Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



Atlantis Bd_10-000.4 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT


3. Kapitel: Das Volk

Die Joruben als Volk und Rasse. Die Menschen, die westlich der Nigermündung die Ebene zwischen Togo und den Tairändern des Stromes bewohnen, werden heute gewöhnlich als Joruba bezeichnet. In alter Zeit haben sie ihre Wohnsitze bis weit in das Inland hinein, bis nach Nikki in Borgu, Bussa am Niger, über das Nupeland bis an die Grenzen der Gwarristämme ausgedehnt. Heutzutage ist durch das Vordringen der Borguleute, der Nupe und der Fulbe ihr Banngebiet sehr weit nach der Küste hin eingeengt worden, aber immerhin hat es hier noch seine volle Eigentümlichkeit bewahrt. Das Volk der Joruben macht seiner ganzen äußeren Erscheinung nach einen durchaus nicht ebenmäßigen Eindruck. Auffallend große und viele mittelgroße Gestalten, zarte und klobige Glieder, dunkelbraune, rötliche und gelbe Hautfarben laufen nicht nur auf den Märkten, sondern in jedem größeren Gehöfte durcheinander. Auch in den Mandeländern, in denen doch die Marka der Sahel, die Fulbe Futa Djallons, die Mande des alten Malireiches, dann mehrere Stämme aus dem Norden und endlich allerhand sogenannte "Urbevölkerungen" ineinandergegangen sind, sah ich keine größere Differenzierung. Fernerhin wußte, im Gegensatz zum Nordwesten, im Jorubalande niemand etwas zu sagen von kastenmäßiger Absonderung, die etwa dem Hervortreten eines oder des andern anthropologischen Typs entsprochen hätte. Auf den ersten Blick ist auch keine Herrenrasse im Gegensatze zu dienenden oder werktätigen Gruppen in sozialer oder anthropologischer Hinsicht zu erkennen.

Wenn das Volk aber auch von einer herrschenden Volksschicht zunächst nichts zu berichten weiß, so wird es dem geübteren Beobachter doch nicht schwer, eine Sonderschicht zu erkennen. Das Volk zerfällt den Angaben nach in Reichere, Ärmere und ganz Arme. Wenn man aber durch die Stadt wandert, in den großen und kleinen Gehöften vorspricht, dann erkennt man unschwer, daß die hie Alagba, die wohlausgebauten, alten, umfangreichen Gehöfte, von Leuten



Atlantis Bd_10-013 Flip arpa

bewohnt werden, deren Männer einem größereh Körpermaß, außerordentlicher Schlankheit und Feinheit der Glieder, schmalem Kopfe und hellerer Hautfarbe zuneigen. Bei Herrenfamilien, welche an der Spitze solcher Gehöftsbewohnerschaft stehen, fällt das ganz besonders auf, während die zahlreichen Bediensteten kleiner, plumper und negerhafter dreinschauen, so wie auch anderweitig die Bewohner der älteren Stadtgegenden. Leute wie der Bale, das Oberhaupt des Ogboni, der Magba des Schango usw. und deren Brüder messen der Reihe nach zwischen 180 und 195 cm. Wenn trotz solcher Wahrnehmung die Buntheit der Mischung immer wieder auffällt, so ist daran zu erinnern, daß die Städte dieses Volkes im Hinterlande der größten Sklavenmärkte der Welt liegen und daß diese Hinterländer Zwischenhändler und Lieferanten und auch Exporteure waren. Wo aber so viel lebende Ware durchläuft, bleibt mancher Blutstropfen hängen. Und maßgebend für die Generationen der Rasse vieler vornehmen Familien war schon die Sitte, daß der Edle, wenn die Gattin ihm keinen Sohn schenkte, gern bereit war, ihn von der Sklavin oder einer sonstigen dem Stande nach niederen Mitbewohnerin seines Hauses in Empfang zu nehmen und vollberechtigt als Erben seiner Rechte und seines Besitzes einzusetzen. Aufgefallen ist mir weiterhin an vielen Landorten, und zwar besonders unter den Priestern, ein kleiner, rötlicher Schlag kräftigerer Figuren, die zuweilen einen gedunsenen Eindruck machen, und deren leicht vorhängende Unterlippe und mongoloid gestellte Augen an jene Terrakotten erinnern, die wir in Ife ausgegraben haben. Aber auch in den Familien dieser Leute tritt die Sklavendurchfuhr in ihren Nachwirkungen deutlich zutage.

Solchem Entwicklungsgange und so gestalteter Volksmischung, unter der Einwirkung dieses grauenvollsten Handels der Welt, entspricht auch der Volkscharakter. Die Joruben sind nichts weniger als liebenswürdige Menschen, und zumal die der großen Städte zeichnen sich durch unsympathische Charakterzüge aus. Von den dunklen Steppenvölkern, die man unter gewissen Vorbedingungen als "Neger" bezeichnen kann, haben sie Würdelosigkeit und Kriecherei übernommen. Von jener Rasse höherer Gestalt, hellerer Haut und feinerer Glieder einen sehr bedeutenden Intellekt; aber auch eine außerordentliche Verschlagenheit und betrügerischen Sinn. Sie sind sicher unter die weniger sympathischen Stämme zu zählen, die ich in Westafrika kennenlernte. Während ich die eigentlich "dunklen" Menschen, zumal wenn sie Glieder angesehener und wohlhabender Familienwaren, eigentlich immer, wenn auch als charakterschwache, so doch a priori als Leute von Treu und Glauben einzuschätzen mich gewöhnt habe, kann ich das von den Joruben durchaus nicht sagen. Die Joruben stellen ihrer ganzen Veranlagung nach etwas ganz anderes



Atlantis Bd_10-014 Flip arpa

dar als die sogenannten "Neger"-Völker. Gerade die "vornehmen" Joruben sind so schnell geneigt, ihr Wort zu brechen, andere zu überlisten, daß sie hiermit durchaus den berberischen Mischstämmen gleichkommen. Es ist während meines Aufenthaltes in Ibadan kaum ein Tag vergangen, an dem nicht einer oder der andere dieser langen Herren versucht hätte, mich zu hintergehen oder zu ,belügen' im Sinne der "Neger", also aus Konvenienz, um höflich zu sein, um nicht abzuschlagen, um sich nicht als Unwissender zu erkennen zu geben usw., aber auch nicht nur aus Schwäche und aus Mangel an ethischer Erziehung, sondern ganz einfach aus Freude am Lügen und mit der bestimmten Absicht, zu betrügen und mir für eine versprochene gute Sache eine minderwertige aufzuhängen.

Daneben fielen mir auch manche Untugenden auf, die ich wenigstens im Afrika der dunkelhäutigen Menschen bis dahin nicht kennengelernt hatte. Daß der Schwarze seinen bedeutendsten Fehler in der Würdelosigkeit hat, habe ich schon mehrfach dargelegt. Dieser unheilbare Wesenszug hat nun bei den Joruben eine Ausgestaltung erfahren, deren Wirkung an die Bilder erinnert, die Nachtigal von den Tedda entwarf. Kaum hat einer dieser Leute ein wenig getrunken —und sie trinken für ihr Leben gern -, so wird er von einer Bettelhaftigkeit, die geradezu verblüffend ist. Man ist gezwungen, alles zu verstecken. Er bettelt um Dinge, die er gar nicht zu handhaben weiß, und er versucht seine Bettelei an einem Gegenstand nach dem andern. Diese häßliche Eigentümlichkeit möchte ich auf die schlechten Gewohnheiten des Sklavenhandels und der durch ihn eingeführten Verkehrsform mit den Europäern zurückführen. Außerdem wird den Joruben Ibadans sicher nicht ohne Recht nachgesagt, daß sie ganz besonders geschickte Diebe und Einbrecher seien, die sich nicht scheuen, regelrechte Gänge unter den Mauern eines Gehöftes anzulegen, um so von innen in die Schatzgruben der Besitzer einzufallen. Die Vollkommenheit und der Wagemut, den sie hierbei entwickeln, ist geradezu erstaunlich. Ich selbst habe einen derartigen Diebsgang gesehen, welcher dreieinhalb Meter lang war und den die Burschen binnen acht Nächten ausgehoben hatten. Wenn nun auch die Anregung zu solcher Entwicklung auf den früheren Sklavenhandel und die unmoralische Verwertung dieses Ausfuhrartikels zurückzuführen ist, wenn es auch sicher ist, daß das derzeitige Regierungssystem, wie mir viele Engländer selbst bestätigt haben, durchaus unglücklich ist, so ist doch anderseits zu vermerken, daß kein anderes Volk Westafrikas eine auch nur annähernde Verschlagenheit, geschickte Klugheit und Vollkommenheit in solchen Dingen an den Tag legt, nicht einmal die verrufensten Bewohner Sierra-Leones und Senegambiens. Es ist gerade vom Standpunkte der Beurteilung dieser Menschen und der Verwertung der hier vorliegenden



Atlantis Bd_10-015 Flip arpa

Geisteskräfte im höchsten Grade bedauerlich, daß die regierenden Kreise in Südnigerien sich nicht wie die Nordnigeriens dazu entschließen können, den Eingeborenen die erzieherische Faust fester auf den Nacken zu setzen. Die schwarze Bevölkerung bringt heute in Südnigerien den weißen Machthabern nicht den gehörigen Respekt entgegen, und das führt um so mehr zum Sittenverderb, als auch die eingeborenen Machtfaktoren (die Alafine, die Bales, die Priester usw.) infolge des europäischen Übergewichtes bedeutend an Ansehen verloren haben, und als an Stelle der früheren, ungebrochenen Autorität kein Ersatz getreten ist. Diese Völker waren früher an ein blutig strenges Regiment gewöhnt, darin erzogen und zu ihrer Macht und ihrem Ansehen gelangt. Jetzt, wo dieses strenge Regiment fortfällt, wuchern die schädlichen Eigenschaften um so mehr, als die Milde der Jetztzeit nicht durch eine regelnde Übergangszeit hindurch sich entwickelt hat und nicht die alte "Furcht vor dem Herrn" in eine neue "Pflichterfüllung aus Selbstachtung" umgebildet ist.

Bei solchen peinlichen Veranlagungen darf man aber nicht vergessen, daß die Joruben vielleicht die klügsten, begabtesten Menschen sind, die Westafrika überhaupt aufzuweisen hat. Menschen, die durch Jahrhunderte und Jahrtausende (!) hindurch eine so glänzende Organisation der Sippen mit vollem Bewußtsein des Inhaltes und der Konsequenzen erhalten und durchgeführt haben, wie dies in dem totemistisch-theistischen Aufbau der Joruben der Fall ist; solche Menschen kann man nicht anders als klug und nachdenklich bezeichnen. Wenn die Inlandstämme den größten Teil der Mythen vergessen haben, so ist zum Teil eben die unglückselige Zeit des Sklavenhandels daran schuld, die das gesamte Interesse gefesselt und die Achtung vor dem Werte des Menschenlebens außerordentlich tief herabgedrückt hat, so tief, daß bei der angeborenen Grausamkeit der Westafrikaner das Menschenopfer einen ungemein breiten Raum im Kultus erobert hat. Und in den Jorubaländern wurde genau wie in Benin der Reichtum und die Religiosität eines Menschen nach der Zahl der Menschenopfer beurteilt, die er sich leisten konnte. Auch das erachte ich als eine Folge des von Europa seinerzeit gezüchteten Menschenhandels, wenn die Keime zu solchen Ausartungen auch sicher schon früher vorhanden gewesen sind.

Wir wollen dieses unsympathische Bild aber nicht ohne nochmalige Betonung der Klugheit dieser Menschen abschließen. Die reiche Begabung der Joruben ist für die Wissenschaft ein Quell der wertvollsten Erkenntnisse. Diese Menschen sind so himmelweit erhaben über den sonst so verbreiteten Stumpfsinn des Westafrikanertums, sie sind derartig lebendig und gewandt, so geschickt in der Lebensführung, daß man sie unbedingt als die praktischen Lebensphilosophen der Westhälfte des dunklen Afrika bezeichnen kann, als



Atlantis Bd_10-016 Flip arpa

Leute, die für jedes Vorkommnis bei der Erörterung sofort ein schlagendes Beispiel haben, gleich den tiefsinnigen Bauern Europas. In vollem Bewußtsein erzieht der Jorube seine Kinder, weiß er den Sinn einer jeden Handlung darzulegen und erklärt er jeden Schritt des Lebens in seinen praktischen Folgen. Es ist die gleiche Klugheit, die das sozial-totemistische Göttersystem so durchsichtig erscheinen läßt; und das ist eine Tatsache, die gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Hier ist durch diese Joruben ein derart vertiefter Einblick in das Entwicklungswesen aus irgendeiner Vergangenheit ermöglicht, daß wir besonders bei dieser Betrachtung stehenbleiben müssen. Aus dem Jorubaland erstrahlt eine Flamme, deren Licht über einen großen Teil des Kontinents und durch viele Jahrhunderte hindurch und mehrere Jahrtausende kulturgeschichtlicher Entwicklung Klarheit verbreitet.

