Ein besonderes Zeichen der separierten Bedeutung der Ada-usche liegt wie schon erwähnt darin, daß er der Herr und Meister, will sagen einzig Überlegene im Kreise der Wehrwolf-Subachenanschauung ist. Die Subachen heißen bei den Joruba Adje. Man fürchtet sich schon über sie zu sprechen, denn sie gelten so ziemlich als die unheimlichsten Wesen. Wenn man über sie redet, soll kein Sprechender oder Zuhörender an der Wand lehnen, denn das können diese Geschöpfe, wenn sie auch noch so fern sind, hören und dann werden sie sich unbedingt an dem Menschen für sein Interesse rächen. Ferner ist es sehr empfehlenswert nach der Unterhaltung über solche Dinge etwas Palmöl aufzutischen und vom Finger zu lecken, sowie auch eine Kola zu kauen, um derart "den Mund von den schlechten Worten zu reinigen". — Die Subachenform ist bei ihnen insofern interessant, als die Lebenssauger nicht wie im Sudan als Feuerfunken, sondern als Vögel in die Ferne ziehen. Doch versuchen wir, uns das Bild der Eingeborenenvorstellung möglichst deutlich zu vergegenwärtigen.

Die Adje sind lebende Menschen, welche die Gabe besitzen, nachts ganz unbemerkt den schlafenden Körper zu verlassen, um sich in kannibalischer und räuberischer Weise der Lebenskraft anderer Sterblicher zu bemächtigen. Der Nebenmensch sieht es dem Adje weder am Tage an, wenn er neben ihm lebt und tätig ist, noch nachts, wenn der andere an seiner Seite scheinbar harmlos atmet und schlummert, während doch sein "Inneres" vielleicht schon längst die weiterschlummernde Körperhülle verlassen hat. Wenn der Adje nachts auf Raub auszieht, so fliegt er als Eule fort. Er fliegt nie durch eine Türe, sondern meist durch ein Loch im Dache. Herausfliegen ist falsch ausgedrückt; er verläßt das Haus vielmehr rückwärts, indem seine Eulengestalt sich gegen eine Deckenöffnung oder auch geschlossene Türe lehnt. Das Anlehnen genügt, die Eule ist



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draußen. In der gleichen Weise hält Adje bei seinen Opfern Einzug -durch ein Loch oder eine geschlossene Tür und in Rückenanlehnung, nie aber durch eine offene Türe.

Das einzig Merkwürdige bei den Adje der Joruba ist aber, daß sie gar nicht das Haus zu verlassen und bei dem Opfer einzufallen brauchen, um ihren kannibalischen und mörderischen Lüsten zu folgen. Sie können das Leben der andern auch von ihrem Schlafhaus aus durch Saugen aufnehmen. Sie können ihre Opfer auch aus der Entfernung packen. Näheres darüber konnte ich nicht erfahren. Auch macht die Phantasie der Joruba vor der Ausmalung der Details des Vorganges selbst halt. Ich konnte nicht einmal feststellen, ob die Seele oder das Leben des Opfers annektiert wird. Jedenfalls fühlt sich das Opfer am andern Morgen nach dem Erwachen sehr unwohl, unfähig aufzustehen, unfähig über die Sache zu sprechen und über alle Maßen wehmütig. Der Adje hat nachts den geistigen Lebensteil des Mannes genommen und auf einen sehr hohen Baum geschleppt, wo er für einige Tage aufbewahrt wird. In dieser Zeit ist es den Angehörigen vielleicht noch möglich den Erkrankten zu retten. Sie müssen den Erkrankten frei kaufen. Irgendein Freund des Hauses übernimmt die Vermittlung. Er sagt: "So, so, so krank ist der x. Nun dann bringt doch dem und dem einmal Stoffe und Geld und anderes. Vielleicht wird es dann ja besser." Auf solchen Vermittlungsvorschlag geht man gern ein und bringt gar manchesmal materielle Opfer, um einen Menschen zu erretten.

Wir finden auch bei den Joruba wieder betont, daß jeder Mensch nur Mitglieder der eigenen Familie töten kann. Und wenn man über den Angehörigen einer andern Familie herfallen will, so muß ein dieser Familie verwandter Adje die Worte ausgesprochen haben: "Nimm ihn"! — Mitglied wird man im allgemeinen durch Vererbung und Unterweisung seitens des Vaters oder der Mutter. Wenn aber eine Mutter ihr Kind gefragt hat: "Willst du Adje werden"? und wenn das Kind dann nicht will, dann muß es sehr schnell außer Land fliehen, wenn es der Raubgenossenschaft nicht zum Opfer fallen und sehr schnell sterben will. — Im übrigen gehört hier im Gegensatz zu der Anschauung anderer sehr viel Geld dazu, um Adje zu werden. Dem Joruba ist eben nichts etwas wert, was nicht viel Geld gekostet hat.

