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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON WARDÂN DEM FLEISCHER MIT DER FRAU UND DEM BÄREN

Zur Zeit von el-Hâkim bi-amri-llâh' lebte in Kairo ein Mann des Namens Wardân; das war ein Fleischer, der Schafe schlachtete. Jeden Tag pflegte eine Frau zu ihm zu kommen mit einem Dinar, der fast soviel wie zweiundeinhalb ägyptische Dinare wog, und dann sagte sie zu ihm: ,Gib mir ein Schaf!' Sie hatte aber einen Lastträger mit einem Korbe bei sich; und wenn der Fleischer den Dinar von ihr erhalten und ihr ein Schaf gegeben hatte, so gab sie es jenem zu tragen und ging mit ihm heim. Am nächsten Morgen früh kam sie dann wieder; und so nahm jener Fleischer von ihr jeden Tag einen Dinar ein. Dabei blieb es eine ganze Weile. Eines Tages aber begann Wardân der Fleischer darüber nachzudenken, was es mit ihr sei, und er



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sprach bei sich selber: Diese Frau kauft jeden Tag von mir für einen Dinar und läßt nicht einen einzigen Tag aus; und immer kauft sie von mir für bares Geld. Das ist doch eine merkwürdige Sache!' Darauf fragte er den Lastträger, als die Frau nicht dabei war, mit den Worten: ,Wohin gehst du jeden Tag mit dieser Frau?' Der gab ihm zur Antwort: ,Ich wundere mich selbst gar sehr über sie; denn jeden Tag läßt sie mich erst das Schaf bei dir aufladen, dann kauft sie noch für einen Dinar die Zukost zum Fleisch, ferner Früchte und Kerzen, und holt bei einem Christenkerl zwei Flaschen Wein, für die sie ihm einen Dinar gibt. Das alles läßt sie mich tragen, und ich muß mit ihr zu den Gärten des Wesirs gehen. Dort verbindet sie mir die Augen, so daß ich nicht mehr sehe, wohin auf Erden ich meinen Fuß setze, und sie führt mich, ohne daß ich weiß, wohin sie mit mir geht. Schließlich sagt sie zu mir: ,Setz hier ab!' gibt mir einen leeren Korb, den sie bereitgestellt hat, ergreift mich bei der Hand und führt mich zu der Stätte zurück, an der sie mir die Binde um die Augen gelegt hat; die löst sie dann und gibt mir zehn Dirhems.' ,Gott steh ihr bei!' rief der Fleischer; aber er dachte nur noch mehr über sie nach, sein Staunen ward noch stärker, und er verbrachte die Nacht in großer Unruhe. ,Am nächsten Morgen - so erzählte Wardân der Fleischer selbst - kam sie wie immer zu mir, gab mir den Dinar, nahm das Schaf in Empfang, ließ den Träger es aufladen und ging davon. Nun vertraute ich meinen Laden der Obhut eines jungen Burschen an und ging hinter ihr her, doch so, daß sie mich nicht sehen konnte.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 354. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Wardân der Fleischer