Doch wenden wir uns nun den Einzelheiten der Ethnographie zu und beginnen wir mit einer Schilderung der Räumlichkeiten, in denen die Leute wohnen.



***
Die Siedlungen. — Das Jorubaland ist von der Natur bevorzugt. Weite Ebenen, hier und da von Hügeln und Felsgruppen unterbrochen, sind von palmenreichen Steppen bedeckt. Nur in den Flußtälern ragt noch alter Urwald geschlossen gen Himmel. Der Boden ist fruchtbar. In Stadtform liegen, in die schönsten Naturbilder eingebaut, die Wohnungen. Diese Städte stellen den Mittelpunkt des Handels dar. Aber entsprechend der natürlichen Erwerbsform des Volkes, die in intensivem Hackbau und in der Feldbestellung beruht, trifft man häufig und weitverbreitet Ackerweiler und Ackergehöfte. Sie waren in älteren Zeiten von Sklaven bewohnt, die für die Rechnung des in der Stadt wohnenden Herrn ihre Arbeit verrichteten. Die europäischen Kaufleute sagen oftmals, die Joruben seien faule Menschen. Solche Urteile können nur über Stadtbewohner abgegeben werden. Die Pflanzungen, die auch weit ab von den Städten bedeutenden Umfang haben und sorgfältig behandelt werden, widersprechen unbedingt dieser Anschauung, die nur von Leuten ausgehen kann, die selten die Umfassungsmauern der Städte verlassen und die auch wohl nicht immer den rechten Maßstab für den großen Wert der mit den Jahreszeiten ab- und anschwellenden Negerarbeit besitzen. Jedenfalls ist es sicher, daß der Reichtum des Landes im Feldbau beruht, und daß dieser emsig genug betrieben wird, um die nach Hunderttausenden und Millionen von Köpfen zählenden Stadtbevölkerungen zu ernähren und zu bereichern, was doch wohl etwas heißen will.

Liegt der wirkliche volkswirtschaftliche Schwerpunkt der Jorubaländer fraglos im Feldbau und nur in zweiter Linie erst im städtisehen



Atlantis Bd_10-017 Flip arpa

Handel (mit Ölfrüchten usw.) und in städtischer Industrie, so ist doch anderseits unmöglich zu übersehen, daß das soziale und wirtschaftliche Gleichgewicht durch die Stadtbildung aufrechterhalten und bedingt wird. Denn das ist eine hervorragende Tatsache: Die Jorubaländer weisen im gesamten dunkelhäutigen Afrika der Fläche nach nicht nur die zahlreichsten, sondern auch die größten Städte auf, Städte, die auch in unserm Sinne als "Großstädte" bezeichnet werden müssen.

Das Jorubaland ist eines der drei großen Stadtgebiete Westafrikas. Das zweite, das zwischen Timbuktu und Nyamina sich erstreckt, habe ich selbst zur Genüge kennengelernt. Hier drängt sich allerdings Stadt an Stadt. Diese Gebilde liegen aber erstens zum größten Teil in Ruinen und sind zweitens so gering an Bewohnerzahl, daß sie keinerlei Vergleich mit den Jorubazentren aushalten. Jene Städte im Nordwesten haben 5-15000 Seelen, die Jorubastädte aber bis 150000 und darüber. Die Städte des dritten Kreises, die der Haussaländer, sind nun wohl an sich bedeutender als jene am Westschenkel des Niger, aber ihrer sind wenige, die an Umfang den Jorubagemeinden gleichkommen. Auch sind sie viel weiter auseinandergestreut. Betrachten wir aber die geographische Lage dieser drei Stadtgebiete Westafrikas, so sehen wir, daß sie alle drei sich mehr oder weniger eng dem Niger anschmiegen und auf diese Weise ihrer Entstehung und Beziehung nach unschwer verstanden werden können. Und es ist nicht ein Zufall, wenn gerade dasjenige Gebiet, das dem Meere am nächsten liegt, abo das der Jorubaländer, die bedeutendste Zahl der Städte und damit die umfangreichsten Architekturen und die originellsten Einrichtungen aufweist. Denn was im Hinterlande des oberen Niger und in den Haussaebenen lag, war den Strömungen der Steppenkultur und den Saharafluten ausgesetzt. Somit ordnet sich das Leben des Hinterlandes leichter dem neuzeitigen Einflusse unter, während die Westküste mit ihren Wäldern, ihren Krankheiten und ihren dem Inlande so sehr fremden Naturbedingungen das Alter und das Städtewesen einheitlicher bewahrte.

Aber nicht nur durch Höhe der Zahl ist der Typus der Jorubastadt von dem des Sudan unterschieden, sondern auch durch innere, soziale Eigentümlichkeiten. Die Städte des Sudan sind noch vom Typus der Sahara, an deren Rande sie entstanden, und in diesem Gebiete wurden sie Auskristallisierungen größerer, monarchischer Staatenbildungen, wie Ganatas, Maus, Songhais, des von Norden her gegründeten Haussastaates. Diese Sudanstädte lebten bis in die Zeit des modernen Verfalles als mehr oder weniger abhängige Einzelzellen größerer Staatsverbände, und ihr Schicksal wechselte mit dem Schicksal des Kaisers oder Königs, der in diesen Ländern gerade die Oberhand gewonnen hatte. Daher kam es auch, daß gerade in der



Atlantis Bd_10-018 Flip arpa

Zeit der staatlichen Blüte im Sudan die Macht der inneren Stadtverwaltung und ihre Selbständigkeit eine sehr geringe war und daß die Bildung, die in ihnen lebte und webte, den schwankenden Kräften der Sudandynastien unterworfen war. Wir werden im zweiten Teile zu untersuchen haben, auf welcher Grundlage die Sudanstädte sich entwickelt haben. Sicher ist nicht ohne weiteres, daß diese Stadtanlagen aus burgartig verwitterten Herrensitzen hervorgegangen sind, sicher ist nur, daß mit dem Islam und schon vor dem Islam die Selbständigkeit der Magnaten der Sudanstädte gebrochen und statt ihrer ein ausgebreiteter Handel zur Schlagader jeder dieser Emporen geworden war.

Diesen Prozeß des Anheimfalles an soziale (monarchische oder imperialistische) und kommerzielle Netzbeziehungen haben die Jorubastädte in so weitgehendem Maße nie durchgemacht. Sie sind bis in die Jetztzeit hinein verhältnismäßig selbständige Organismen geblieben, und die Verhältnisse staatlichen Übergewichts schwanken zwischen ihnen stets hin und her, ohne daß je ein Rom aus diesen Bedingungen hervorgegangen wäre ein Rom, das die Geschwister auf längere Zeit und bindend einer monarchischen und imperialistischen Idee hätte unterordnen können. Man kann die Jorubastädte, so wie die ersten Europäer sie kennengelernt haben, als unabhängig bezeichnen und die Abhängigkeit von Ojo als Hauptstadt lediglich nominell. Und so hat sich hier ein älterer Typus, ein dem Ursprung des Negers näherliegendes Entwicklungsstadium, das im Sudan längst überwunden wurde, erhalten. Der äußeren Macht entsprechend war aber die Jorubastadt, und sie ist es heute noch, durch eine eigentümliche Erscheinung charakterisiert. Jede dieser Städte hat ihren eigenen Gott, eine Stadtgottheit. Diese ist nicht Stammvater aller in ihr Wohnenden, meist aber der Schutzherr, der von Ort zu Ort wechselt. Wir finden also einen Zustand erhalten, welcher dem im alten Ägypten und dem vieler westasiatischer Länder ungemein ähnlich erscheint.

Die Jorubastädte stehen in ihrer Isolierung aber nicht allein. Genau ebenso fand ich die Verhältnisse in den Anlagen der Waldstädte in Togo und Dahomey, genau ebenso bei den Timm. Deren Ansiedlungen waren auch früher von Wällen umgeben und wurden nach einem System regiert und untereinander verbunden, dessen wesentlicher Charakterzug auch im Hindrängen nach kommunaler Wechselwirkung liegt, nicht aber in Unterordnung unter monarchisch gestaltete Staatenbildung. Ganz ähnliche Verhältnisse scheint mir fernerhin auch das Grasland des nördlichen Kamerun zu bieten, wo Bano, Banjo, Bamum usw. wohl Zentralsitze einflußreicher Häuptlinge sind, wo aber die territoriale Herrschaft auch nie das Weichbild der einzelnen Zentralstadt mit ihren Ackerweilern und Dörfern überschreiten dürfte.



Atlantis Bd_10-019 Flip arpa

Es ist also eine große Gruppe verwandter Erscheinungen, die zwischen Zentraltogo (und einem Punkte, der noch weiter nach Westen liegt) und Nordkamerun weithin um den unteren Niger verbreitet sind, dadurch charakterisiert, daß hier ein anderes Entwicklungsstadium erhalten ist, ein Stadium, das in den nördlich gelegenen Sahara-Randgebieten längst überwunden wurde und dort höchstens in Rückfalls-, in atavistischen Erscheinungen wiedererkannt werden kann.

Zu diesem gleichen Typus gehört das alte Benin, von dessen mächtigem "Herrscher" man früher so viel fabelte. Von der "Mächtigkeit" dieser Herrscher werden wir später verschiedenes hören, aber schon aus dem Vorhergehenden ist zu ersehen, daß diese Stadtgemeinden, die fast nie durch monarchische Gewalt gekräftigt sind, innerlich keine große Kraft aufweisen, da sie ein nur geringes Hinterland besitzen. So wird man es leicht verstehen, wenn man in den alten Chroniken liest, daß Benin einst einem kleinen, unscheinbaren Nachbarstädtchen auf eine Zeitlang Macht und Gut überlassen mußte.

Leuchtet aus solchen Tatsachen und Erwägungen schon ein starker Unterschied der Westküsten- und Inland-Staatenbildungen hervor, erkennen wir hieraus schon, daß der einfachen Betrachtung nach die Küstenstädte einen besser erhaltenen älteren Typus darstellen, so wird uns das noch deutlicher, wenn wir die einzelnen Zellen der Stadt in Augenschein nehmen. Wenn ich von den einzelnen, wenigen Fürstengehöften im Nupelande absehe, die dort eben noch Ausnahmeerscheinungen im Gesamttypus darstellen, so glaube ich sagen zu können, daß kein Gebiet der Westhälfte Afrikas großzügiger in der durchschnittlichen Architektur sein kann als eben unser Jorubaland. Jede dieser Städte zerfällt in eine bestimmte Anzahl erstaunlich großer Gehöfte, die ihrerseits alle, organisch und klar angelegt, ein weites, mächtiges, soziales Zellengewebe zum Ausdruck bringen. Jede Stadt hat ihren Gott; ebenso auch jede Gehöftgemeinschaft ihren eigenen Gott. Und sowie die einzelnen großen Teilgebiete ihren eigenen Gott haben, der nur zuweilen derselbe ist wie der Stadtgott, ebenso hat auch wieder in jedem Gebiete jedes Gehöft, jeder Eingeborene und jede Einwohnerin ihren eigenen Gott, und nur die männliche Aszendenz, und demnach auch die ganze Deszendenz des Hausherrn, betet den Gehöftsgott an. So leuchtet unter den mächtigen Satteldächern, aus den Tempeln, die unter den Veranden liegen, aus den eigenartigen Grundrissen dieser Gebilde schon das religiössoziale Moment entscheidend und erklärend, bedeutsam und vielsagend hervor. Nun aber die Einzelheiten des Bauwesens.