Wie gesagt: der einzige, der dieser Ungetüme Herr wird, ist auch hier der Schamane, der Ada-usche. Wie er mit ihnen verfährt, weiß ich nicht; nur soviel ist sicher, daß er dies auch vollbringt als Herr aller magischen Kräfte und magischen Hilfsmittel. Das magische Rüstzeug, das er andern Leuten gibt, sind die Ogu, die Amulette. Kein Mensch außer dem Ada-usche kann Ogus machen; niemand anderer sie beleben als Ossenj. Ossenj heißt anscheinend direkt magische



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Kraft. Wenn solche magische Kraft als selbständiges Zentralfeuer übersinnlicher Wirkungen überhaupt angenommen wird - wie dies im ganzen Schamanendienst der Fall zu sein scheint, so ist es absolut folgerichtig, wenn dieser Schamane, als Inspirator, als sein Diener und Instrument allein imstande ist, magische Mittel anzufertigen, ebenso wie es logisch ist, daß nur von dem Ossenj selbst die Wirkungsform, die Wirkungsabsicht des Orischa ausgeführt werden kann. Es gibt aber eine Unmenge Amulette der verschiedensten Art, gegen Feuersbrand, für Regen, gegen Schuß und Hieb und Stich, gegen Krankheit usw. usw., und wenn auch mancherlei Amulettformen von dem Orischadienste und andern Anschauungsgruppen übernommen werden, wie Steinbeile aus dem Schangodienst, Schwirrhölzer aus dem Orodienst, Nachahmungen von Ifabrettern und Miniaaturausgaben von Blasebälgen, usw. usw., so werden sie doch alle immer wieder belebt und können ihre wahre Kraft nur durch Ossenj erhalten. Man wird kein Haus finden, in dem nicht Ossenj in allen möglichen Varianten sein Wesen eingebürgert hat, vor allen Dingen fällt aber oftmals eine Ausschmückung auf, die besonders bedeutungsvoll erscheint.

Neben den meisten Haupteingängen in jedem Haus sieht man auf jeder Seite ein kleines Holz in den Boden gelassen, oder am Türrahmen befestigt, oder in das Rippenwerk des Verandadaches gesteckt. Das eine der beiden Hölzer ist immer in mehr oder weniger deutlicher Weise weiblich, das andere männlich dargestellt. Zuweilen sind es ganze Figuren, zuweilen nur Stücke mit Gesichtern oben und den Kennzeichen des Geschlechtes unten, zuweilen sind nur wenige Schnitte angebracht, die dann aber auch das Geschlecht angeben. Es muß immer ein Paar sein. Diese Figuren heißen Awurang. Die ihnen innewohnende geistige Kraft erhalten sie, wie jedes Amulett, vom Ada-usche. Ihre Aufgabe ist es, das Haus vor allem Schlechten zu schützen und alles Gute hineinzubringen. Man erklärt die paarweise Aufstellung je eines Geschlechtsvertreters, daß die Awurang eben Mann und Weib schützen sollen. Inwieweit diese letzte Aufgabe richtig ist, weiß ich nicht, konnte ich auch nicht feststellen, denn vereinzelte Angaben kann man immer schwer auf primären oder sekundären Wert hin festlegen. Das kann man nur, wenn die Angaben in einem System irgendeiner Art eingegliedert werden können, so daß es möglich ist, von verschiedenen Seiten aus immer wieder auf sie zurückzugreifen und so zu kontrollieren. Jedenfalls ist die geschlechtliche Paarbildung nicht nur bei den Awurang festzustellen, sondern auch bei andern Kuitgeräten. Das eigentliche Ossenjamulett ist ein Bündelchen, in dem zwei zirka sieben Zentimeter hohe rohe Figürchen in Stoff eingewickelt sind. Das eine gilt immer als männlich, das andere als weiblich, auch



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wenn das Geschlecht nicht zu erkennen ist. —Die Eda Ogboni, die heiligen Ogbonifiguren aus Gelbguß, die an den Köpfen miteinander durch eine Kette verbunden sind und unten in Eisenstifte auslaufen, sind mehr oder weniger deutlich stets als Paar von Mann und Weib charakterisiert. Schon oben im Kapitel über Geburt und Kindersegen wies ich auf die starke Betonung der Geschlechtspaare im Zwillingsglauben der Joruba hin.

Diese paarweisen Gestalten ließen sich seinerzeit schon bei den Tim, den westlichen Verwandten der Joruba nachweisen. Ich fand sie bei den Habe Tommo in den Homburibergen; ich weiß sie bei den Muntschi am Benue, bei den Tschambastämmen in Nordkamerun. Wir haben also eine weitverbreitete Sitte, die auch den Mossi in alter Zeit nicht fehlte, denn sie setzten früher Mann und Weib in die Wangomasken zwischen die Flügel. Von allen diesen Vorkommnissen ließen sich bisher aber nur die Paarfiguren der Tim und die Awurang als direkt zum Schamanenkreise gehörig nachweisen.


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