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des weiteren erzählte: ,Nun vertraute ich meinen Laden der Obhut eines jungen Burschen an und ging hinter ihr her, doch so, daß sie mich nicht sehen konnte. Und ich behielt sie immer im Auge, bis sie aus der Stadt Kairo hinausging; und unbemerkt folgte ich ihr, bis sie zu den Gärten des Wesirs kam. Dort versteckte ich mich, bis sie dem Lastträger die Augen verband, und dann ging ich hinter ihr her, von Ort zu Ort, bis daß sie in die Berg wüste kam. Als sie zu einer Stelle gelangte, an der sich ein großer Stein befand, nahm sie dem Träger den Korb ab. Darauf wartete ich, bis sie den Lastträger zurückgeführt hatte und wiederkam und alles, was in dem Korbe war, herausnahm und schließlich verschwand. Nun ging ich zu jenem Steine, schob ihn beiseite und ging hinein; hinter ihm entdeckte ich eine offene Falltür aus Messing und eine Treppe, die nach unten führte. Ganz langsam stieg ich auf dieser Treppe hinab, bis ich zu einem langen unterirdischen Gang kam, der ganz hell war; in ihm ging ich dann weiter, bis ich etwas erblickte, das wie die Tür zu einer Halle aussah. Nach beiden Seiten der Tür sah ich genauer hin, und da fand ich eine Nische mit Treppenstufen außerhalb der Saaltür; ich stieg auf ihnen hinauf und entdeckte oben eine kleine Nische mit einem Fenster, das auf den Saal führte. Nun schaute ich in die Halle hinab und sah, wie die Frau das Schaf genommen hatte und die besten Teile davon abschnitt und in einem Topf zubereitete. Das übrige warf sie einem großen Bären von mächtiger Gestalt zu, und der fraß alles bis zum Letzten auf, während sie kochte. Als sie fertig war, aß sie, bis sie satt war; dann trug sie die Früchte und das Naschwerk auf, setzte den Wein hin und begann aus einem Becher zu trinken und gab dem Bären aus einer goldenen Schale zu trinken, bis der Rausch der Trunkenheit über sie kam. Darauf entkleidete sie sich und



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legte sich nieder. Der Bär aber erhob sich und warf sich auf sie, und sie gewährte ihm das Beste, was den Menschenkindern gehört, bis er zu Ende war und sich niedersetzte.' Dann sprang er wieder auf sie zu und warf sich auf sie; und als er zu Ende war, setzte er sich nieder und ruhte aus. Und so fuhr er fort. bis er es zehnmal getan hatte. Schließlich sanken beide in Ohnmacht und blieben regungslos liegen. Da sagte ich mir: ,Dies ist der Augenblick, die Gelegenheit zu ergreifen!' Ich eilte hinab, und da ich ein Messer bei mir hatte, das die Knochen vor dem Fleische zerschnitt, so nahm ich es, und als ich vor ihnen stand und keine Ader in ihnen sich rühren sah, weil sie übermüde waren, legte ich das Messer dem Bären an die Kehle und stemmte mich dagegen, bis ich ihm den Garaus gemacht hatte und der Kopf von seinem Rumpf getrennt war. Dabei röchelte er so gewaltig, daß es wie Donnergeroll klang, und die Frau fuhr erschrocken auf. Als sie sah, wie der Bär getötet war und wie ich mit dem Messer in der Hand dastand, schrie sie so laut, daß ich glaubte, sie hätte den Geist aufgegeben. Doch sie sprach dann zu mir: ,O Wardân, ist das der Lohn für meine Güte?' Darauf erwiderte ich: ,O du Feindin deiner selbst, ist solche Not an Männern, daß du ein so schändliches Treiben üben mußt?' Da senkte sie ihr Haupt, ohne eine Antwort zugeben, und blickte auf den Bären, dem der Kopf vom Leibe getrennt war. Dann sprach sie: ,Wardân, was ist dir lieber? Willst du auf das hören, was ich dir sage, und dadurch gerettet werden' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 350. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau sprach: ,Wardân, was ist dir lieber? Willst du auf das hören, was ich dir sage, und dadurch gerettet werden und bis zum Ende deiner Tage in Reichtum leben? Oder willst du mir zuwiderhandeln und dadurch dich ins Verderben stürzen?' Ich antwortete: ,Lieber will ich auf deine Worte hören. Sag, was willst dw' ,Töte mich,' sprach sie, ,wie du diesen Bären getötet hast; nimm aus diesem Schatze, was du wünschest, und geh deiner Wege!' Darauf erwiderte ich: ,Ich bin besser als dieser Bär. Kehre zu Allah dem Erhabenen zurück und tue Buße! Dann will ich mich mit dir vermählen, und wir werden unser Leben lang von diesem Schatze leben können.' Doch sie rief: ,O Wardân, das sei ferne! Wie sollte ich nach seinem Tode noch leben können? Bei Allah. wenn du mich nicht tötest, so werde ich gewißlich deinem Leben ein Ende machen. Gib mir keine Widerworte; sonst bist du des Todes! Das ist's, was ich dir zu sagen habe, und damit hat es sein Bewenden.' ,Nun also,' gab ich zur Antwort, ,ich will dich töten. Dann wirst du zum Fluche Allahs niederfahren!' Darauf ergriff ich sie an den Haaren und schnitt ihr die Kehle durch; und sie fuhr hinab zum Fluche Allahs und der Engel und aller Menschen! Dann schaute ich mich in dem Raume um, und ich fand in ihm so viel Gold, Siegelsteine und Perlen, wie sie kein König aufhäufen kann. Ich nahm den Korb des Lastträgers und füllte ihn soweit, wie es mir nur irgend möglich war; danach deckte ich ihn mit einem der Gewänder, die ich an mir hatte, zu und lud ihn mir auf. Zuletzt stieg ich aus der Schatzhöhle wieder hinauf und ging fort, immer weiter, bis ich zum Stadttore von