Atlantis Bd_10-020 Flip arpa



***
Architektur. — Beifolgend gebe ich eine schematische Skizze, die den Lesern einen Überblick über die Sachlage und ein schnelles Verständnis der großen Gehöftsaufnahme bieten können. Ein Gehöft, wie es hier als Ausgangspunkt unserer Betrachtung gilt, also eine vollkommen ausgebildete, einem ganzen Familienkomplex dienende Anlage nennt man Ile (oder hie oder Irre) Algaba. Tritt man durch das mannshohe Tor, so kommt man auf den großen Fada genannten Platz, einen zuweilen ganz ungemein großen Hof, um den rechts und links einzelne Wohnräume und wohl auch einzelnstehende Häuschen angelegt sind, die von mehr oder weniger selbstständig gewordenen Söhnen bewohnt werden, während sich vor einem die Front des Haupthauses ausdehnt. Die Kante des mächtigen Satteldaches liegt hier auf hölzernen Pforten auf und ragt bis zu einem Meter von der Erdoberfläche herab. Man muß sich bücken, um auf die so gebildete Gandu, die Veranda, sehen zu können. Da gewahrt man dann meistens den Gehöftsherrn auf der Diele aus geklopftem Lehm auf Kissen und Fellen liegend, beschäftigt mit süßem Nichtstun und meistens umgeben von andern Zeitdieben, als da sind Brüder, Freunde und dergleichen, die sich bemühen, sich dem wohlhabenden und einflußreichen Manne so angenehm wie möglich zu machen. Diese Veranda betreten wir und stehen nun vor einer langen Wand, die hier und da eine Tür aufweist. Kleinere Türen führen in die einzelnen kleinen Wohnräume, Jara genannt, die wirklich recht eng sind. Sie sind meist mit einer Holztür verschließbar. Eine Türöffnung an dieser langen Vorderwand ist meist viel größer und nicht verschließbar. Sie ist so groß, daß man gar nicht mehr von einer Tür sprechen kann. Ein Stück Wand ist hier fortgelassen. Der Raum liegt offen vor uns; wir sehen darin einen Altar, auf einem eingegrabenen Topf sich erhebend. Wir sehen vielerlei Eisen, Töpfe, allerhand mehr oder weniger schmutzige Embieme; wir stehen im "Banga", im Raume, der dem Orischa geweiht ist. Es ist meist der größte Raum im ganzen Gehöft.

Außer den Türen, die in Wohngemächer - um nicht zu sagen "Löcher" —führen, finden wir immer ein oder zwei, die durch diesen langen Frontflügel hindurch auf den Weg in das Innengebäude leiten. Wir durchschreiten den kurzen Gang durch das lange Frontgebäude und gelangen in einen ganz eigenartigen Raum, der, wenn nicht gerade die Sonne scheint, in einem dämmrigen Schatten liegt. Arriens hat davon ein ausgezeichnetes, den Eindruck natürlich wiedergebendes Bild gemalt. Wir stehen vor einem riesigen, gelbgrauen Trichter, der, über einen leicht umrandeten, von grauen Töpfen gezierten, Oborun genannten Platz, nach unten zielt. Rund herumläuft ein Verandagang, in dem die Frauen emsig mit der Hausarbeit beschäftigt sind und von dem aus wieder eine große Anzahl Türen in



Atlantis Bd_10-021 Flip arpa


Grundriß eines typischen Jorubagehöftes; aufgenommen von L. Frobenius



Atlantis Bd_10-022 Flip arpa

viele Jara führen. Gehen wir zur andern Seite, so kommen wir in einen ganz gleichen Raum, der ebenfalls mit Trichterdach, Oborun, Veranda und Wohnräumen ausgestattet ist. Hinter dem langen Quergebäude liegen also zwei solche Anlagen nebeneinander. Im großen genommen ist die Zusammensetzung aus Fada (mit umgebenden Wohnräumen), langem Frontgebäude und dahinter, nebeneinander gelegenen zwei Dachtrichterhöfen der bezeichnende Grundgedanke der architektonischen Gruppierung.

Das merkwürdigste an dieser komplizierten Anlage ist aber nicht die Regelmäßigkeit dieser großzügigen Architekturidee; das merkwürdigste ist vielmehr die innere Konstruktion. Beim Betreten der Ganduveranda muß es schon jedem Beschauer auffallen, daß das gewaltige Satteldach nicht auf den Mauern der Wand aufliegt, sondern daß ein ziemlich kompliziertes Sparren- und Stangenwerk zwischen dem eigentlichen Wohnhause und der Dachhöhe aufragt. Man kann von der Veranda aus bis in die obersten Teile des Daches sehen. Wir erkennen, daß die Satteldachanlage eine architektonische Bildung für sich ist, die sich über dem eigentlichen Hause wie über einem Sockel erhebt.

Aber nicht nur das Satteldach ist ein selbständiges und eigentlich unabhängiges Gebilde, sondern mit dem Hause selbst hat es seine gleiche Bewandtnis. Das Haus hat nämlich sein eigenes Dach, ein flaches Tembendach. Es ist ein Flachdachbau, der das große Giebeldach nur als äußere Hülle, als zweites Dach über sich trägt, so daß es gegen Regen und Sonne besser geschützt ist. Wir haben zwei verschiedene Architekturideen, den Flachbau und das Giebeldach, in der eigenartigsten und gelungensten Weise miteinander verschmolzen. Der Eingeborene bezeichnet das Giebeldach als Eke, die Flachdeckung der Wohnräume als Iyi-adja, die Trichterdächer der beiden kleinen Hinterhöfe, die ihre Abflußwässer auf den Oborun ergießen, als Oschoro, und die Gräben, die Wässer oft unterirdisch, unter dem Hause weg nach der Straße führen, als Balue. Ein solches Oschoro ist ein richtiges Impluvium, so ausgezeichnet, wie man es nur denken kann und wie es auch die Stämme in Nordkamerun und in Aschanti besitzen.

Gelegentlich der Erwähnung der Impluvialanlage der Graslandstämme wies Ankermann schon auf die Beziehung zur gleichen Architekturidee der Römer hin. Woher und von wem Rom dieses Haus direkt übernommen hat, können wir aus der Bezeichnung Atrium toscanicum schließen; denn das ältere Rom hatte anscheinend Rundhütten. Dagegen ist diese Impluvialanlage das wesentliche Glied der Bauten am Nordrande der Sahara. Hier ist eine solche Übereinstimmung der Grundidee, daß wir gezwungen sind, die Beziehung näher ins Auge zu fassen. Da kann es uns dann nicht entgehen,



Atlantis Bd_10-023 Flip arpa

daß von den beiden architektonischen Komponenten, Flachbau und Satteldach, das erstere so gut wie unverändert aus dem fernen Norden übernommen sein muß. Das Jorubahaus ist ein Tembenbau mediterranen Ursprungs, über den ein westafrikanisches Satteldach als Schutzbau gesetzt ist. Damit kann ich auf das zurückkommen, was als Ausgangsüberlegung immer wieder wesentlich erscheinen muß. Es wurde gesagt, daß die Joruba ihrem äußeren Eindruck nach das Produkt einer Mischung von Stämmen nordischen Ursprungs und westafrikanischer Altanwohnerschaft sein müssen. In dem wesentlichen architektonischen Material findet sich hier eine vollkommene Bestätigung. Wir haben es hier mit einem komplizierten Mischungsprodukt zu tun, das als solches große Ähnlichkeit mit einem Baustile aufweist, den ich seinerzeit in Nordliberia entdeckte, mit dem der Tomma (vgl. Bd. V). Dort war der Tembenbau in die Kegelhütte, hier ist der Tembenbau unter das westafrikanische Satteldach gesetzt. Das sind lehrreiche Beispiele der Durchdringung westafrikanischer Kultur mit wuchtigen Elementen aus dem Mittelmeer. Das mag als wesentliche Erkenntnis, als Leitidee gelten, wenn es gilt sich darüber klarzuwerden, woher das einzig schön und rein erhaltene Sozial- und Klansystem dieser Menschen stammt, das so ganz fremdartig in die Länder Westafrikas hineinragt, dessen Beziehung zum fernen Osten aber auf Grund schlagender Beweisführung in Parallelstoffen, wie eben der Architektur, immer deutlicher werden muß.

Interessant ist übrigens die Weise, wie die Wände aufgeführt werden; es werden nicht Luftziegel runder oder kantiger Gestalt verwendet, sondern der gestampfte Lehm wird etwa 50 cm rundherum in Mauerbreite aufgeführt, und dann überläßt man der Sonne und der Luft das Austrocknen. Man läßt den Streifen austrocknen und setzt ein weiteres Meter auf. Man verwendet keine Bretter, aber das Verfahren hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Maurerart Kleinafrikas, die die Franzosen von dort übernommen haben, um ihre Verteidigungswerke zu errichten (Pis~bau!). — Zur Dachbildung dienen Holzpfähle, Bambusstangen und vor allem Palmblattstengel, zur Deckung ein rundes Blatt als Unterlage und Stroh darüber. — Die Kammerdecke liegt als Reihe schwerer Träger auf beiden gegenüberliegenden Wänden auf; darüber kommen Palmrippen und das Ganze wird mit Erde, die geschlagen wird, gedeckt. Es ist die gleiche Deckenbildung wie in dem größten Teile der Sahara und in Timbuktu.

Ein interessantes Verfahren schlägt man ein, um den langen Mauern Festigkeit zu verleihen. Man füllt mehrere ca. 3/4 m hohe Wasserfässer mit Erde und stellt sie übereinander als einen Satz. So entsteht eine schwere Säule. Den lehmgefüllten und beschwerten Topf verwendet man übrigens auch sonst, und zwar im Tiefbau.



Atlantis Bd_10-024 Flip arpa

Wenn eine abschüssige Straße auf einer Seite durch die starken Regengüsse in Gefahr des Abschwimmens schwebt, so gräbt man solche gefüllte Töpfe nebeneinander in die Erde und bildet so einen widerstandsfähigen Damm, eine Art Schutzwall, den die Wasser nicht abzunagen vermögen.

Außer dem klaren, oben beschriebenen Stile kommen noch verschiedene Varianten und Abweichungen vor. Außer denen, die durch Vereinfachung und Arbeitermangel degeneriert sind, fallen einige Typen in die Augen, die fraglos eigene Beziehungen aufweisen. Am deutlichsten ist es bei einer Art kleinem Tempel, die man häufig inmitten breiter Straßen und auch großer Gehöfte sieht. Sie sind im Grundriß rund und mit einem Kegeldach versehen, dessen Außenwand auf Lehmsäulen ruht. Dann wieder liegt auch bei viereckigem Grundriß das Dach auf den Lehmmauern. Ersteres ist eigener Stil, letzteres eine Vereinfachung der Jorubahäuser nach Maßstab europäischer Bauwerke. —



***
Geburt. Ibedji. —Das Leben, das sich in diesen Gehöften abspielt, muß unbedingt regstes Interesse beanspruchen, denn eine konsequente Welt- und Lebensanschauung wirkt hier so eigenartig und durchgreifend, daß die Gliederung in der Geschlossenheit des äußeren Raumes mit der Einheitlichkeit des geistigen Lebens hier völlig übereinstimmt. Verfolgen wir das Gemeindeleben bis zur höchsten Entwicklung, so treffen wir gleich am Eingang auf das Ende des roten Fadens, der, einmal aufgefunden, unsere Aufmerksamkeit bis zum Abschluß fesseln muß. Über jedem Klan der Joruben schwebt ein Sippengott, ein Orischa. Nach der Jorubareligion stammt die Familie vom Orischa ab; die Gebote dieses Orischa regeln den Lebenslauf; um seinen Dienst gruppiert sich das ganze Leben, Treiben und Wirken, vor allen Dingen das des Mannes, wohl aber auch das der Frau; zum Orischagott kehrt der sterbende Mensch zurück.

Am Tage, nachdem ein Mann geheiratet hat und seine Frau der Familienmutterschaft würdig befunden, geht er mit seinem Weibe in den Banga, den heiligen Raum seines Orischa, also des Orischa seiner Sippe. Er bringt das Opfer dar, das diesem Orischa am genehmsten ist, und nachdem er, altem Kultus entsprechend, das Blut über das Heiligtum gespritzt hat, beginnt er zu beten, und zwar folgendermaßen: "Mein Vater Orischa! Mein Vater Orischa! Sieh diese Frau, die ich geheiratet habe. Es ist eine Frau, die richtig war. Ich habe die Frau geheiratet, nun gib du Kinder. Ich will dir auch das Tier (der Betende nennt die Tierart, die dieser Gottheit besonders angenehm ist) opfern". — Nach solcher Maßnahme und wenn sonst keine Sünden gegen den Willen des Klangottes gefunden werden oder wenn nicht ein anderer, übelwollender Orischa den Segen



Atlantis Bd_10-025 Flip arpa

an der Quelle zurückhält, kann der Mann sicher sein, das Weib bald gesegnet zu sehen. Sobald der Hausherr dies erkannt hat, empfindet er dem Sippenorischa gegenüber Dankbarkeit.

Nun beginnt der Mann zu zählen. Für Frauen, die vordem nicht geboren haben, rechnet der Volksglaube zehn, für solche, die schon mehrere Kinder hatten, nur neun Monate Tragzeit. Soviel ist jedenfalls sicher, daß die Jorubamänner ihren Frauen nicht die Fähigkeit zutrauen, das Geburtsdatum auszurechnen, sich dagegen einzig in diesen Dingen für kompetent erachten. Sie sagen, die Frauen wären nicht imstande, solche Zeiträume zu überschauen, und auch die Weiber haben mir erzählt, daß dies nur die Männer vermöchten. Jedenfalls soll die Frau vom Tage der erkannten Konzeption an, so viel und so kräftig wie nur möglich, nicht nur Brei, sondern auch Fleisch verspeisen, damit das Kind recht kräftig und stark werde.

