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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



Atlantis Bd_09-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

118. Unwahrscheinlichkeiten

Ein Mauern wollte seine Stadt verlassen, um für einige Zeit in eine andere zu gehen. Da gesellte sich ein Mann zu ihm, der sehr gut mit seiner Keule zu fechten verstand, und fragte ihn: "Soll ich dich nicht begleiten?" "Wenn du Lust hast, bitte!" Dann kam ein Jäger und sagte: "Ich weiß gut zu schießen, soll ich dich nicht begleiten ?" "Wenn du Lust hast, bitte!" Der Jäger nahm Pfeil und Bogen, und sie gingen zu dreien. Vor der Stadt war ein großer Fluß; aber es war Trockenheit. Sie konnten ihn ohne Kanu durchwaten und kamen zu der andern Stadt, in der sie einen Monat blieben. Dann mahnte der Mauern zum Aufbruch, damit sie vor der Regenzeit den Fluß überschreiten könnten. Doch ehe sie an den Fluß kamen, war der erste Regen gefallen und der Fluß angeschwollen. Der Mauern riet, einen Tag zu warten, bis das Wasser wieder etwas fiele, denn es war kein Kanu da. Sie warteten einen Tag und hatten nichts zu essen. Da erschien auf dem andern Ufer der König seiner Heimatstadt, um sich den angeschwollenen Fluß anzusehen, sah den Mauern und rief herüber: "Halloh, Mauern, was machst du denn da ?" "Wir kamen hier heute früh an und konnten nicht mehr herüber." "Ich glaube nicht," rief der König, "daß der Fluß wieder fällt, und Kanus haben wir nicht." "So werde ich es ohne Kanu versuchen," gab der Mauern zurück, holte seine Papiere heraus, legte sie aufs Wasser, trat darauf, legte Papier vor sich aufs Wasser, trat auf dieses, nahm das Papier hinter sich weg, legte es vor sich, trat darauf usw. bis er das andere Ufer sicher erreichte, ohne daß das Papier durchnäßt worden wäre. Als der Jäger dies sah, folgte er dem Beispiel des Mauern, schoß einen Pfeil ins Wasser, trat darauf, schoß den nächsten Pfeil ins Wasser, trat darauf, ergriff den ersten Pfeil, schoß ihn wieder ins Wasser usw. bis er auch sicher das jenseitige Ufer erreichte. Da dachte der Mann mit der Keule: "Was die beiden



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können, kann ich auch." Er schlug mit seiner Keule auf das Wasser, das sich augenblicklich teilte. Er durchschritt trockenen Fußes das Flußbett und das Wasser schlug hinter ihm wieder zusammen. Die drei schlossen sich dem Zug des Königs an. Unterwegs kamen sie bei einer alten Frau vorbei, und der Mauern fragte, ob sie nichts zu essen hätte, er hätte Hunger seit dem Morgen. Die Frau antwortete: "Ich habe nichts. Als ich hörte, der König käme, goß ich vor Schreck kaltes Wasser in das kochende. Nun habe ich alles wieder auf die Matte geschüttet, um das kochende Wasser wieder vom kalten zu sondern." Die drei gingen weiter. Nahe der Stadt trafen sie einen Mann, der einen Brunnen grub. "Hast du nicht etwas Essen zu verkaufen ?" fragte der Mauern. "Nein," antwortete der Mann, "aber hier ist es sehr heiß, deshalb bin ich eben dabei, meinen Brunnen in den Schatten jenes Baumes zu bringen, und wenn die Sonne untergeht, will ich meinen Brunnen wieder zurücktragen." Die drei gingen weiter und kamen nach Hause. Wer nun, fragt der Erzähler, ist der Tüchtigste von den fünf? Der Mauern, der auf seinem Papier den Fluß durchschritt, der Jäger, der auf seinen Pfeilen über den Fluß ging, der Mann, der mit dem Knüppel den Fluß teilte, die Frau, die kochendes Wasser von kaltem trennte, oder der Mann, der seinen Brunnen unter einen Baum trug und wieder zurück?


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