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Kairo kam; dort kamen mir plötzlich zehn Leute von der Leibwache des Kaufen el-Hâkim bi-amri-llâh entgegen, und er selbst folgte ihnen. Er rief mich an: ,He, Wardân!' ,Zu deinen Diensten, o König!' erwiderte ich. Dann fragte er: ,Hast du den Bären und die Frau getötet?' ,Jawohl', gab ich zur Antwort. Er sagte darauf: ,Setz den Korb von deinem Kopfe nieder und sei guten Mutes; alles Gut, das du bei dir hast, soll dir gehören, und niemand soll es dir streitig machen!' So setzte ich denn den Korb vor ihm nieder; und nachdem er ihn aufgedeckt und betrachtet hatte, fuhr er fort: ,Erzähle mir, was mit den beiden geschehen ist, obgleich ich es weiß, als ob ich bei euch zugegen gewesen wäre!"Da berichtete ich ihm alles, was geschehen war, und er sprach: ,Du hast die Wahrheit gesagt.' Dann fügte er hinzu: ,Wardân, laß uns zu der Schatzhöhle gehen.' Da begab ich mich also mit ihm wieder dorthin; und als er die Falltür geschlossen sah, befahl er: ,Hebe sie, Wardân! Niemand kann diesen Schatz öffnen als du allein; er ist auf deinen Namen und dein Wesen verzaubert.' Doch ich entgegnete: ,Bei Allah, ich kann ihn nicht öffnen.' Er aber sprach: ,Tritt nur hinzu im Vertrauen auf den Segen Allahs!' Ich trat hinzu, rief den Namen Allahs des Erhabenen an, legte meine Hand auf die Falltür, und siehe da. sie hob sich, wie wenn sie das leichteste Ding der Welt wäre. Nun sagte el-Hâkim: ,Geh hinab und hol heraus, was darinnen ist! Denn niemand als einer von deinem Namen, deiner Gestalt und deinem Wesen kann hinabsteigen, seit dieser Bär und diese Frau von deiner Hand umgebracht und getötet sind. Dies alles stand bei mir verzeichnet, und ich wartete nur, bis daß es Ereignis



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werden sollte.' Ich stieg also hinab - so schloß Wardân seine Erzählung - und brachte ihm alles, was in der Schatzhöhle war. Darauf ließ er Lasttiere kommen, belud sie und beließ mir meinen Korb mit dem, was in ihm war; ich nahm ihn mit nach Hause und eröffnete einen neuen Laden im Basar.'

Dieser Basar aber ist noch bis auf diesen Tag vorhanden, und er ist bekannt als Wardâns Basar.

Ferner wird erzählt


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