Mag der Mann im übrigen zählen so genau er will, er vermag nichts Entscheidendes zu sagen, denn die letzte Entscheidung behält sich stets der Orischa vor, und das Kind vermag den Leib der Mutter nicht eher zu verlassen, als der Orischa es verlangt. Das Ereignis selbst geht, wenigstens soweit die Eingeborenen das behaupten, meist sehr plötzlich vor sich. Lange Vorwehen scheinen diese kräftigen Weiber nicht zu haben, und so werden denn nie Vorbereitungen getroffen. Die Frau kann zur Farm gehen; bei der Arbeit überraschen sie die Wehen. Vielleicht auch beim Wasserholen oder auf dem Waschplatz oder auf dem Markte, wenn sie vor ihrem Stande sitzt und ihre kleinen Besorgungen macht. Das Verhalten der Frauen bei der Geburt ist ein verschiedenes. Erfahrene ältere Frauen sind tapfer, gehen in einen Winkel, spreizen die Beine, biegen die Knie und stützen sich vornübergebeugt darauf, so daß das Kind der Halbhockenden nach hinten entgleitet. Andere Frauen kreischen. Dann laufen irgendwelche in der Nähe befindliche alte Weiber herbei und helfen, halten sie in der Lage, stützen sie und pressen auch wohl von hinten den Leib. Wird es einer Frau allzu schwer, so wird ein Stampfmörser herbeigeholt, der die Kreisende umklammert. Jedenfalls wird es der Erfahrung und dem Mute der Frau zugeschrieben, ob die Operation schnell und ohne Hilfebedürfnis vor sich geht oder nicht.

Von Frauen mit gutem Blute sagt man, sie gäben den "Sack" und die Nachgeburt (Ibi) gleich von sich. Bei Frauen mit schlechtem Blute und unreinem Teint soll dies anders sein. Diesen muß man ein Medikament eingeben, damit alles hervorkomme. Die gesamten Stoffe werden in einer sehr guten Kalebasse zusammengenommen, diese dann mit einem zugehörigen Deckel versehen und am Waschplatz des Gehöftes, etwa einen halben Meter tief, vergraben. Tagtäglich wird dann das Wasser, mit dem das Neugeborene gewaschen



Atlantis Bd_10-026 Flip arpa

wurde, an dieser Stelle so ausgegossen, daß es über den vergrabenen Stoff dahinfließt.

Die Nabelschnur (Idudu) wird der Mutter mit einem scharfen Messer abgeschnitten. Sie wird dann aufgewickelt, so daß das Knäulchen auf dem Kinderleib aufliegt, und mit einem blauen Baumwollfaden zusammengebunden. Es wird ein Kieselstein heiß gemacht. Der Vater wärmt durch Draufdrücken den Daumen der rechten Hand und drückt täglich um den Nabel herum des Kindes Leib. Dann reibt er die Stelle noch mit Schibutter (=Ori) ein. Nach etwa drei bis fünf Tagen fällt die Nabelschnur von selbst ab. Sollte das Kind nachher noch sterben, so nimmt der Vater ein klein wenig von der getrockneten Nabelschnur und ein wenig von den Haaren dieses Geschöpfchens, läßt es von einem Lederarbeiter in ein artiges Täschchen einnähen und hängt es dem Nächstgeborenen um die Stirne oder den Leib, damit dieses nicht sterbe. Sonst aber hebt er die Nabelschnur auf.

Es soll hier gleich das angeführt werden, was über die Geburt von Zwillingen in Erfahrung zu bringen war. Ich weiß nicht, ob im Jorubaland mehr oder häufiger Zwillinge zur Welt kommen als anderweitig oder ob man diesen Eindruck nur gewinnt, weil hier mehr auf solches Vorkommnis geachtet, mehr davon geredet und eigentlich von jedem Ereignis dieser Art ein Denkmal in die Welt gesetzt wird. Jedenfalls ist soviel sicher, daß Eltern und Verwandte sich über solchen Zuwachs ganz ungemein freuen und daß Zwillinge als besonders starke, d. h. im Sinne der geistigen Wirkungskraft kräftige Wesen geschätzt werden. Deshalb wird gleich nach der Geburt solcher Doppelgeschöpfchen eine ältere Frau gerufen, die selbst schon in gleicher Weise gesegnet war und somit das Ritual gut kennt. Sie bringt den Kleinen sogleich ein Opfer dar, und dieses Opfer wird, wenn auch in kleiner Dosis, ihnen alltäglich wiederholt. Ich traf mehrere Frauen, die Mütter von Zwillingen waren. Sie trugen eines der Wesen auf dem Rücken, das andere vorn im Lendenschnitt mit dem Kopfe am Mutterherzen. An solcher Tragweise erkennt man die Zwillingsmutter. Es war interessant zu sehen, daß die meisten der ihr Entgegenkommenden stehenblieben, ein paar Kauri, einige Kolanüsse oder kleine Münzen aus dem Sack nestelten und ihr zum Geschenk machten. Man schreibt der Begegnung solcher zwiefachen Mutterschaft Glück zu und erweist sich im voraus dankbar dafür.

Aber wie anderweitig gönnt auch hier das Geschick den kleinen Weltbürgern selten eine lange währende gemeinsame Pilgerfahrt. Trotz aller Vorsorge scheint häufig schon in jungen Jahren eines von beiden von der Welt Abschied zu nehmen. Die Mutter tut dann das, was diese Leute in allen Lebenswendungen zu tun pflegen, sie



Atlantis Bd_10-027 Flip arpa


"Ibedji"—Figur und Köpfe von Figuren (coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



Atlantis Bd_10-028 Flip arpa

geht zu einem Babalawo, das ist ein orakelverkündender Priester des Orischa Ifa. Der gibt ihr allerhand Weisung, wird aber vor allen Dingen nie verfehlen, die Herstellung eines Ibedji genannten Holzbildes anzuraten. Solche Holzfigur ist meist nach einem bekannten alten Schema verfertigt, aber durch entsprechende Opfer wird das Ibedjibild geeignet, dem verstorbenen Kinde zum Aufenthaltsort zu dienen. Die Mutter trägt von dem Tage an das Ibedjibildnis immer mit sich herum und gibt vor jeder, auch der bescheidensten Mahlzeit dem Figürchen mit großer Treue sein unscheinbares Anteilchen ab. Erst wenn das überlebende Geschwisterkind groß genug ist, um selbst diese zarte Opferung weiterzuführen, hört die Mutter damit auf, übergibt diesem das Bild des Zwillingsschwesterchens oder -brüderchens und schließt so ihrerseits mit diesem Erlebnisse ab. Die neue Wärterin des kleinen Bildwerkes sorgt dann aber mit gleicher Sorgfalt für den Kultus. Er oder sie nimmt es überailhin mit sich, gibt ihm immer von jeder Nahrung ab, hegt es daheim in der Schlafkammer oder neben dem Kaufstande auf dem Markte. Es ist aber sehr wohl zu erkennen, daß sie den Toten in keiner Weise mit dem Holzwerke identifizieren, daß sie diese grobe Gestalt vielmehr nur als Wohnort des Toten annehmen, den dieser jeden Augenblick verlassen und mit einem neuen vertauschen kann. Denn sie sind bereit, die Holzfigur zu verkaufen, schaffen dann eine neue an, der sie reichlich opfern, entsprechende Umzugsgebete halten und dann die gleiche Sorgfalt erweisen wie vordem der alten, nun weggegebenen. So rührende Teilnahme wird dem toten Ibedji bis zum Hinscheiden des überlebenden Zwillings erwiesen, und erst mit seinem Tode und wenn auch die gemeinsame Mutter im Grabe ruht, verfällt der kleine Tote der Vergessenheit, die Figur ohne Nachfolgerschaft dem alten Gerümpel.

Dieser Ibedjiglaube geht aber noch außerordentlich viel weiter und wirft ein grelles Licht auf mancherlei Anschauungsrichtungen. Wenn nämlich die kleinen Kinder einer jungen Frau in zartem Alter oder gar bald nach der Geburt mehrfach sterben, so nimmt der Volksglaube an, daß dieses immer wieder sterbende Kind eines von einem Zwillingspaar sei, dessen Partner den Mutterleib nicht habe verlassen wollen; das Erschienene sehne sich aber nach dem Zurückgebliebenen und verschwinde dergestalt immer wieder. In solcher Annahme entschließt sich die Mutter dann, außer andern Opfern für den Sippenorischa ein schweres persönliches zu bringen: sie schneidet sich ein Ohrläppchen mit einem Teile des Ohrrandes ab und wirft dieses fort. Danach nimmt man dann an, daß nicht nur das nächste Kind am Leben bleiben werde, sondern daß nun der ganze Zwilling als ein Pärchen seinen Einzug halten werde. Daß erst ein einzelnes Kind, das bald wieder sterben werde, geboren



Atlantis Bd_10-029 Flip arpa

werde, worauf dann ein Zwilling zur Welt komme, wird auch in folgender Weise erhellt: Wenn ein schwächliches Kind geboren wird, soll man es möglichst gut pflegen und ihm bestes Essen zuteil werden lassen, damit, wenn es abscheide, es nach Wiedervereinigung mit seinem Partner berichten könne, wie gut es auf dieser Welt, gerade in diesem Hause sich leben lasse. Durch solchen Bericht bestochen, kommt das Geschwisterchen dann das nächstemal mit. Somit sei es dann zu erklären, wenn auf Erstgeborene bald wieder Abschied nehmende Kinder nur in reichen Familien Zwillinge zur Welt kämen, während in armen Familien überhaupt selten Zwillinge erschienen, da die Kinder es hier nicht so gut hätten.



***
Kinderbehandlung. — Doch kehren wir nach dieser Abschweifung über die halbheiligen Ibedji nun zum Kinderleben im allgemeinen zurück.

Sehr bald nach der Geburt erfolgt die Aufnahme des kleinen Weltbürgers in die Gemeinde der Menschen, und zwar wird dies damit eingeleitet, daß dem Kinde, ob Knabe oder Mädchen, die Haare geschnitten werden. Es erfolgt das am siebenten oder achten Tage seines Weltendaseins und wird vom Vater ausgeführt. Dieser hat vorher an ferner und näher wohnende Familienmitglieder Botschaft von dem stattgehabten frohen Ereignis, und zu dem bevorstehenden Feste der bald nach dem Haarschnitt folgenden Namengebung Einladungen gesandt. Er hat Sorge getragen, daß gute Speisen bereitet wurden, daß Palmwein oder Mais- oder Hirsebier zur Stelle geschafft wurde, so daß die nun zusammenströmenden Gäste gut empfangen und beköstigt werden. Reichen Leuten kommt es an solchem Tage auch nicht auf ein Stück Rindvieh an, denn das Ansehen des Hauses sowie die Feier des Glückes verlangen auch im materiellen Sinne Opfer. Zweck dieses Festes ist, das Kind vorzustellen und ihm einen Namen zu geben. Wie wohl alle Westafrikaner, so sind auch die Joruben ungemein kinderlieb, und das unscheinbare und nach normaler Beurteilung nichtssagende kleine Wesen wird mit vieler Liebe herumgereicht, betätschelt und umspielt. Den Namen gibt dem Kinde der Familienälteste, also wahrscheinlich der Großvater, der Babanla. Man unterscheidet dabei anscheinend zwei ziemlich streng getrennte Formen der Namengebung, die zuweilen dem Kinde noch andere verschiedene Bezeichnungen eintragen. Einmal wird zunächst irgendein beliebiger Name gewählt, der dann später einem andern Platz macht. Denn ein Jorube kann in seinem Leben leicht mehrere Namen nacheinander tragen, wobei dann mit jedem Wechsel ein Austausch mit der älteren Bezeichnung verbunden ist. Das hängt von späteren Kultushandlungen und Besitzergreifungen durch die Gottheit der Familie ab. Nicht immer



Atlantis Bd_10-030 Flip arpa

führt das Kind nur diesen ersten, provisorischen Namen, sondern wahrscheinlich ist es, daß es an diesem seinem siebenten oder achten Lebenstage schon eine wichtige Beziehung zur Familie, Welt und Tradition antritt. Und das kommt so:

