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Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



Atlantis Bd_10-000.4 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT


2. Kapitel: Die Götterlehre und die Menschen

Das sei noch einmal und mit aller Deutlichkeit betont: das Wesen der Kultur und Mythologie der Joruba ist nicht etwa ein archäologischer Gipsabklatsch aus altgeschichtlicher Vergangenheit. Es handelt sich um Lebendes, also um etwas, was seit damals atmete, stoffwechselte und schicksalhaft ist.

Rein äußerlich läßt sich das nachweisen. In alter Zeit war diese atlantische Kultur eine Kultur der Städte, in denen die Ortsweise im Stil variierte, wie dies z. B. auch auf Kreta der Fall war. Das große Joruba,,reich" der Alafin ist eine historisch späte Erscheinung, ein Erguß der Beziehung zur erythräischen Kultur des Sudan. Es hat sicherlich mehrere derartige Überschwemmungen und Umbildungen im Laufe der Zeit gegeben und sie haben allerhand Umgestaltung nicht nur der äußeren Gestalt, sondern auch des inneren Wesens der atlantischen Kultur in Westafrika zur Folge gehabt. So ist es z. B. sicher, daß deren heute absolut vorherrschenden patriarchalischen Sippengliederung eine stark matriarchalisch veranlagte Klangruppierung (z. B. mit Neffen-Erbrecht) vorangeht. Belege hierfür finden wir in den kleinen, abseits der großen Straßen gelegenen Dörfern mehrfach.

Also es handelt sich nicht um etwas archäologisch Erstarrtes.



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Aber was auch immer an jungen Einflüssen von innen heraus und von außen her Neugestaltung erweckte, diese atlantische Kultur bewahrte doch den einen entscheidenden Charakterzug, der sie mir vor allem verehrungswürdig erscheinen läßt: sie blieb konstruktiv einheitlich, blieb fließend in einem Guß, geriet nie in die Gefahr aller hohen Kulturen: sie hat sich nie gespalten.

Das muß hier bei Betrachtung der Götterlehre in den Vordergrund gestellt werden.

Wir Europäer leben in Staatsgebilden, in denen jeder nach seiner Religion selig werden kann. Und die Anschauungen und Vorschriften der Religion sind durchaus nicht etwa immer die des Staates. Der Staat verbietet es keinem Deutschen, zum Islam überzutreten,



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aber wenn der neue Moslim dann vier Gattinnen sich vermählen wollte, so würde der gleiche Staat ihn wegen Verfallens in Bigamie verwarnen. Das ist grobe Oberflächenerscheinung. Aber wer solchen Gedanken- und Beobachtungslinien folgt, wird zuletzt erschrecken, weil unser Leben durch tausende von derartigen Widersprüchen der Einheitlichkeit beraubt ist, die eben in Afrika noch gewahrt ist.

Denn das Leben der Menschen wird bestimmt nach Herkommen und alten Sitten, die folgerichtig im Sinne der Götterlehre das Leben in Gemeinde und Klan formal bestimmen. Das Leben des Einzelnen ist bedingt durch gleichen Sinn wie das Leben des Ganzen. Klan, Gemeinde, Staat und Religion sind Ausdruck eben dessen, was ich eine feingliedrige organische Weltanschauung nenne.

Und auf diese Einheitlichkeit des aus übersinnlichem Makrokosmos heraus gestaltenden menschlichen Mikrokosmos hat keine historische Einwirkung von außen oder innen her einen spaltenden Einfluß auszuüben vermocht.



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Sehr wohl weiß ich, wie alles das, was ich von dort drüben mitzubringen vermochte, Bruchstückwerk ist. Ich weiß es besser als irgend jemand anders. Gerade hier aber gegenübergestellt dem Monumentalen weckt dies Wissen schmerzliches Gefühl. Schwer ist es, aus Scherben das Bild des Monumentalen andern erkennbar zu machen.

Unter diesen Umständen muß es wie ein Glück erscheinen, daß die Lehre der Götter tief eingegraben ist in den Verlauf kleinsten wie größten bürgerlichen Lebens. Hier sind die Spuren des Großartigen leichter erkennbar, ausdrucksklarer und deshalb spiegelhafter. Indem also hier der Ausgang genommen wird, drängt sich aber auch die Notwendigkeit auf, die doppelte Bedeutung aller der Volksbeschreibungen, die diesen Bänden beigefügt sind, zu betonen.

Einmal haben diese Beschreibungen den Sinn, demjenigen, der sich mit der Dichtung eines der vielen afrikanischen Völker beschäftigt, ein allgemeines Bild von der jeweiligen Art dieser volksdichtenden Menschheit zu geben. Ein derart gebotenes vollkommeneres Wissen ist um so erfreulicher, als damit allerhand "folkloristische" Einzelkenntnisse einfließen, die die Motive, die Variation, den Stil und die Begrenzung der einzelnen Dichtungen erklären. Die Beschreibungen geben also in diesem Sinne das die Dichtung Bestimmende.

Zum andern aber sind die Beschreibungen auch in umgekehrtem Sinne von Bedeutung. Die in Volksdichtung, -anschauung und -götterlehre gebotenen Stoffe haben auch eine rückwirkende Kraft. Im Lande des Heldenepos (Bd. VI) lebt der Ritter in dem Ehrgeiz, auch in das Heldenbuch zu kommen, und so bestimmt die Dichtung die Handlungen des täglichen und allgemeinen Lebens. Ein ganz Gleiches nun haben wir hier im Gebiete der Götterlehre. Nur ist es noch



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bedeutungsvoller. Die Götterlehre ist ohne ihre Durchdringung des Volkslebens ebenso bedeutungsarm, wie das Volksleben ohne Kenntnis der Götterlehre unverständlich bleibt.

In diesem Sinne also will ich versuchen, die Mangelhaftigkeit unserer Kenntnis atlantischer Götterlehre durch ein Bild von ihrem Einfluß auf das Volksleben zu kompensieren.

Zuerst sei ein Versuch gemacht, ein Bild der Menschheit zu entwerfen die, als einzige auf afrikanischer Erde, noch ein volimythologisches Leben im Alltage wie in tiefer und hoher Gesinnung bewahrt hat.


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