Die Alten wenden der Beaugenscheinigung des Kindes alle Sorgfalt zu. Sie prüfen es ängstlich auf Familienähnlichkeit. Was aber bei uns nur ein liebenswürdiges Spiel ist, eine Schmeichelei für Vater oder Mutter, das ist bei ihnen eine ernste Sache. Man sucht auch nicht nach Ähnlichkeit mit Lebenden, sondern nach charakteristischen Zügen, die das kleine Wesen gemeinsam mit älteren Verstorbenen der abgeschiedenen Altersklassen, also z. B. mit dem Großvater, der Großtante usw. des namengebenden, derzeitigen Familienältesten hat. Es müssen Verstorbene der Vatersfamilie sein, mit welchen eine Ähnlichkeit festgestellt werden kann. Hat man eine solche gefunden, so gibt man dem Kinde den Namen dieses Toten. Und man erklärt gerade heraus, daß dieser Tote es sein müsse, der in dem Kinde wiedergeboren ist. Findet man eine solche Ähnlichkeit nicht an dem Tage, an dem es mangels deren einen provisorischen Namen erhält, heraus, so gewinnt es erst später, wenn es charakteristischere Züge entwickelt, seinen eigentlichen Namen, an dem man dann erkennt, wessen Seele in diesem Kinde wiedergeboren worden ist. Daß solche Namensgebung kein leeres Spiel ist, geht schon daraus hervor, daß das Kind mit diesem Namen auch die Verpflichtung übernimmt, alle Speiseverbote, denen jener Verstorbene persönlich frönte, nun ebenfalls strengstens innezuhalten, und zwar dies bis an sein Lebensende. —

Die Tätowierungsschnitte - um nach dem Haarschnitt gleich alle Behandlung des kindlichen Körpers zu erörtern -wie auch die Ausschmückung des Körpers mit Ziernarben erfolgt frühestens drei Monate nach der Geburt, kann aber auch ebensogut sehr viel später ausgeführt werden. Ich sah Kinder von einem Jahre ohne Male und solche von sicher zweijährigem Alter mit ganz frischen Narben. Tätowierung im allgemeinen heißt lila. Sie kann in verschiedensten Mustern ausgeführt werden, die, wie das Tätowierbuch zeigt, verschiedene Namen haben und nach verschiedenen Arten und Ursprungsstellen hinzuweisen scheinen. Mit Bestimmtheit wird versichert, daß der Vater sein eigenes Kind in dieser Weise verziere, und zwar gleichwohl, ob Mädchen oder Bube, genau nach den Mustern, die auch seinen Leib und seinen Kopf schmücken und wie er solchen Schmuck selbst seinerzeit von seinem eigenen Vater erhielt. Man kann so in einem Gehöft, in dem doch die verschiedensten Mädels und Buben herumstreifen, sofort erkennen, welche Kinder zu dem Stamme des Familienoberhauptes gehören, und in der Tat gilt dem Eingeborenen dieses äußere Merkmal als unbedingt sicheres



Atlantis Bd_10-031 Flip arpa

Zeichen der übersichtlichen Erkenntnis verwandtschaftlicher Gruppierung.

Ganz anders verhält es sich mit dem Zahnverstümmeln. Bei den zentralen Joruba besteht dieselbe durchweg in einer Lücke im Ober.- gebiß, und zwar in der Mitte. Aus den mittelsten oberen Schneidezähnen wird soviel herausgeschlagen, daß nach den Eckzähnen hin eine Spitze, eine feine Nadel stehenbleibt. Die unteren Zähne bleiben ohne "Verschönerung". Die jungen Leute lassen dies ohne Wissen und Zutun der Eltern von einem Fremden ausführen. Allgemein wird gesagt, daß der Grund dieser Sitte darin zu suchen sei, daß ein junges Mädchen keinen jungen Mann leiden mag und mit ihm Freundschaft schließt, der nicht diesen Schmuck trägt. Das sagten mir Alte und Burschen und auch junge Dirnen. — Im übrigen betonen alle Leute, daß in der äußeren Markierung durch Gesichtsschnitt und Zahnverstümmelung nie eine Zugehörigkeit zu einem Orischa zu erkennen sei, und ich selbst habe auch keine Übereinstimmung nach irgendeiner Richtung erkennen können.

Jedes Geschlecht wird in kindlichem Alter einem Eingriff unterzogen. Aber dafür wird kein bestimmter Zeitpunkt festgesetzt. Manche Kinder erfahren das schon, wenn sie noch sehr klein sind, andere erst, wenn sie eine ansehnliche Größe erreicht haben. Den Mädchen wird die Spitze der Klitoris (= Ido) abgeschnitten. Als Grund der Operation wird angegeben, daß die Kinder bei der Geburt mit dem Kopfe diesen Teil des Mutterleibes nicht berühren dürften, da dies für das Neugeborene sehr häßliche Folgen haben würde. Also sieht man in dieser Maßnahme die erste Vorbereitung auf spätere Mutterschaft. Das abgenommene Gliedteil wird sorgfältig in Leder genäht und dann als Armring getragen. Früher als bei Mädchen wird die entsprechende Operation bei Knaben vorgenommen. Der Vater zieht dem Büblein die Vorhaut weit vor und schneidet sie mit einem Schnitt möglichst schnell ab. Das Operationsmesser heißt Obb. Atoto, das Präputium, wird in gleicher Weise in Leder gefaßt am Arme getragen. Einen wesentlichen Grund für die Knabenbeschneidung können die Leute nicht angeben und ersetzen ihn durch die Ausrede, es wäre eben eine von der Ureltern Zeiten an geübte Sitte.

Für den Entwicklungsgang des Kindes werden folgende Begrenzungen angegeben, denen natürlicherweise nur mit Vorsicht Beachtung zu schenken ist. Nach zwei Jahren soll ein Kind aufrecht stehen, nach zweieinhalb Jahren ziemlich sicher gehen können. Wenn das Geschöpfchen fertig laufen kann, so kann es aus eigenem Studium schon Nja oder ja = Mutter sagen. Die Mutter sagt nun oft zu ihm: "Sieh, das ist der Vater (=Baba)!" —und so ist das Wort Baba für Vater das zweite, dessen Kenntnis bald erlernt ist.



Atlantis Bd_10-032 Flip arpa

Nach drei Jahren soll das Kind vollkommen sprechen können. Diese Angabe halte ich nach meinen Beobachtungen und Altersschätzungen für richtig, die Angaben des Lernbeginns mit zweieinhalb Jahren für zu hoch gegriffen. Daß die Sprechentwicklung bei westafrikanischen Kindern spät einsetzt und dann sehr schnell vor sich geht, läßt sich kaum bestreiten, und im Jorubalande war ich genau wie anderweitig oftmals verblüfft über die frühzeitige Selbständigkeit der kleinen Buben und Mädchen, die nicht selten schon mit sechs oder sieben Jahren durchaus in der Lage sind, sich selbst durchs Leben zu schlagen.

Das Kind wird ungefähr zweieinhalb bis drei Jahre lang von seiner Mutter genährt und während dieser Zeit wird diese sich strengstens dem Beischlafe enthalten. Versagt jedoch die natürliche Quelle, so teilt sie es dem Vater mit, der seine Rechte als Ehemann nun wieder geltend machen wird, um nach Möglichkeit eine neue Schwangerschaft zu erzielen. Wenn der mütterlichen Nährkraft nun auch nichts mehr zu entnehmen ist, so kann man hier wie anderweitig die schlechte Gewohnheit beobachten, daß die üblichen Beruhigungsmittel auch dann noch dem Kinde in den Mund geschoben werden, wenn nur noch die Erinnerung an frühere Labe eine Bedeutung haben kann. Schon bei kleinen Kindern wird damit begonnen, als Nebennahrung Eko, das ist Maismehl, das mit heißem Wasser angerührt ist, zu geben. Auch hier ist diese Nebenernährung eine notorische kleine Tierquälerei. Das Kind wird auf der Mutter Schoß gelegt, das Gesicht nach oben. Die gute Mama hält dem Geschöpf die Nase zu und gießt das breiige Zeug hinein. Prusten, Schreiversuche und Strampeln nützen nichts. Gefüttert muß sein, und ein Kind, das nicht einen unnatürlich aufgeschwemmten Leib hat, gilt als schlecht versorgt. Wenn man Eko an einem Tage appliziert, so gießt man am andern Agbo ein, einen Absud aus verschiedenen Blättern und Wurzeln. Regelmäßig wird mit Eko und Agbo abgewechselt. Ich habe mich immer gewundert, daß die Kinder diese Versorgung ertragen, aber der Mensch ist auch hier und in diesem kleinen Zustande viel zäher als man denkt.

Ein wirkliches Vergnügen ist es, die älteren Männer über die Erziehung des Kindes reden zu hören. Weder von hochstehenden Mande noch von Songhai, geschweige denn von andern Eingeborenen hörte ich je mit gleichem Bewußtsein, mit ähnlicher Überlegung und mit entsprechendem Zielbewußtsein über Pädagogik sprechen. Es hat sich aus der Erziehung anderer Westafrikaner hier unbewußt ein vollkommen klares und leicht übersehbares System von pädagogischen Grundsätzen herausgebildet. Verfolgen wir nun nacheinander, wie Bube und Mädchen in das Leben hinausgeführt werden.



Atlantis Bd_10-033 Flip arpa

Kann der Junge erst ein klein wenig laufen, so nimmt der Vater ihn jeden Morgen mit zur Farm hinaus. Ermattet er auf den langen Wegen, so trägt er das Kind ein wenig, doch achtet er immer darauf, daß seine ganze Kraft ausgenutzt und so weiterentwickelt werde. Auf der Farm angelangt, breitet er neben dem Felde, auf dem er arbeitet, ein Tuch aus und setzt das Kind darauf. Zuerst muß es zuschauen, wie der Vater arbeitet. Kommt die Frühstückspause, so nimmt der Alte neben dem Kleinen Platz, speist und gibt seinem Sprossen auch ein wenig ab. Ist das Tagwerk vollendet, so geht er mit seinem Buben heim. Der Vater macht dann ein ganz kleines Bündelchen von Jamswurzeln oder dergleichen zurecht, das muß das Bürschlein auf den Kopf nehmen und heimtragen; auf diese Weise soll es sich beizeiten daran gewöhnen, Lasten zu balancieren, und es als etwas Selbstverständliches empfinden, wenn das Einhergehen mit der Mühe des Tragens verbunden ist. Der kleine Bursche muß wieder heimlaufen, und auch über kleine Rinnsale wird er möglichst selten hinweggehoben, damit er lerne, im Wasser die besten Stellen zum Durchschreiten zu erkennen und damit seine Beinchen kräftig werden. Im nächsten Jahr stellt der Vater aus einem kleinen, beim Schmiede bestellten Miniatureisen und einem kleinen Handgrifflein eine Hacke her, die muß der kleine Sohn mit hinausnehmen, und während der Vater mit seiner schweren "Öko", der Arbeitshacke, die Erde umgräbt und Furchen zieht oder Haufen aufschichtet, ahmt der Kleine das Werk nach, und wenn der Vater seine zehn Haufen umgeworfen hat, muß der Kleine wenigstens einen vollendet haben, den der Alte dann belehrend ausbessert. Ist er müde, so darf der Bube sich ausruhen, doch nicht zu lange, so daß er nicht etwa einschläft. Hungert die beiden, so teilen sie die mitgenommene Speise, doch soll der Bursche nie soviel essen, daß er faul wird. Faul werden kann er abends. Sind sie heimgekehrt, so hat der Junge nicht sogleich die Erlaubnis, herumzuspringen und mit den Genossen zu spielen; damit er Gehorsam erlerne, muß er erst die etwas verzögerte Erlaubnis des Vaters abwarten.

Wächst er weiter heran, so daß er diese Sache gelernt hat, Ordnung kennt und Freude am Werk hat, so wird sein Selbstgefühl dadurch gesteigert, daß der Vater ihm ein eigenes Feld gibt, Korn und Saat schenkt, so daß er neben der Pflichtarbeit für den Alten noch für ein eigenes Besitztum Sorge tragen kann. Dieses Besitztum wird immer vermehrt, so daß er immer selbständiger wird. Auch weist der Vater ihm einen eigenen Platz im Gehöfte an, wo er erst eine oder mehrere Kammern bewohnen, später aber mit Hilfe seiner Kameraden und Altersgenossen ein eigenes Haus bauen kann. Zum letzteren wird er durch einen freundlichen Gemeindezwang geführt, denn die Altersgenossen lachen den Burschen aus, wenn er sich



Atlantis Bd_10-034 Flip arpa

nicht beizeiten an den Bau eines eigenen Hauses macht. Im übrigen bleibt seine Tatkraft dem Familienverbande durchaus erhalten. Hat er seine Ernte eingebracht, so überreicht er den ersten Segen seiner Mutter als Geschenk, einen weiteren Anteil seinem Vater. Ist er mit Erfolg als Händler auswärts gewesen, so kauft er unterwegs ein besonders schönes Stoffstück oder sonstigen seltenen Kram als Gabe für seinen Vater, schenkt aber einiges Kaurigeld von seinem Gewinn auch seiner Mutter. Und in dem Maße, in dem sein Anteil am Familienbesitze sich mehrt und dementsprechend der des Vaters (der mehr und mehr auf das Altenteil angewiesen wird) abnimmt, sorgt er zunehmend für die Erhaltung der alternden Eltern. Ist er der Erstgeborene und mit jüngeren Brüdern gesegnet, so wird er deren Erziehung ebenso leiten wie einst der Vater die seine, und das führt dann dazu, daß er für die Erziehung seiner eigenen Sprossen gut vorbereitet ist.

Ganz ähnlich ist die Erziehung der Mädchen, die naturgemäß in den Händen der Mütter liegt. Das Verfahren ist ein gleiches. Die Mutter ruft das Kind, wenn es zum Spielen fortgelaufen ist. Es soll den Gehorsam lernen. Das kleine Wesen soll zusehen, wenn die Mutter Feuer macht und kocht; es soll daneben hocken, wenn die Mutter wäscht. Es läuft mit zum Brunnen, wenn die Mutter Wasser holt, und hier schon beginnt die direkte, praktische Belehrung, indem es zunächst eine leere Kalebasse auf dem Kopfe trägt, die später mit ein wenig Wasser gefüllt wird, dann reicher mit Inhalt versehen ist, und so über die erste Schwierigkeit des Balancierens hinweghilft. Geht dann die Mutter auf den Markt, so begleitet das Mädchen sie, sitzt neben ihr am Verkaufsstand und lernt aus den Worten der Mutter und der vorübergehenden Leute und deren Geboten qualitativen und quantitativen Wert der Waren und der Bedeutung des Kaurigeldes kennen. —Das Kind bekommt frühzeitig ein Spielzeug, eine kleine Holzpuppe, die man für wenige Muscheln beim Holzschnitzer kaufen kann. Diese Mädchenpuppen nennt man "Allangiddi". Das kleine Mädchen bindet die Puppe sich auf den Rücken und geht damit umher, genau so, wie es seine Mutter mit seinen jüngeren Geschwistern herumgehen sieht. Es spielt mit ihr wie europäische Kinder mit ihren Puppen, und wenn es abends auf sein Lager gelegt wird, muß die Puppe neben ihm schlafen. Die Jorubafrauen haben eine rührende Anhänglichkeit an diese leblosen Gefährten ihrer Kinderzeit; und ich habe mehrere alte Frauen nur mit Mühe dazu überreden können, mir diese Relikte ihrer Mädchenjahre für einige Schillinge zu überlassen. — Etwa mit zwölf Jahren ist das kleine Jorubamädchen der Reife nahegekommen.

Die Kinder beider Geschlechter spielen zwanglos miteinander. Irgendwelche erotische Regungen scheinen sich bei ihnen ebensowenig



Atlantis Bd_10-035 Flip arpa

vorzeitig zu entwickeln wie bei andern Westafrikanern. Die Mädchen sollen, wie wir unten sehen werden, auf jeden Fall unschuldig in die Ehe treten, und das ist, nach natürlich wenig zuverlässiger Behauptung, auch stets der Fall. Sollten die Eltern von einem Söhnchen hören, daß er allzufrüh irgendwo den Beischlaf geübt hat, etwa mit einer erfahrenen Verführerin, so nehmen sie ihn in das Haus, binden ihm die Hände zusammen und schlagen ihn so kräftig, daß er für einige Zeit gegen solche Versuchungen gefeit ist. — Aber nicht nur mit Strenge verfahren die Eltern nach vollendeter Versündigung, sondern es bestehen bei den Joruba Erziehungseinrichtungen, die direkt als mustergültig bezeichnet werden müssen.

Sowohl Knaben wie Mädchen eines Stadtbezirkes wählen sich eine Leitung ihrer Spiele und ihres Lebenswandels. Die Führerin der Mädchen hat den Namen "Jegbe". Die Wahl und ihre Bestätigung geht in folgender Weise vor sich: Eines Tages, mag es sein, daß die Mädchen untereinander in Streit gerieten, den sie nicht zu schlichten vermochten, oder daß sie mit den Buben einen schwierigen Zwiespalt hatten oder daß sie sonstwie sich nicht zu helfen wissen, dann sagen die kleinen Dingerchen sich selbst, daß sie ohne eine Glucke nicht mehr auskommen. So machen sie sich auf den Weg zu einer alten Frau, zu der sie unbedingtes Vertrauen haben. Sie sagen zu ihr: "Wir möchten eine Jegbe haben". Die Alte sagt dann: "An wen habt ihr denn dabei gedacht"? Die Mädchen sagen: "An die und die". Als Jegbe wird gewöhnlich eine jüngere Frau gewählt, die Mutter eines Kindes ist und somit noch Sinn für Jugendspiele und liebenswürdiges Wesen besitzt. Ist die so geartete junge Frau noch ein vertrauenswürdiges Wesen, das guten Ruf genießt und als vertraut mit den Sitten und Gewohnheiten gilt, so ist die alte Ratgeberin aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Vorschlage der Kinder einverstanden, denn sie sollen nach Möglichkeit selbständig wählen, und man denkt nicht daran, ihnen einen Menschen aufzuzwingen. Durch solchen Rat und diese Bestätigung unterstützt, zerstreuen sich die kleinen Gesellschaftsbildnerinnen; jede geht heim und trägt den gemeinsamen Wunsch ihrem Vater vor, wobei sie sich auf das Urteil der erstkonsultierten Alten beruft. Es ist anzunehmen, daß dann auch der Vater, nachdem er mit seiner ersten Frau gesprochen hat, dem zustimmt. Bei überwiegender Mehrzahl beistimmender väterlicher Autoritäten ist dann die Sache erledigt. Die Erwählte selbst wird nun von dem Ergebnis dieser Verhandlungen in Kenntnis gesetzt und sie wählt sich unter den kleinen Dirnen die vernünftigsten und vertrauenswürdigsten aus, die mit Titeln versehen werden und mit ihr zusammen einen Stab bilden, welcher der Reihe nach folgende Namen trägt:



Atlantis Bd_10-036 Flip arpa

1. Nja Njegbe (d. h. Mutter Jegbe),
2. Bale (ihre Steilvertreterin),
3. Otun-Bale (die rechte Hand Bales),
4. Osi-Bale (die linke Hand Bales),
5. Ekeri-Bale (die vierte Bale),
6. Ekarun-Bale (die fünfte Bale),
7. Ekefa-Bale (die siebente Bale),
8. Balogun,
9. Otun-Balogun,
10. Osi-Balogun,
11. Ekeri-Balogun,
12. Ekarun-Balogun und
13. Ekefa-Balogun.

Von diesen hat immer die dritte der zweiten, die vierte der dritten usw. zu gehorchen, so daß jedes der kleinen Persönchen in einem bestimmten Subordinationsverhältnis zu der Vorhergehenden steht. Die elf kleinen Würdenträgerinnen sind die Gehilfinnen der Jegbe und haben ihr Amt ernst zu nehmen. Wenn die Jegbe an irgendeinem Orte, wo bei den ihr unterstellten Kindern eine Unregelmäßigkeit vorkommt, nicht anwesend ist, so haben die etwa anwesenden Beamtinnen ihr von der Sache Bericht zu erstatten. Im übrigen leitet sie die Spiele der Mädchen, achtet darauf, daß sie die Tänze lernen, daß sie sich nützlich beschäftigen, keinen Streit beginnen, daß sie auch nicht belästigt werden, und liefert die ihr anvertrauten Kinder allabendlich nach Abschluß der Spielzeit im Gehöft daheim ab. Sie hat den Eltern auch über ihre Zöglinge zu berichten und sorgt dafür, daß, wenn Schwächlinge darunter sind, diese gerade besonders kräftige Nahrung erhalten. Es versteht sich von selbst, daß die Jegbe ihrerseits den Dank der Eltern, in materielle Form gefaßt, zu schätzen weiß und daß, wenn sie ihr Amt gut versteht, ihre Zöglinge bis an ihr Lebensende an ihr hängen.

Eine ganz ähnliche, wenn auch viel wesentlichere Vereinigung und Vergeseilschaftung wird auch den Knaben zuteil. Ist ihre Zeit gekommen, so treten die Burschen eines Tages irgendwo zusammen, besprechen die Sache, und irgendeiner schlägt wohl einen Baba Egbe (gesprochen: Babegbe) — d. h. einen Knabenführer - vor. Dann muß ein anderer einwenden: "Das ist ein schlechter Mann"! Das kann sowohl heißen, daß dies ein Mann sei, der in schlechtem Rufe stehe, als auch, daß es einer sei, von dem man sehr harte Behandlung werde zu erwarten haben. Ein anderer schlägt also einen zweiten vor. Rede und Gegenrede fliegen herüber und hinüber, bis man sich geeinigt hat. Wenn nun die Jegbe der Mädchen eine junge Frau war, so ist der Baba Egbe gewohnheitsgemäß ein älterer Mann mit beginnender Ergrauung der Haare.



Atlantis Bd_10-037 Flip arpa

Nach erfolgter Übereinstimmung zerstreuen sich die Buben und jeder geht heim, den gemeinsamen Wunsch der beginnenden Gemeinde dem Vater mitzuteilen. Jeder der Hausväter erwägt die Sache, geht, wenn er mit dem Vorschlage seines Sohnes einverstanden ist, zu dem Häuptling und gibt diesem von seiner Zustimmung Kenntnis. Hört der Häuptling von den verschiedenen Vätern, daß man mit dem Vorschlage im allgemeinen auf überwiegende Zustimmung rechnen darf, so läßt er den erwählten Mann selbst zu sich kommen und macht ihm von der erfolgten Wahl Mitteilung. Gleichzeitig ermahnt er ihn auch an seine Pflicht: er habe darauf zu achten, daß die Jungen die Alten ehren, daß die Jungen nicht die Frauen belästigen, daß sie nicht stehlen und dergleichen mehr. Der damit endgültig gewählte und bestätigte Baba Egbe beginnt nun seine Arbeit. Er führt die Jungen aus, bewacht sie und bereichert durch Anregung ihre Spiele, ihre Tänze. Vor allem schlichtet er auch ihre Streitigkeiten. Aus einer Auswahl, die er unter den älteren Knaben trifft, setzt er genau denselben Stab zusammen, wie wir ihn oben bei den Mädchen kennengelernt haben. Name und Amtsführung sind die gleichen, es ist eben eine Nachahmung der Staatseinrichtung der Erwachsenen. Der Baba Egbe soll ziemlich streng mit den Jungen sein, und wenn einer sich eine Respektlosigkeit gegen das Alter oder eine Rüpelhaftigkeit oder gar erfolgreiche Annäherung an ein weibliches Wesen hat zuschulden kommen lassen, so wird der Sünder in aller Gegenwart geschlagen.

Eine solche Gruppierung junger Leute, die in der Kindheit gebildet wurde und bis zum Beginn der Geschlechtsreife fortbesteht, trug in alter Zeit ihren eigenen Namen. Heute ist das nicht mehr Sitte. Ich erhielt nur Kenntnis von dem Namen Egbe Lasogba (soll soviel heißen wie: die in einer Umzäunung zusammengefaßte Gesellschaft), und Egbe Majengu (das ist: die zu Gehorsam vereinigte Gesellschaft). Wenn einer im späteren Leben sagte: "Ich gehöre zum ,Egbe Lasogba" oder: "Ich gehöre zum ,Egbe Majengu", so wußte jeder, welche Gemeinschaft oder Alterschicht damit gemeint war. Für die Burschen war in alter Zeit und ist wohl auch heute noch diese Vergesellschaftung einer Vereinigung fürs ganze Leben gleichstehend, jedenfalls in viel höherem Grade als für die Mädchen. Es war mir interessant zu hören, daß die Leute selbst die Vereinigung der Frauen und ihre Organisationen gewissermaßen als harmlose Kinderei bezeichneten und angaben, mit der Verehelichung einer Jegbetochter höre gewissermaßen Sinn und Wert für die Frau auf, während die Männer für das ganze Leben eine Kameradschaft von hohem Werte in ihr erblickten. Wir treffen also auch hier wieder, wie so häufig, die Erscheinung, daß der Mann von vornherein für die Gemeinschaft der Geschlechtsgenossen, d. h. für die



Atlantis Bd_10-038 Flip arpa

Bildung des Staates, eine viel stärkere Veranlagung hat als die Frau. Freit ein Bursche später, so ruft er seine Egbegenossen zusammen, daß sie ihm beispringen und seines Schwiegervaters Acker mit bestellen helfen. Heiratet einer, so kommen sie alle gemeinsam zur Errichtung des neuen Hauses zusammen. Freit er, so verschönert ihre Wiedervereinigung das Gehöftsfest. Jede Schwierigkeit im Leben findet die Burschen des gleichen Egbe vereinigt. Bis zum Grabe hält dieser in der Jugendzeit errichtete Bau aus, und wenn Greise zutunlich beieinander hocken und schweigend oder plaudernd dem Genusse des einfachen Geselischaftsinstinktes folgen, so darf man vermuten, daß ihrer Freundschaft Grundstein dermaleinst im Egbe gelegen war. In alter Zeit soll dieser Einfluß des Zusammengehörigkeitsgefühls so weit gegangen sein, daß die verschiedenen Egbes einander geschlossen gegenüberstanden und auch wohl Gegnerschaft bis in das graue Alter hinein unterhielten. Nur eines konnte die einzelnen Egbekreise zusammenhalten, das war die mehr oder weniger gewaltsame Institution des Ogboni, dessen eminente Wucht auch diese kleinen, wenn auch festen Geselischaftungen zu gemeinsamen Auswirkungen miteinander verschweißt.

Ehe. Wenn nun gegen Ende dieser Altersklassenerziehung ein Bursche sich in ein Mädchen verliebt, so macht er es ganz so ,wie wir Europäer auch oft verfahren: Er sucht die Erkorene an irgendeinem verborgenen Orte auf, um sie ungestört zu sprechen. Das Wort "Liebe" scheint in dem Lexikon solcher Unterredungen nicht vorzukommen, und an seiner Stelle wird von "Freundschaft" gesprochen. Mit einer Freundschaft ist aber nicht jene natürliche, kindlichnaive Paarbildung gemeint, der die Kabre und andere Völker sich so gern hingeben, sondern es ist darunter reelle Neigung und feste Verlobung mit dem Ausblick auf solide Verheiratung in durchaus vornehmer Gesinnung verstanden. Ist das Mädchen nun nicht etwa schon nach anderer Richtung hin gebunden - und besonders in älteren Zeiten waren "Jugendversprechungen" ebenso häufig wie in den Nachbarländern -, ist der Bursche ein rechter Kerl, verspricht er ein tüchtiger Hausherr zu werden und entstammt er außerdem noch einem wohlhabenden Hause, so geht daraus schon hervor, daß das Mädchen, wenn sie zur Aussprache überhaupt Gelegenheit gibt, nicht "nein" sagen wird. Jeder von den beiden Teilen sucht sich nun den Vertrauten und Vermittler seiner Wünsche. Für den Burschen ist der gegebene Mann der Baba Egbe, für das Mädchen ihre Jegbe. Und besonders letztere soll sich oft sehr energisch für ihren Zögling einsetzen; die Jegbe nimmt mit dem Egbe eine Rücksprache, um sich danach zu erkundigen, ob das Wesen und die Art seines Zögling seine Garantie für die glückliche Zukunft des ihr anvertrauten



Atlantis Bd_10-039 Flip arpa

Mädchens biete. Und wenn die Auskunft, die sie erhält, ihr Verantwortungsgefühl beruhigt, so begibt sie sich zum Vater der Erwählten, während der Burschenführer gleichzeitig den Vater des Jünglings angeht. So wird den beiden Eltern von autoritativer Seite zugeredet, und demnach sind alle Voraussetzungen des Gelingens gegeben.

Während nun in den letzten Generationen (vor dem intensiven Eingreifen des allermodernsten, zersetzenden Wirtschaftslebens) diese Form der Ehevorbereitung mehr und mehr die Oberhand gewonnen hat, war es in älterer Zeit häufiger, daß zwei benachbarte und gleich begüterte Väter einander die Kinder zur Verehelichung versprachen, so daß jede andere freiwillig und selbständig entstandene Neigung hoffnungslos unterdrückt werden mußte. Die Joruben behaupteten nun erkannt zu haben, daß bei solcher Ehestiftung die Frauen eigentlich immer unglücklich gewesen seien und daß dieser Zustand der Jugendverlobung, der neigungslosen Verehelichung, so manche Jugendversündigung zur Folge gehabt habe, so daß man immer mehr von ihr abkam und zu der eben geschilderten Neigungsverehelichung übergegangen ist.

Haben die beiden Elternpaare sich einverstanden erklärt, so macht der Bräutigam zunächst eine gute Last Jamswurzeln von seinem eigenen Feldbau den Schwiegereltern zum Geschenk und wiederholt diese Gaben allfrühjährlich. Außerdem und vor allen Dingen stellt er sich wieder in jedem Jahre, wenn die Feldarbeit beginnt, zum Frondienste auf seines Schwiegervaters Äckern ein, und seine Egbegenossen kommen dann jedesmal mit, um mit Hand anzulegen, bis die vereinigte Jünglingsschar und das Hauspersonal des Schwiegervaters die Saatarbeit beendet hat. Derart erwirbt der Bursch immer mehr das Recht, die Braut dermaleinst heimzuführen, und man rechnet, daß nach durchschnittlich fünf- bis sechsjähriger Fronarbeit die Brautleute auch körperlich so weit herangereift sind, daß sie einander heiraten können. So erklärt sich denn auf entsprechendes Drängen die Familie eines Tages einverstanden und der Schwiegervater gibt die Eheerlaubnis. Der Bursche hat nun noch zehn Sack Kaurimuscheln (im Werte von etwa fünfzig Mark) zu überbringen, und dann sind alle Verpflichtungen seinerseits erfüllt. Im letzten Augenblick sucht aber der besorgte Vater noch einmal den Babalawo auf, den "Vater des Geheimnisses", den Orakeipriester, und bittet ihn, die Zukunft seiner Tochter vorauszusagen. Der Priester befragt das Orakel Ifas, und wenn es günstig ausfällt, so ist diese Sache erledigt. Der Vater der Braut nimmt das "Idana" genannte Brautgeld definitiv an und die Ehe wird vollzogen.

Nun wird das Hochzeitsfest glänzend vorbereitet, nach hiesigen Begriffen so reich wie nur möglich, indem der angehende Ehemann



Atlantis Bd_10-040 Flip arpa

Schlachttiere kauft und Getränke sowie allerhand leckere Speisen vorbereiten läßt. Alle Verwandte wie auch Freunde sind von nah und fern zusammengekommen. Es wird emsig geschmaust und gezecht. Einige Trommeln bringen Geräusche in die Umgebung und die jungen Leute tanzen. Ja, dann und wann tritt wohl auch einmal ein Erwachsener, ein Alter in den Kreis und führt seine ruhig grotesken Schritte aus. Bis zum Tagesgrauen währt der Hochzeitsball.

Inzwischen haben ein paar alte Frauen aus dem Hause des Schwiegervaters drinnen das Brautgemach bereitet. Ein Lager ist säuberlich bereitet und in der Mitte ein weißes Tuch ausgebreitet, das sog. Ascho obofufurr. Mit Sonnenuntergang wird die Braut von den beiden alten Frauen in das Gemach geführt und auf dem Lager gebettet. Der Bräutigam zögert nicht lange. Die Ehe wird bei vollendeter Dunkelheit vollzogen. Währenddessen hocken die alten Frauen draußen. Wenn der junge Gemahl das Zimmer verläßt, kommen sie herein, beaugenscheinigen die Sachlage und geben sogleich ihre Freude über die hoffentlich auf dem Laken sichtbaren Beweise der Jungfräulichkeit zu erkennen. Sie ergreifen das weiße Tuch, legen es in eine schöne, neue Kalebasse, die dann mit einem Deckel geschlossen wird, und tragen sie eiligst in das Haus der Schwiegereltern. Dort angekommen rufen sie: "Mit eurer Tochter ist es in Ordnung!" Darauf allgemeiner Jubel, denn das ist eine Ehre. Die Frauen des Gehöftes ergreifen mit jeder Hand einen Kieselstein und schlagen im Takte gegeneinander. Tanz und Jubel füllt dann noch manche Nachtstunde.

Auch die ehrgeizigsten Joruba leugnen es nicht, daß die roten Zeichen nicht immer unbedingt beweisend sind und daß sie auch zuweilen fortbleiben, weil eben jenes zarte Schutzmittel der Natur schon vordem vernichtet wurde. In solchem Falle gehen die alten Frauen beschämt nach Hause, und der erzürnte junge Ehemann sendet das Weib, das ihn so enttäuscht hat, nicht etwa heim, wohl aber macht er sich am andern Morgen auf den Weg zu seinem Schwiegervater, um ihm persönlich seine Erlebnisse und Erfahrungen sowie Feststellungen der letzten Nacht bekanntzugeben. Die betrübten Schwiegereltern senden hin und lassen die böse Tochter kommen. Sie wird energisch zur Rede gestellt und so eindringlich zur Bekenntnis der Wahrheit ermahnt, daß sie zu guter Letzt beichtet und den schlimmen Räuber ihrer Ehre unter Namensnennung bekanntgibt. Dieser Sünder sitzt wahrscheinlich schon ahnungsvoll und des Kommenden gewärtig daheim, und wenn die Botschaft kommt, die ihn in das Haus des erzürnten Schwiegervaters ruft, so weiß er Bescheid und folgt der Aufforderung ohne Widerstreben. Auch er muß nun vor dem Schwiegervater und jungen Ehemann in Gegenwart der einstigen Geliebten eine Generalbeichte ablegen



Atlantis Bd_10-041 Flip arpa

und wird dies nach üblichem Leugnen auch tun. Der Europäer ahnt nun ein gewaltiges Strafgericht, eine blutige Schlägerei mit dem betrogenen Ehemann oder zum mindesten eine sehr schwere Strafe - aber nichts dergleichen. Er hat nur eine Reugabe und ein Opfer zu leisten. Vier Sack Kauri kostet der Fehitritt und Rückerstattung des Schafes an den Ehemann, der vor der Verehelichung ein solches als Opfer für die Jungfrauenentschleierung seinem Orischa dargebracht. Damit ist der Vorfall erledigt, und es ist keine Wahrscheinlichkeit, daß dadurch eine Trübung des Eheglücks hervorgerufen werde, um so weniger, wenn bei der jungen Gattin bald Zeichen der Schwangerschaft eintreten.

Um die sexuell wichtigen Fragen gleich zu erörtern, mag erwähnt sein, daß Onanie nicht vorzukommen scheint, daß ein Eingeborener mir von einer Vermischung mit einem Esel zu berichten wußte, daß diese wohl aber kaum auf Joruba Bezug haben kann, da die Joruba Ibadans und der umliegenden Gegenden keine Esel haben. Das Beschlafen (ando oder dido) wird im allgemeinen in der in Europa üblichen Form vorgenommen. Im Südwesten, nach Dahome hin, kommt aber noch jene Form vor, die ich bei den Nordosttogostämmen, bei Tamberma usw. fand, die äthiopische, die auch alle Stämme im Osten des Nil und im Norden Abessiniens üben. Die Frau liegt. Der Mann hockt vor ihr, schlingt die Beine des Weibes um sich und begattet sie in dieser uns Europäern fast unmöglich erscheinenden Stellung. Im nördlichen Joruba ist solches Verfahren nicht Sitte. (Im übrigen: männliches Geschlechtsorgan obo; Penis=öko; Skrotum = ekwong; Vagina furo; Schamlippen kua-mu-obo; Koitus =ido.)

Wir müssen nun zum vollen Verständnis der nachfolgenden Erörterungen einiges nachholen. Schon oben gelegentlich der Beschreibung der Geburtsgebräuche erwähnte ich, daß der Orischa des Vaters es ist, der dem Weibe den Kindersegen gewährt. Mit der Verehrung des Orischa sind auch gewisse sehr ernste Gesetze über eheliche Verbindungsmöglichkeiten gegeben. Die Anhänger eines jeden Orischa sind bestimmten Speiseverboten unterworfen, den Ewo oder besser Ewuo. Im allgemeinen haben alle Anhänger, d. h. also Nachkommen des gleichen Orischa auch die gleichen Ewuo. Nun ist es mit einziger Ausnahme des Sangooberpriesters niemandem gestattet, ein Weib zu ehelichen oder auch nur sich geschlechtlich vorübergehend zu verbinden, das die gleichen Speiseverbote mit ihm hat, also dem gleichen Orischa opfert wie er selbst. Wir haben also strenge totemistische Exogamie. Das Volk zerfällt in Klane, als Nachkommen des Orischa, die hier Omo-orischa oder Omoische heißen und die untereinander exogamisch leben. Nur der Sangopriester allein darf Sangotöchter heiraten. Die Omoische sehen ihren Orischa als ihren



Atlantis Bd_10-042 Flip arpa

Ahnen, Altvordern, Ursprungsgott an und reden ihn deshalb, wenn er ein männlicher Orischa ist, mit "baba" und wenn er ein weiblicher ist, mit "ja", also mit Vater und Mutter an. Zieht die junge Frau in das neue Haus, so behält sie stets ihre angeborenen Speiseverbote bei, nimmt aber zuweilen noch die ihres Mannes auf sich. Der Mann dagegen pflegt die Ewuo seiner Frau nicht immer zu übernehmen, er darf dann aber alle Gerichte, die seiner Frau verboten sind, nicht von dieser herzustellen verlangen. Ja, er darf solche Nahrung gar nicht mit in ihren Wohnraum bringen. Die Kinder, die der Ehe entspringen, folgen dem Ewuo des Vaters.

Auch dann, wenn ein unverehelichtes Mädchen die Folgen einer Liebschaft zur Welt bringt, haben die kleinen Geschöpfe dc::i väterlichen Speiseverbot zu folgen, und nur wenn sie entweder eine Hure ist oder aber im Dunkeln vergewaltigt wurde, —ohne also wissen zu könenn, wer der Vater ist -, nur dann übernimmt das Kind das Speiseverbot der Mutter, also des mütterlichen Großvaters. Der Großvater, respektive nach seinem Tode die Großmutter, ist es auch, die solche Kinder erzieht. Es bleibt aber immer der Grundsatz bestehen, daß nach Möglichkeit das Kind dem Vaterstamme im Speiseverbot zu folgen hat. Im Jorubalande gibt es zum Beispiel die Sitte der Wahlelternschaft. Wenn eines Knaben Eltern frühzeitig starben und er keinen Fürsorger hat, so kann er sich einen neuen Vater wählen (und dementsprechend ein Waisenmädchen eine Mutter). Bei der Wahl, die immer angenommen wird, weil sie die Bereicherung des Haushaltes um eine Arbeitskraft bedeutet, richtet sich des Knaben Augenmerk nach drei Richtungen: erstens der Vater muß ein angesehener Mann sein; zum zweiten soll er ein guter Mann sein; drittens und vor allen Dingen muß er unbedingt demselben Orischa opfern, dem sein Vater opferte und zu dessen Nachkommenschaft er demnach selbst gehört. Also im gleichen Klan findet der Bursche bei jedem Manne in solcher Notlage Unterschlupf.

Bei so strenger Aufrechterhaltung des totemistischen Verehrungswesens ist es natürlich, daß auch die junge Frau im neuen Heim nicht ohne eine kleine Kultstätte gelassen wird, da das große ganze Gehöft ja einen andern Gott anbetet wie sie selbst. Sie erhält aus ihrem Vaterhause gewissermaßen einen Ableger des großen Familienaltares. Die entsprechende Zeremonie findet am Tage nach dem ersten ehelichen Beilager statt. Die junge Frau kehrt noch einmal zu den Eltern zurück. Die Eltern bereiten sich zur Überführung des Orischa vor. Sie tragen das heilige Symbol vor der nachfolgenden Tochter her in die neue Wohnung, die der junge Ehemann als Privatgemach der Gattin ausgesucht hat. Dort wird an der Mauer oder in einer Nische die Sache hergerichtet. Der Vater der Frau verrichtet die vorgeschriebenen Opfer. Diese bestehen in Huhn oder Hahn,



Atlantis Bd_10-043 Flip arpa

Schaf oder Bock, Ziege oder Ziegenbock, Schnecken, Kola, Rum, Jamsbrei usw., je nach dem Orischa, was diesem angenehm oder auch nur erlaubt ist zu genießen. Hiernach wird von der Familie der jungen Frau an der Stelle (auf der Veranda von ihrem Gemache) abgekocht; es wird getrunken und getanzt. Solche Einweihung und Gründung einer neuen Heimstätte für den Orischa ist ein regelrechtes Fest mit tiefer Bedeutung für die Frau, denn da dem Ehegesetze nach der Mann ja einen andern Gott hat als sie, so muß es ihr immer ein Trost sein, sich vor dem fremden Gott immer wieder zu ihrem eigenen vom Elternhause her gewohnten Anbetungswesen zurückziehen zu können. Wenn alljährlich das ganze Gehöft nun das Hauptfest des darin herrschenden Orischa feiert, von welchem sie als Anhängerin und Nachkomme eines andern Gottes nur begrenzt teilnehmen kann, so hat sie ihre eigene kleine Privatveranstaltung. Es ist ihr Recht, das der Ehemann ihr unbedingt gewähren muß, und ihre Pflicht, die der Orischadienst ihr auferlegt, ehe dem großen Hauptorischa dieses Gehöftes das große Fest gefeiert wird, in aller Stille ihrem eigenen Gott ein kleines Fest zu widmen. Der Mann wird ihr unbedingt das nötige Opfertier geben und sie hat es dargebracht, ehe die Gäste anlangen, um das Fest des hausherrlichen Orischa mit großem Pomp und in lodernder Fröhlichkeit zu begehen.

Die heutigen Ableger, die die Eltern dem jungen Weibe ins Haus bringen, sind natürlich ganz verschiedener Art. Die Elletöchter, die Nachkommen der Mutter Odudua (Erde), erhalten eines der kleinen Enjilleeisen mit Gabeln und Vögelchen. Die Schangotöchter werden ausgestattet mit einer Sere Sango (einer Klapper) und einem oder mehreren Blitzsteinen (Edungara). Den Osuntöchtern werden die Gelbgußarmbänder (Egba-t-osun), die sie zu tragen pflegen, außerdem ein Osuntopf, ein Koko Osun oder Aquille-osun, zuteil, in dem einige Kieselsteine aus dem Flusse liegen, der den Namen des Gottes trägt und in dem dieser Orischa leben soll. Ifatöchter bringen ihren in bunten Perlen abwechselnden Behang mit. Schankpannatöchter haben nur ihr Armband aus kleinen Kaurimuscheln, ihr Owo-nde, sonst nichts. Denn es ist strengstens verboten, den Gott Schankpanna von einem Orte zum andern zu tragen, und so muß sich die junge Frau damit begnügen, von dem Ehemann ein Huhn zu erbitten, mit diesem nach Hause zurückzukehren, und es dem gewaltigen und fürchterlichen Orischa im Heiligtum der Eltern darzubringen, wonach sie dann allen weiteren Verpflichtungen für diesmal überhoben, in ihrem Innern befriedigt wieder heimkehrt in das neue Wohnhaus zum Gatten.

Aber nicht nur geistiges Gut, sondern auch materiellen Besitz bringt die junge Frau mit in das neue Haus als zierende Kleidung



Atlantis Bd_10-044 Flip arpa

und Gerät ihrer wirtschaftlichen Betätigung. Mir wurde folgendes genannt:

I Kidjig-pa, ein Umschlagtuch, und zwar je eines vom Vater und
eines von der Mutter. Diese Tücher dienen als Frauenkleid,
2. Uni-jiga, ein Kopftuch,
3. Segi, Perlen,
4. Owuo, einen Besen,
5. Koko amu, einen Wassertopf,
6. Koko sasu, einen Soßentopf,
7. Awo, Teller,
8. Aru, Topf für Feuer,
9. Bako, Kalebassenlöffel,
10. Ademu, Trinkkalebasse,
11. Ban-schuku-Tragkalebasse,
12. Akwoti, Stühlchen,
13. Odo, Mörserkeule,
14. Obe, Messer,
15. Agbo, ein Korb, um Kalebassen, Töpfe usw. darin zu bewahren.

Solchergestalt ausgerüstet, zieht die junge Frau ein, um ihr eigenes Handwerk als Hausfrau auszuüben und zu zeigen, was sie in ihrem Elternhause gelernt hat. Ganz einfach mag es dem jungen Ding in der neuen Umgebung nicht immer werden, denn es lebt noch manche alte Tante, Schwiegermutter oder so, die hier wie überall einen allgemein und leicht verständlichen Drang verspüren, der dahin geht, statt zu helfen, in eine Schablone zu zwingen. Somit wird der Weg zur Selbständigkeit, wie die Frauen selbst sagen, nicht leicht gemacht. Und doch muß sie es lernen zu leiten, denn sie bleibt nicht immer allein. Gerade an die erste Frau (Ehefrau = Obili-eni), die auf den speziellen Titel Jale hört, werden die höchsten Ansprüche gestellt. Nicht nur, daß man von ihr hofft, daß sie bald den Sohn des Hauses zur Welt bringen werde, daß also ihrer Mutterpflichten harren, sondern sie soll auch die Leiterin des Wirtschaftslebens im Hause sein, soll alle Vorräte verwalten, soll den Marktverkauf und -einkauf beaufsichtigen, soll achten, daß das Haus immer geputzt und Wände und Fußböden geglättet werden usw. Zumal in den Zeiten der Feiern und Feste, wenn alle möglichen angesehenen Gäste und Freunde und mancher hohe Herr zu Besuch kommen, muß sie es verstehen, die Leute des Haushaltes springen und anpacken zu lassen, und wenn man auch bei großen Festen der Joruba von dem Wirken der Frau nichts direkt sieht, so weiß man doch, was die Vorbereitungen beanspruchen und daß eben dieses lautlose Wirken dort wie bei uns ein Zeichen der besten Hausfrauen ist.

Und nicht nur, daß sie Vorräte verwaltet und die Sklaven und Sklavinnen beaufsichtigt! Nach einigen Jahren, wenn der Wohlstand



Atlantis Bd_10-045 Flip arpa

wächst, wird der Gatte eine zweite Frau heiraten, in späteren Jahren wohl noch eine oder die andere. Jede solche junge Frau zieht zunächst in die Kammer der Jale ein. Sie wird von der Jale in allem unterrichtet, wie der Hausherr es am liebsten habe, wie sie selber alles eingerichtet habe und zu handhaben pflege. Ist das neue Rad dann gut eingefaßt in den Gesamtorganismus, weiß die junge Frau Bescheid, so erhält sie eine eigene Kammer. — Aber nicht nur Frauen hat die Jale zu erziehen, zu beaufsichtigen und zu dirigieren, sondern auch noch manche Beischläferin. Die Joruba unterscheiden eine Ehefrau Obili-eni, eine Beischläferin Alle-eni und eine Hure Aguirri, welch letztere früher ihren Körper für tausend bis zweitausend Kauri preiszugeben pflegte und die nachts, zumal nach Zechgelagen, aufgesucht wurde.

Die Kinder der Frauen und Beischläferinnen waren anscheinend gleich geschätzt, und besonders beim Erstgeborenen war es gleichgültig, ob er von der Jale oder einer Alle-eni stammte. Er wurde mit einer gewissen Ungeduld erwartet, und die Orischa wurden nicht emsiger mit Opfern bedacht, als wenn das Ausschauen nach einem Stammhalter aussichtslos blieb.

Inwieweit man den Lebenswandel der Jorubafrauen als tadellos bezeichnen kann, ist mir nicht klargeworden, denn ich fand in zwei Haushalten eine eigentümliche Sittenführung. In beiden lebten zwei Brüder. Es war eine Hausfrau da, die schlief mit beiden Brüdern abwechselnd. In beiden Fällen wurde mir die Sache ganz harmlos als etwas Selbstverständliches vorgetragen. Als ich dann in meiner Aussprache mit den Alten die Sache zur Sprache brachte, wurde mir zugegeben, daß ein solcher Fall allerdings nicht so sehr selten sei. Aber nur in einzelnen Fällen sei der eigentliche Ehemann mit einer solchen brüderlichen Teilung seiner Eherechte einverstanden, vielmehr sei er meist sehr ergrimmt, wenn er solcher Verwechselung der Besitzbegriffe auf die Spur komme. Er nimmt, so wird erzählt, seine allzu bereitwillige Frau dann in sein Gerichtszimmer, riegelt sie ab und verprügelt sie so kräftig, daß sie brüllend Besserung verspricht. Danach bringt er seinem Orischa ein Opfer mit der Bitte, daß das nicht noch einmal vorkommen möge, und endlich jagt er den allzu liebebedürftigen Bruder zum Hause heraus, allgemein verkündend, weshalb diese Vertreibung stattfinde. Immerhin handelt es sich hier fraglos um den Rest einer alten, nicht mehr angesehenen Sittenbildung.

Entdeckt der Ehemann sonst Zeichen, die ihm eheliche Untreue seiner Frau andeuten, so pflegt er unter den Eingang zu dem Gemache ein Medikament zu legen; darüber schließt er wieder sorgfältig die Tür. Überschreitet die Frau die Stelle und ist sie wirklich eine Sünderin, so entstürzt ihrem Geschlechtsorgan ein Blutstrom. Sie ist erkannt.



Atlantis Bd_10-046 Flip arpa

Abgesehen von solchen gelegentlichen Entgleisungen, darf man das Leben, das in einem großen Gehöft sich abspielt, als ein so glückliches bezeichnen wie nur möglich. Sicherlich verfiel manches Haupt der unteren Schichten, zumal die Sklaven, dem Opferschwerte der Ogboni und der Orischapriester. Auch drohte gerade den Wohl. habensten und Angesehensten ständig die Neiderrache des Ogbonisenates. Aber deswegen lag doch keine trübe Wolke über dem behaglichen, breitspurigen Lebensgenuß, dem die höheren Herren sich nach westafrikanischer Art voll und ganz hingaben.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt